×

Ми використовуємо файли cookie, щоб зробити LingQ кращим. Відвідавши сайт, Ви погоджуєтесь з нашими cookie policy.


image

Mittelstufe Deutsch, Parte (1)

Parte (1)

„LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Anne Franks Lebensgeschichte AUSSTELLUNGSTEXT © Anne Frank Haus / 2015

„LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Anne Franks Lebensgeschichte „Lasst mich ich selbst sein, dann bin ich zufrieden!“, schrieb Anne Frank am 11. April 1944 in ihr Tagebuch. Zu dem Zeitpunkt lebte sie schon fast zwei Jahre in einem Versteck in Amsterdam. Der Zweite Weltkrieg war in vollem Gang; die Niederlande waren seit Mai 1940 von Deutschland besetzt. Um der Verfolgung durch die Nazis zu entrinnen, war Anne zusammen mit ihrer Schwester und ihren Eltern untergetaucht. Ihr Versteck war ein leer stehendes Hinterhaus, das zur Firma von Annes Vater Otto Frank gehörte. Im Hinterhaus träumte Anne davon, nach dem Krieg Schriftstellerin und Journalistin zu werden. Sie dachte viel nach über den Krieg und die Welt um sie herum. In ihr Tagebuch schrieb Anne am 15. Juli 1944: „Das ist das Schwierige in dieser Zeit: Kaum kommen Ideale, Träume und schöne Hoffnungen auf, werden sie von der grauenhaftesten Wirklichkeit getroffen und vollständig zerstört.“ Für die Nazis war Anne Frank nur „Jüdin“. In „Rassengesetzen“ legten sie fest, wer als „Jude“ zu gelten habe, und sie sprachen Juden das Lebensrecht ab. Der Antisemitismus der Nazis führte zum Holocaust, dem Mord an sechs Millionen jüdischen Männern, Frauen und Kindern. Unter ihnen war auch Anne Frank. Im ersten Teil der Ausstellung steht ihr Leben im Mittelpunkt. Wir leben in einer anderen Zeit. Die Unterschiede zwischen damals und heute sind groß. Und doch sind Diskriminierung und Ausgrenzung nach dem Zweiten Weltkrieg nicht verschwunden. Im zweiten Teil der Ausstellung erzählen Jugendliche, wie sie damit umgehen. ^ Das ist die einzige Filmaufnahme von Anne Frank. Sie entstand durch Zufall 1941, als die Tochter der Nachbarn heiratete. 2/39 „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext

1929 – 1933 Tafel 1 « Die Hochzeit von Otto Frank und Edith Holländer am 12. Mai 1925. Annelies Marie Frank Am 12. Juni 1929 gibt es etwas zu feiern bei der Familie Frank. Edith und Otto freuen sich sehr über die Geburt ihrer zweiten Tochter: Anne(lies Marie). Die Franks sind Deutsche jüdischen Glaubens. Sie wohnen in einem ruhigen Außenbezirk von Frankfurt am Main. Es gibt viele Nachbarskinder, mit denen Anne und ihre drei Jahre ältere Schwester Margot spielen können. Otto und Edith sind glücklich, machen sich jedoch Sorgen wegen der Wirtschaftskrise. Deutschland hat den Ersten Weltkrieg (1914- 1918) verloren. Der Friedensvertrag von Versailles verpflichtet Deutschland dazu, Teile seines Gebiets abzutreten und den Siegermächten viel Geld zu zahlen. Hinzu kommt im Oktober 1929 eine weltweite Wirtschaftskrise. Auch die Bank der Familie, die Otto Frank leitet, ist davon betroffen. Die Geschäfte laufen immer schlechter. Viele Menschen haben keine Arbeit und sind verbittert. Mehrere politische Parteien machen sich die Unzufriedenheit und den Groll zunutze. Eine davon ist die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP). « Arbeitslose stehen Schlange vor dem Arbeitsamt in Hannover, 1932. Im Februar 1932 sind mehr als 6 Millionen Deutsche (20 %) arbeitslos. „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext 3/39

