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Youtube videos, Zuwanderung - Gewinn oder Verlust?

Zuwanderung - Gewinn oder Verlust?

Untertitelung: BR 2018

Wenn ich sage: Deutschland ist ein Einwanderungsland.

Dann sagen inzwischen bestimmt alle: Da hat er recht.

Das war's aber auch mit den Gemeinsamkeiten.

Beim Thema "Zuwanderung"

prallen die Meinungen von Gegnern und Befürwortern krass aneinander.

Ich finde Zuwanderung gut.

Das ist die einzige Möglichkeit, weiterzukommen. - Warum?

Weil wir genügend Bedarf haben.

Ich merke, dass alles dreckiger wird. Dass Wohnraum knapper wird.

Dass alles teurer wird. Wir zahlen.

Es ist die unkontrollierte: Das ist unser Problem.

Wenn es etwas einfacher wäre, das wäre schön.

Wir haben viele arbeitslose Ausländer. Die leben vom Sozialamt.

Ohne Ausweis, ohne Aufenthalt, die meisten. Man kriegt gar nix.

Deswegen sind viele auf der Straße.

Diebstahl und so ist häufig geworden.

Missgunst ist viel dabei.

Wenn ich schon anderen die Grundsicherung nicht gönne,

das ist traurig.

Spricht für die Gemütslage von denen, die das Gefühl haben,

sie haben nicht genug.

Ich find's bereichernd. - Ja?

Ja. - Warum?

Weil ich es schön finde, wenn wir eine bunte Gesellschaft sind

und verschiedene Prägungen und Meinungen

und Kulturen unter uns haben.

Ich hab nix gegen Leute, die reinkommen aus bestimmten Gründen.

Irgendwo ist es zu viel.

Die einen sprechen von "kultureller Vielfalt"

oder "Fachkräftepotenzial".

Und die anderen?

Die warnen vor der "Einwanderung in unser Sozialsystem",

vor dem "Verlust unserer nationalen Identität"

oder dem "Kampf der Kulturen".

Das spaltet in jedem Land die Gesellschaft

und führt zu Demonstrationen.

Letztlich ist die Frage, um die sich Befürworter und Gegner streiten:

Ist Einwanderung für uns ein Gewinn oder ein Verlust?

Was ist Zuwanderung überhaupt?

Zuwanderung oder Migration ist keine Besonderheit der Neuzeit,

sondern gab es schon immer.

Schon in der Antike verließen Menschen

wegen Kriegen oder Umweltkatastrophen ihr Zuhause,

um in der Fremde bessere Lebensbedingungen zu finden.

Im 4.Jh. nach Christus

verursachten die Hunnen die sogenannte Völkerwanderung:

Eine 200 Jahre andauernde Fluchtbewegung.

V.a. germanische Stämme drängten nach Süd-, West- und Mitteleuropa.

Damals wurde Europa völlig neu geordnet.

Auch der 30-jährige Krieg und die beiden Weltkriege im 20.Jh.

führten in Europa zu massenhafter Flucht und Vertreibung.

Die Migrationsrouten und -ziele ändern sich,

aber die Ursachen bleiben dieselben:

Krieg, wirtschaftliche Not, religiöse Verfolgung

oder auch der Anreiz für Bildungseliten,

in einem anderen Land bessere Arbeit oder mehr Lohn zu bekommen.

Heute ist Deutschland das beliebteste Einwanderungsland in Europa.

Und nach den USA das zweitbeliebteste auf der Welt.

Die Mehrheit der Zuwanderer kommt aktuell aus der Europäischen Union:

Um hier zu arbeiten, zu studieren oder eine Ausbildung zu machen.

Die meisten von ihnen aus Rumänien, gefolgt von Polen.

Weiterhin kommen viele Menschen auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung.

Ein Teil dieser Asylbewerber wird als Flüchtling anerkannt

und darf in Deutschland bleiben.

Außerdem kommen Zuwanderer im Rahmen einer Familienzusammenführung

oder des Familiennachzugs nach Deutschland,

weil ihre Ehepartner oder Kinder

schon als anerkannte Flüchtlinge hier leben.

Insgesamt wanderten im Jahr 2017

ca. 1,5 Mio. Menschen nach Deutschland ein.

Neben der Zuwanderung

gibt es natürlich auch eine Abwanderung aus Deutschland.

Die betrug 2017 etwa 1,1 Mio. Menschen.

Es gibt also verschiedene Gründe, warum Menschen eingewandert sind.

Und es gibt schon immer die einen, die sagen,

Zuwanderung ist eine Chance.

Und für die anderen ist Zuwanderung eher eine Bedrohung.

Das hängt auch immer davon ab,

was sich die Leute von Zuwanderung erwarten.

Ich frage genauer nach.

Das ist Selen Gürler.

Mit 6 Jahren kam sie mit ihrer Mutter

aus der türkischen Stadt Izmir nach Deutschland.

Kann ich was abnehmen?

Das wäre lieb, der Korb ist ein bisschen schwer.

Danke schön. - So bin ich.

Ihre Familie ist damals aus der Türkei nach Deutschland gekommen.

Wann war das genau?

Das war 1982, 83.

Da kam meine Mutter als Türkischlehrerin nach Bayern.

Ist das der richtige Käse? - Genau.

Wollen wir noch nach den Gewürzen schauen? Das fehlt uns noch.

Warum ist Ihre Familie nach Deutschland gekommen?

Deutschland war damals, angefangen von den 60er-Jahren,

ein Gastarbeiter-, Einwanderungsland.

Es war auch ein Traum, nach Deutschland zu kommen.

Besonders nach Bayern,

weil es damals die besten Gehälter für Lehrer bezahlt hat.

Deshalb hat meine Mutter sich dafür beworben.

