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2020-7 Imported from YouTube, Arbeitslos durch Corona - Von der Politik im Stich gelassen? | WDR Doku

Arbeitslos durch Corona - Von der Politik im Stich gelassen? | WDR Doku

(Mann) Wir ziehen jetzt mit lautem Radau,

so laut wie ihr könnt, zum Ministerium.

dann zeigen wir denen,

was demonstrieren heißt in Corona-Zeiten.

Dieser Reportereinsatz wird laut.

Denn sie haben von heute auf morgen ihre Arbeit verloren.

Die Politik sagt ja, dass sie keinen fallen lässt. (Demonstrant lacht)

Es ist halt einfach eine Lüge letztendlich.

Es ist demütigend.

Niederschmetternd.

Man fühlt sich bisschen so mit der Hartz-Keule erschlagen.

Was tut Berlin? Nothing.

Corona hat vielen die berufliche Existenz ruiniert.

Die Politik hat gesagt, sie lässt niemanden fallen.

D.h. für viele zum 1. Mal in ihrem Leben Hartz IV.

Was bedeutet das für die Betroffenen? Hält das soziale Netz?

Untertitel: WDR mediagroup GmbH im Auftrag des WDR

Als Reporterin habe ich Glück.

Obwohl ich freiberuflich arbeite,

habe ich gerade sogar mehr zu tun als sonst.

Ganz im Gegensatz zu Anny Hartmann und Thomas Schweinsberg.

Ihre Auftragsbücher sind seit März leer.

Anny ist Kabarettistin und Thomas Künstlermanager.

Um die 100 Auftritte hat Anny normalerweise im Jahr,

tritt im Fernsehen bei "Ladies Night" und der "ZDF Anstalt" auf.

Bei mir läuft es seit 5 Jahren gut,

und ich war für 2020 komplett ausgebucht.

Da kann keiner mit rechnen,

dass auf lange Zeit 100% der Einnahmen wegbrechen.

Bei mir ist es so, ich habe eine Agentur für Künstlerinnen

im Bereich Kabarett und Comedy,

und es sind insgesamt über 100 Auftritte weggefallen.

Wenn das bis noch ins nächste Jahr weitergeht, und es wird

kein Impfstoff gefunden, dann ist unsere gesamte Branche gefährdet.

Dann ist die gesamte Kultur,

die gesamte Bühnenkultur ist dann einfach kaputt.

Seit Corona leben die beiden von ihren Ersparnissen.

Den Hartz-IV-Antrag haben sie so lang es ging hinausgezögert.

Bis jetzt.

Das ist also dieser vereinfachte Hartz-IV-Antrag? - Ja genau.

Ich habe eben mal durchgezählt, es sind, glaube ich, 31 Seiten,

wenn ich es richtig gezählt hab.

Für den vereinfachten.

Die Politik hat versprochen,

mit dem neuen Antrag schnell und unbürokratisch zu helfen.

(Anny) Du tust so, als hättest du noch den Überblick.

Ich hab den verloren. - Ich auch.

Ich suche gerade eine Anlage.

War das vorher schon mal Thema für euch

oder ist das durch Corona Thema geworden?

Wir haben beide bisher unser ganzes Leben uns immer selber finanziert.

Natürlich Steuern bezahlt.

Aber wir haben noch nie irgendwas in Anspruch genommen,

jetzt müssen wir aber.

Sie haben sich ausgerechnet:

Zusammen würden sie knapp 780 Euro Hartz IV bekommen.

Für sie keine gerechte Lösung.

Wir dürfen nicht arbeiten zum Wohle der Allgemeinheit.

Das sehen wir ja auch ein.

Aber dann heißt es, für euch gibt es Grundsicherung,

die nicht mal unsere Fixkosten deckt.

Ohne Rücklagen wären wir schon lange verhungert.

Seit 16 Wochen haben wir beide keine Einkommen mehr.

Und leben von unseren Ersparnissen.

Wie fühlt sich das an, diesen Antrag ausfüllen zu müssen?

Niederschmetternd.

Ja, es ist wirklich niederschmetternd.

Es ist die Existenz...

...bedrohend, zerstörend.

Und wenn es so weitergeht,

werden wir nach 1/2 Jahr auch die Wohnung verlassen müssen.

So wie Anny und Thomas geht es vielen Freischaffenden.

Wohl keine Branche trifft es so hart wie den Event- und Kulturbereich.

(Merkel) Für den Publikumsverkehr zu schließen,

sind Bars, Clubs, Diskotheken, Kneipen und ähnliche Einrichtungen.

(Laschet) Viele Künstlerinnen und Künstler waren und sind verzweifelt,

weil ihre Lebensgrundlage wegen der vielen abgesagten Konzerte,

Ausstellungen und Veranstaltungen weggebrochen ist.

Düstere Prognosen gibt es viele,

aber wie vielen geht es wirklich so wie Anny und Thomas?

Wie viele stellen den Antrag?

Kommt da tatsächlich die große Hartz-IV-Welle?

So sieht Jobcenter in Corona-Zeiten aus.

Alles leer.

Sieht so aus, als wäre nichts los,

aber eigentlich ist viel mehr los als sonst.

Jobcenter-Chef Ingo Zielonkowsky

musste die komplette Arbeitsweise umstrukturieren.

Wir haben 10-mal mehr Anträge als sonst in diesem Bereich.

Das sind Existenzen, wo auch ganze Familien dranhängen.

Und da versuchen wir, so schnell wie möglich zu helfen.

Wie ist das für Leute, die aus einer Soloselbständigkeit kommen

oder vielleicht einen eigenen Betrieb haben, gut verdient haben,

jetzt hiermit aufgefangen werden? Wie ist das für die?

Niemand muss hungern, niemand verliert sein Dach über dem Kopf.

Das ist durch unseren Staat so, dass das soziale Netz hält,

aber es ist Grundsicherung.

Das ist für viele Menschen, die bisher gut verdient haben,

die einen entsprechenden Lebensstandard hatten,

ein ziemlicher Einschnitt.

Aber wir sind da beim Gesetzgeber,

der dieses Existenzminimum klar definiert hat.

Vom Gutverdiener zum Existenzminimum.

Mittlerweile ist das auch in meinem Bekanntenkreis angekommen.

Seit April leben Freunde einer Freundin von Hartz IV.

Ihr habt viele Schuhe.

Soll ich Schuhe ausziehen? (Frau) Nein, alles gut.

Adrian Korfmacher ist selbständiger DJ.

* Telefonklingeln *

Tut mir leid. - Kein Problem.

Das schalten wir mal kurz aus.

Ich kenne keine Leute, die noch ein Festnetz haben in unserem Alter.

Richtig hängen geblieben.

Ich sehe vielleicht jung aus, aber ich bin auch schon Mitte 30.

Aber ich bin ja so eine Art Berufsjugendlicher.

Stimmt, du bleibst einfach jung. - Genau, das hält auch jung.

Wobei ich sagen muss, das letzte halbe Jahr irgendwie trotzdem,

dass man frei hatte am Wochenende...

Irgendwie glaube ich, dass ich da ein bisschen mehr gealtert bin.

Warum? - Weil man sich einfach einen Kopf macht,

nicht mehr richtig schläft und Existenzängste hat.

Also ohne jetzt auf die Tränendrüse zu drücken.

Aber kann man sich vorstellen,

wenn auf einmal irgendwie der Boden wegbricht und die Perspektive

und auch die Identität ein bisschen.

Verständlich. Schließlich ist er direkt nach dem Studium

als DJ und Veranstalter eingestiegen und hat 10 Jahre gut davon gelebt.

Was ich mache, ist, Leute zum Tanzen bringen.

Ich gucke immer: Womit arbeite ich? Wen habe ich vor mir?

Was würdest du für mich jetzt spielen?

