×

우리는 LingQ를 개선하기 위해서 쿠키를 사용합니다. 사이트를 방문함으로써 당신은 동의합니다 쿠키 정책.


image

Effi Briest (Graded Reader), Kapitel 7. Das Duell

Kapitel 7. Das Duell

Das Berliner Leben fing gut an. Innstetten arbeitete im Ministerium. Er war glücklicher als zuvor in Kessin, weil er sah, dass Effi fröhlicher war. Und sie war fröhlicher, weil sie sich freier fühlte. Effi dachte immer seltener an die Zeit in Kessin zurück. Die Gedanken daran waren ihr unangenehm. Aber die Ängste wurden doch schwächer. Innstetten liebte sie, und sie lernte viele Leute kennen, die sehr freundlich zu ihr waren. Die Hohen-Cremmener kamen dann und wann auf Besuch und freuten sich an Klein-Annie. Wenn es an dem klaren Himmel eine Wolke gab, so war es die, dass keine anderen Kinder mehr kamen. Effi war jung und machte sich keine großen Sorgen deswegen. Als aber eine lange, lange Zeit vergangen war – sie waren schon über sechs Jahre in Berlin –, schickte Frau von Briest Effi zu Doktor Rummschüttel. Er empfahl ihr eine dreiwöchige Kur in Schwalbach, und weil sie oft erkältet war, danach eine dreiwöchige Kur in Ems.

Am 24. Juni reiste Effi ab. Sie schrieb glückliche Briefe nach Hause, vor allem aus Ems, wo sie nette Bekanntschaften gemacht hatte. Innstetten freute sich auf ihre Rückkehr, er fühlte sich etwas einsam. Annie verbrachte nach der Schule viel Zeit in der Küche bei Roswitha und Johanna. Beide liebten das kleine Fräulein sehr.

An einem Mittwoch traf Annie nach der Schule Roswitha vor ihrer Wohnung.

„Nun lass sehen“, sagte Annie, „wer von uns schneller die Treppen hochkommt.“

Roswitha wollte davon nichts wissen, aber Annie rannte los. Oben stolperte sie und fiel dabei so unglücklich, dass sie mit dem Kopf aufschlug und stark blutete. Roswitha und Johanna trugen das etwas verängstigte Kind in die Wohnung und legten es auf das Sofa. Sie kühlten die Stirn mit kaltem Wasser.

„Und nun wollen wir die Wunde verbinden“, sagte schließlich Roswitha. „Da muss ja noch die lange Binde sein, die die gnädige Frau letzten Winter zugeschnitten hat.“

„Stimmt“, antwortete Johanna, „bloß wo ist sie? Richtig, da fällt mir ein, die liegt im Nähtisch.“

Sie suchten überall und fanden Nähzeug, trockene Blumen, Karten, Billets und zuletzt ein paar Briefe. Aber die Binde hatte man immer noch nicht.

In diesem Moment trat Innstetten ein.

„Gott“, sagte Roswitha erschreckt, „es ist nichts, gnädiger Herr, Annie ist gestürzt.“

Innstetten schaute die Wunde an und sagte: „Es ist nicht schlimm, aber wir rufen doch lieber Rummschüttel. Was ist mit dem Nähtisch passiert?“

Roswitha erzählte, dass sie die Binde gesucht, aber nicht gefunden hätten. Sie suchte nun nicht mehr weiter, sondern schnitt eine neue Binde zu.

Als Rummschüttel kam, war er zufrieden mit dem Verband und empfahl einen Tag Ruhe. Nach seinem Besuch legte Innstetten die Sachen in den Nähtisch zurück. Als er die Briefe sah, kam ihm die Schrift bekannt vor. Er schaute sie genauer an: Sie waren von Crampas! In seinem Kopf begann sich alles zu drehen. Er nahm die Briefe und ging in sein Zimmer.

Als er nach langer Zeit wieder herauskam, sagte er: „Johanna, passen Sie auf Annie auf. Ich bin in einer Stunde oder vielleicht zwei zurück.“

Dann sah er das Kind aufmerksam an und ging.