1929 – 1933 Tafel 2 « Otto Frank mit Margot und Anne, 1931. Sündenbock Otto und Edith Frank machen sich große Sorgen wegen der politischen Lage. Schon 1932 sehen sie, wie Mitglieder der SA, einer Schlägertruppe der NSDAP, durch die Frankfurter Straßen marschieren und singen: „Wenn das Judenblut vom Messer spritzt …“ Die NSDAP hasst die Juden und macht sie zum Sündenbock. Parteiführer Adolf Hitler und seine Anhänger geben den Juden in Deutschland die Schuld an allen Problemen wie der hohen Arbeitslosigkeit und der Niederlage im Ersten Weltkrieg. Wenn es in Deutschland keine Juden mehr gäbe, dann seien auch alle Probleme gelöst, behaupten die Nazis. Bereits in dem Buch „Mein Kampf“, das Hitler 1925 veröffentlichte, wird sein Antisemitismus (Judenhass) deutlich. Antisemitismus ist keine neue Erscheinung, es gibt ihn schon seit Jahrhunderten, auch in anderen Ländern. Hitler und seine Anhänger wollen außerdem nicht nur die Gebiete zurück, die Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg verloren hat, sondern auch mehr Land im Osten. Die Wirtschaftskrise und der Judenhass führen dazu, dass Otto und Edith ernsthaft darüber nachdenken, ihr Land zu verlassen. Aber wohin? Und wie sollen sie sich in einem anderen Land eine Existenz aufbauen? « Mitglieder der SA (Sturmabteilung) marschieren durch Berlin, 1932. 4/39 „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext

1929 – 1933 Tafel 3 « Anne, Edith und Margot Frank, 10. März 1933. Fort aus Deutschland Viele Deutsche schenken Hitler und der NSDAP ihr Vertrauen und hoffen, dass die Nazis alle Probleme lösen werden. Die NSDAP wird bei Wahlen im Juli und November 1932 die stärkste Partei. Am 30. Januar 1933 ernennt Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler, also zum Regierungsoberhaupt. Der Hass kommt an die Macht. An diesem 30. Januar sind Otto und Edith Frank bei Freunden zu Besuch. Sie hören im Radio, dass Hitler Reichskanzler geworden ist. Ihr Gastgeber sieht darin noch keine Gefahr. „Lasst uns doch einmal sehen, was der Mann kann“, sagt er. Otto weiß darauf keine Antwort, und Edith ist wie erstarrt. Wenige Monate später nehmen ihre Pläne, Deutschland zu verlassen, konkrete Formen an. « Hitler ist zum Reichskanzler ernannt worden und winkt einer begeisterten Menschenmenge in Berlin zu, 30. Januar 1933. „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext 5/39

1933 – 1938 Tafel 4 « Anne und Margot, Oktober 1933. In die Niederlande Im Sommer 1933 geht Otto Frank in die Niederlande. Durch die Vermittlung seines Schwagers Erich Elias hat er die Möglichkeit bekommen, in Amsterdam eine Firma – Opekta – zu gründen, die Pektin verkauft, ein Geliermittel zur Herstellung von Marmelade. Edith wohnt mit Margot und Anne vorübergehend bei ihrer Mutter in Aachen nahe der niederländischen Grenze. Von dort aus fährt sie mehrmals nach Amsterdam, um eine Wohnung zu suchen. Ende 1933 findet Edith eine Wohnung am Merwedeplein, in einem Neubauviertel im Süden von Amsterdam. Margot kommt im Dezember nach, Anne im Februar 1934. Über Verwandte, Freunde und die Medien verfolgen Otto und Edith natürlich die Entwicklungen im nationalsozialistischen Deutschland. Mit Unterstützung eines großen Teils der Bevölkerung verwandeln die Nazis die demokratische Weimarer Republik im Eiltempo in eine Diktatur. Sie dulden keinerlei Opposition und verhaften Tausende politische Gegner, die sie in Konzentrationslager sperren. Viele Regimegegner werden dort ermordet. Ab 14. Juli 1933 ist die NSDAP die einzige politische Partei, alle anderen Parteien werden verboten. Für Jungen und Mädchen gibt es eine spezielle Jugendorganisation: die Hitlerjugend. « Anhänger der NSDAP, darunter viele Studenten, verbrennen am 10. Mai 1933 in Berlin Bücher jüdischer Schriftsteller und politischer Gegner. Das geschieht auch in vielen anderen Städten. 6/39 „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext

1933 – 1938 Tafel 5 « Anne geht ab Anfang 1934 in den Kindergarten einer Montessori- Schule. In ihrer Schule sind auch andere jüdische Kinder aus Familien, die Nazi-Deutschland verlassen haben. Eine neue Heimat Otto macht in seiner Firma viele Überstunden, Edith kümmert sich um den Haushalt und die Kinder. Margot und Anne besuchen eine niederländische Schule und finden schnell neue Freundinnen. Es fällt ihnen nicht schwer, die neue Sprache zu lernen. Otto und Edith fühlen sich frei in Amsterdam, machen sich aber große Sorgen um die Verwandten, die noch in Deutschland sind. Seit April 1933 berauben die Nazis die Juden in Deutschland Schritt für Schritt ihrer Rechte. Jüdische Lehrkräfte und Beamte werden entlassen. Im September 1935 bestimmen die Nazis durch offizielle „Rassengesetze“, wer „Jude“ ist; Juden haben weniger Rechte, Juden und Nichtjuden dürfen keine Ehen und Beziehungen mehr miteinander eingehen. Jüdische Deutsche werden so zu Bürgern zweiter Klasse in ihrem eigenen Land. « Eine Schulklasse in Deutschland, 1938. „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext 7/39

1933 – 1938 Tafel 6 « Anne in einem Ferienlager für Stadtkinder in Laren unweit von Amsterdam, 1937. Dramatische Nachrichten Nach den schwierigen Anfangsjahren läuft Otto Franks Firma etwas besser. 1937 ist Hermann van Pels, ebenfalls ein Jude, mit seiner Familie in die Niederlande emigriert. Van Pels besaß in Deutschland ein Geschäft für Lebensmittel- und Fleischwarenzutaten. Otto Frank stellt ihn ein und gründet eine zweite Firma: Pectacon. Ende 1938 kommen dramatische Nachrichten aus Nazi-Deutschland. In der Nacht vom 9. auf den 10. November kommt es zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen Juden. Bei diesen Novemberpogromen ermorden die Nazis mehr als hundert Juden und sperren 30.000 jüdische Männer in Konzentrationslager. Auch Annes Onkel Walter ist unter den Verhafteten. Mehr als 1.400 Synagogen werden in Brand gesteckt, Tausende Geschäfte von Juden verwüstet. Viele jüdische Bürger leben in Todesangst und wollen Deutschland so schnell wie möglich verlassen. Aber die meisten Länder nehmen nur eine begrenzte Zahl von Flüchtlingen auf oder haben strenge Einreisebestimmungen. Onkel Walter wird kurz nach seiner Verhaftung wieder freigelassen. Wie seinem Bruder Julius gelingt es ihm, über die Niederlande in die USA zu fliehen. Großmutter Holländer kommt im März 1939 nach Amsterdam und zieht bei ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn ein. Von diesem Zeitpunkt an leben keine engeren Angehörigen von Edith Frank mehr in Nazi-Deutschland. Ottos Mutter und seine Schwester Helene sind schon vorher in die Schweiz gezogen, sein Bruder Robert ist nach London gegangen und sein Bruder Herbert nach Paris. « Die brennende Synagoge von Ober-Ramstadt in Hessen, 10. November 1938. 8/39 „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext

1939 – 1940 Tafel 7 « Anne Frank, 1939. Krieg! Am 1. September 1939 hören Otto und Edith schlechte Nachrichten. Deutschland hat Polen überfallen. Frankreich und Großbritannien erklären Deutschland sofort den Krieg, kommen ihrem Verbündeten aber nicht militärisch zu Hilfe. In den Osten Polens rückt die Rote Armee ein. Auf der Grundlage eines geheimen Abkommens teilen die Sowjetunion und Nazi-Deutschland Polen unter sich auf. Die große Frage für Otto und Edith ist: Werden die Niederlande in den Krieg hineingezogen? Wie lange sind sie noch sicher in Amsterdam? Können sie noch fliehen? Bereits vor dem Krieg hat Otto Frank versucht, mit seiner Familie die Niederlande zu verlassen. 1937 scheiterte sein Vorhaben, in Großbritannien eine Firma zu gründen. 1938 beantragte Otto für sich und seine Familie beim amerikanischen Konsulat in Rotterdam die Erlaubnis zur Einwanderung in die USA, und ab April 1941 unternimmt er – unterstützt von seinem alten amerikanischen Studienfreund Nathan Strauss und Ediths Brüdern Julius und Walter Holländer – verzweifelte Versuche, in die USA zu emigrieren. Das ist zu diesem Zeitpunkt manchmal noch möglich, da die USA nicht am Krieg beteiligt sind. « Deutsche Soldaten betrachten die Reste einer polnischen Armeekolonne nach einem deutschen Luftangriff, 20. September 1939. „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext 9/39