Ich würde bei dir z.B. mal...

Ich weiß nicht, ich würde was ausprobieren

und dann gucken, wie reagierst du darauf?

♪ Baby, you my everything, you all I ever wanted.

We could do it real big, bigger than you ever done it.

You be up on everything, other hoes ain't never on it.

I want this forever, I swear I can spend whatever on it.

Cause she hold me down... ♪

Vorher hat Adrian die Hip-Hop-Klubs in Deutschland gefüllt.

Gemeinsam mit seiner Freundin hat er außerdem eine Event-Firma.

Lena Watzlawik macht das Management.

Um in Corona-Zeiten noch was einzunehmen,

haben sie T-Shirts gedruckt.

Die zu verkaufen, lohnt sich aber nicht.

Denn jede Einnahme wird mit Hartz IV verrechnet,

und am Ende kommt dann kaum noch was bei ihnen an.

Durch die Grundsicherung leben wir von 10 Euro am Tag zusammen.

Das ist halt schon ein ganz krasser Realitycheck jetzt auf einmal.

Ist das eine Hilfe?

Das ist auf jeden Fall eine Hilfe.

Sonst hätten wir wahrscheinlich hier wieder ausziehen dürfen.

Könnt ihr nachvollziehen, wenn Kritiker sagen:

Dann müsst ihr euch einen anderen Job suchen,

ihr könnt uns nicht ewig auf der Tasche liegen?

Absolut. Also ich bin mir nicht zu schade, um bestimmte Jobs zu machen.

Es gibt nur gerade sehr wenig.

Angestellte bekommen in der Krise Kurzarbeitergeld.

Weil die beiden als Selbständige

nicht in die Arbeitslosen- versicherung eingezahlt haben,

bekommen sie nur Hartz IV.

Sie finden das nicht gerecht.

Meiner Meinung nach hätte es eine sehr, sehr faire Lösung gegeben.

Jeder von uns, der gewirtschaftet hat, hat Steuererklärungen gemacht

die letzten Jahre.

D.h. man hätte wie bei der Kurzarbeit auch den Leuten

60% des durchschnittlichen Einkommens geben können.

Somit hätte man einfach alle fair behandelt.

(Adrian) Wir sind einerseits superglücklich,

in einem sozialen Staat zu leben, der uns hilft.

Aber der hilft uns halt nur für die Öffentlichkeit,

haben wir das Gefühl.

Dass die Leute beschwichtigt sind, ah ja, da wird was getan.

Es ist aber das absolute Minimum, was getan wird,

dass die Leute vielleicht gerade nicht auf die Barrikaden gehen.

Vielleicht kommt das aber auch noch.

Hier demonstrieren Künstler, Beleuchter, Selbständige,

alle, die ihr Geld mit Veranstaltungen verdient haben.

Vorm Landtag fordern sie mehr Unterstützung.

Ich kann meine private Altersvorsorge

nicht weiter betreiben.

Ich kann meine Versicherungen nicht bedienen.

Es werden Hunderttausende Sozialhilfe-Empfänger

aus dieser Branche in den nächsten Jahren zu erwarten sein.

Ich mische mich unter die Demonstrierenden, um mal zu hören,

was sie bewegt, was sie sich anders wünschen

und warum sie so wütend sind.

Eine, die besonders enttäuscht ist, ist Britta Pätzold.

Ich möchte den Politikern sagen, dass sie uns nicht vergessen sollen.

Sie denken an TUI, an Lufthansa.

Die denken an alle,

aber die denken nicht an die Veranstaltungswirtschaft.

Sie sollen daran denken,

dass auch wir Geld zum Leben brauchen, Arbeit brauchen.

So viel Frust.

Aber klar, nach so großen Ankündigungen...

Industrie und Wirtschaft in Deutschland

können mit Unterstützung während der Corona-Epidemie rechnen.

Dieses Mal machen wir eine unbegrenzte Zusage.

Heute Morgen um 10 Uhr sind bereits 225.000 Zuschüsse ausgezahlt worden.

Die Bundesregierung hat in Sachen Corona-Hilfe noch mal nachgelegt.

Wir legen gleich, wenn ich das mal so sagen darf,

alle Waffen auf den Tisch.

Die Versprechen waren groß.

Keiner sollte auf der Strecke bleiben.

Dafür hat sich die Politik die Soforthilfe ausgedacht.

9.000 Euro waren das in NRW für Soloselbständige,

wovon sie allerdings nur 2.000 Euro für ihren Lebensunterhalt,

also Miete und Essen, verwenden durften.

2.000 Euro seit März.

Ich besuche Britta von der Demo.

Auch sie hat die Soforthilfe bekommen.

Aber schnell war klar, es reicht nicht.

Sie sah als letzte Möglichkeit nur Hartz IV.

Wow, das ist also dein Haus?

Ja, das ist mein Lebensprojekt hier.

So sieht es aus. Ganz schön großes Projekt, oder?

Ja, ganz schön viel Arbeit.

Wie viel Arbeit steckt da drin?

Seit 11 Jahren arbeiten wir daran.

Ich habe auch wirklich alles,

was ich jemals verdient habe, da reingesteckt.

3 Monate hat sie auf die 1. Zahlung vom Jobcenter gewartet.

Dabei braucht sie dringend Geld, um ihr Haus weiter abzubezahlen.

Das Problem: Bei Hartz IV wird die Miete übernommen,

aber nicht die Tilgung für ein Haus.

Hier wohnen übrigens meine Mieter.

Das hab ich halt auch mit vermietet.

Und zum Glück zahlen die die Miete noch.

Das Problem ist nur,

dass die Miete fast komplett vom Jobcenter abgezogen wird.

Und die Tilgung...

Also ich muss das Haus noch abbezahlen an die Bank,

dass ich das halt nicht bezahlen kann.

Normalerweise bezahle ich das über die Miete.

Und so kommt es zustande,

dass du wie viel dann am Ende noch vom Jobcenter bekommst?

Wir sind ja eine Bedarfsgemeinschaft von 3 Personen.

Für 3 Personen 546 Euro.

Insgesamt.

Bitte schön. - Danke.

Was machst du denn dazu?

Ketchup. - Ketchup.

Bedarfsgemeinschaft, d.h. Britta wohnt mit ihrer 11-jährigen Tochter

und Jamilas Vater zusammen.

Jetzt müssen sie zu dritt von Hartz IV leben.

Bisher hat Britta als selbständige Grafikdesignerin

das Geld für die Familie verdient.

Aber seit März sind ihr die Aufträge weggebrochen.

Ich kann dir mal zeigen,

womit ich mich 18 Jahre als Selbständige beschäftigt hab.

Ich habe ziemlich viel im Automobilbereich gemacht.

Hier Eventgrafik, Briefpapier.

Hier noch Flyer, Programmhefte.

Das, was gedruckt wird und was genau für diesen Event gebraucht wird

für diese Veranstaltung.

Jetzt, wo es keine Veranstaltungen gibt, hast du keine Aufträge?

Da hab ich keine Aufträge.

Und das ist so traurig, dass...

...ich das gerade nicht weiterverfolgen kann.

Brittas größte Angst ist, das Haus zu verlieren.

Denn das ist ihre private Altersvorsorge.

Als Selbständige hat sie

nicht in die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt.

Jeder wird sagen,

dass ich auf hohem Niveau klage mit so einem schönen Haus.

Aber ehrlich gesagt, wenn jetzt nicht wirklich was passiert,

wenn ich keine Aufträge mehr bekomme oder keinen anderen Job finde,

dann ist das Haus hier weg.

Dann wars das.

Das ist mein Lebenswerk.

Es geht mir sehr schlecht.

Es geht mir auch sehr schlecht, dass ich meiner Tochter bei allem,

was sie mich fragt, Mami, können wir das machen können,

immer wieder Nein sagen muss,

du weißt doch, wir haben kein Geld, du musst dich daran gewöhnen.