Hat auch vorher Deutsch gelernt. Und kam hierher.

Wie ging's für Sie persönlich weiter?

Auf dem Gymnasium war ich die Ausnahme.

Es gab Kinder, die kamen aus gemischten Familien.

Da war die Mutter spanisch und der Vater deutsch.

Oder vietnamesisch und deutsch.

Aber dass beide Elternteile türkisch sind, mit Migrationshintergrund,

das war die absolute Ausnahme dort.

Ich habe jedes Mal gemerkt, dass ich anders bin.

Ich bin dann türkisch, das hat man immer gespürt,

ab einem gewissen Punkt.

Wie war es für Ihre Mutter als Lehrerin hier in Deutschland?

Das ist eine gute Frage.

Ich glaube schon, dass sie Schwierigkeiten hatte,

sich einzugewöhnen: andere Kultur, anderes Land, andere Sprache.

Auch eine andere Mentalität, Lehrer zu sein.

Dann hat sie sich eigentlich gut zurechtgefunden.

Dann kamen die anderen Fragen: Sie tragen gar kein Kopftuch.

Essen Sie denn Schweinefleisch?

Sucht die Familie die Person aus, die Sie heiraten müssen?

Diese ganzen Vorurteilsfragen kamen aneinandergereiht.

Dass Menschen auf der Suche nach einem besseren Job zuwandern,

das gibt's schon lange.

Ebenso alt ist die Geschichte von Menschen,

die auf der Flucht nach Deutschland kommen.

Arbeitsmigranten kommen nicht nur auf eigene Faust,

sie werden auch angeworben.

Von 1880 bis 1914 holt die expandierende Industrie so

an die 1,2 Mio. "Wanderarbeiter" nach Deutschland,

v.a. aus dem damals preußischen Teil Polens.

Als es nach dem Zweiten Weltkrieg

wirtschaftlich wieder steil bergauf geht,

fehlen der Bundesrepublik Arbeitskräfte.

Ab 1955 schließt sie daher mit Italien, Griechenland, Spanien,

der Türkei und anderen Ländern Anwerbeabkommen.

Die sogenannten Gastarbeiter

tragen viel zum wirtschaftlichen Aufstieg der Bundesrepublik bei.

Nach der Ölkrise 1973 verhängt die Regierung einen Anwerbestopp.

2004 bekommen EU-Bürger das Recht, in allen EU-Ländern zu arbeiten.

Das nutzen nach den Finanzkrisen auch viele Ost- und Südeuropäer.

Für Nicht-EU-Bürger ist es komplizierter.

Seit 2012 wird es für gesuchte Fachkräfte

auch ohne EU-Pass leichter.

Über die Blaue Karte EU und Sondervisa für Hochqualifizierte

kamen so im Jahr 2017 gut 38.000 Erwerbszuwanderer

aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland.

Auch Zuwanderung auf der Flucht vor Krieg, Terror und Hunger

ist alles andere als neu.

In der Weimarer Republik 1918 bis 1933

suchen nach der kommunistischen Revolution

in Deutschland rund 600.000 russische Flüchtlinge Schutz,

vor allem in Berlin.

Juden fliehen vor antisemitischen Pogromen aus Ost— und Südosteuropa.

Etwa 70.000 beantragen bis 1921 Asyl.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs

kommen Flüchtlinge und Vertriebene aus dem ehemaligen deutschen Reich,

aus Ost-, Mittel- und Südeuropa nach Deutschland.

12,5 Mio. bis zum Jahr 1950.

Ab 1953 regelt das Bundesvertriebenengesetz,

dass Deutschstämmigen als Aussiedlern

die deutsche Staatsangehörigkeit zusteht.

Mit dem Ende des Kalten Krieges und der Öffnung der Grenzen 1989

kommen viele Asylsuchende

aus den ehemals kommunistischen Staaten Ost- und Südeuropas.

Die Asylbewerberzahlen erreichen 1992 mit 438.000 einen Höchststand.

Die meisten sind Flüchtlinge aus dem zerfallenden Jugoslawien.

Zugleich breitet sich eine ausländerfeindliche Stimmung aus.

Die Zahl rassistischer Ausschreitungen steigt.

Eine Debatte über das Asylrecht

spaltet das wiedervereinte Deutschland.

Nach Brandanschlägen auf Asylbewerberheime

in Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen

verabschiedet der Bundestag den sogenannten Asylkompromiss,

der das Asylrecht stark einschränkt.

Die Zahl der Bewerber sinkt massiv. Bis 2008 auf 28.000.

Fluchtbewegungen und Mobilität nehmen zu, weltweit.

Es fliehen immer mehr Menschen,

vorwiegend aus arabischen und afrikanischen Ländern.

Die Fluchtbewegung nach Deutschland erreicht 2015 ihren Höhepunkt.

Seitdem sinkt die Zahl der Asylanträge,

obwohl die weltweite Flüchtlingskrise anhält.

Einerseits hoffen Zuwanderer

auf bessere Jobs und bessere berufliche Perspektiven.

Auf der anderen Seite erhoffen sich viele Menschen in Deutschland

positive Effekte durch Zuwanderung.

Denn die deutsche Bevölkerung schrumpft.

Heute leben hier 83 Mio. Menschen.

Im Jahr 2060 werden es nur noch 68 bis 73 Mio. Menschen sein,

schätzt man.

Ich habe mir mal die Zahlen angeschaut,

wie alt wir im Jahr 2060 sind. Da bin ich auch schon 70.

Wenige Junge gibt es und ultraviele Alte.

Viele Hundertjährige.

Im Vergleich zu 2013 werden die Menschen immer älter.

Das Problem mit dem "immer älter werden" kann man nicht stoppen.

Sagen zumindest Experten.