„Hast du gesehen, Johanna, wie Papa aussah?“

„Ja, Annie. Er muss einen großen Ärger gehabt haben. Er war ganz blass. So habe ich ihn noch nie gesehen.“

Es vergingen Stunden. Die Sonne war schon untergegangen, als Innstetten wieder zurückkam. Er gab Annie die Hand, fragte, wie es ihr gehe, und ging in sein Zimmer. Dort nahm er die Briefe wieder zur Hand. Mit halblauter Stimme las er: „Sei heute Nachmittag wieder in den Dünen. Du musst keine Angst haben. Wir haben auch ein Recht. Lerne, dich über das Leben zu freuen.“

Im zweiten stand: „Fort, schreibst du. Unmöglich. Ich kann meine Frau nicht verlassen. Es geht nicht, und darüber dürfen wir uns nicht ärgern, sonst sind wir arm und verloren. Es ist nun mal so. Möchtest du, dass es anders wäre, dass wir uns nie gesehen hätten?“

Dann kam der dritte Brief: „Sei heute noch einmal an der alten Stelle. Wie soll ich hier weiterleben ohne Dich!“

Als Innstetten die Briefe wieder weglegte, klingelte es. Kurz darauf klopfte jemand an die Tür seines Zimmers. Wüllersdorf, Innstettens Freund aus dem Ministerium, trat sein. Er sah auf den ersten Blick, dass etwas geschehen war.

„Entschuldigung, Wüllersdorf“, sagte Innstetten, „dass ich Sie gerufen habe. Es geht um zwei Dinge. Erstens möchte ich Sie bitten, die Forderung zu einem Duell zu überbringen und zweitens, danach beim Duell mein Sekundant zu sein. Das erste ist nicht angenehm und das zweite noch weniger. Und nun Ihre Antwort.“

„Sie wissen, Innstetten, dass ich alles tue, was Sie wollen. Aber muss es sein? Sind wir nicht zu alt dafür? Worum geht es denn?“

„Es geht um einen Liebhaber meiner Frau, der auch mein Freund war, oder jedenfalls fast.“

„Innstetten, das ist nicht möglich.“

„Es ist mehr als möglich, es ist sicher. Lesen Sie.“

„Wer hat diese Briefe geschrieben?“

„Major Crampas.“

„Das war also noch in Kessin?“

Innstetten nickte.

„Also vor über sechs Jahren. Das ist lange, aber vielleicht nicht genug lange. Ich weiß es nicht. Innstetten, Ihre Lage ist furchtbar und Ihr Lebensglück vorbei. Aber wenn Sie den Liebhaber töten, wird es noch schlimmer. Sind Sie so beleidigt oder in Ihrer Ehre verletzt, dass einer weg muss, er oder Sie? Ist es so?“

„Ich weiß es nicht“, sagte Innstetten und sprang auf. Dann sagte er: „Nein, es ist nicht so. Ich bin sehr unglücklich, aber ich fühle keinen Hass. Warum? Wahrscheinlich weil es so lange her ist. Und ich liebe meine Frau, ja, seltsam zu sagen, ich liebe sie noch, und so furchtbar ich alles finde, möchte ich ihr doch verzeihen.

Wüllersdorf nickte. „Das kann ich alles gut verstehen. Aber wenn Sie Ihre Frau so sehr lieben, dass Sie ihr alles verzeihen können, und dazu liegt das Geschehene so weit zurück, wozu die ganze Geschichte?“

„Weil es trotzdem sein muss. Man ist nicht bloß ein einzelner Mensch, man gehört einem Ganzen an. Ich tue es nicht wegen mir, sondern wegen der Gesellschaft. Ich muss.“

„Ich weiß nicht, Innstetten.“

Innstetten lächelte. „Vor sechs Stunden konnte ich noch wählen. Aber jetzt wo Sie alles wissen, kann ich nicht mehr zurück.“