Es geht alles nicht mehr.

Es ist demütigend.

Man wird auch nicht gerade sehr gut behandelt beim Jobcenter.

Es macht Depressionen.

Es gibt mir schlaflose Nächte.

Ich weiß nicht, ob man meine Augenringe sieht.

Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in Hartz IV.

Das begegnet mir bei dieser Recherche immer wieder.

Es ist natürlich nichts Neues, auch für den Verein Tacheles nicht.

Hier kämpfen sie seit Jahren für die Rechte von Hartz-IV-Empfängern.

Harald Thomé hilft jetzt auch den Neuen

bei ihren Problemen mit dem Amt.

In Corona-Zeiten am Telefon.

Kriegt er keine Hartz-IV-Leistungen im Haushalt der Mutter,

das geht nicht.

Um die 50.000 Menschen in NRW sind durch die Pandemie

innerhalb weniger Monate zusätzlich in Hartz IV gekommen.

Das merkt er auch hier in der Beratung.

Jetzt muss ich kurz einen Vermerk noch machen.

Wir haben vor Corona, so sagt man jetzt schon mittlerweile,

in der Vor-Corona-Zeit haben wir in der Woche

ungefähr 50 Beratungsanfragen gehabt.

Jetzt sind wir ungefähr bei 120.

D.h. es ist deutlich mehr geworden.

Ich rechne damit, dass es auch noch deutlich mehr werden wird.

Es wird für die neu ins Hartz-IV-Kommenden

ein richtig böses Erwachen geben.

Weil sie einfach mit der gesamten Bürokratie von Hartz IV

konfrontiert werden.

Weil sie damit konfrontiert werden, wie mit ihnen umgegangen wird.

Und dann werden sie das erleben, was alle erleben,

dass die Unterlagen die sie eingereicht haben, verloren gehen.

Dass die E-Mail-Adresse, die das Jobcenter angibt

auf der Webseite nicht erreichbar ist, dass die Sachen zurückgehen.

Und solche Dinge halt.

Das ist der Hartz-IV-Alltagsblues,

den alle sonst kennen, mit dem sie jetzt konfrontiert werden.

Und das wird kommen.

Was ihn ärgert, endlich gibt es flexiblere Regeln,

aber eben nur übergangsweise.

Er würde sie sich dauerhaft

auch für die bisherigen Bezieher wünschen.

Wenn ich mir die Politik angucke, dann ist wieder mal zu spüren,

dass die Politik und Verwaltung keinen Millimeter

auf die alten Hartz-IV-Empfänger, ungefähr 10 Mio. Menschen,

Hartz IV, Grundsicherung im Alter,

Sozialhilfe und Asylbewerberleistungsgesetz,

keinen Millimeter auf die Leute zu macht.

Dringend notwendig ist ein Corona-Zuschlag.

Dringend notwendig sind die gestiegenen Mehrkosten,

die durch die Lebensmittel entstehen.

Das muss umgesetzt werden.

Aber das, was die alten, kranken, kaputten und langzeitarbeitslosen

Menschen und Alleinerziehenden betrifft, ist Berlin scheißegal.

Marco Cziommer ist einer von denen,

die schon länger Hartz IV bekommen.

In der Krisenzeit erwartet er wenig von den Behörden.

Und ist jetzt selbst aktiv geworden, um anderen Bedürftigen zu helfen.

Wir fahren zu einer Dame aus dem Dorf,

die in ihrer Freizeit die Masken für die Bürgerhilfe näht.

Die hat welche fertig, die können wir abholen.

Da fahre ich jetzt hin.

So, bitte schön, die nächste Charge ist jetzt fertig.

Danke schön, wünsche Ihnen noch ein schönes Wochenende.

Ihnen auch, bis dann.

Marco verteilt die Masken an andere, die sich keine leisten können.

Die Bürgerhilfe gibt es erst seit Corona,

weil viele Bedürftige sich in dieser Zeit alleingelassen fühlten.

Marco koordiniert die Hilfen an seinem Computer.

Wer braucht was? Wer kann es besorgen?

Ehrenamtlich natürlich.

Du bist gelernter Maler, du warst selbständig,

hast dann den Betrieb verloren und bist so dann in Hartz IV gelandet.

Was entgegnest du Kritikern, die sagen:

Du hast Zeit, eine Bürgerhilfe zu machen,

du hast Zeit, ehrenamtlich zu arbeiten,

warum arbeitest du dann nicht offiziell und verdienst damit Geld?

Ich hab da weniger die Probleme mit,

weil ich auch sehr offensiv mit diesen Sachen umgehe.

Ich hätte auch kein Problem damit, so jemandem zu sagen:

Wir 2 fahren jetzt zum Amt, fahren zum Arbeitsvermittler.

Dann guckst du mal in die Akte, was ich alles versucht habe,

um Arbeit zu bekommen.

Wir haben teilweise wütend dort gestanden und haben gesagt,

wir bestehen darauf, Arbeit zu bekommen.

Dann wird einfach mit den Armen gewackelt

oder mit dem Kopf geschüttelt.

Sie können Paketzusteller werden oder Kurierdienstfahrer.

Das kann ich aufgrund der vielen Bandscheibenvorfälle nicht.

Der Rest interessiert niemanden.

Das Ziel, dass jemand in Arbeit kommt,

ist nicht oberstes Ziel der Ämter.

Soll ich dir was tragen helfen?

Wir können eigentlich direkt reingehen.

Nimmst du die Kiste, die ist nicht ganz so schwer.

Dann nehm ich die Wasserkiste.

Seit 11 Jahren ist hier Marcos Zuhause.

Hier wohnt er mit seinem Mann Guido und Guidos Sohn Kevin aus 1. Ehe.

Auch Guido bekommt Hartz IV, denn er bleibt zu Hause,

um Kevin zu pflegen.

Sein Sohn ist entwicklungsverzögert und Autist,

hat den zweithöchsten Pflegegrad.

Das Thema Einkaufen, Thema Essen beschäftigt uns locker 1 h am Tag.

Jeden Tag? - Ja klar.

Das fängt an, dass man abends vorher sich schon überlegen muss,

was wird gemacht? Was ist da? Was kann man kaufen?

Und dann musst du wirklich alle Anzeigenblätter durchblättern.

Wir gehen schon wöchentlich die Prospekte durch

und schreiben auf so Zettel wie jetzt hier, wenn es Angebote gibt,

die werden auch mit Preis daneben geschrieben.

Dann fahren wir auch 3, 4 Läden ab.

Es muss alles geplant werden.

Da musst du überlegen: Kann ich den Einkauf so machen?

Brauche ich nicht zum Ende des Monats

vielleicht irgendwie doch noch Geld?

Es ist schon wirklich ein Balanceakt.

Wir haben auch schon mit Taschenrechner

durch den Laden gelaufen, oh ja, mit Taschenrechner.

Um zu gucken, dass wir mit dem Geld

alles bekommen können, was wir auf dem Zettel stehen haben.

Die beiden haben schon für viele Leistungen vor Gericht gekämpft.

Aktuell waren es ein paar Euro mehr im Monat für warmes Wasser

wegen des vielen Händewaschens.

Wir haben halt auch einen Mehrbedarf beantragt,

relativ am Anfang als Corona losging.

Und sind in die Läden gefahren, haben Fotos dem Gericht geschickt.

Dass diese Produkte nicht verfügbar sind, haben Belege geschickt,

z.B. vom Rewe, dass es Lieferengpässe gibt.

Dann belegst du das Ganze und bekommst als Antwort:

Na und? Dann gehen Sie doch zur Tafel.

Man wird ja als Hartz-IV-Empfänger

letztendlich auch als Mensch unterer Klasse quasi gewertet.

