Mann der Mitte
Volksnah, empathisch - die Stärken des Joe Biden beruhen auch auf tragischen Ereignissen. Der künftige Präsident wird diese Eigenschaften im Amt brauchen. Denn er will drängende Aufgaben angehen.
Von Claudia Sarre, ARD-Studio Washington
Vernünftig, versöhnlich, volksnah - das ist Joe Biden. Sein erklärtes Ziel ist, die heillos zerstrittenen Amerikaner wieder zu versöhnen, den Graben zwischen den Demokraten, deren traditionelle Farbe blau ist, und den Republikanern, für die rot steht, zu überwinden - aus Überzeugung und einem besonderen Grund: "Keine blauen oder roten Staaten, nur die Vereinigten Staaten. Nur vereinigt können wir die Ausbreitung von Covid-19 stoppen und das Virus unter Kontrolle bringen."
Die erste Herkules-Aufgabe von Biden als Präsident wird sein, die Corona-Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Biden sorgt sich um das amerikanische Volk.
Die Frage nach dem Alter
Seine große Stärke ist, auf Menschen zuzugehen. Seine große Schwäche ist sein Alter. Bei Amtsantritt im Januar ist der ehemalige Vizepräsident 78 Jahre alt - der älteste US-Präsident aller Zeiten. "Gott sei Dank ist meine Gesundheit gut. Aber ich bin mir darüber im Klaren, dass jedem jederzeit - unabhängig vom Alter - etwas passieren kann", sagte Biden in einem Interview im September.
Kritiker werfen ihm vor, er sei manchmal nicht präsent, habe kleinere sprachliche Aussetzer. Einige politische Gegner behaupten gar, er habe sein Stottern noch nicht ganz abgelegt. Seine Antwort darauf: "Ich denke nicht, dass ich immer noch stottere. Aber ganz offensichtlich - sagen einige Leute - suche ich, wenn ich müde bin, für einen Moment nach Worten."
Eine Tragödie nach der ersten Wahl
Geprägt wurde Joe Biden durch seine Lebensgeschichte. Mit 29 wird er Senator. Fast zeitgleich passiert eine private Tragödie: Seine erste Frau und seine einjährige Tochter sterben bei einem Autounfall, seine beiden kleinen Söhne werden schwer verletzt.
Nur um ihnen jeden Abend Gute Nacht zu sagen, pendelt Biden als Senator täglich von seiner Heimatstadt Wilmington in Delaware nach Washington. Jeden Tag 120 Meilen, vier Stunden lang, und das über viele Jahre.
Mit Obama ins Weiße Haus
Der Höhepunkt seiner bisherigen Politkarriere: seine Vizepräsidentschaft unter dem früheren Präsidenten Barack Obama. Auch deswegen kommt er vermutlich so gut bei Afroamerikanern und Latinos an.
Der Demokrat spricht sich klar gegen Rassismus und für soziale Gleichheit im Land aus, und damit unterscheidet er sich enorm vom amtierenden Präsidenten Donald Trump. "Viele Amerikaner, egal ob sie mich mögen oder nicht, sehen mich als Gegenentwurf zu Trump", sagt er selbst dazu.
Was Biden vorhat
Politisch gilt Joe Biden als ein Kandidat der Mitte. So ist er zum Beispiel für eine Weiterentwicklung der Krankenversicherung, fordert einen höheren Mindestlohn, will Jobs schaffen und sich gleichzeitig für den Klimaschutz stark machen. "Es ist das Thema Nummer Eins, mit dem die Menschheit konfrontiert ist."
Zweimal schon war Biden als Kandidat ins Rennen gegangen ums Präsidentenamt. 2016 trat er nicht an, weil kurz zuvor sein erwachsener Sohn Beau an einem Gehirntumor gestorben war. Nun also hat er es endlich geschafft. Joe Biden wird - so wie es jetzt aussieht - der 46. Präsident der Vereinigten Staaten.