„Ich weiß nicht“, sagte Wüllersdorf. „Ich werde bestimmt nieman-dem davon erzählen.“

„Ja, Wüllersdorf, so heißt es immer. Aber auch wenn Sie es nieman-dem erzählen: Sie wissen es. Ich bin für Sie nicht mehr der gleiche wie vorher. Wenn meine Frau von Liebe und Treue sprechen wird, so weiß ich nicht mehr, wohin ich blicken soll. Und Sie werden über mich lächeln in solchen Momenten.“

Wüllersdorf sagte: „Ich finde es furchtbar, dass Sie recht haben, aber Sie haben recht. Es muss also sein.“

Eine Viertelstunde später trennten sie sich mit einem kurzen „Auf Wiedersehen in Kessin“.

Am nächsten Abend reiste Innstetten nach Kessin ab. Wüllersdorf war schon vorher gefahren. Um fünf Uhr früh war Innstetten auf der Bahnstation und nahm von dort das Schiff. Es war herrliches Wetter. Innstetten dachte an den Tag zurück, als er mit Effi nach der Hochzeitsreise in Kessin angekommen war.

Wüllersdorf wartete in Kessin schon auf ihn. Sie setzten sich in einen Gasthof und bestellten Kaffee und Cognac. Innstetten war unruhig.

„Wir haben Zeit“, sagte Wüllersdorf. „Noch anderthalb Stunden. Ich habe den Wagen auf acht bestellt; wir fahren nicht länger als zehn Minuten.“

„Und wo?“

„Crampas schlug eine Stelle zwischen den Dünen vor. Gleich beim Strand, man sieht auf das Meer.“

Innstetten lächelte. „Typisch Crampas, dass er sich einen schönen Ort aussucht. Was hat er zu der ganzen Sache gesagt?“

„Als ich Ihren Namen nannte, wurde er totenblass und begann zu zittern. Aber das dauerte nur einen Moment, und von da an wirkte er ruhig und etwas wehmütig. Ich bin sicher, dass er das Gefühl hat, dass die Sache nicht gut ausgeht, und dass er das auch nicht will. Ich glaube, er lebt gern, und doch ist ihm das Leben egal.“

Der Kaffee kam. Man nahm eine Zigarre. Wüllersdorf sprach nun von unwichtigen Dingen. Als die Kutsche kam, standen sie auf und stiegen ein. Der Weg führte an Innstettens alter Wohnung vorüber. Das Haus lag noch stiller da als früher. Plötzlich fand auch Innstetten es unheimlich. „Da habe ich gewohnt“, sagte er zu Wüllersdorf.

„Es sieht sonderbar aus, so verlassen.“

„Es soll ein Spukhaus sein.“

Die letzten dreihundert Meter durch die Dünen gingen sie zu Fuß. Links und rechts blühten blutrote Blumen. Innstetten steckte sich eine an.

Crampas, sein Sekundant Buddenbrook und Doktor Hannemann waren schon da. Buddenbrook kam ihnen entgegen, man begrüßte sich, dann besprachen sich die beiden Sekundanten kurz. Sie beschlossen, dass Innstetten und Crampas aus zehn Schritt Distanz schießen sollten. Dann ging Buddenbrook an seinen Platz zurück; alles ging schnell, die Schüsse fielen. Crampas stürzte.

Innstetten trat einige Schritte zurück und sah weg. Wüllersdorf ging zu Buddenbrook, beide warteten jetzt darauf, dass der Doktor etwas sagte. Crampas gab durch eine Handbewegung zu verstehen, dass er etwas sagen wollte. Wüllersdorf trat näher, nickte zu den paar Worten, die der Sterbende kaum hörbar sagte und ging dann zu Innstetten.

„Crampas will Sie noch sprechen, Innstetten. Er hat keine drei Minuten Leben mehr.“

Innstetten trat an Crampas heran.

„Wollen Sie …“ Das waren seine letzten Worte. Sein Gesicht leuchtete noch einmal kurz auf, und dann war es vorbei.