Indem man vom Gericht gesagt bekommt:

Sie haben kein Anrecht auf Masken.

Sie können sich auch ein Tuch vors Gesicht halten.

Klar kann ich das. Aber muss ich das? Nein.

Ein Luxus, den die beiden sich gönnen,

sind 3 bis 4 Zigaretten am Tag.

Die billige Variante, selbst gestopft.

Das ist übrigens meine Sparzigarette,

die sehen fast immer so aus.

Guido, kannst du noch ein Feuerzeug und einen Aschenbecher holen?

D.h. du knipst die dann vorne ab?

Ja, ich mache da halt nur die Hälfte an Tabak rein.

Dann kann ich vielleicht mal 4 rauchen anstatt 3.

Was will man machen?

Da hat Guido ja Glück, dass er eine Ganze gekriegt hat.

Ja, ausnahmsweise, aber nur weil du da bist.

Nein, ganz so schlimm ist es nicht.

An den Punkt, wo Marco ist,

wollen Anny und Thomas auf keinen Fall kommen.

Ich treffe die beiden an ihrer Heimatbühne.

Anny tritt hier regelmäßig auf. Eigentlich.

Ihr Programm ist v.a. politisch.

Auch Hartz IV war schon Thema.

Jetzt soll es langsam wieder losgehen. Eingeschränkt.

(Thomas) Das ist das Theater 509 im Bürgerhaus Stollwerck.

Das hat normalerweise knapp 100 Plätze.

(Anny) Man sieht, es ist sehr lückenhaft bestuhlt.

Das ist halt das nach den aktuellen Regeln.

Das ist jetzt natürlich, ich sage mal so, nix mehr fürs Geldverdienen.

Wie geht es euch denn?

Dürftig würde ich mal sagen.

Mit unserem Antrag nicht wirklich viel erreicht.

Wie ging es denn weiter?

Wir haben diesen übersichtlichen, vereinfachten Antrag eingereicht

und bekamen dann von dem Sachbearbeiter eine Mail

mit unfassbar vielen Dokumenten, die er immerhin angehangen hatte.

Also er hat es nicht genauso geschrieben, aber nach dem Motto,

was interessiert mich, was die Politiker erzählen?

Das Sozialgesetzbuch ist nicht geändert,

ich behandle jeden Hartz-IV-Antrag gleich.

Und das, obwohl die Politik den vereinfachten Corona-Antrag

versprochen hat, bei dem sie die Wohnung und ein gewisses Vermögen

erst mal behalten können und nicht direkt nach neuen Jobs

suchen müssen wie sonst bei Hartz IV.

Zum Glück sind wir uns einig.

Wir haben beide sofort gesagt:

Nee, das widerspricht unserer Menschenwürde.

Wir haben beide gesagt, wir stellen die Kommunikation jetzt ein.

Der soll uns die Absage schicken, und gut ist.

Was ist euer Plan? Wie geht es jetzt weiter?

Weil du es gerade gesagt, eigentlich braucht ihr das Geld.

Wir gehen jetzt an die Altersvorsorge.

Wir leben eh schon seit mehr als 3 Monaten von unseren Ersparnissen.

Jetzt 4 schon, wir haben schon Juli, das sind schon 4.

Und die Ersparnisse sind jetzt,

und nur weil wir ganz gut im Geschäft waren,

hatten wir so viele Ersparnisse, die sind jetzt weg.

Jetzt müssen wir halt schauen, dass wir uns vielleicht

von Freunden Geld leihen oder die Altersvorsorge auflösen.

Das wäre jetzt meine Rentenversicherung,

meine Lebensversicherung, die mir in 7 oder 8 Jahren ausgezahlt werden.

Dass ich da jetzt die auflöse.

Also die Altersarmut von uns Soloselbständigen,

Kulturschaffenden, ist vorgezeichnet.

Obwohl wir so gut gewirtschaftet haben die letzten 20, 30 Jahre.

Und wir auch immer pünktlich unsere Steuern entrichtet haben.

Werden uns jetzt von den Leuten, die von unseren Steuern leben,

wird uns der Geldhahn zugedreht.

Das ist eine absolut perverse Situation.

Es ist schon so, dass manche Kulturschaffende

so verzweifelt sind, dass sie sich umbringen.

Ich habe gestern ein Gespräch mit einem Schauspieler gehabt.

Der sagte auch, dass sich 2 seiner Freunde umgebracht haben.

Die Frau von dem einen hat ihm den Abschiedsbrief gezeigt.

Er hat gesagt,

er hätte an keinem Punkt diesem Brief widersprechen können.

Und er sagte auch, er steht am Abgrund

und weiß noch nicht, wann er fällt.

In der Krise zeigt sich eins ziemlich deutlich:

Hartz IV ist ein starres System, das gerade jetzt an seine Grenzen kommt.

Wer sich etwas aufgebaut hat, dem bricht früher oder später alles weg.

Die meisten fängt das soziale Netz erst auf,

wenn sie ganz unten angekommen sind.

Die Hartz-IV-Welle ist bisher vielleicht kleiner als befürchtet.

Aber keiner weiß,

wie viele den Antrag in den nächsten Monaten noch stellen müssen.

Ich treffe Britta wieder, sie hat gute Nachrichten.

Die Bank gibt ihr einen Aufschub.

Bis Ende des Jahres

muss sie ihr Haus erst mal nicht weiter abbezahlen.

Wie fühlt sich das an, dass dir mal jemand entgegenkommt

und nicht immer nur was verwehrt wird?

Gut, sehr, sehr gut, wirklich.

Also...

Es ist einfach gerade eine so schwierige Situation.

Es werden einem so viele Steine in den Weg gelegt

vonseiten der Politik.

Ich glaube schon gar nicht mehr an den Menschen.

Ich glaube gar nicht mehr an das Gute.

Das fühlt sich dann, wenn doch was Gutes kommt,

einfach sehr gut an, wirklich sehr gut.

Endlich aufatmen, aber nur kurz.

Ihr Problem ist dadurch natürlich nicht gelöst,

sondern nur aufgeschoben.

Trotzdem ich muss jetzt gucken, was möglich ist.

Ich muss natürlich auch gucken, dass ich dann so viel verdienen kann,

dass ich meine Kosten gedeckt bekomme.

D.h. ich kann mich jetzt nicht auf einen Teilzeitjob bewerben

oder auf einen 450-Euro-Minijob.

Das geht nicht.

Ich muss dann wirklich einen guten Festjob...

Damit du auch das Haus weiter halten kannst. - Richtig.

Adrian ist schon voll dabei, nach Wegen zu suchen, raus aus Hartz IV.

Er macht eine selbst bezahlte Fortbildung

zum Social Media Manager, um noch ein neues Standbein zu haben,

vielleicht so einen festen Job zu kriegen.

Und er hat sein DJing ins Netz verlegt.

Live streamt er ins Internet, wie er auflegt

und versucht dort, weiter die Leute zum Tanzen zu bringen.

Das läuft auf Spendenbasis.

Aber ohne Hartz IV geht es erst mal nicht.

Natürlich bringt Weinen und Depressionen nicht viel.

Aber das ist irgendwie der natürliche Mechanismus.

Da haben wir uns jetzt, soweit es geht, mental irgendwie rausgeboxt.

Aber es geht einem natürlich nicht weiter gut,

weil man existenzielle Ängste hat.

Was hilft dagegen? - Was hilft dagegen?

Ja, sich viel ablenken, viel guten Input.

Ja, so Alternativen wie z.B. Onlinestreaming machen,

damit man einfach das, was man immer gemacht hat,

einfach noch ein bisschen beibehält.

Mit Freunden reden, hilft auf jeden Fall.