1939 – 1940 Tafel 8 « Ein Schulfoto von Anne aus dem Jahr 1940 mit ihrer Lehrerin und zwei Mitschülerinnen. Von links nach rechts: Martha van den Berg, Lehrerin Margaretha Godron, Anne und Rela Salomon. „Nie sicher“ Otto und Edith hoffen inständig, dass die Niederlande – wie im Ersten Weltkrieg – neutral bleiben. Die niederländische Bevölkerung weiß nichts von den Gräueltaten, die die Nazis in großem Maßstab in Polen begehen. Im Frühjahr 1940 korrespondieren Margot und Anne mit Brieffreundinnen in den USA. Margot schreibt am 27. April 1940 an ihre Brieffreundin Betty Ann Wagner: „Wir hören oft Radio, es sind aufregende Zeiten. Weil wir ein kleines Land sind und eine Grenze mit Deutschland haben, fühlen wir uns nie sicher.“ In den ersten Kriegsmonaten ermorden „Einsatzgruppen“, spezielle SS-Einheiten, in Polen mehr als 60.000 – oft zur Elite des Landes gehörende – Zivilisten. Die Nazis zwingen jüdische Einwohner im besetzten Polen, in Ghettos zu ziehen, wo sie dicht zusammengedrängt unter schlechten hygienischen Verhältnissen leben müssen und kaum etwas zu essen haben. Tausende Männer, Frauen und Kinder sterben. In der Folgezeit werden Hunderttausende polnische Juden aus diesen Ghettos in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert und dort ermordet. « Jüdische Männer werden von einer „Einsatzgruppe“ abtransportiert, die aus Mitgliedern des Sicherheitsdienstes (SD) und Polizisten besteht, Polen, September 1939. 10/39 „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext

1939 – 1940 Tafel 9 « Anne, Mai 1940. Eingeholt … Am 10. Mai 1940 wird der Albtraum von Otto und Edith Realität. Deutsche Soldaten überschreiten die niederländische Grenze. Der Kampf zwischen den deutschen und niederländischen Streitkräften dauert fünf Tage. Königin Wilhelmina, Mitglieder des Königshauses und die gesamte Regierung fliehen ins Exil nach London. Nachdem die Deutschen das Stadtzentrum von Rotterdam bombardiert haben, ist der Kampf entschieden: Die niederländische Armeeführung kapituliert. Manche jüdische Bürger sind so verzweifelt und verängstigt, dass sie sich das Leben nehmen. Die Niederlande sind ein besetztes Land. Anne und Margot gehen zunächst weiter zur Schule, als ob sich nichts geändert hätte. Aber im Oktober 1940 müssen jüdische Firmeninhaber ihren Betrieb bei der Besatzungsmacht anmelden, und ab Frühjahr 1941 dürfen sie keine eigene Firma mehr besitzen. Damit die Deutschen Opekta nicht beschlagnahmen, verzichtet Otto Frank auf seine Beteiligung an der Firma und überträgt die Leitung seinem Mitarbeiter Johannes Kleiman. Als Ersatz für Pectacon gründet er eine neue Firma; sein Mitarbeiter Victor Kugler ist Direktor und Jan Gies, der Mann seiner Mitarbeiterin Miep Gies, ist Geschäftsführer. Hinter den Kulissen ist Otto Frank weiterhin für beide Firmen tätig. « Deutsche Soldaten rücken in das zerstörte Stadtzentrum von Rotterdam ein, Mai 1940. „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext 11/39

1941 – 1942 Tafel 10 « Anne (zweite von links) im Vondelpark in Amsterdam, Winter 1940/1941.


