Das Vampirmädchen von Hume Nisbet - 02
Die Einsamkeit des Moores, zusammen mit dem Gesang des Meeres, hatte mein Herz mit einer wehmütigen Sehnsucht ergriffen. Der Widerspruch der Vergänglichkeit der flüchtigen Mohnblüten, welche die stark entschwundenen Farbtöne dieser nüchternen Heide kontrastierte, berührten mich mit einem Schaudern, wie ich zur Hütte kam; und schließlich vollendete diese seltsame Verkörperung des überraschenden Kontrastes meine Unterwerfung.
Sie erhob sich von ihrem Stuhl, als ihre Mutter sie vorstellte, und lächelte, während sie ihre Hand ausstreckte. Als ich diese weiche Schneeflocke ergriff, da kribbelte ein schwacher Nervenkitzel über mich hinweg und blieb auf meinem Herzen ruhen, hielt seine Schläge für einen Augenblick an.
Dieser Kontakt schien sie ähnlich beeinflusst zu haben, wie mich. Eine klar ersichtliche Röte erglühte, wie eine weiße Flamme, und beleuchtete ihr Gesicht, so dass es schien, als ob jemand eine Alabasterlampe angezündet hätte. Ihre schwarzen Augen wurden sanfter und glänzten als sich unsere Blicke kreuzten, und ihre roten Lippen wurden feucht. Sie schien nun eine lebendige Frau, während sie vordem beinahe wie ein halber Leichnam wirkte.
Sie ließ ihre weiße schlanke Hand länger, als es die meisten Menschen gewöhnlich während einer Begrüßung tun, in der meinen und zog sie dann langsam, mich immer noch standhaft mit den Augen fixierend ein oder zwei Sekunden später zurück.
Unergründlich samtige Augen waren es, aber noch bevor sie diese von den meinen abgleiten ließ, erschien es mir, als hätten diese mich all meiner Willenskraft beraubt und zu ihrem erbärmlichen Sklaven gemacht. Sie sahen aus wie tief-dunkle Tümpel voll klarem Wassers, aber sie erfüllten mich mit Feuer und entzogen mir alle Stärke. Ich sank in meinen Sessel so kraftlos zurück, wie ich am Morgen aus meinem Bett gestiegen war.
Aber ich hatte eben erst ein herzhaftes Frühstück genossen, und obwohl sie kaum davon gekostet, schien dieses seltsame Mädchen deutlich erfrischter und mit einem leichten Schimmer von Farbe auf den Wangen, der ihr so gut stand, dass sie jünger und fast schon schön wirkte.
Ich war doch der Einsamkeit Willen hierher gekommen, aber da ich nun Ariadne gesehen, schien es, als ob ich nur ihretwegen hier sei. Sie war nicht sehr lebhaft; ja und wenn ich so darüber nachdenke, kann ich mich nicht an irgend eine spontane Bemerkung ihrerseits erinnern. Sie beantworte meine Fragen einsilbig und ließ mir in Gesprächen stets die Führung; doch war sie einschmeichelnd und schien meine Gedanken in ihre Richtung zu lenken und mit mir durch ihren Augen zu sprechen. Ich kann sie nicht minutiös beschreiben, ich weiß nur, dass ich durch den ersten Blick verzaubert war, und seit sie mich berührt hatte, konnte ich an nichts anderes denken.
Es war eine rasche, ablenkende, und verworrene Liebe, die Besitz von mir ergriffen hatte. Den ganzen Tag lang folgte ich ihr wie ein Hund, in jeder Nacht träumte ich von diesem weiß leuchtenden Gesicht, diesen fixierenden schwarzen Augen, den feucht-roten Lippen, und jeden Morgen stand ich müder auf, als am Tag zuvor. Manchmal träumte ich, dass sie mich mit diesen roten Lippen küsste, während ich unter dem Kontakt ihrer seidigen schwarzen Locken, welche mir die Kehle bedeckten, zitterte. Manchmal schien mir, dass wir in der Luft schwebten, ihre Arme um mich gelegt und ihr langes Haar umhüllt uns beide wie eine pechschwarze Wolke, während ich hilflos auf dem Rücken lag.
Nach jenem Frühstück am ersten Tag ging sie mit mir zum Moor, und bevor wir noch zurück kamen, hatte ich ihr meine Liebe gestanden und sie willigte ein. Ich hielt sie in meinen Armen und nahm ihre Küsse als Antwort auf die meinen entgehen, und doch meinte ich nicht, dass es seltsam sei, wie schnell dies alles passiere. Sie gehörte mir, oder besser gesagt war ich ihrs, ohne Unterlass. Ich sagte ihr, es wäre das Schicksal, das mich zu ihr geschickt habe, denn ich hatte keine Zweifel an meiner Liebe, und sie antwortete, dass ich ihr das Leben zurück gegeben hätte.