Copyright WDR 2020

Arbeitslos durch Corona - Von der Politik im Stich gelassen? | WDR Doku Unemployed by Corona - Abandoned by Politics? | WDR Docu Disoccupato da Corona - Abbandonato dalla politica? | Docu WDR Werklozen door Corona - In de steek gelaten door de politiek? | WDR documentaire Desempregado pelo Corona - Abandonado pela política? | WDR Docu Korona Tarafından İşsiz Bırakıldı - Siyaset Tarafından Terk Edildi mi? | WDR Belgeseli

(Mann) Wir ziehen jetzt mit lautem Radau,

so laut wie ihr könnt, zum Ministerium.

dann zeigen wir denen,

was demonstrieren heißt in Corona-Zeiten.

Dieser Reportereinsatz wird laut.

Denn sie haben von heute auf morgen ihre Arbeit verloren.

Die Politik sagt ja, dass sie keinen fallen lässt. (Demonstrant lacht)

Es ist halt einfach eine Lüge letztendlich.

Es ist demütigend.

Niederschmetternd.

Man fühlt sich bisschen so mit der Hartz-Keule erschlagen.

Was tut Berlin? Nothing.

Corona hat vielen die berufliche Existenz ruiniert.

Die Politik hat gesagt, sie lässt niemanden fallen.

D.h. für viele zum 1. Mal in ihrem Leben Hartz IV.

Was bedeutet das für die Betroffenen? Hält das soziale Netz?

Untertitel: WDR mediagroup GmbH im Auftrag des WDR

Als Reporterin habe ich Glück.

Obwohl ich freiberuflich arbeite,

habe ich gerade sogar mehr zu tun als sonst.

Ganz im Gegensatz zu Anny Hartmann und Thomas Schweinsberg.

Ihre Auftragsbücher sind seit März leer.

Anny ist Kabarettistin und Thomas Künstlermanager.

Um die 100 Auftritte hat Anny normalerweise im Jahr,

tritt im Fernsehen bei "Ladies Night" und der "ZDF Anstalt" auf.

Bei mir läuft es seit 5 Jahren gut,

und ich war für 2020 komplett ausgebucht.

Da kann keiner mit rechnen,

dass auf lange Zeit 100% der Einnahmen wegbrechen.

Bei mir ist es so, ich habe eine Agentur für Künstlerinnen

im Bereich Kabarett und Comedy,

und es sind insgesamt über 100 Auftritte weggefallen.

Wenn das bis noch ins nächste Jahr weitergeht, und es wird

kein Impfstoff gefunden, dann ist unsere gesamte Branche gefährdet.

Dann ist die gesamte Kultur,

die gesamte Bühnenkultur ist dann einfach kaputt.

Seit Corona leben die beiden von ihren Ersparnissen.

Den Hartz-IV-Antrag haben sie so lang es ging hinausgezögert.

Bis jetzt.

Das ist also dieser vereinfachte Hartz-IV-Antrag? - Ja genau.

Ich habe eben mal durchgezählt, es sind, glaube ich, 31 Seiten,

wenn ich es richtig gezählt hab.

Für den vereinfachten.

Die Politik hat versprochen,

mit dem neuen Antrag schnell und unbürokratisch zu helfen.

(Anny) Du tust so, als hättest du noch den Überblick.

Ich hab den verloren. - Ich auch.

Ich suche gerade eine Anlage.

War das vorher schon mal Thema für euch

oder ist das durch Corona Thema geworden?

Wir haben beide bisher unser ganzes Leben uns immer selber finanziert.

Natürlich Steuern bezahlt.

Aber wir haben noch nie irgendwas in Anspruch genommen,

jetzt müssen wir aber.

Sie haben sich ausgerechnet:

Zusammen würden sie knapp 780 Euro Hartz IV bekommen.

Für sie keine gerechte Lösung.

Wir dürfen nicht arbeiten zum Wohle der Allgemeinheit.

Das sehen wir ja auch ein.

Aber dann heißt es, für euch gibt es Grundsicherung,

die nicht mal unsere Fixkosten deckt.

Ohne Rücklagen wären wir schon lange verhungert.

Seit 16 Wochen haben wir beide keine Einkommen mehr.

Und leben von unseren Ersparnissen.

Wie fühlt sich das an, diesen Antrag ausfüllen zu müssen?

Niederschmetternd.

Ja, es ist wirklich niederschmetternd.

Es ist die Existenz...

...bedrohend, zerstörend.

Und wenn es so weitergeht,

werden wir nach 1/2 Jahr auch die Wohnung verlassen müssen.

So wie Anny und Thomas geht es vielen Freischaffenden.

Wohl keine Branche trifft es so hart wie den Event- und Kulturbereich.

(Merkel) Für den Publikumsverkehr zu schließen,

sind Bars, Clubs, Diskotheken, Kneipen und ähnliche Einrichtungen.

(Laschet) Viele Künstlerinnen und Künstler waren und sind verzweifelt,

weil ihre Lebensgrundlage wegen der vielen abgesagten Konzerte,

Ausstellungen und Veranstaltungen weggebrochen ist.

Düstere Prognosen gibt es viele,

aber wie vielen geht es wirklich so wie Anny und Thomas?

Wie viele stellen den Antrag?

Kommt da tatsächlich die große Hartz-IV-Welle?

So sieht Jobcenter in Corona-Zeiten aus.

Alles leer.

Sieht so aus, als wäre nichts los,

aber eigentlich ist viel mehr los als sonst.

Jobcenter-Chef Ingo Zielonkowsky

musste die komplette Arbeitsweise umstrukturieren.

Wir haben 10-mal mehr Anträge als sonst in diesem Bereich.

Das sind Existenzen, wo auch ganze Familien dranhängen.

Und da versuchen wir, so schnell wie möglich zu helfen.

Wie ist das für Leute, die aus einer Soloselbständigkeit kommen

oder vielleicht einen eigenen Betrieb haben, gut verdient haben,

jetzt hiermit aufgefangen werden? Wie ist das für die?

Niemand muss hungern, niemand verliert sein Dach über dem Kopf.

Das ist durch unseren Staat so, dass das soziale Netz hält,

aber es ist Grundsicherung.

Das ist für viele Menschen, die bisher gut verdient haben,

die einen entsprechenden Lebensstandard hatten,

ein ziemlicher Einschnitt.

Aber wir sind da beim Gesetzgeber,

der dieses Existenzminimum klar definiert hat.

Vom Gutverdiener zum Existenzminimum.

Mittlerweile ist das auch in meinem Bekanntenkreis angekommen.

Seit April leben Freunde einer Freundin von Hartz IV.

Ihr habt viele Schuhe.

Soll ich Schuhe ausziehen? (Frau) Nein, alles gut.

Adrian Korfmacher ist selbständiger DJ.

* Telefonklingeln *

Tut mir leid. - Kein Problem.

Das schalten wir mal kurz aus.

Ich kenne keine Leute, die noch ein Festnetz haben in unserem Alter.

Richtig hängen geblieben.

Ich sehe vielleicht jung aus, aber ich bin auch schon Mitte 30.

Aber ich bin ja so eine Art Berufsjugendlicher.

Stimmt, du bleibst einfach jung. - Genau, das hält auch jung.

Wobei ich sagen muss, das letzte halbe Jahr irgendwie trotzdem,

dass man frei hatte am Wochenende...

Irgendwie glaube ich, dass ich da ein bisschen mehr gealtert bin.

Warum? - Weil man sich einfach einen Kopf macht,

nicht mehr richtig schläft und Existenzängste hat.

Also ohne jetzt auf die Tränendrüse zu drücken.

Aber kann man sich vorstellen,

wenn auf einmal irgendwie der Boden wegbricht und die Perspektive

und auch die Identität ein bisschen.

Verständlich. Schließlich ist er direkt nach dem Studium

als DJ und Veranstalter eingestiegen und hat 10 Jahre gut davon gelebt.

Was ich mache, ist, Leute zum Tanzen bringen.