Könnte man aber durch Zuwanderung abmildern,

wenn die Leute, die kommen, auch jung sind.

Mehr und jüngere Arbeitskräfte:

Das erhofft sich auch die deutsche Wirtschaft von der Zuwanderung.

Ich bin in Gilching, im Westen von München.

Hier um die Ecke habe ich einen Termin.

Wir müssen heute wegen der kalten Temperaturen

den Auftrag für die Glasreinigung verschieben.

Hier ist es wichtig, dass wir genau dosieren.

Markus Wasserle ist Inhaber einer Gebäudereinigungsfirma.

Mit 19 Jahren fing der gelernte Landmaschinen-Mechaniker

als Reinigungskraft an, im Nebenjob.

Seit er 23 ist, ist er nun sein eigener Chef.

Herr Wasserle, servus. - Grüß Sie, Herr Leidecker.

Darf ich Ihnen ein paar Flaschen mitgeben?

Ja klar, ich helfe gerne. - Das ist ganz nett.

Dann brauchen wir von vorne auch noch was.

Sie sind inzwischen schon relativ groß?

Zumindest nach dem Lager zu urteilen?

Wir beschäftigen rund 300 Mitarbeiter in unserer Firma.

D.h. jedes Jahr 30 bis 40 neue Kolleginnen und Kollegen

im Schnitt in den letzten 5 Jahren.

Und heute boomt's?

Heute boomt's dank dem Bauboom in München.

Es gibt laufend neue Gebäude. Die brauchen alle Reinigung.

Das funktioniert nur

mit vielen Menschen in den Gebäudereinigungs-Unternehmen.

Wie läuft es mit der Mitarbeitersuche bei Ihnen?

Ist das schwer?

Ich mache das schon knapp 20 Jahre. So schwer wie heute war es noch nie.

Wir haben einen Mangel an Arbeitskräften,

wie es ihn noch nie gab.

Da muss man sich neue Mittel einfallen lassen,

dass man überhaupt Aufträge abwickeln kann.

Wie läuft dann Ihre Suche nach Arbeitskräften?

Man muss sehr erfinderisch sein.

Wir haben teilweise Methoden wie Ebay-Kleinanzeigen,

wo man Stellenanzeigen aufgeben kann.

Wenn heute jemand eine Arbeit sucht in diesem Niedriglohnsektor,

dann braucht er sie in der Regel sofort.

Wer meldet sich auf Ihre Jobangebote?

Früher haben wir noch den ein oder anderen Deutschen gehabt,

der bei uns angefangen hat.

Mir fällt auf, dass das heute überhaupt nicht mehr der Fall ist.

Deutsche arbeiten in aller Regel nicht mehr als Reinigungskräfte.

Ihre Mitarbeiter kommen aus fast 30 Nationen.

Ich kann mir vorstellen, dass es da einige Herausforderungen gibt.

Zum einen geht's um die kulturellen Unterschiede,

die man berücksichtigen muss bei der Zusammenstellung der Teams.

Zum anderen sind es fehlender Wohnraum,

fehlende sprachliche Qualifikationen.

Auch die Qualifizierung im fachlichen Bereich

geht immer bei Null los.

Da haben Sie als Unternehmen einen riesigen Berg an Aufgaben.

Hoffnung gibt's auf beiden Seiten.

Von den Unternehmern in Deutschland, aber auch von den Zuwanderern.

Doch manche sehen das Ganze auch kritisch.

Rechte Kreise z.B.

warnen vor der "Einwanderung in unsere Sozialsysteme".

Kostet uns der Zuwanderer wirklich mehr, als er uns bringt?

Genau das will ich in Nürnberg von einem Mann wissen,

der sich seit Jahren mit dem Thema "Migration und Arbeit" beschäftigt.

Viele Büros, viel Verwaltung.

Da muss ich hin.

Herbert Brücker ist Migrationsforscher.

Sein Arbeitgeber ist das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung,

und das wiederum gehört zur Bundesagentur für Arbeit.

Hallo Herr Brücker. Darf ich reinkommen?

Gern. Schönen guten Tag.

Viele Stimmen sagen:

Die Leute, die zu uns kommen, sind wenig qualifiziert,

unterwandern unser Sozialsystem, es droht der Kollaps.

Was sagen Sie denen?

Die Zuwanderer sind viel qualifizierter,

als wir uns vorstellen.

Wir haben normalerweise bei der Zuwanderung,

wenn wir die Flüchtlinge rausnehmen, 35-40% Hochschulabsolventen.

Aber nur knapp 25% Hochschulabsolventen

der deutschen Bevölkerung.

Wir haben, das gehört auch zur Wahrheit,

knapp 30%, die keine beruflichen Abschlüsse haben.

D.h. wir haben Zuwanderer, die sind viel besser qualifiziert

als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung,

aber auch welche, die schlechter qualifiziert sind.

Der zweite Irrtum ist, dass man denkt,

wir brauchen nur qualifizierte Arbeitskräfte.

Gegenwärtig wächst in Deutschland viel stärker als im Durchschnitt

die Beschäftigung in sog. Helferberufen.

Einfache Dienstleistungen, Security,

Gastronomie, Reinigungsgewerbe, Änderungsschneidereien.

Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten?

Ja gerne. Da vorne, oder?

Während wir gehen, habe ich noch eine Frage:

Viele fürchten Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, Wohnungsengpässe

oder auch Engpässe bei Kitaplätzen z.B.

Wie sehen Sie das?

Die meisten dieser Ängste sind nicht berechtigt.

Fangen wir mit den Jobs an.

Die meisten denken, wir haben mehr Arbeitskräfte,

dann muss der Lohn sinken oder die Jobs verschwinden.

In Wahrheit wird mehr investiert, die Löhne bleiben gleich

und wir sehen keine Verdrängungseffekte.