Kapitel 7. Das Duell Chapter 7. the duel Capítulo 7. el duelo Hoofdstuk 7. Het duel Rozdział 7. Pojedynek Capítulo 7. o duelo Глава 7. Дуэль Kapitel 7. Duellen Bölüm 7. Düello 第7章 決鬥

Das Berliner Leben fing gut an. Innstetten arbeitete im Ministerium. Er war glücklicher als zuvor in Kessin, weil er sah, dass Effi fröhlicher war. Und sie war fröhlicher, weil sie sich freier fühlte. Effi dachte immer seltener an die Zeit in Kessin zurück. Die Gedanken daran waren ihr unangenehm. Aber die Ängste wurden doch schwächer. Innstetten liebte sie, und sie lernte viele Leute kennen, die sehr freundlich zu ihr waren. Die Hohen-Cremmener kamen dann und wann auf Besuch und freuten sich an Klein-Annie. Wenn es an dem klaren Himmel eine Wolke gab, so war es die, dass keine anderen Kinder mehr kamen. Effi war jung und machte sich keine großen Sorgen deswegen. Als aber eine lange, lange Zeit vergangen war – sie waren schon über sechs Jahre in Berlin –, schickte Frau von Briest Effi zu Doktor Rummschüttel. Er empfahl ihr eine dreiwöchige Kur in Schwalbach, und weil sie oft erkältet war, danach eine dreiwöchige Kur in Ems.

Am 24. Juni reiste Effi ab. Sie schrieb glückliche Briefe nach Hause, vor allem aus Ems, wo sie nette Bekanntschaften gemacht hatte. Innstetten freute sich auf ihre Rückkehr, er fühlte sich etwas einsam. Annie verbrachte nach der Schule viel Zeit in der Küche bei Roswitha und Johanna. Beide liebten das kleine Fräulein sehr.

An einem Mittwoch traf Annie nach der Schule Roswitha vor ihrer Wohnung.

„Nun lass sehen“, sagte Annie, „wer von uns schneller die Treppen hochkommt.“

Roswitha wollte davon nichts wissen, aber Annie rannte los. Oben stolperte sie und fiel dabei so unglücklich, dass sie mit dem Kopf aufschlug und stark blutete. Roswitha und Johanna trugen das etwas verängstigte Kind in die Wohnung und legten es auf das Sofa. Sie kühlten die Stirn mit kaltem Wasser.

„Und nun wollen wir die Wunde verbinden“, sagte schließlich Roswitha. „Da muss ja noch die lange Binde sein, die die gnädige Frau letzten Winter zugeschnitten hat.“

„Stimmt“, antwortete Johanna, „bloß wo ist sie? Richtig, da fällt mir ein, die liegt im Nähtisch.“

Sie suchten überall und fanden Nähzeug, trockene Blumen, Karten, Billets und zuletzt ein paar Briefe. Aber die Binde hatte man immer noch nicht.

In diesem Moment trat Innstetten ein.

„Gott“, sagte Roswitha erschreckt, „es ist nichts, gnädiger Herr, Annie ist gestürzt.“

Innstetten schaute die Wunde an und sagte: „Es ist nicht schlimm, aber wir rufen doch lieber Rummschüttel. Was ist mit dem Nähtisch passiert?“

Roswitha erzählte, dass sie die Binde gesucht, aber nicht gefunden hätten. Sie suchte nun nicht mehr weiter, sondern schnitt eine neue Binde zu.

Als Rummschüttel kam, war er zufrieden mit dem Verband und empfahl einen Tag Ruhe. Nach seinem Besuch legte Innstetten die Sachen in den Nähtisch zurück. Als er die Briefe sah, kam ihm die Schrift bekannt vor. Er schaute sie genauer an: Sie waren von Crampas! In seinem Kopf begann sich alles zu drehen. Er nahm die Briefe und ging in sein Zimmer.

Als er nach langer Zeit wieder herauskam, sagte er: „Johanna, passen Sie auf Annie auf. Ich bin in einer Stunde oder vielleicht zwei zurück.“

Dann sah er das Kind aufmerksam an und ging.