Parte (1) Festa (1)

„LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Anne Franks Lebensgeschichte AUSSTELLUNGSTEXT © Anne Frank Haus / 2015

„LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Anne Franks Lebensgeschichte „Lasst mich ich selbst sein, dann bin ich zufrieden!“, schrieb Anne Frank am 11. April 1944 in ihr Tagebuch. Zu dem Zeitpunkt lebte sie schon fast zwei Jahre in einem Versteck in Amsterdam. Der Zweite Weltkrieg war in vollem Gang; die Niederlande waren seit Mai 1940 von Deutschland besetzt. Um der Verfolgung durch die Nazis zu entrinnen, war Anne zusammen mit ihrer Schwester und ihren Eltern untergetaucht. Ihr Versteck war ein leer stehendes Hinterhaus, das zur Firma von Annes Vater Otto Frank gehörte. Im Hinterhaus träumte Anne davon, nach dem Krieg Schriftstellerin und Journalistin zu werden. Sie dachte viel nach über den Krieg und die Welt um sie herum. In ihr Tagebuch schrieb Anne am 15. Juli 1944: „Das ist das Schwierige in dieser Zeit: Kaum kommen Ideale, Träume und schöne Hoffnungen auf, werden sie von der grauenhaftesten Wirklichkeit getroffen und vollständig zerstört.“ Für die Nazis war Anne Frank nur „Jüdin“. In „Rassengesetzen“ legten sie fest, wer als „Jude“ zu gelten habe, und sie sprachen Juden das Lebensrecht ab. Der Antisemitismus der Nazis führte zum Holocaust, dem Mord an sechs Millionen jüdischen Männern, Frauen und Kindern. Unter ihnen war auch Anne Frank. Im ersten Teil der Ausstellung steht ihr Leben im Mittelpunkt. Wir leben in einer anderen Zeit. Die Unterschiede zwischen damals und heute sind groß. Und doch sind Diskriminierung und Ausgrenzung nach dem Zweiten Weltkrieg nicht verschwunden. Im zweiten Teil der Ausstellung erzählen Jugendliche, wie sie damit umgehen. ^ Das ist die einzige Filmaufnahme von Anne Frank. Sie entstand durch Zufall 1941, als die Tochter der Nachbarn heiratete. 2/39 „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext

1929 – 1933 Tafel 1 « Die Hochzeit von Otto Frank und Edith Holländer am 12. Mai 1925. Annelies Marie Frank Am 12. Juni 1929 gibt es etwas zu feiern bei der Familie Frank. Edith und Otto freuen sich sehr über die Geburt ihrer zweiten Tochter: Anne(lies Marie). Die Franks sind Deutsche jüdischen Glaubens. Sie wohnen in einem ruhigen Außenbezirk von Frankfurt am Main. Es gibt viele Nachbarskinder, mit denen Anne und ihre drei Jahre ältere Schwester Margot spielen können. Otto und Edith sind glücklich, machen sich jedoch Sorgen wegen der Wirtschaftskrise. Deutschland hat den Ersten Weltkrieg (1914- 1918) verloren. Der Friedensvertrag von Versailles verpflichtet Deutschland dazu, Teile seines Gebiets abzutreten und den Siegermächten viel Geld zu zahlen. Hinzu kommt im Oktober 1929 eine weltweite Wirtschaftskrise. Auch die Bank der Familie, die Otto Frank leitet, ist davon betroffen. Die Geschäfte laufen immer schlechter. Viele Menschen haben keine Arbeit und sind verbittert. Mehrere politische Parteien machen sich die Unzufriedenheit und den Groll zunutze. Eine davon ist die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP). « Arbeitslose stehen Schlange vor dem Arbeitsamt in Hannover, 1932\\. Im Februar 1932 sind mehr als 6 Millionen Deutsche (20 %) arbeitslos. „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext 3/39