Wir haben im Moment

so viel Zuwanderung wie noch nie in Deutschland,

gleichzeitig sinkt die Arbeitslosigkeit so stark

wie auch noch nie.

Diese beiden Bilder muss man zusammenbekommen.

Gerade die deutschen Arbeitskräfte sind die Profiteure der Zuwanderung.

Wenn es Konkurrenz gibt, dann bei Migranten.

Die konkurrieren in denselben Arbeitsmarktsegmenten.

Migranten brauchen auch mehr Infrastruktur,

schicken ihre Kinder in Schulen und Kitas.

Natürlich muss die Infrastruktur mitwachsen.

Das schlimmste Szenario ist ein Szenario, wo Regionen schrumpfen.

Wenn wir aufs Land in Deutschland gehen,

wo wir immer weniger Kitas und Schulen haben,

weil wir Landflucht haben, da sind die Menschen unzufrieden.

Wenn man sich Meinungsumfragen anschaut:

Wo ist die Ausländerfeindlichkeit groß?

Wo sind die Leute gegen Migration?

Dann ist das auf dem Land, wo wir gar keine Migranten haben.

Von draußen ist das Ganze ein bisschen trist.

Hier drinnen ...

Das ist gerade umgebaut worden.

Das Wirtschaftliche ist das eine.

Auf der anderen Seite gibt's die Ängste,

dass sich in unserer Gemeinschaft kulturell was verändert.

Ich glaube, das ist der Kern des Problems.

Die Menschen haben Angst vor Veränderung,

dass sie ihre kulturelle Identität verlieren.

Als die Italiener gekommen sind nach Deutschland, waren sie unbeliebt.

Es kamen Machos, die haben unsere Frauen bedroht.

Es gab Vergewaltigungsfantasien, Kriminalität.

Zum Teil gab's das auch. Die Kriminalität ist gestiegen.

Die Italiener sind heute die beliebteste Ausländergruppe.

Im Arbeitsmarkt performen sie nicht so super.

Aber wir haben uns mit dieser Kultur angefreundet.

Keiner mag sich Deutschland vorstellen ohne Pizza.

So verändern wir uns fortlaufend.

Jeden Tag verändert sich unsere Gesellschaft durch Zuwanderung.

Wir verändern uns und die Migranten verändern sich.

Das schlimmste Szenario ist eine Gesellschaft,

die keine Vielfalt hat.

Solche Gesellschaften erstarren,

sind nicht mehr innovationsfähig, überaltern und werden absteigen.

Zuwanderer lassen sich nicht alle über einen Kamm scheren.

Dafür sind berufliche Qualifikation und Bildungsstand

einfach zu unterschiedlich.

Deshalb ist es so, dass sich die einen und ihre Nachkommen

auf dem deutschen Arbeitsmarkt integrieren

und die anderen vielleicht eher nicht.

Experten sagen, die Mehrheit der aufnehmenden deutschen Gesellschaft

wird vom Arbeitsmarkt mit Zuwanderern wohl profitieren,

aber es werden nicht alle gewinnen.

Wie kann man so eine Einwanderungsgesellschaft gestalten?

Könntest du mir das rüberschicken? Dann schau ich's mir an.

Ich schau mir noch mal den Artikel an.

Die Lösung für viele: ein flexibles Einwanderungsgesetz.

Das Ziel: Die Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften

außerhalb der EU soll gezielt und geordnet ablaufen.

Entscheidend ist dabei der Bedarf der deutschen Wirtschaft

und die Qualifikation der Arbeitskräfte,

die einwandern wollen.

Kriterien dafür sind die Ausbildung, ein abgeschlossenes Studium,

aber auch Sprachkenntnisse, das Alter

oder bereits konkrete Jobangebote.

Beim Thema Zuwanderung

geht es nicht nur um die Integration auf dem Arbeitsmarkt,

es geht um viel mehr eigentlich.

Es geht um unsere Gesellschaft. Um die Fragen:

Wer wollen wir sein? Wo wollen wir hin?

Was wollen wir vielleicht nicht sein?

Ich mache mich noch mal auf den Weg zu Markus Wasserle.

Wir haben heute wieder Deutschunterricht.

Ich habe euch Blöcke mitgebracht.

Der Unternehmer möchte,

dass sich seine Mitarbeiter hier in Deutschland auch was aufbauen können.

Deshalb hat er sich einiges einfallen lassen:

Werkswohnungen für seine Mitarbeiter etwa

oder einen Deutschkurs einmal die Woche.

In Bayern ist wichtig, dass wir eine Breze essen.

Weißwürste mit Brezen.

Leberkäs. - Wunderbar.

Und dazu einen kalten Kaffee.

Das schmeckt bestimmt.

Sprachkurs: Ich kann mir vorstellen, das ist mit einem Aufwand verbunden.

Warum betreiben Sie den?

Sprache ist das erste und wichtigste Element

bei der Integration in unsere Gesellschaft.

Es ist nur ein Baustein

neben dem Wohnraum, den wir zur Verfügung stellen.

Oder der Hilfe beim Finden einer Krankenkasse, Bankkonto,

den Behördengängen, die immer häufiger kommen.

Am Schluss ist das alles wichtig,

damit sie sich in unsere Gesellschaft integrieren können.

Hallo, servus. - Hallo, servus.

Zwei von euch machen am Erdgeschoss und zwei gehen in den Innenhof.

Genau.

Stichwort Einwanderungsgesetz.

Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz.

V.a. brauchen wir als Unternehmer aber auch als Arbeitnehmer

Verlässlichkeit von Seiten der Politik.

Es kann nicht sein, dass jede Behörde anders entscheidet.

Und die Entscheidungen so lange dauern.

