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Wunderbares Ereignis des Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Kl. 10 – Henry Jekylls vollständige Erklärung der Sache – 05

Kl. 10 – Henry Jekylls vollständige Erklärung der Sache – 05

Als ich, bei Lanyon angelangt, wieder zu mir kam, berührte mich das Entsetzen, welches mein alter Freund von mir empfand, auf das Traurigste, doch war es nur ein Tropfen im Meer gegen das Grauen, mit dem ich der letzten Stunden gedachte. Ein Wechsel war in meiner Seele vorgegangen, es war nicht länger die Furcht vor dem Galgen, sondern der Abscheu, Hyde zu sein, der mich quälte. Halb träumend hörte ich Lanyons Strafpredigt an, halb träumend kam ich zu Hause und in mein Bett. Ich verfiel nach den Erlebnissen des Tages in festem, tiefen Schlaf, den selbst nicht die Schreckensbilder, die mich umgaukelten, zu zerstören vermochten. Am anderen Morgen fühlte ich mich schwach, aber dennoch erfrischt. Ich fürchtete und haßte noch die in mir schlummernde Bestie und hatte keineswegs die entsetzlichen Gefahren vergessen, denen ich preisgegeben war, aber ich war froh, zu Hause zu sein, in der Nähe meines Trankes. Dankbarkeit erfüllte mein Herz so sehr, dass ich mich selbst der Hoffnung hingab.

Ich schlenderte nach dem Frühstück auf dem Hof umher und erquickte mich an der schönen Luft, als ich wieder von jenem unbeschreiblichen Gefühl, die den Wechsel meines Wesens ankündigte, überfallen wurde. Ich hatte nur gerade Zeit, in mein Kabinett zu flüchten, ehe ich mit den wütenden Leidenschaften Hydes wieder behaftet war. Dieses Mal brauchte ich die doppelte Portion, um mein eigentliches Selbst wiederzugewinnen, und ach! sechs Stunden darauf saß ich voll Betrübnis am Feuer, denn die Schmerzen kehrten abermals zurück und ich musste nochmals mein Mittel anwenden. Kurz von jenem Tage an konnte ich nur mit größter Anstrengung und unter fortwährender Benutzung meines Trankes das Aussehen Dr. Jekylls tragen. Zu allen Tages- und Nachtzeiten wurde ich von diesen Schauern erfasst, wenige Minuten nur brauchte ich zu schlummern, um stets als Hyde zu erwachen. Unter der Anstrengung und Schlaflosigkeit wurde mein eigentliches Wesen schmächtig, wie vom Fieber verzehrt, schwach an Geist und Körper, und ich kannte nur einen Gedanken, die Furcht vor meinem schlechteren Selbst. Aber im Schlaf oder wenn die Wirkung der Medizin nachließ, wurde ich fast spurlos (denn die Schmerzen der Umbildung schwanden nach und nach) zu Mr. Hyde. Meine Fantasie verfolgte mich mit Schreckgestalten, mein Herz war von grundlosem Hass erfüllt und der Körper schien kaum stark genug, dies alles zu ertragen. Hydes Macht wuchs mit Jekylls Schwäche. Der Hass, der diese beiden Wesen trennte, war bei beiden gleich groß. Jekyll hatte nun die volle Missgestalt dieser Kreatur, die ihm bis zum Tode folgte und teilweise das Bewusstsein mit ihm teilte, gesehen. Abgesehen von diesen fesselnden Banden, die ihn zur größten Verzweiflung führten, dachte er an Hyde nicht allein als an etwas aus der Hölle stammendes, sondern er hielt ihn auch für unorganisch. Es war schauerlich, daß dieses Unwesen Sprache und Stimme hatte, daß dieser unvollkommene Staub, Miene und Gebärden ja die Macht zu sündigen hatte. Und dieses Ungeheuer war mit ihm enger als ein Weib verbunden, ach, enger als sein eigenes Auge, es lag in seinem Fleisch, er fühlte es sich regen und nach der Geburt streben. In jeder schwachen Stunde, im leisesten Schlummer, lehnte es sich gegen ihn auf und verdrängte ihn aus dem Leben. Hydes Haß gegen Jekyll war anderer Natur. Seine Furcht vor dem Galgen brachte ihn dazu, Jekyll als seine Zuflucht zu benutzen, aber er fluchte dieser Notwendigkeit, fluchte der Abhängigkeit, in die er geraten, und vergalt den ihm entgegengebrachten Haß mit doppeltem Maß. Daher der Schabernack, den er mir spielte, in dem er Lästerungen in meiner Handschrift auf die Seiten meiner Bücher verzeichnete, meine Bücher verbrannte und das Bild meines Vaters vernichtete. Hätte er den Tod nicht so sehr gescheut, würde er sich umgebracht haben, um auch mich zu vernichten. Aber seine Lust am Leben war erstaunlich, ja noch mehr, ich, der ich krank bin und bei dem bloßen Gedanken an ihn friere, ich bemitleide ihn, wenn ich an dieses leidenschaftliche Festhalten denke und seine Angst sehe, die ihn ereilt, dass ich einen Selbstmord begehen könnte.