„Hast du gesehen, Johanna, wie Papa aussah?“

„Ja, Annie. Er muss einen großen Ärger gehabt haben. Er war ganz blass. So habe ich ihn noch nie gesehen.“

Es vergingen Stunden. Die Sonne war schon untergegangen, als Innstetten wieder zurückkam. Er gab Annie die Hand, fragte, wie es ihr gehe, und ging in sein Zimmer. Dort nahm er die Briefe wieder zur Hand. Mit halblauter Stimme las er: „Sei heute Nachmittag wieder in den Dünen. Du musst keine Angst haben. Wir haben auch ein Recht. Lerne, dich über das Leben zu freuen.“

Im zweiten stand: „Fort, schreibst du. Unmöglich. Ich kann meine Frau nicht verlassen. Es geht nicht, und darüber dürfen wir uns nicht ärgern, sonst sind wir arm und verloren. Es ist nun mal so. Möchtest du, dass es anders wäre, dass wir uns nie gesehen hätten?“

Dann kam der dritte Brief: „Sei heute noch einmal an der alten Stelle. Wie soll ich hier weiterleben ohne Dich!“

Als Innstetten die Briefe wieder weglegte, klingelte es. Kurz darauf klopfte jemand an die Tür seines Zimmers. Wüllersdorf, Innstettens Freund aus dem Ministerium, trat sein. Er sah auf den ersten Blick, dass etwas geschehen war.

„Entschuldigung, Wüllersdorf“, sagte Innstetten, „dass ich Sie gerufen habe. Es geht um zwei Dinge. Erstens möchte ich Sie bitten, die Forderung zu einem Duell zu überbringen und zweitens, danach beim Duell mein Sekundant zu sein. Das erste ist nicht angenehm und das zweite noch weniger. Und nun Ihre Antwort.“

„Sie wissen, Innstetten, dass ich alles tue, was Sie wollen. Aber muss es sein? Sind wir nicht zu alt dafür? Worum geht es denn?“

„Es geht um einen Liebhaber meiner Frau, der auch mein Freund war, oder jedenfalls fast.“

„Innstetten, das ist nicht möglich.“

„Es ist mehr als möglich, es ist sicher. Lesen Sie.“

„Wer hat diese Briefe geschrieben?“

„Major Crampas.“

„Das war also noch in Kessin?“

Innstetten nickte.

„Also vor über sechs Jahren. Das ist lange, aber vielleicht nicht genug lange. Ich weiß es nicht. Innstetten, Ihre Lage ist furchtbar und Ihr Lebensglück vorbei. Aber wenn Sie den Liebhaber töten, wird es noch schlimmer. Sind Sie so beleidigt oder in Ihrer Ehre verletzt, dass einer weg muss, er oder Sie? Ist es so?“

„Ich weiß es nicht“, sagte Innstetten und sprang auf. Dann sagte er: „Nein, es ist nicht so. Ich bin sehr unglücklich, aber ich fühle keinen Hass. Warum? Wahrscheinlich weil es so lange her ist. Und ich liebe meine Frau, ja, seltsam zu sagen, ich liebe sie noch, und so furchtbar ich alles finde, möchte ich ihr doch verzeihen.

Wüllersdorf nickte. „Das kann ich alles gut verstehen. Aber wenn Sie Ihre Frau so sehr lieben, dass Sie ihr alles verzeihen können, und dazu liegt das Geschehene so weit zurück, wozu die ganze Geschichte?“

„Weil es trotzdem sein muss. Man ist nicht bloß ein einzelner Mensch, man gehört einem Ganzen an. Ich tue es nicht wegen mir, sondern wegen der Gesellschaft. Ich muss.“

„Ich weiß nicht, Innstetten.“

Innstetten lächelte. „Vor sechs Stunden konnte ich noch wählen. Aber jetzt wo Sie alles wissen, kann ich nicht mehr zurück.“