Ich gucke immer: Womit arbeite ich? Wen habe ich vor mir?

Was würdest du für mich jetzt spielen?

Ich würde bei dir z.B. mal...

Ich weiß nicht, ich würde was ausprobieren

und dann gucken, wie reagierst du darauf?

♪ Baby, you my everything, you all I ever wanted.

We could do it real big, bigger than you ever done it.

You be up on everything, other hoes ain't never on it.

I want this forever, I swear I can spend whatever on it.

Cause she hold me down... ♪

Vorher hat Adrian die Hip-Hop-Klubs in Deutschland gefüllt.

Gemeinsam mit seiner Freundin hat er außerdem eine Event-Firma.

Lena Watzlawik macht das Management.

Um in Corona-Zeiten noch was einzunehmen,

haben sie T-Shirts gedruckt.

Die zu verkaufen, lohnt sich aber nicht.

Denn jede Einnahme wird mit Hartz IV verrechnet,

und am Ende kommt dann kaum noch was bei ihnen an.

Durch die Grundsicherung leben wir von 10 Euro am Tag zusammen.

Das ist halt schon ein ganz krasser Realitycheck jetzt auf einmal.

Ist das eine Hilfe?

Das ist auf jeden Fall eine Hilfe.

Sonst hätten wir wahrscheinlich hier wieder ausziehen dürfen.

Könnt ihr nachvollziehen, wenn Kritiker sagen:

Dann müsst ihr euch einen anderen Job suchen,

ihr könnt uns nicht ewig auf der Tasche liegen?

Absolut. Also ich bin mir nicht zu schade, um bestimmte Jobs zu machen.

Es gibt nur gerade sehr wenig.

Angestellte bekommen in der Krise Kurzarbeitergeld.

Weil die beiden als Selbständige

nicht in die Arbeitslosen- versicherung eingezahlt haben,

bekommen sie nur Hartz IV.

Sie finden das nicht gerecht.

Meiner Meinung nach hätte es eine sehr, sehr faire Lösung gegeben.

Jeder von uns, der gewirtschaftet hat, hat Steuererklärungen gemacht

die letzten Jahre.

D.h. man hätte wie bei der Kurzarbeit auch den Leuten

60% des durchschnittlichen Einkommens geben können.

Somit hätte man einfach alle fair behandelt.

(Adrian) Wir sind einerseits superglücklich,

in einem sozialen Staat zu leben, der uns hilft.

Aber der hilft uns halt nur für die Öffentlichkeit,

haben wir das Gefühl.

Dass die Leute beschwichtigt sind, ah ja, da wird was getan.

Es ist aber das absolute Minimum, was getan wird,

dass die Leute vielleicht gerade nicht auf die Barrikaden gehen.

Vielleicht kommt das aber auch noch.

Hier demonstrieren Künstler, Beleuchter, Selbständige,

alle, die ihr Geld mit Veranstaltungen verdient haben.

Vorm Landtag fordern sie mehr Unterstützung.

Ich kann meine private Altersvorsorge

nicht weiter betreiben.

Ich kann meine Versicherungen nicht bedienen.

Es werden Hunderttausende Sozialhilfe-Empfänger

aus dieser Branche in den nächsten Jahren zu erwarten sein.

Ich mische mich unter die Demonstrierenden, um mal zu hören,

was sie bewegt, was sie sich anders wünschen

und warum sie so wütend sind.

Eine, die besonders enttäuscht ist, ist Britta Pätzold.

Ich möchte den Politikern sagen, dass sie uns nicht vergessen sollen.

Sie denken an TUI, an Lufthansa.

Die denken an alle,

aber die denken nicht an die Veranstaltungswirtschaft.

Sie sollen daran denken,

dass auch wir Geld zum Leben brauchen, Arbeit brauchen.

So viel Frust.

Aber klar, nach so großen Ankündigungen...

Industrie und Wirtschaft in Deutschland

können mit Unterstützung während der Corona-Epidemie rechnen.

Dieses Mal machen wir eine unbegrenzte Zusage.

Heute Morgen um 10 Uhr sind bereits 225.000 Zuschüsse ausgezahlt worden.

Die Bundesregierung hat in Sachen Corona-Hilfe noch mal nachgelegt.

Wir legen gleich, wenn ich das mal so sagen darf,

alle Waffen auf den Tisch.

Die Versprechen waren groß.

Keiner sollte auf der Strecke bleiben.

Dafür hat sich die Politik die Soforthilfe ausgedacht.

9.000 Euro waren das in NRW für Soloselbständige,

wovon sie allerdings nur 2.000 Euro für ihren Lebensunterhalt,

also Miete und Essen, verwenden durften.

2.000 Euro seit März.

Ich besuche Britta von der Demo.

Auch sie hat die Soforthilfe bekommen.

Aber schnell war klar, es reicht nicht.

Sie sah als letzte Möglichkeit nur Hartz IV.

Wow, das ist also dein Haus?

Ja, das ist mein Lebensprojekt hier.

So sieht es aus. Ganz schön großes Projekt, oder?

Ja, ganz schön viel Arbeit.

Wie viel Arbeit steckt da drin?

Seit 11 Jahren arbeiten wir daran.

Ich habe auch wirklich alles,

was ich jemals verdient habe, da reingesteckt.

3 Monate hat sie auf die 1. Zahlung vom Jobcenter gewartet.

Dabei braucht sie dringend Geld, um ihr Haus weiter abzubezahlen.

Das Problem: Bei Hartz IV wird die Miete übernommen,

aber nicht die Tilgung für ein Haus.

Hier wohnen übrigens meine Mieter.

Das hab ich halt auch mit vermietet.

Und zum Glück zahlen die die Miete noch.

Das Problem ist nur,

dass die Miete fast komplett vom Jobcenter abgezogen wird.

Und die Tilgung...

Also ich muss das Haus noch abbezahlen an die Bank,

dass ich das halt nicht bezahlen kann.

Normalerweise bezahle ich das über die Miete.

Und so kommt es zustande,

dass du wie viel dann am Ende noch vom Jobcenter bekommst?

Wir sind ja eine Bedarfsgemeinschaft von 3 Personen.

Für 3 Personen 546 Euro.

Insgesamt.

Bitte schön. - Danke.

Was machst du denn dazu?

Ketchup. - Ketchup.

Bedarfsgemeinschaft, d.h. Britta wohnt mit ihrer 11-jährigen Tochter

und Jamilas Vater zusammen.

Jetzt müssen sie zu dritt von Hartz IV leben.

Bisher hat Britta als selbständige Grafikdesignerin

das Geld für die Familie verdient.

Aber seit März sind ihr die Aufträge weggebrochen.

Ich kann dir mal zeigen,

womit ich mich 18 Jahre als Selbständige beschäftigt hab.

Ich habe ziemlich viel im Automobilbereich gemacht.

Hier Eventgrafik, Briefpapier.

Hier noch Flyer, Programmhefte.

Das, was gedruckt wird und was genau für diesen Event gebraucht wird

für diese Veranstaltung.

Jetzt, wo es keine Veranstaltungen gibt, hast du keine Aufträge?

Da hab ich keine Aufträge.

Und das ist so traurig, dass...

...ich das gerade nicht weiterverfolgen kann.

Brittas größte Angst ist, das Haus zu verlieren.

Denn das ist ihre private Altersvorsorge.

Als Selbständige hat sie

nicht in die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt.

Jeder wird sagen,

dass ich auf hohem Niveau klage mit so einem schönen Haus.

Aber ehrlich gesagt, wenn jetzt nicht wirklich was passiert,

wenn ich keine Aufträge mehr bekomme oder keinen anderen Job finde,

dann ist das Haus hier weg.

Dann wars das.

Das ist mein Lebenswerk.

Es geht mir sehr schlecht.