Das ist eine psychische Belastung für die Menschen,

die man ihnen nicht zumuten braucht.

Sie sind in Ihrer Firma eine große Gemeinschaft,

so habe ich das wahrgenommen.

So etwas brauchen wir ja in unserer Gesellschaft auch,

dass man sich in gewisser Weise zusammenrauft.

Es ist Arbeit, dass man zusammenbleibt, in dem Sinn,

dass man sich gegenseitig wertschätzt, versteht, zuhört.

Und immer wieder ein Stück aufeinander zuzugehen.

D.h. man braucht Leute, die sich sprachlich an uns anpassen wollen,

aber auch kulturell.

Das kann man lernen aus den 60er-, 70er-Jahren,

wo das teilweise versäumt worden ist und sich Gettos gebildet haben,

in denen die Einwanderer unter sich waren

und Generationen entstanden sind,

die sich weder in Deutschland zugehörig fühlen

noch in ihren Heimatländern.

Das ist eine Sache, die man in Zukunft besser machen kann,

indem man sich miteinander weiterentwickelt.

Wie sehen das die Einwanderer selbst?

Selen Gürler hat später Germanistik und Philosophie studiert.

Inzwischen arbeitet sie für die Diakonie Hasenbergl

hier im Münchner Norden in der Stadtteilarbeit,

als einzige muslimische Führungskraft.

Nahezu 100% ihrer Klienten haben einen Migrationshintergrund.

Einmal pro Monat gibt es ein Mütterfrühstück.

Dort treffe ich sie jetzt.

Wie viele dieser Nachbarschaftstreffs gibt es?

Insgesamt, über München verteilt, ca. 40 Stück.

Wir versuchen hier, eine Anlaufstelle zu bieten,

wie sie sich in ihrem alltäglichen Leben besser zurechtfinden können.

Wenn ich eine Frage habe: Wo finde ich einen Kindergartenplatz?

Wer kann mir bei dem und dem helfen?

Und ich möchte nicht in eine offizielle Institution,

weil das ein Amt ist.

Da ist eine Hemmschwelle. Da muss ich erst mal durch die Tür gehen.

Dann kann es in einem Nachbarschaftstreff leichter sein,

als beim Amt.

Damals sind die türkischen Gastarbeiter

nach Deutschland gekommen.

Was glauben Sie: Wie gut haben die sich integriert?

Eigentlich nicht. Sie kamen als Gastarbeiter hierher.

Sie kamen, um zu arbeiten und ein Stück weit als Gast.

Dann sollten sie nach einer Zeit wieder zurückgehen.

Daher war die Integration in die deutsche Gesellschaft

gar nicht geplant, vielleicht auch gar nicht gewünscht.

Oder wurde von der türkischen Seite auch gar nicht vollzogen.

Es gab die sprachliche, die kulturelle Barriere.

Von daher glaube ich nicht,

dass Integration wirklich stattgefunden hat.

Erst später, mit der zweiten und dritten Generation,

mit den Kindern hier, wenn sie die Sprache besser konnten

und man gemerkt hat:

Die Gastarbeitergeneration ist noch hier und bleibt auch hier.

Da konnte man anfangen, von Integration zu sprechen.

Wie fühlen Sie sich denn? Als Deutsche, als Türkin?

Welche Identität haben Sie?

Das ist die typische Frage.

Dann kommt man sich vor wie ein Kuchen und muss sich aufteilen,

was für ein Anteil von mir ist türkisch, welcher ist deutsch.

Ich kann das ganz schwer definieren.

Wenn ich mich in der Gesellschaft, in der ich bin,

egal ob türkisch oder deutsch, als Mensch mit all meinen Seiten,

angenommen und wertgeschätzt fühle,

wenn ich das Gefühl habe, es ist gut, ich muss nicht anders sein,

ich bin nicht falsch,

sondern dass ich, so wie ich bin, geschätzt werde,

das ist das Wichtigste.

D.h. Wertschätzung ist ein Schlüssel zu einer gemeinsamen Zukunft?

Definitiv.

Wertschätzung dahingehend, dass ich mir dessen bewusst sein muss:

Die Person vor mir ist anders als ich.

Und es gibt kein richtig oder falsch.

Mein "richtig" muss nicht das "richtig" der anderen Person sein.

So wie ich Vorurteile habe, hat auch diese Person Vorurteile.

Wichtig ist, miteinander in Austausch zu gehen, zu sprechen,

sich kennenzulernen, Fragen zu stellen,

auf eine respektvolle Art und Weise. Vielleicht auch neugierig.

Zuwanderung, das heißt Vielfalt und Chancen,

aber auch Ängste, Konflikte und Ressentiments.

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir lernen, damit umzugehen.

Denn wenn Integration nicht klappt,

dann wird's für uns alle richtig teuer.

Untertitelung: BR 2018


Zuwanderung - Gewinn oder Verlust? Immigration - gain or loss? Imigração - ganho ou perda?

Untertitelung: BR 2018

Wenn ich sage: Deutschland ist ein Einwanderungsland.

Dann sagen inzwischen bestimmt alle: Da hat er recht.

Das war's aber auch mit den Gemeinsamkeiten.

Beim Thema "Zuwanderung"

prallen die Meinungen von Gegnern und Befürwortern krass aneinander.

Ich finde Zuwanderung gut.

Das ist die einzige Möglichkeit, weiterzukommen. - Warum?

Weil wir genügend Bedarf haben.

Ich merke, dass alles dreckiger wird. Dass Wohnraum knapper wird.

Dass alles teurer wird. Wir zahlen.

Es ist die unkontrollierte: Das ist unser Problem.

Wenn es etwas einfacher wäre, das wäre schön.

Wir haben viele arbeitslose Ausländer. Die leben vom Sozialamt.

