Ich beobachte das Wetter
Es war in der Volksschule, der österreichischen Grundschule, im vierten Jahr, dass ich in Heimatkunde, dem damaligen Sachunterricht, etwas über das Wetter lernte. Die Wetterphänomene hatten mich schon immer fasziniert. Damals gab es noch richtige Winter, aber auch komische Winter, aber im Allgemeinen war es im Winter kalt, nicht so lauwarm bis feuchtkühl wie in den letzten Jahren. Schnee gab es meistens genug, manchmal sogar fürs Schifahren im Flachland Ostösterreichs genug und auf den Bergen mehr als genug. Die Sommer waren heiß und trocken oder schwül und nass, wie es eben immer abwechselt, wenn das Wetter nicht verrücktspielt. Jedenfalls war es wahrscheinlicher, dass im Winter drei bis vier Monate richtiger Winter mit Kälte und Schnee herrschte als dass es im Sommer fast durchgehend Temperaturen über 30 Grad hatte, das waren immer nur einzelne Tage oder höchstens ein bis zwei Wochen, die berühmten Hundstage. Manchmal begann schon Mitte August das Herbstwetter mit Regen und kühlem Wind seinen Einzug zu halten; dafür begann der Frühling oft schon im März und Aprilwetter bedeutete noch Abwechslung von Sonne, Regen und manchmal sogar Schnee, nicht Dürre oder Überschwemmung.
Das war einmal. Ich kann es nachprüfen, wenn ich meine Aufzeichnungen seit den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts durchsehe. Wie bin ich dazu gekommen das tägliche Wetter aufzuzeichnen? Wie gesagt, in der Volksschule lernten wir über das Wetter und da gab es in einem Buch eine Tabelle, in die man die Tagestemperaturen am Morgen, zu Mittag und am Abend, sowie die höchste und tiefste Temperatur eintragen konnte. Daneben gab es noch Spalten für Bewölkung, Niederschläge und Wind mit entsprechenden einfachen Symbolen. Das Ganze war nicht wissenschaftlich genau, aber immerhin konnte man sich daraus ein Bild über den Verlauf des Wetters machen. Nachdem ich die Tabelle ein paar Tage lang ausgefüllt hatte, fand ich Gefallen daran, die Wetterphänomene auf diese Weise aufzuzeichnen und begann in einem kostenlosen Wirtschaftsbuch von der Bank, das ähnliche Tabellen vorgedruckt enthielt ein ganzes Monat hindurch die Temperaturen, Wind, Bewölkung und Niederschläge aufzuschreiben. Schließlich wurde ein Minima-Maxima-Thermometer angeschafft und auf diese Weise konnte ich noch exakter den Verlauf der Tagestemperaturen verfolgen. Später kam noch ein Barometer zur Messung des Luftdrucks hinzu. Diese einfachen und teilweise ungenauen Aufzeichnungen setzte ich immer weiter fort. Sogar im Urlaub machte ich Aufzeichnungen, auch wenn es nicht am selben Ort war, oder mein Vater machte für mich weiter, wenn ich verreist war.
Aus den Monatstabellen wurden langsam Jahre und ich begann die durchschnittlichen Monats- und Jahrestemperaturen zu berechnen. Und siehe da, es zeichneten sich Entwicklungen und Veränderungen ab, die dem Menschen, der das tägliche Wetter miterlebt verborgen bleiben. Zumindest kann man sich im Nachhinein oft nur an extreme Wettersituationen erinnern, kann aber die Veränderung von Jahr zu Jahr oder von Jahrzehnt zu Jahrzehnt nicht beurteilen. Dieses Hobby habe ich bis heute weiter gepflegt, ohne Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit, so wie es manche Leute auch in früheren Jahrhunderten gemacht haben, was aber trotzdem Sinn macht, weil es die Eindrücke der exakten Meteorologen im Großen und Ganzen bestätigt.
Der Zusammenhang zwischen dem Gartenjahr und den sich langsam verändernden Jahreszeiten liegt auf der Hand. Der Erfolg oder Misserfolg des Gärtners hängt zum Großteil vom Wetter ab. So wie Bauern immer das Wetter beachtet haben und ihre eigenen Bauernregeln aus ihren Beobachtungen ableiteten und an ihre Nachkommen weitergaben, habe ich auch über Jahrzehnte die Natur, das Wachstum der Pflanzen im Garten beobachtet und daraus meine Schlüsse gezogen. Die Anpassung an die veränderten Jahreszeiten führt dazu, dass sich der Bauer wie der Gärtner bei der Auswahl der Sorten immer mehr diversifiziert, um auch bei Wetterextremen wenigstens noch eine ausreichende Ernte zu haben. Sorten für trockenes oder nasses, heißes oder kühles Wetter reagieren eben unterschiedlich. Wenn man Glück hat, gibt es eine reiche Ernte, wenn es drunter und drüber geht und dazu noch Schädlinge kommen, kann es auch sehr schlecht ausgehen.
Früher glaubte ich aus dem Wetterverlauf von einigen Monaten auf den Rest des Jahres schließen zu können. Oft waren zwei Jahre hintereinander sehr ähnlich, bevor sich alles wieder drehte und die Höhen und Tiefen in eine andere Richtung gingen. Damals wusste ich nicht viel über Jetströme und Meeresströmungen. Mittlerweile habe ich ein besseres Grundverständnis über Zusammenhänge zwischen atmosphärischen und ozeanischen Bedingungen, den Luft- und Wasserströmungen, die uns das Wetter bescheren. Der Klimawandel hat das ziemlich über den Haufen geworfen. Natürlich kann ich keine Beweise für langfristige Veränderungen liefern, alles ist ein Ergebnis meiner kurzfristigen Beobachtungen. Was sind schon etwas über fünfzig Jahre. Trotzdem lässt sich erkennen, dass sich etwas ändert, das wohl oder übel mit dem zu tun haben muss, was der Mensch zur Zusammensetzung der Atmosphäre beiträgt. Die natürlichen Phänomene wie Vulkanausbrüche, Waldbrände, Staub und Wasserdampf, die die atmosphärischen Bedingungen verändern, können gravierende Ausschläge der Temperaturen nach oben und nach unten verursachen, was sich auch aus meinen Aufzeichnungen ablesen lässt. Eine kontinuierliche Entwicklung ist aber nicht gegeben. Das chaotische am Wettergeschehen scheint sich zu verstärken und ich wage es seit längerem nicht mehr, das mögliche Winter- oder Sommerwetter vorherzusagen. Alles ist möglich, weil das Wettersystem von so vielen Faktoren abhängt. Die Zukunft wird zeigen, dass es selbst der exakten Wissenschaft nicht möglich sein wird, langfristig vorherzusagen, ob es tatsächlich noch heißer wird oder eine Eiszeit droht.