Es geht mir auch sehr schlecht, dass ich meiner Tochter bei allem,

was sie mich fragt, Mami, können wir das machen können,

immer wieder Nein sagen muss,

du weißt doch, wir haben kein Geld, du musst dich daran gewöhnen.

Es geht alles nicht mehr.

Es ist demütigend.

Man wird auch nicht gerade sehr gut behandelt beim Jobcenter.

Es macht Depressionen.

Es gibt mir schlaflose Nächte.

Ich weiß nicht, ob man meine Augenringe sieht.

Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in Hartz IV.

Das begegnet mir bei dieser Recherche immer wieder.

Es ist natürlich nichts Neues, auch für den Verein Tacheles nicht.

Hier kämpfen sie seit Jahren für die Rechte von Hartz-IV-Empfängern.

Harald Thomé hilft jetzt auch den Neuen

bei ihren Problemen mit dem Amt.

In Corona-Zeiten am Telefon.

Kriegt er keine Hartz-IV-Leistungen im Haushalt der Mutter,

das geht nicht.

Um die 50.000 Menschen in NRW sind durch die Pandemie

innerhalb weniger Monate zusätzlich in Hartz IV gekommen.

Das merkt er auch hier in der Beratung.

Jetzt muss ich kurz einen Vermerk noch machen.

Wir haben vor Corona, so sagt man jetzt schon mittlerweile,

in der Vor-Corona-Zeit haben wir in der Woche

ungefähr 50 Beratungsanfragen gehabt.

Jetzt sind wir ungefähr bei 120.

D.h. es ist deutlich mehr geworden.

Ich rechne damit, dass es auch noch deutlich mehr werden wird.

Es wird für die neu ins Hartz-IV-Kommenden

ein richtig böses Erwachen geben.

Weil sie einfach mit der gesamten Bürokratie von Hartz IV

konfrontiert werden.

Weil sie damit konfrontiert werden, wie mit ihnen umgegangen wird.

Und dann werden sie das erleben, was alle erleben,

dass die Unterlagen die sie eingereicht haben, verloren gehen.

Dass die E-Mail-Adresse, die das Jobcenter angibt

auf der Webseite nicht erreichbar ist, dass die Sachen zurückgehen.

Und solche Dinge halt.

Das ist der Hartz-IV-Alltagsblues,

den alle sonst kennen, mit dem sie jetzt konfrontiert werden.

Und das wird kommen.

Was ihn ärgert, endlich gibt es flexiblere Regeln,

aber eben nur übergangsweise.

Er würde sie sich dauerhaft

auch für die bisherigen Bezieher wünschen.

Wenn ich mir die Politik angucke, dann ist wieder mal zu spüren,

dass die Politik und Verwaltung keinen Millimeter

auf die alten Hartz-IV-Empfänger, ungefähr 10 Mio. Menschen,

Hartz IV, Grundsicherung im Alter,

Sozialhilfe und Asylbewerberleistungsgesetz,

keinen Millimeter auf die Leute zu macht.

Dringend notwendig ist ein Corona-Zuschlag.

Dringend notwendig sind die gestiegenen Mehrkosten,

die durch die Lebensmittel entstehen.

Das muss umgesetzt werden.

Aber das, was die alten, kranken, kaputten und langzeitarbeitslosen

Menschen und Alleinerziehenden betrifft, ist Berlin scheißegal.

Marco Cziommer ist einer von denen,

die schon länger Hartz IV bekommen.

In der Krisenzeit erwartet er wenig von den Behörden.

Und ist jetzt selbst aktiv geworden, um anderen Bedürftigen zu helfen.

Wir fahren zu einer Dame aus dem Dorf,

die in ihrer Freizeit die Masken für die Bürgerhilfe näht.

Die hat welche fertig, die können wir abholen.

Da fahre ich jetzt hin.

So, bitte schön, die nächste Charge ist jetzt fertig.

Danke schön, wünsche Ihnen noch ein schönes Wochenende.

Ihnen auch, bis dann.

Marco verteilt die Masken an andere, die sich keine leisten können.

Die Bürgerhilfe gibt es erst seit Corona,

weil viele Bedürftige sich in dieser Zeit alleingelassen fühlten.

Marco koordiniert die Hilfen an seinem Computer.

Wer braucht was? Wer kann es besorgen?

Ehrenamtlich natürlich.

Du bist gelernter Maler, du warst selbständig,

hast dann den Betrieb verloren und bist so dann in Hartz IV gelandet.

Was entgegnest du Kritikern, die sagen:

Du hast Zeit, eine Bürgerhilfe zu machen,

du hast Zeit, ehrenamtlich zu arbeiten,

warum arbeitest du dann nicht offiziell und verdienst damit Geld?

Ich hab da weniger die Probleme mit,

weil ich auch sehr offensiv mit diesen Sachen umgehe.

Ich hätte auch kein Problem damit, so jemandem zu sagen:

Wir 2 fahren jetzt zum Amt, fahren zum Arbeitsvermittler.

Dann guckst du mal in die Akte, was ich alles versucht habe,

um Arbeit zu bekommen.

Wir haben teilweise wütend dort gestanden und haben gesagt,

wir bestehen darauf, Arbeit zu bekommen.

Dann wird einfach mit den Armen gewackelt

oder mit dem Kopf geschüttelt.

Sie können Paketzusteller werden oder Kurierdienstfahrer.

Das kann ich aufgrund der vielen Bandscheibenvorfälle nicht.

Der Rest interessiert niemanden.

Das Ziel, dass jemand in Arbeit kommt,

ist nicht oberstes Ziel der Ämter.

Soll ich dir was tragen helfen?

Wir können eigentlich direkt reingehen.

Nimmst du die Kiste, die ist nicht ganz so schwer.

Dann nehm ich die Wasserkiste.

Seit 11 Jahren ist hier Marcos Zuhause.

Hier wohnt er mit seinem Mann Guido und Guidos Sohn Kevin aus 1. Ehe.

Auch Guido bekommt Hartz IV, denn er bleibt zu Hause,

um Kevin zu pflegen.

Sein Sohn ist entwicklungsverzögert und Autist,

hat den zweithöchsten Pflegegrad.

Das Thema Einkaufen, Thema Essen beschäftigt uns locker 1 h am Tag.

Jeden Tag? - Ja klar.

Das fängt an, dass man abends vorher sich schon überlegen muss,

was wird gemacht? Was ist da? Was kann man kaufen?

Und dann musst du wirklich alle Anzeigenblätter durchblättern.

Wir gehen schon wöchentlich die Prospekte durch

und schreiben auf so Zettel wie jetzt hier, wenn es Angebote gibt,

die werden auch mit Preis daneben geschrieben.

Dann fahren wir auch 3, 4 Läden ab.

Es muss alles geplant werden.

Da musst du überlegen: Kann ich den Einkauf so machen?

Brauche ich nicht zum Ende des Monats

vielleicht irgendwie doch noch Geld?

Es ist schon wirklich ein Balanceakt.

Wir haben auch schon mit Taschenrechner

durch den Laden gelaufen, oh ja, mit Taschenrechner.

Um zu gucken, dass wir mit dem Geld

alles bekommen können, was wir auf dem Zettel stehen haben.

Die beiden haben schon für viele Leistungen vor Gericht gekämpft.

Aktuell waren es ein paar Euro mehr im Monat für warmes Wasser

wegen des vielen Händewaschens.

Wir haben halt auch einen Mehrbedarf beantragt,

relativ am Anfang als Corona losging.

Und sind in die Läden gefahren, haben Fotos dem Gericht geschickt.

Dass diese Produkte nicht verfügbar sind, haben Belege geschickt,

z.B. vom Rewe, dass es Lieferengpässe gibt.

Dann belegst du das Ganze und bekommst als Antwort:

Na und? Dann gehen Sie doch zur Tafel.