Auf Ariadnes Rat, und auch aufgrund einer natürlichen Scheu, informieren ich die Mutter nicht, wie schnell die Angelegenheiten zwischen uns vorangekommen waren, doch obwohl wir beide so umsichtig als möglich handelten, hatte ich keine Zweifel, dass Frau Brunnell sehen konnte, wie vertieft wir beide ineinander waren. Verliebte sind nicht anders als Strauße während ihres Balzrituals. Ich hatte auch keine Angst Frau Brunnell um ihre Tochter zu bitten, denn sie zeigte bereits ihre Vorliebe für mich, und hatte mir einige vertrauliche Einblicke über ihre eigene Position im Leben gewährt, und daher wusste ich, dass, soweit es die soziale Stellung betraf, es keinerlei begründete Einwände gegen unsere Ehe geben konnte. Sie lebten im Interesse ihrer Gesundheit an diesem einsamen Ort und hielten sich keinen Diener, weil sie keinen dazu bringen konnten, so weit entfernt von anderen Menschen in ihren Dienst zu tun. Mein Kommen war opportun und sowohl der Mutter als auch der Tochter herzlich willkommen.
Aus Gründen des Anstandes jedoch entschloss ich mich, meinen Antrag auf ein oder zwei Wochen zu verzögern, und auf eine günstige Gelegenheit zu vertrauen, um es diskret vortragen zu können.
Inzwischen verbrachten Ariadne und ich unsere Zeit mit Müßiggang und auf Lotus-essende Weise. Jede Nacht zog ich mich zurück, ging zu Bett und sinnierte über den Beginn meiner Arbeit am nächsten Tag, jeden Morgen stand ich ermüdet von diesen beunruhigenden Träumen auf, ohne jeden Gedanken an irgend etwas anderes außer meiner Liebe. Ariadne erstarkte jeden Tag mehr, während ich es zu sein schien, der nun ihren Platz als Kranker einnahm, aber ich war wilder in der Liebe als je zuvor, und nur mit ihr glücklich. Sie war mein einsamer Sterne, meine einzige Freude – mein Leben.
Wir wanderten über keine großen Entfernungen, denn ich lag am liebsten auf der trockenen Heide und beobachtete ihr glühendes Gesicht und die intensiven Augen, während ich dem Wogen der fernen Wellen lauschte. Die Liebe machte mich träge, meinte ich, denn wenn ein Mann alles bei sich hat, wonach er sich sehnt, dann beginnt er, den Hauskater nachzuahmen und sich in der Sonne zu aalen.
Ich war schnell verzaubert worden. Meine Entzauberung kam um so schneller, aber es währte lange, bevor das Gift schließlich mein Blut verließ.
Eines Nachts, ein paar Wochen nach meiner Ankunft in der Hütte, war ich gerade von einem köstlichen Mondlicht-Spaziergang mit Ariadne zurückgekehrt. Die Nacht war warm und der Mond voll, daher ließ ich meinem Schlafzimmerfenster offen, um das bisschen Luft hinein zu lassen.
Ich war erschöpfter als gewöhnlich, so dass ich nur noch Kraft genug fand, um mich meiner Stiefel und des Mantels zu entledigen, bevor ich mich müde auf die Bettdecke warf und fast sofort eingeschlafen war – ohne Verkostung des Schlummertrunks, der beständig auf den Tisch gestellt wurde, und den ich sonst stets durstig leerte.
Ich hatte in dieser Nacht einen grässliche Traum. Ich glaubte, ich sähe eine Monster-Fledermaus mit dem Gesicht und den Haaren der Ariadne, durch das offene Fenster fliegen und ihre weißen Zähne und roten Lippen in meinen Arm vergraben. Ich versuchte, den Schrecken fort zu schlagen, konnte aber nicht, denn ich schien wie angekettet und auch wie mit betäubender Verzückung erfüllt, als das Tier mein Blut mit einer grauenhaften Gewalt aufsaugte.
Ich blickte mich traumwandlerisch um und sah eine Reihe von Leichen junger Männer auf dem Boden liegen, die jeweils eine roten Markierung am Arm trugen, und zwar an genau jener Stelle, wo der Vampir mich gerade aussaugte. Jetzt erinnerte ich mich, diese Wunde auch auf meinem eigenen Arm während der vergangenen zwei Wochen gesehen und mich gewundert zu haben. Blitzartig verstand ich nun den Grund für meine seltsame Schwäche, und im gleichen Augenblick weckte mich ein plötzlicher Schmerzensstich aus meinem verträumten Vergnügen.
Die Vampirin hatte in ihrem Eifer in dieser Nacht ein wenig zu tief gebissen, ohne zu ahnen, dass ich nicht den Drogentrank gekostet hatte. Als ich erwachte, sah ich sie von dem Mitternachtsmond vollständig offenbart, mit ihren locker wallenden, schwarzen Locken und mit ihren roten Lippen auf meinen Arm geheftet. Mit einem Schrei des Entsetzens ich schleuderte sie nach hinten, warf einen letzten Blick auf ihre wilden Augen, dem leuchtend weißen Gesicht und den blutbefleckten roten Lippen. Dann stürzte ich mich in die Nacht hinaus, vorwärts getrieben von meiner Angst und dem Hass. Ich unterbrach meine irre Flucht erst, als ich viele Meilen zwischen mich und dieses verfluchte Landhaus im Moor gebracht hatte.