Es wäre nutzlos, auch fehlt mir entsetzlich die Zeit, um diesen Bericht weiter fortzusetzen. Niemand hat je solche Leiden ausgestanden, das mag genügen, und selbst diese brachten durch die Gewohnheit — nein, nicht dies Wort dafür — eine gewisse Unempfindlichkeit, eine Vertrautheit mit der Verzweiflung in meiner Seele, und meine Strafe hätte wohl noch jahrelang gedauert, wenn nicht jene Verlegenheit mich befallen, die mich nun ganz meines eigentlichen Selbst und meiner Natur beraubt. Mein Salzvorrat, den ich nie erneuerte, schmolz allmählich zusammen. Ich ließ mir frischen Vorrat holen und mischte den Trank, die Aufwallung und der erste Farbwechsel erfolgte, doch der zweite schon nicht. Ich trank alles aus, aber ohne Erfolg. Du wirst durch Poole erfahren, daß ich ganz London danach durchsuchte, aber vergebens, und ich bin jetzt überzeugt, daß der erste Vorrat unlauter war, und daß diese unwissentliche Unreinheit dem Trank solche Kraft verlieh.

Über eine Woche ist seitdem vergangen, und ich beende diese Erklärung unter dem Einfluss des letzten alten Pulvers. Das ist also das letzte Mal, daß Henry Jekyll seiner eigenen Gedanken mächtig ist oder sein eigenes, jetzt so traurig verändertes Gesicht im Spiegel sehen kann. Noch darf ich zögern, dieses Schreiben zu Ende zu bringen, denn wenn mein Bericht bis jetzt noch der Zerstörung entging, verdanke ich es meiner Klugheit und dem Glücksfall. Wenn die Umgestaltung mich bei dem Schreiben überkäme, würde Hyde es in Stücke reißen. Ist aber einige Zeit darüber verstrichen und habe ich es beiseite gelegt, hält seine wunderbare Selbstsucht und die Beschränkung des Augenblicks ihn wohl nochmals von dieser Handlung seiner öffentlichen Wut ab. Und wirklich hat ihn schon das Verderben, das uns beiden droht, etwas verändert und niedergebeugt. Eine halbe Stunde hierauf weiß ich, daß ich wieder und für immer die Gestalt dieses rohesten Wesens angelegt haben werde. Dann sitze ich schaudernd und weinend in meinem Stuhl oder gehe mit der spannendsten, fürchterlichsten Aufmerksamkeit in diesem Zimmer auf und ab, um auf jeden verdächtig scheinenden Laut zu horchen. Wird Hyde auf dem Schafott sterben, oder wird er den Mut finden, sich im letzten Augenblick selbst zu erlösen? Gott weiß es, mir ist es gleich, dies ist meine eigentliche Todesstunde, und was folgt, trifft einen anderen, nicht mich, jetzt, da ich die Feder niederlege und diese Beichte versiegele, ist das Leben des unglücklichen Henry Jekyll beendet.