1929 – 1933 Tafel 2 « Otto Frank mit Margot und Anne, 1931. Sündenbock Otto und Edith Frank machen sich große Sorgen wegen der politischen Lage. Schon 1932 sehen sie, wie Mitglieder der SA, einer Schlägertruppe der NSDAP, durch die Frankfurter Straßen marschieren und singen: „Wenn das Judenblut vom Messer spritzt …“ Die NSDAP hasst die Juden und macht sie zum Sündenbock. Parteiführer Adolf Hitler und seine Anhänger geben den Juden in Deutschland die Schuld an allen Problemen wie der hohen Arbeitslosigkeit und der Niederlage im Ersten Weltkrieg. Wenn es in Deutschland keine Juden mehr gäbe, dann seien auch alle Probleme gelöst, behaupten die Nazis. Bereits in dem Buch „Mein Kampf“, das Hitler 1925 veröffentlichte, wird sein Antisemitismus (Judenhass) deutlich. Antisemitismus ist keine neue Erscheinung, es gibt ihn schon seit Jahrhunderten, auch in anderen Ländern. Hitler und seine Anhänger wollen außerdem nicht nur die Gebiete zurück, die Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg verloren hat, sondern auch mehr Land im Osten. Die Wirtschaftskrise und der Judenhass führen dazu, dass Otto und Edith ernsthaft darüber nachdenken, ihr Land zu verlassen. Aber wohin? Und wie sollen sie sich in einem anderen Land eine Existenz aufbauen? « Mitglieder der SA (Sturmabteilung) marschieren durch Berlin, 1932\\. 4/39 „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext

1929 – 1933 Tafel 3 « Anne, Edith und Margot Frank, 10. März 1933. Fort aus Deutschland Viele Deutsche schenken Hitler und der NSDAP ihr Vertrauen und hoffen, dass die Nazis alle Probleme lösen werden. Die NSDAP wird bei Wahlen im Juli und November 1932 die stärkste Partei. Am 30. Januar 1933 ernennt Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler, also zum Regierungsoberhaupt. Der Hass kommt an die Macht. An diesem 30. Januar sind Otto und Edith Frank bei Freunden zu Besuch. Sie hören im Radio, dass Hitler Reichskanzler geworden ist. Ihr Gastgeber sieht darin noch keine Gefahr. „Lasst uns doch einmal sehen, was der Mann kann“, sagt er. Otto weiß darauf keine Antwort, und Edith ist wie erstarrt. Wenige Monate später nehmen ihre Pläne, Deutschland zu verlassen, konkrete Formen an. « Hitler ist zum Reichskanzler ernannt worden und winkt einer begeisterten Menschenmenge in Berlin zu, 30. Januar 1933. „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext 5/39

1933 – 1938 Tafel 4 « Anne und Margot, Oktober 1933. In die Niederlande Im Sommer 1933 geht Otto Frank in die Niederlande. Durch die Vermittlung seines Schwagers Erich Elias hat er die Möglichkeit bekommen, in Amsterdam eine Firma – Opekta – zu gründen, die Pektin verkauft, ein Geliermittel zur Herstellung von Marmelade. Edith wohnt mit Margot und Anne vorübergehend bei ihrer Mutter in Aachen nahe der niederländischen Grenze. Von dort aus fährt sie mehrmals nach Amsterdam, um eine Wohnung zu suchen. Ende 1933 findet Edith eine Wohnung am Merwedeplein, in einem Neubauviertel im Süden von Amsterdam. Margot kommt im Dezember nach, Anne im Februar 1934. Über Verwandte, Freunde und die Medien verfolgen Otto und Edith natürlich die Entwicklungen im nationalsozialistischen Deutschland. Mit Unterstützung eines großen Teils der Bevölkerung verwandeln die Nazis die demokratische Weimarer Republik im Eiltempo in eine Diktatur. Sie dulden keinerlei Opposition und verhaften Tausende politische Gegner, die sie in Konzentrationslager sperren. Viele Regimegegner werden dort ermordet. Ab 14. Juli 1933 ist die NSDAP die einzige politische Partei, alle anderen Parteien werden verboten. Für Jungen und Mädchen gibt es eine spezielle Jugendorganisation: die Hitlerjugend. « Anhänger der NSDAP, darunter viele Studenten, verbrennen am 10. Mai 1933 in Berlin Bücher jüdischer Schriftsteller und politischer Gegner. Das geschieht auch in vielen anderen Städten. 6/39 „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext

1933 – 1938 Tafel 5 « Anne geht ab Anfang 1934 in den Kindergarten einer Montessori- Schule. In ihrer Schule sind auch andere jüdische Kinder aus Familien, die Nazi-Deutschland verlassen haben. Eine neue Heimat Otto macht in seiner Firma viele Überstunden, Edith kümmert sich um den Haushalt und die Kinder. Margot und Anne besuchen eine niederländische Schule und finden schnell neue Freundinnen. Es fällt ihnen nicht schwer, die neue Sprache zu lernen. Otto und Edith fühlen sich frei in Amsterdam, machen sich aber große Sorgen um die Verwandten, die noch in Deutschland sind. Seit April 1933 berauben die Nazis die Juden in Deutschland Schritt für Schritt ihrer Rechte. Jüdische Lehrkräfte und Beamte werden entlassen. Im September 1935 bestimmen die Nazis durch offizielle „Rassengesetze“, wer „Jude“ ist; Juden haben weniger Rechte, Juden und Nichtjuden dürfen keine Ehen und Beziehungen mehr miteinander eingehen. Jüdische Deutsche werden so zu Bürgern zweiter Klasse in ihrem eigenen Land. « Eine Schulklasse in Deutschland, 1938. „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext 7/39

1933 – 1938 Tafel 6 « Anne in einem Ferienlager für Stadtkinder in Laren unweit von Amsterdam, 1937. Dramatische Nachrichten Nach den schwierigen Anfangsjahren läuft Otto Franks Firma etwas besser. 1937 ist Hermann van Pels, ebenfalls ein Jude, mit seiner Familie in die Niederlande emigriert. Van Pels besaß in Deutschland ein Geschäft für Lebensmittel- und Fleischwarenzutaten. Otto Frank stellt ihn ein und gründet eine zweite Firma: Pectacon. Ende 1938 kommen dramatische Nachrichten aus Nazi-Deutschland. In der Nacht vom 9. auf den 10. November kommt es zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen Juden. Bei diesen Novemberpogromen ermorden die Nazis mehr als hundert Juden und sperren 30.000 jüdische Männer in Konzentrationslager. Auch Annes Onkel Walter ist unter den Verhafteten. Mehr als 1.400 Synagogen werden in Brand gesteckt, Tausende Geschäfte von Juden verwüstet. Viele jüdische Bürger leben in Todesangst und wollen Deutschland so schnell wie möglich verlassen. Aber die meisten Länder nehmen nur eine begrenzte Zahl von Flüchtlingen auf oder haben strenge Einreisebestimmungen. Onkel Walter wird kurz nach seiner Verhaftung wieder freigelassen. Wie seinem Bruder Julius gelingt es ihm, über die Niederlande in die USA zu fliehen. Großmutter Holländer kommt im März 1939 nach Amsterdam und zieht bei ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn ein. Von diesem Zeitpunkt an leben keine engeren Angehörigen von Edith Frank mehr in Nazi-Deutschland. Ottos Mutter und seine Schwester Helene sind schon vorher in die Schweiz gezogen, sein Bruder Robert ist nach London gegangen und sein Bruder Herbert nach Paris. « Die brennende Synagoge von Ober-Ramstadt in Hessen, 10. November 1938. 8/39 „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext

1939 – 1940 Tafel 7 « Anne Frank, 1939. Krieg! Am 1. September 1939 hören Otto und Edith schlechte Nachrichten. Deutschland hat Polen überfallen. Frankreich und Großbritannien erklären Deutschland sofort den Krieg, kommen ihrem Verbündeten aber nicht militärisch zu Hilfe. In den Osten Polens rückt die Rote Armee ein. Auf der Grundlage eines geheimen Abkommens teilen die Sowjetunion und Nazi-Deutschland Polen unter sich auf. Die große Frage für Otto und Edith ist: Werden die Niederlande in den Krieg hineingezogen? Wie lange sind sie noch sicher in Amsterdam? Können sie noch fliehen? Bereits vor dem Krieg hat Otto Frank versucht, mit seiner Familie die Niederlande zu verlassen. 1937 scheiterte sein Vorhaben, in Großbritannien eine Firma zu gründen. 1938 beantragte Otto für sich und seine Familie beim amerikanischen Konsulat in Rotterdam die Erlaubnis zur Einwanderung in die USA, und ab April 1941 unternimmt er – unterstützt von seinem alten amerikanischen Studienfreund Nathan Strauss und Ediths Brüdern Julius und Walter Holländer – verzweifelte Versuche, in die USA zu emigrieren. Das ist zu diesem Zeitpunkt manchmal noch möglich, da die USA nicht am Krieg beteiligt sind. « Deutsche Soldaten betrachten die Reste einer polnischen Armeekolonne nach einem deutschen Luftangriff, 20. September 1939\\. „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext 9/39