„Ich weiß nicht“, sagte Wüllersdorf. „Ich werde bestimmt nieman-dem davon erzählen.“

„Ja, Wüllersdorf, so heißt es immer. Aber auch wenn Sie es nieman-dem erzählen: Sie wissen es. Ich bin für Sie nicht mehr der gleiche wie vorher. Wenn meine Frau von Liebe und Treue sprechen wird, so weiß ich nicht mehr, wohin ich blicken soll. Und Sie werden über mich lächeln in solchen Momenten.“

Wüllersdorf sagte: „Ich finde es furchtbar, dass Sie recht haben, aber Sie haben recht. Es muss also sein.“

Eine Viertelstunde später trennten sie sich mit einem kurzen „Auf Wiedersehen in Kessin“.

Am nächsten Abend reiste Innstetten nach Kessin ab. Wüllersdorf war schon vorher gefahren. Um fünf Uhr früh war Innstetten auf der Bahnstation und nahm von dort das Schiff. Es war herrliches Wetter. Innstetten dachte an den Tag zurück, als er mit Effi nach der Hochzeitsreise in Kessin angekommen war.

Wüllersdorf wartete in Kessin schon auf ihn. Sie setzten sich in einen Gasthof und bestellten Kaffee und Cognac. Innstetten war unruhig.

„Wir haben Zeit“, sagte Wüllersdorf. „Noch anderthalb Stunden. Ich habe den Wagen auf acht bestellt; wir fahren nicht länger als zehn Minuten.“

„Und wo?“

„Crampas schlug eine Stelle zwischen den Dünen vor. Gleich beim Strand, man sieht auf das Meer.“

Innstetten lächelte. „Typisch Crampas, dass er sich einen schönen Ort aussucht. Was hat er zu der ganzen Sache gesagt?“

„Als ich Ihren Namen nannte, wurde er totenblass und begann zu zittern. Aber das dauerte nur einen Moment, und von da an wirkte er ruhig und etwas wehmütig. Ich bin sicher, dass er das Gefühl hat, dass die Sache nicht gut ausgeht, und dass er das auch nicht will. Ich glaube, er lebt gern, und doch ist ihm das Leben egal.“

Der Kaffee kam. Man nahm eine Zigarre. Wüllersdorf sprach nun von unwichtigen Dingen. Als die Kutsche kam, standen sie auf und stiegen ein. Der Weg führte an Innstettens alter Wohnung vorüber. Das Haus lag noch stiller da als früher. Plötzlich fand auch Innstetten es unheimlich. „Da habe ich gewohnt“, sagte er zu Wüllersdorf.

„Es sieht sonderbar aus, so verlassen.“

„Es soll ein Spukhaus sein.“

Die letzten dreihundert Meter durch die Dünen gingen sie zu Fuß. Links und rechts blühten blutrote Blumen. Innstetten steckte sich eine an.

Crampas, sein Sekundant Buddenbrook und Doktor Hannemann waren schon da. Buddenbrook kam ihnen entgegen, man begrüßte sich, dann besprachen sich die beiden Sekundanten kurz. Sie beschlossen, dass Innstetten und Crampas aus zehn Schritt Distanz schießen sollten. Dann ging Buddenbrook an seinen Platz zurück; alles ging schnell, die Schüsse fielen. Crampas stürzte.

Innstetten trat einige Schritte zurück und sah weg. Wüllersdorf ging zu Buddenbrook, beide warteten jetzt darauf, dass der Doktor etwas sagte. Crampas gab durch eine Handbewegung zu verstehen, dass er etwas sagen wollte. Wüllersdorf trat näher, nickte zu den paar Worten, die der Sterbende kaum hörbar sagte und ging dann zu Innstetten.

„Crampas will Sie noch sprechen, Innstetten. Er hat keine drei Minuten Leben mehr.“

Innstetten trat an Crampas heran.

„Wollen Sie …“ Das waren seine letzten Worte. Sein Gesicht leuchtete noch einmal kurz auf, und dann war es vorbei.