Ohne Ausweis, ohne Aufenthalt, die meisten. Man kriegt gar nix.

Deswegen sind viele auf der Straße.

Diebstahl und so ist häufig geworden.

Missgunst ist viel dabei.

Wenn ich schon anderen die Grundsicherung nicht gönne,

das ist traurig.

Spricht für die Gemütslage von denen, die das Gefühl haben,

sie haben nicht genug.

Ich find's bereichernd. - Ja?

Ja. - Warum?

Weil ich es schön finde, wenn wir eine bunte Gesellschaft sind

und verschiedene Prägungen und Meinungen

und Kulturen unter uns haben.

Ich hab nix gegen Leute, die reinkommen aus bestimmten Gründen.

Irgendwo ist es zu viel.

Die einen sprechen von "kultureller Vielfalt"

oder "Fachkräftepotenzial".

Und die anderen?

Die warnen vor der "Einwanderung in unser Sozialsystem",

vor dem "Verlust unserer nationalen Identität"

oder dem "Kampf der Kulturen".

Das spaltet in jedem Land die Gesellschaft

und führt zu Demonstrationen.

Letztlich ist die Frage, um die sich Befürworter und Gegner streiten:

Ist Einwanderung für uns ein Gewinn oder ein Verlust?

Was ist Zuwanderung überhaupt?

Zuwanderung oder Migration ist keine Besonderheit der Neuzeit,

sondern gab es schon immer.

Schon in der Antike verließen Menschen

wegen Kriegen oder Umweltkatastrophen ihr Zuhause,

um in der Fremde bessere Lebensbedingungen zu finden.

Im 4.Jh. nach Christus

verursachten die Hunnen die sogenannte Völkerwanderung:

Eine 200 Jahre andauernde Fluchtbewegung.

V.a. germanische Stämme drängten nach Süd-, West- und Mitteleuropa.

Damals wurde Europa völlig neu geordnet.

Auch der 30-jährige Krieg und die beiden Weltkriege im 20.Jh.

führten in Europa zu massenhafter Flucht und Vertreibung.

Die Migrationsrouten und -ziele ändern sich,

aber die Ursachen bleiben dieselben:

Krieg, wirtschaftliche Not, religiöse Verfolgung

oder auch der Anreiz für Bildungseliten,

in einem anderen Land bessere Arbeit oder mehr Lohn zu bekommen.

Heute ist Deutschland das beliebteste Einwanderungsland in Europa.

Und nach den USA das zweitbeliebteste auf der Welt.

Die Mehrheit der Zuwanderer kommt aktuell aus der Europäischen Union:

Um hier zu arbeiten, zu studieren oder eine Ausbildung zu machen.

Die meisten von ihnen aus Rumänien, gefolgt von Polen.

Weiterhin kommen viele Menschen auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung.

Ein Teil dieser Asylbewerber wird als Flüchtling anerkannt

und darf in Deutschland bleiben.

Außerdem kommen Zuwanderer im Rahmen einer Familienzusammenführung

oder des Familiennachzugs nach Deutschland,

weil ihre Ehepartner oder Kinder

schon als anerkannte Flüchtlinge hier leben.

Insgesamt wanderten im Jahr 2017

ca. 1,5 Mio. Menschen nach Deutschland ein.

Neben der Zuwanderung

gibt es natürlich auch eine Abwanderung aus Deutschland.

Die betrug 2017 etwa 1,1 Mio. Menschen.

Es gibt also verschiedene Gründe, warum Menschen eingewandert sind.

Und es gibt schon immer die einen, die sagen,

Zuwanderung ist eine Chance.

Und für die anderen ist Zuwanderung eher eine Bedrohung.

Das hängt auch immer davon ab,

was sich die Leute von Zuwanderung erwarten.

Ich frage genauer nach.

Das ist Selen Gürler.

Mit 6 Jahren kam sie mit ihrer Mutter

aus der türkischen Stadt Izmir nach Deutschland.

Kann ich was abnehmen?

Das wäre lieb, der Korb ist ein bisschen schwer.

Danke schön. - So bin ich.

Ihre Familie ist damals aus der Türkei nach Deutschland gekommen.

Wann war das genau?

Das war 1982, 83.

Da kam meine Mutter als Türkischlehrerin nach Bayern.

Ist das der richtige Käse? - Genau.

Wollen wir noch nach den Gewürzen schauen? Das fehlt uns noch.

Warum ist Ihre Familie nach Deutschland gekommen?

Deutschland war damals, angefangen von den 60er-Jahren,

ein Gastarbeiter-, Einwanderungsland.

Es war auch ein Traum, nach Deutschland zu kommen.

Besonders nach Bayern,

weil es damals die besten Gehälter für Lehrer bezahlt hat.

Deshalb hat meine Mutter sich dafür beworben.

Hat auch vorher Deutsch gelernt. Und kam hierher.

Wie ging's für Sie persönlich weiter?

Auf dem Gymnasium war ich die Ausnahme.

Es gab Kinder, die kamen aus gemischten Familien.

Da war die Mutter spanisch und der Vater deutsch.

Oder vietnamesisch und deutsch.

Aber dass beide Elternteile türkisch sind, mit Migrationshintergrund,

das war die absolute Ausnahme dort.

Ich habe jedes Mal gemerkt, dass ich anders bin.

Ich bin dann türkisch, das hat man immer gespürt,

ab einem gewissen Punkt.

Wie war es für Ihre Mutter als Lehrerin hier in Deutschland?

Das ist eine gute Frage.

Ich glaube schon, dass sie Schwierigkeiten hatte,

sich einzugewöhnen: andere Kultur, anderes Land, andere Sprache.

Auch eine andere Mentalität, Lehrer zu sein.

Dann hat sie sich eigentlich gut zurechtgefunden.