1939 – 1940 Tafel 8 « Ein Schulfoto von Anne aus dem Jahr 1940 mit ihrer Lehrerin und zwei Mitschülerinnen. Von links nach rechts: Martha van den Berg, Lehrerin Margaretha Godron, Anne und Rela Salomon. „Nie sicher“ Otto und Edith hoffen inständig, dass die Niederlande – wie im Ersten Weltkrieg – neutral bleiben. Die niederländische Bevölkerung weiß nichts von den Gräueltaten, die die Nazis in großem Maßstab in Polen begehen. Im Frühjahr 1940 korrespondieren Margot und Anne mit Brieffreundinnen in den USA. Margot schreibt am 27. April 1940 an ihre Brieffreundin Betty Ann Wagner: „Wir hören oft Radio, es sind aufregende Zeiten. Weil wir ein kleines Land sind und eine Grenze mit Deutschland haben, fühlen wir uns nie sicher.“ In den ersten Kriegsmonaten ermorden „Einsatzgruppen“, spezielle SS-Einheiten, in Polen mehr als 60.000 – oft zur Elite des Landes gehörende – Zivilisten. Die Nazis zwingen jüdische Einwohner im besetzten Polen, in Ghettos zu ziehen, wo sie dicht zusammengedrängt unter schlechten hygienischen Verhältnissen leben müssen und kaum etwas zu essen haben. Tausende Männer, Frauen und Kinder sterben. In der Folgezeit werden Hunderttausende polnische Juden aus diesen Ghettos in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert und dort ermordet. « Jüdische Männer werden von einer „Einsatzgruppe“ abtransportiert, die aus Mitgliedern des Sicherheitsdienstes (SD) und Polizisten besteht, Polen, September 1939. 10/39 „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext

1939 – 1940 Tafel 9 « Anne, Mai 1940. Eingeholt … Am 10. Mai 1940 wird der Albtraum von Otto und Edith Realität. Deutsche Soldaten überschreiten die niederländische Grenze. Der Kampf zwischen den deutschen und niederländischen Streitkräften dauert fünf Tage. Königin Wilhelmina, Mitglieder des Königshauses und die gesamte Regierung fliehen ins Exil nach London. Nachdem die Deutschen das Stadtzentrum von Rotterdam bombardiert haben, ist der Kampf entschieden: Die niederländische Armeeführung kapituliert. Manche jüdische Bürger sind so verzweifelt und verängstigt, dass sie sich das Leben nehmen. Die Niederlande sind ein besetztes Land. Anne und Margot gehen zunächst weiter zur Schule, als ob sich nichts geändert hätte. Aber im Oktober 1940 müssen jüdische Firmeninhaber ihren Betrieb bei der Besatzungsmacht anmelden, und ab Frühjahr 1941 dürfen sie keine eigene Firma mehr besitzen. Damit die Deutschen Opekta nicht beschlagnahmen, verzichtet Otto Frank auf seine Beteiligung an der Firma und überträgt die Leitung seinem Mitarbeiter Johannes Kleiman. Als Ersatz für Pectacon gründet er eine neue Firma; sein Mitarbeiter Victor Kugler ist Direktor und Jan Gies, der Mann seiner Mitarbeiterin Miep Gies, ist Geschäftsführer. Hinter den Kulissen ist Otto Frank weiterhin für beide Firmen tätig. « Deutsche Soldaten rücken in das zerstörte Stadtzentrum von Rotterdam ein, Mai 1940. „LASST MICH ICH SELBST SEIN“ Ausstellungstext 11/39

1941 – 1942 Tafel 10 « Anne (zweite von links) im Vondelpark in Amsterdam, Winter 1940/1941.