Kl. 10 – Henry Jekylls vollständige Erklärung der Sache – 05 Cl. 10 - Henry Jekyll's full explanation of the case - 05

Als ich, bei Lanyon angelangt, wieder zu mir kam, berührte mich das Entsetzen, welches mein alter Freund von mir empfand, auf das Traurigste, doch war es nur ein Tropfen im Meer gegen das Grauen, mit dem ich der letzten Stunden gedachte. Ein Wechsel war in meiner Seele vorgegangen, es war nicht länger die Furcht vor dem Galgen, sondern der Abscheu, Hyde zu sein, der mich quälte. Halb träumend hörte ich Lanyons Strafpredigt an, halb träumend kam ich zu Hause und in mein Bett. Ich verfiel nach den Erlebnissen des Tages in festem, tiefen Schlaf, den selbst nicht die Schreckensbilder, die mich umgaukelten, zu zerstören vermochten. After the experiences of the day, I fell into a sound, deep sleep, which even the terrifying images that surrounded me were not able to destroy. Am anderen Morgen fühlte ich mich schwach, aber dennoch erfrischt. Ich fürchtete und haßte noch die in mir schlummernde Bestie und hatte keineswegs die entsetzlichen Gefahren vergessen, denen ich preisgegeben war, aber ich war froh, zu Hause zu sein, in der Nähe meines Trankes. Dankbarkeit erfüllte mein Herz so sehr, dass ich mich selbst der Hoffnung hingab.

Ich schlenderte nach dem Frühstück auf dem Hof umher und erquickte mich an der schönen Luft, als ich wieder von jenem unbeschreiblichen Gefühl, die den Wechsel meines Wesens ankündigte, überfallen wurde. Ich hatte nur gerade Zeit, in mein Kabinett zu flüchten, ehe ich mit den wütenden Leidenschaften Hydes wieder behaftet war. Dieses Mal brauchte ich die doppelte Portion, um mein eigentliches Selbst wiederzugewinnen, und ach! sechs Stunden darauf saß ich voll Betrübnis am Feuer, denn die Schmerzen kehrten abermals zurück und ich musste nochmals mein Mittel anwenden. Kurz von jenem Tage an konnte ich nur mit größter Anstrengung und unter fortwährender Benutzung meines Trankes das Aussehen Dr. Jekylls tragen. Zu allen Tages- und Nachtzeiten wurde ich von diesen Schauern erfasst, wenige Minuten nur brauchte ich zu schlummern, um stets als Hyde zu erwachen. Unter der Anstrengung und Schlaflosigkeit wurde mein eigentliches Wesen schmächtig, wie vom Fieber verzehrt, schwach an Geist und Körper, und ich kannte nur einen Gedanken, die Furcht vor meinem schlechteren Selbst. Aber im Schlaf oder wenn die Wirkung der Medizin nachließ, wurde ich fast spurlos (denn die Schmerzen der Umbildung schwanden nach und nach) zu Mr. Hyde. Meine Fantasie verfolgte mich mit Schreckgestalten, mein Herz war von grundlosem Hass erfüllt und der Körper schien kaum stark genug, dies alles zu ertragen. Hydes Macht wuchs mit Jekylls Schwäche. Der Hass, der diese beiden Wesen trennte, war bei beiden gleich groß. Jekyll hatte nun die volle Missgestalt dieser Kreatur, die ihm bis zum Tode folgte und teilweise das Bewusstsein mit ihm teilte, gesehen. Abgesehen von diesen fesselnden Banden, die ihn zur größten Verzweiflung führten, dachte er an Hyde nicht allein als an etwas aus der Hölle stammendes, sondern er hielt ihn auch für unorganisch. Es war schauerlich, daß dieses Unwesen Sprache und Stimme hatte, daß dieser unvollkommene Staub, Miene und Gebärden ja die Macht zu sündigen hatte. Und dieses Ungeheuer war mit ihm enger als ein Weib verbunden, ach, enger als sein eigenes Auge, es lag in seinem Fleisch, er fühlte es sich regen und nach der Geburt streben. In jeder schwachen Stunde, im leisesten Schlummer, lehnte es sich gegen ihn auf und verdrängte ihn aus dem Leben. Hydes Haß gegen Jekyll war anderer Natur. Seine Furcht vor dem Galgen brachte ihn dazu, Jekyll als seine Zuflucht zu benutzen, aber er fluchte dieser Notwendigkeit, fluchte der Abhängigkeit, in die er geraten, und vergalt den ihm entgegengebrachten Haß mit doppeltem Maß. Daher der Schabernack, den er mir spielte, in dem er Lästerungen in meiner Handschrift auf die Seiten meiner Bücher verzeichnete, meine Bücher verbrannte und das Bild meines Vaters vernichtete. Hätte er den Tod nicht so sehr gescheut, würde er sich umgebracht haben, um auch mich zu vernichten. Aber seine Lust am Leben war erstaunlich, ja noch mehr, ich, der ich krank bin und bei dem bloßen Gedanken an ihn friere, ich bemitleide ihn, wenn ich an dieses leidenschaftliche Festhalten denke und seine Angst sehe, die ihn ereilt, dass ich einen Selbstmord begehen könnte.