Man wird ja als Hartz-IV-Empfänger

letztendlich auch als Mensch unterer Klasse quasi gewertet.

Indem man vom Gericht gesagt bekommt:

Sie haben kein Anrecht auf Masken.

Sie können sich auch ein Tuch vors Gesicht halten.

Klar kann ich das. Aber muss ich das? Nein.

Ein Luxus, den die beiden sich gönnen,

sind 3 bis 4 Zigaretten am Tag.

Die billige Variante, selbst gestopft.

Das ist übrigens meine Sparzigarette,

die sehen fast immer so aus.

Guido, kannst du noch ein Feuerzeug und einen Aschenbecher holen?

D.h. du knipst die dann vorne ab?

Ja, ich mache da halt nur die Hälfte an Tabak rein.

Dann kann ich vielleicht mal 4 rauchen anstatt 3.

Was will man machen?

Da hat Guido ja Glück, dass er eine Ganze gekriegt hat.

Ja, ausnahmsweise, aber nur weil du da bist.

Nein, ganz so schlimm ist es nicht.

An den Punkt, wo Marco ist,

wollen Anny und Thomas auf keinen Fall kommen.

Ich treffe die beiden an ihrer Heimatbühne.

Anny tritt hier regelmäßig auf. Eigentlich.

Ihr Programm ist v.a. politisch.

Auch Hartz IV war schon Thema.

Jetzt soll es langsam wieder losgehen. Eingeschränkt.

(Thomas) Das ist das Theater 509 im Bürgerhaus Stollwerck.

Das hat normalerweise knapp 100 Plätze.

(Anny) Man sieht, es ist sehr lückenhaft bestuhlt.

Das ist halt das nach den aktuellen Regeln.

Das ist jetzt natürlich, ich sage mal so, nix mehr fürs Geldverdienen.

Wie geht es euch denn?

Dürftig würde ich mal sagen.

Mit unserem Antrag nicht wirklich viel erreicht.

Wie ging es denn weiter?

Wir haben diesen übersichtlichen, vereinfachten Antrag eingereicht

und bekamen dann von dem Sachbearbeiter eine Mail

mit unfassbar vielen Dokumenten, die er immerhin angehangen hatte.

Also er hat es nicht genauso geschrieben, aber nach dem Motto,

was interessiert mich, was die Politiker erzählen?

Das Sozialgesetzbuch ist nicht geändert,

ich behandle jeden Hartz-IV-Antrag gleich.

Und das, obwohl die Politik den vereinfachten Corona-Antrag

versprochen hat, bei dem sie die Wohnung und ein gewisses Vermögen

erst mal behalten können und nicht direkt nach neuen Jobs

suchen müssen wie sonst bei Hartz IV.

Zum Glück sind wir uns einig.

Wir haben beide sofort gesagt:

Nee, das widerspricht unserer Menschenwürde.

Wir haben beide gesagt, wir stellen die Kommunikation jetzt ein.

Der soll uns die Absage schicken, und gut ist.

Was ist euer Plan? Wie geht es jetzt weiter?

Weil du es gerade gesagt, eigentlich braucht ihr das Geld.

Wir gehen jetzt an die Altersvorsorge.

Wir leben eh schon seit mehr als 3 Monaten von unseren Ersparnissen.

Jetzt 4 schon, wir haben schon Juli, das sind schon 4.

Und die Ersparnisse sind jetzt,

und nur weil wir ganz gut im Geschäft waren,

hatten wir so viele Ersparnisse, die sind jetzt weg.

Jetzt müssen wir halt schauen, dass wir uns vielleicht

von Freunden Geld leihen oder die Altersvorsorge auflösen.

Das wäre jetzt meine Rentenversicherung,

meine Lebensversicherung, die mir in 7 oder 8 Jahren ausgezahlt werden.

Dass ich da jetzt die auflöse.

Also die Altersarmut von uns Soloselbständigen,

Kulturschaffenden, ist vorgezeichnet.

Obwohl wir so gut gewirtschaftet haben die letzten 20, 30 Jahre.

Und wir auch immer pünktlich unsere Steuern entrichtet haben.

Werden uns jetzt von den Leuten, die von unseren Steuern leben,

wird uns der Geldhahn zugedreht.

Das ist eine absolut perverse Situation.

Es ist schon so, dass manche Kulturschaffende

so verzweifelt sind, dass sie sich umbringen.

Ich habe gestern ein Gespräch mit einem Schauspieler gehabt.

Der sagte auch, dass sich 2 seiner Freunde umgebracht haben.

Die Frau von dem einen hat ihm den Abschiedsbrief gezeigt.

Er hat gesagt,

er hätte an keinem Punkt diesem Brief widersprechen können.

Und er sagte auch, er steht am Abgrund

und weiß noch nicht, wann er fällt.

In der Krise zeigt sich eins ziemlich deutlich:

Hartz IV ist ein starres System, das gerade jetzt an seine Grenzen kommt.

Wer sich etwas aufgebaut hat, dem bricht früher oder später alles weg.

Die meisten fängt das soziale Netz erst auf,

wenn sie ganz unten angekommen sind.

Die Hartz-IV-Welle ist bisher vielleicht kleiner als befürchtet.

Aber keiner weiß,

wie viele den Antrag in den nächsten Monaten noch stellen müssen.

Ich treffe Britta wieder, sie hat gute Nachrichten.

Die Bank gibt ihr einen Aufschub.

Bis Ende des Jahres

muss sie ihr Haus erst mal nicht weiter abbezahlen.

Wie fühlt sich das an, dass dir mal jemand entgegenkommt

und nicht immer nur was verwehrt wird?

Gut, sehr, sehr gut, wirklich.

Also...

Es ist einfach gerade eine so schwierige Situation.

Es werden einem so viele Steine in den Weg gelegt

vonseiten der Politik.

Ich glaube schon gar nicht mehr an den Menschen.

Ich glaube gar nicht mehr an das Gute.

Das fühlt sich dann, wenn doch was Gutes kommt,

einfach sehr gut an, wirklich sehr gut.

Endlich aufatmen, aber nur kurz.

Ihr Problem ist dadurch natürlich nicht gelöst,

sondern nur aufgeschoben.

Trotzdem ich muss jetzt gucken, was möglich ist.

Ich muss natürlich auch gucken, dass ich dann so viel verdienen kann,

dass ich meine Kosten gedeckt bekomme.

D.h. ich kann mich jetzt nicht auf einen Teilzeitjob bewerben

oder auf einen 450-Euro-Minijob.

Das geht nicht.

Ich muss dann wirklich einen guten Festjob...

Damit du auch das Haus weiter halten kannst. - Richtig.

Adrian ist schon voll dabei, nach Wegen zu suchen, raus aus Hartz IV.

Er macht eine selbst bezahlte Fortbildung

zum Social Media Manager, um noch ein neues Standbein zu haben,

vielleicht so einen festen Job zu kriegen.

Und er hat sein DJing ins Netz verlegt.

Live streamt er ins Internet, wie er auflegt

und versucht dort, weiter die Leute zum Tanzen zu bringen.

Das läuft auf Spendenbasis.

Aber ohne Hartz IV geht es erst mal nicht.

Natürlich bringt Weinen und Depressionen nicht viel.

Aber das ist irgendwie der natürliche Mechanismus.

Da haben wir uns jetzt, soweit es geht, mental irgendwie rausgeboxt.

Aber es geht einem natürlich nicht weiter gut,

weil man existenzielle Ängste hat.

Was hilft dagegen? - Was hilft dagegen?

Ja, sich viel ablenken, viel guten Input.

Ja, so Alternativen wie z.B. Onlinestreaming machen,

damit man einfach das, was man immer gemacht hat,

einfach noch ein bisschen beibehält.

Mit Freunden reden, hilft auf jeden Fall.

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