Dann kamen die anderen Fragen: Sie tragen gar kein Kopftuch.

Essen Sie denn Schweinefleisch?

Sucht die Familie die Person aus, die Sie heiraten müssen?

Diese ganzen Vorurteilsfragen kamen aneinandergereiht.

Dass Menschen auf der Suche nach einem besseren Job zuwandern,

das gibt's schon lange.

Ebenso alt ist die Geschichte von Menschen,

die auf der Flucht nach Deutschland kommen.

Arbeitsmigranten kommen nicht nur auf eigene Faust,

sie werden auch angeworben.

Von 1880 bis 1914 holt die expandierende Industrie so

an die 1,2 Mio. "Wanderarbeiter" nach Deutschland,

v.a. aus dem damals preußischen Teil Polens.

Als es nach dem Zweiten Weltkrieg

wirtschaftlich wieder steil bergauf geht,

fehlen der Bundesrepublik Arbeitskräfte.

Ab 1955 schließt sie daher mit Italien, Griechenland, Spanien,

der Türkei und anderen Ländern Anwerbeabkommen.

Die sogenannten Gastarbeiter

tragen viel zum wirtschaftlichen Aufstieg der Bundesrepublik bei.

Nach der Ölkrise 1973 verhängt die Regierung einen Anwerbestopp.

2004 bekommen EU-Bürger das Recht, in allen EU-Ländern zu arbeiten.

Das nutzen nach den Finanzkrisen auch viele Ost- und Südeuropäer.

Für Nicht-EU-Bürger ist es komplizierter.

Seit 2012 wird es für gesuchte Fachkräfte

auch ohne EU-Pass leichter.

Über die Blaue Karte EU und Sondervisa für Hochqualifizierte

kamen so im Jahr 2017 gut 38.000 Erwerbszuwanderer

aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland.

Auch Zuwanderung auf der Flucht vor Krieg, Terror und Hunger

ist alles andere als neu.

In der Weimarer Republik 1918 bis 1933

suchen nach der kommunistischen Revolution

in Deutschland rund 600.000 russische Flüchtlinge Schutz,

vor allem in Berlin.

Juden fliehen vor antisemitischen Pogromen aus Ost— und Südosteuropa.

Etwa 70.000 beantragen bis 1921 Asyl.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs

kommen Flüchtlinge und Vertriebene aus dem ehemaligen deutschen Reich,

aus Ost-, Mittel- und Südeuropa nach Deutschland.

12,5 Mio. bis zum Jahr 1950.

Ab 1953 regelt das Bundesvertriebenengesetz,

dass Deutschstämmigen als Aussiedlern

die deutsche Staatsangehörigkeit zusteht.

Mit dem Ende des Kalten Krieges und der Öffnung der Grenzen 1989

kommen viele Asylsuchende

aus den ehemals kommunistischen Staaten Ost- und Südeuropas.

Die Asylbewerberzahlen erreichen 1992 mit 438.000 einen Höchststand.

Die meisten sind Flüchtlinge aus dem zerfallenden Jugoslawien.

Zugleich breitet sich eine ausländerfeindliche Stimmung aus.

Die Zahl rassistischer Ausschreitungen steigt.

Eine Debatte über das Asylrecht

spaltet das wiedervereinte Deutschland.

Nach Brandanschlägen auf Asylbewerberheime

in Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen

verabschiedet der Bundestag den sogenannten Asylkompromiss,

der das Asylrecht stark einschränkt.

Die Zahl der Bewerber sinkt massiv. Bis 2008 auf 28.000.

Fluchtbewegungen und Mobilität nehmen zu, weltweit.

Es fliehen immer mehr Menschen,

vorwiegend aus arabischen und afrikanischen Ländern.

Die Fluchtbewegung nach Deutschland erreicht 2015 ihren Höhepunkt.

Seitdem sinkt die Zahl der Asylanträge,

obwohl die weltweite Flüchtlingskrise anhält.

Einerseits hoffen Zuwanderer

auf bessere Jobs und bessere berufliche Perspektiven.

Auf der anderen Seite erhoffen sich viele Menschen in Deutschland

positive Effekte durch Zuwanderung.

Denn die deutsche Bevölkerung schrumpft.

Heute leben hier 83 Mio. Menschen.

Im Jahr 2060 werden es nur noch 68 bis 73 Mio. Menschen sein,

schätzt man.

Ich habe mir mal die Zahlen angeschaut,

wie alt wir im Jahr 2060 sind. Da bin ich auch schon 70.

Wenige Junge gibt es und ultraviele Alte.

Viele Hundertjährige.

Im Vergleich zu 2013 werden die Menschen immer älter.

Das Problem mit dem "immer älter werden" kann man nicht stoppen.

Sagen zumindest Experten.

Könnte man aber durch Zuwanderung abmildern,

wenn die Leute, die kommen, auch jung sind.

Mehr und jüngere Arbeitskräfte:

Das erhofft sich auch die deutsche Wirtschaft von der Zuwanderung.

Ich bin in Gilching, im Westen von München.

Hier um die Ecke habe ich einen Termin.

Wir müssen heute wegen der kalten Temperaturen

den Auftrag für die Glasreinigung verschieben.

Hier ist es wichtig, dass wir genau dosieren.

Markus Wasserle ist Inhaber einer Gebäudereinigungsfirma.

Mit 19 Jahren fing der gelernte Landmaschinen-Mechaniker

als Reinigungskraft an, im Nebenjob.

Seit er 23 ist, ist er nun sein eigener Chef.

Herr Wasserle, servus. - Grüß Sie, Herr Leidecker.

Darf ich Ihnen ein paar Flaschen mitgeben?

Ja klar, ich helfe gerne. - Das ist ganz nett.

Dann brauchen wir von vorne auch noch was.