Es wäre nutzlos, auch fehlt mir entsetzlich die Zeit, um diesen Bericht weiter fortzusetzen. Niemand hat je solche Leiden ausgestanden, das mag genügen, und selbst diese brachten durch die Gewohnheit — nein, nicht dies Wort dafür — eine gewisse Unempfindlichkeit, eine Vertrautheit mit der Verzweiflung in meiner Seele, und meine Strafe hätte wohl noch jahrelang gedauert, wenn nicht jene Verlegenheit mich befallen, die mich nun ganz meines eigentlichen Selbst und meiner Natur beraubt. Mein Salzvorrat, den ich nie erneuerte, schmolz allmählich zusammen. Ich ließ mir frischen Vorrat holen und mischte den Trank, die Aufwallung und der erste Farbwechsel erfolgte, doch der zweite schon nicht. Ich trank alles aus, aber ohne Erfolg. Du wirst durch Poole erfahren, daß ich ganz London danach durchsuchte, aber vergebens, und ich bin jetzt überzeugt, daß der erste Vorrat unlauter war, und daß diese unwissentliche Unreinheit dem Trank solche Kraft verlieh.

Über eine Woche ist seitdem vergangen, und ich beende diese Erklärung unter dem Einfluss des letzten alten Pulvers. Das ist also das letzte Mal, daß Henry Jekyll seiner eigenen Gedanken mächtig ist oder sein eigenes, jetzt so traurig verändertes Gesicht im Spiegel sehen kann. Noch darf ich zögern, dieses Schreiben zu Ende zu bringen, denn wenn mein Bericht bis jetzt noch der Zerstörung entging, verdanke ich es meiner Klugheit und dem Glücksfall. Wenn die Umgestaltung mich bei dem Schreiben überkäme, würde Hyde es in Stücke reißen. Ist aber einige Zeit darüber verstrichen und habe ich es beiseite gelegt, hält seine wunderbare Selbstsucht und die Beschränkung des Augenblicks ihn wohl nochmals von dieser Handlung seiner öffentlichen Wut ab. Und wirklich hat ihn schon das Verderben, das uns beiden droht, etwas verändert und niedergebeugt. Eine halbe Stunde hierauf weiß ich, daß ich wieder und für immer die Gestalt dieses rohesten Wesens angelegt haben werde. Dann sitze ich schaudernd und weinend in meinem Stuhl oder gehe mit der spannendsten, fürchterlichsten Aufmerksamkeit in diesem Zimmer auf und ab, um auf jeden verdächtig scheinenden Laut zu horchen. Wird Hyde auf dem Schafott sterben, oder wird er den Mut finden, sich im letzten Augenblick selbst zu erlösen? Gott weiß es, mir ist es gleich, dies ist meine eigentliche Todesstunde, und was folgt, trifft einen anderen, nicht mich, jetzt, da ich die Feder niederlege und diese Beichte versiegele, ist das Leben des unglücklichen Henry Jekyll beendet.