3. Das geteilte Pferd
Außer der Jagd habe ich mich immer sehr für die Reitkunst und edle Pferde interessiert. Eines schönen Nachmittags war ich zum Tee bei dem Grafen Przobofsky auf seinem Landsitz eingeladen. Er war ein wohlhabender Graf aus einer adeligen polnischen Familie, der neben seinen Ländereien auch ein Pferdegestüt mit kostbaren Pferden besaß. Die Pferde dieser edlen Rasse werden auch Litauer genannt. Bei der Teestunde saß ich mit den Damen im Salon und unterhielt sie mit meinen Geschichten. Der Graf ging mit ein paar Herren über den Hof, um sein neues Pferd anzuschauen, das eben auf dem Hof eingetroffen war.
Plötzlich waren entsetzte Schreie zu hören. Wir liefen ans Fenster und sahen, wie das junge Pferd sich aufbäumte und wild tobte. Dabei schnaubte es vor Zorn mit aufgeblähten Nüstern. Unter den erschrockenen Männern waren viele exzellente Reiter, doch keiner traute sich, sich dem Pferd in den Weg zu stellen. Das Pferd schlug wütend mit den Hufen um sich und ließ niemanden an sich herankommen.
Jetzt war ich in meinem Element! Alle warteten nur auf mich. Nun konnte ich ihnen zeigen, wie hervorragend ich mit Pferden umgehen konnte. Ich entschuldigte mich kurz bei den Damen und rannte hinaus auf den Hof. Mit einem gekonnten Sprung saß ich sicher auf dem Rücken des Pferdes. Schnell konnte ich durch geschickten Druck mit den Beinen und Führen der Zügel das wütende Pferd beruhigen. Sanft wie ein Lämmchen folgte es meinen Anweisungen. Jetzt bekam ich Lust, den Damen und Herren, die sich im Hof versammelt hatten, einmal meine Reitkünste zu zeigen. Schon pirschte ich los und setzte mit einem eleganten Sprung durch das geöffnete Fenster in den Salon. Ich hatte das Wunderpferd so gut in meiner Gewalt, dass ich ganz mühelos auf ihm mal rechts und mal links herum um den Tisch trabte.
Dann setzte ich zum Galopp an und ließ es wieder im Schritt gehen. Das Pferd war sehr elegant in seinen Bewegungen. Niemand erschreckte sich und auch nichts ging zu Bruch. Die Gesellschaft verfolgte das Geschehen mit Vergnügen. So etwas hatten sie noch nicht gesehen. Aber es kam noch besser. Zum Höhepunkt meiner Vorführung ließ ich den Litauer auf einen kleinen Tisch steigen an dem Tee getrunken wurde. Hier zeigte noch ein paar Kunststücke der hohen Reitkunst, ohne dass auch nur ein Teller entzweiging.
Der Graf war sehr beeindruckt von meiner Reitkunst, und bat mich höflich, das edle Pferd als Geschenk anzunehmen. Er wollte sogar, dass ich mit ihm zusammen bei dem Feldzug gegen die Türken mitmachte, den der Zar gerade begonnen hatte. Ich war sehr glücklich darüber. Jetzt konnte ich endlich in den Krieg ziehen, denn das war ja der Grund für meine weite Reise nach Russland. Nun hatte ich Gelegenheit, mich im Kampf verdient zu machen und zu Kriegsruhm zu gelangen.
Es war mir eine Ehre, unter dem Kommando des Generalfeldmarschalls Münnich gegen die Türken zu kämpfen. Aber mit dem Geschenk des Grafen war das natürlich noch viel verlockender. Auf solch einem eleganten Pferd in den Kampf zu ziehen, machte schon etwas her. So konnte man sich sehen lassen.
Ich wurde also bei den Husaren eingeteilt. Das ist die Reitergruppe, die der Haupttruppe weit vorausreitet und dort für viel Wirbel sorgt. Bei der Schlacht um Orzakow, war ich wieder einmal mit meinem Pferd ganz vorne an erster Stelle. Da sah ich den Feind heranrücken, gehüllt in eine dichte Staubwolke. Es war unmöglich zu sehen, wie viele sie waren. Meine Aufgabe war es, die Zahl der Feindestruppe gut zu schätzen und sie dem General mitzuteilen. Ich preschte an sie heran und wirbelte dabei selbst so viel Staub auf, dass wir uns gegenseitig nicht sehen konnten. Die anderen Husaren folgten mir. Gemeinsam schlugen wir die Türken mit unseren Säbeln in die Flucht. Die feindliche Truppe wollte in ihre sichere Festung fliehen. Ich blieb ihnen auf den Fersen. Ihnen blieb keine Zeit, die Tore hinter sich zu schließen. In Panik flohen sie am anderen Ausgang wieder aus ihrer Festung. So haben wir – vielmehr ich alleine – ihre Festung in Windeseile besetzt. Denn als ich mich umsah nach meiner Truppe, war niemand mehr da. Ich war den anderen weit voraus.
Mein tapferes Pferd führte ich erst einmal an den Brunnen auf dem Marktplatz und ließ es trinken. Es soff gierig den halben Brunnen leer und konnte seinen Durst gar nicht löschen. Immer mehr soff es, das wurde schon unheimlich. Als ich meinem Wunderpferd einen Klaps auf sein Hinterteil geben wollte, schlug ich ins Leere. Ich drehte mich um und sah – nichts! Das gesamte Hinterteil des Tieres war fort, sauber in der Mitte durchgeschnitten. Und das ganze Wasser, das mein Pferd soff, floss in der Mitte einfach wieder heraus! Wie konnte so etwas geschehen? Da kam ein Reitknecht aus meiner Truppe von der anderen Seite herangejagt und berichtete, was sich ereignet hatte. Als ich hinter den Türken in die Festung ritt, wurde das Falltor herabgelassen, genau in dem Moment, als ich mich mit meinem Litauer darunter befand. Das Tor schnitt mein Pferd in der Mitte entzwei. Das Hinterteil des Pferdes lief kopflos hinter den Türken her. Die erschraken sich so sehr, als sie das Hinterteil ohne Kopf sahen, dass sie noch schneller flohen.
Ich wollte wissen, wo denn das Hinterteil meines Pferdes abgeblieben sei und der Reitknecht sagte, dass es auf eine Weide getrabt sei, wo andere Pferde grasten. Sogleich galoppierte ich auf dem Vorderteil des Pferdes zu der Weide und entdeckte dort tatsächlich die zweite Hälfte. Da beide Hälften wohlauf waren, ließ ich sogleich den Hufschmied des Regiments kommen. Der sah sich den seltsamen Fall an, überlegte kurz, was zu tun war. Schon bald hatte er eine Idee, wie er den Litauer wieder zusammenflicken konnte. Er nahm ein paar junge Lorbeerzweige, die er in der Nähe fand. Damit heftete er beide Hälften zusammen. Nach ein paar Tagen waren die Wunden verheilt. Diese Methode hatte noch einen anderen Effekt, der mir sehr gut gefiel: Die Zweige trieben aus und schlugen Wurzeln im Leib des Pferdes. Außen rankte frisches Grün um seinen Rücken zu einer Lorbeerlaube. Den Lorbeerkranz hatte sich mein Wunderpferd wahrlich verdient. Von nun an konnten wir immer im kühlen Schatten der grünen Blätter reiten und wurden überall von den Leuten bestaunt.