Sie sind inzwischen schon relativ groß?

Zumindest nach dem Lager zu urteilen?

Wir beschäftigen rund 300 Mitarbeiter in unserer Firma.

D.h. jedes Jahr 30 bis 40 neue Kolleginnen und Kollegen

im Schnitt in den letzten 5 Jahren.

Und heute boomt's?

Heute boomt's dank dem Bauboom in München.

Es gibt laufend neue Gebäude. Die brauchen alle Reinigung.

Das funktioniert nur

mit vielen Menschen in den Gebäudereinigungs-Unternehmen.

Wie läuft es mit der Mitarbeitersuche bei Ihnen?

Ist das schwer?

Ich mache das schon knapp 20 Jahre. So schwer wie heute war es noch nie.

Wir haben einen Mangel an Arbeitskräften,

wie es ihn noch nie gab.

Da muss man sich neue Mittel einfallen lassen,

dass man überhaupt Aufträge abwickeln kann.

Wie läuft dann Ihre Suche nach Arbeitskräften?

Man muss sehr erfinderisch sein.

Wir haben teilweise Methoden wie Ebay-Kleinanzeigen,

wo man Stellenanzeigen aufgeben kann.

Wenn heute jemand eine Arbeit sucht in diesem Niedriglohnsektor,

dann braucht er sie in der Regel sofort.

Wer meldet sich auf Ihre Jobangebote?

Früher haben wir noch den ein oder anderen Deutschen gehabt,

der bei uns angefangen hat.

Mir fällt auf, dass das heute überhaupt nicht mehr der Fall ist.

Deutsche arbeiten in aller Regel nicht mehr als Reinigungskräfte.

Ihre Mitarbeiter kommen aus fast 30 Nationen.

Ich kann mir vorstellen, dass es da einige Herausforderungen gibt.

Zum einen geht's um die kulturellen Unterschiede,

die man berücksichtigen muss bei der Zusammenstellung der Teams.

Zum anderen sind es fehlender Wohnraum,

fehlende sprachliche Qualifikationen.

Auch die Qualifizierung im fachlichen Bereich

geht immer bei Null los.

Da haben Sie als Unternehmen einen riesigen Berg an Aufgaben.

Hoffnung gibt's auf beiden Seiten.

Von den Unternehmern in Deutschland, aber auch von den Zuwanderern.

Doch manche sehen das Ganze auch kritisch.

Rechte Kreise z.B.

warnen vor der "Einwanderung in unsere Sozialsysteme".

Kostet uns der Zuwanderer wirklich mehr, als er uns bringt?

Genau das will ich in Nürnberg von einem Mann wissen,

der sich seit Jahren mit dem Thema "Migration und Arbeit" beschäftigt.

Viele Büros, viel Verwaltung.

Da muss ich hin.

Herbert Brücker ist Migrationsforscher.

Sein Arbeitgeber ist das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung,

und das wiederum gehört zur Bundesagentur für Arbeit.

Hallo Herr Brücker. Darf ich reinkommen?

Gern. Schönen guten Tag.

Viele Stimmen sagen:

Die Leute, die zu uns kommen, sind wenig qualifiziert,

unterwandern unser Sozialsystem, es droht der Kollaps.

Was sagen Sie denen?

Die Zuwanderer sind viel qualifizierter,

als wir uns vorstellen.

Wir haben normalerweise bei der Zuwanderung,

wenn wir die Flüchtlinge rausnehmen, 35-40% Hochschulabsolventen.

Aber nur knapp 25% Hochschulabsolventen

der deutschen Bevölkerung.

Wir haben, das gehört auch zur Wahrheit,

knapp 30%, die keine beruflichen Abschlüsse haben.

D.h. wir haben Zuwanderer, die sind viel besser qualifiziert

als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung,

aber auch welche, die schlechter qualifiziert sind.

Der zweite Irrtum ist, dass man denkt,

wir brauchen nur qualifizierte Arbeitskräfte.

Gegenwärtig wächst in Deutschland viel stärker als im Durchschnitt

die Beschäftigung in sog. Helferberufen.

Einfache Dienstleistungen, Security,

Gastronomie, Reinigungsgewerbe, Änderungsschneidereien.

Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten?

Ja gerne. Da vorne, oder?

Während wir gehen, habe ich noch eine Frage:

Viele fürchten Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, Wohnungsengpässe

oder auch Engpässe bei Kitaplätzen z.B.

Wie sehen Sie das?

Die meisten dieser Ängste sind nicht berechtigt.

Fangen wir mit den Jobs an.

Die meisten denken, wir haben mehr Arbeitskräfte,

dann muss der Lohn sinken oder die Jobs verschwinden.

In Wahrheit wird mehr investiert, die Löhne bleiben gleich

und wir sehen keine Verdrängungseffekte.

Wir haben im Moment

so viel Zuwanderung wie noch nie in Deutschland,

gleichzeitig sinkt die Arbeitslosigkeit so stark

wie auch noch nie.

Diese beiden Bilder muss man zusammenbekommen.

Gerade die deutschen Arbeitskräfte sind die Profiteure der Zuwanderung.

Wenn es Konkurrenz gibt, dann bei Migranten.

Die konkurrieren in denselben Arbeitsmarktsegmenten.

Migranten brauchen auch mehr Infrastruktur,

schicken ihre Kinder in Schulen und Kitas.

Natürlich muss die Infrastruktur mitwachsen.

Das schlimmste Szenario ist ein Szenario, wo Regionen schrumpfen.

Wenn wir aufs Land in Deutschland gehen,

wo wir immer weniger Kitas und Schulen haben,

weil wir Landflucht haben, da sind die Menschen unzufrieden.

Wenn man sich Meinungsumfragen anschaut:

Wo ist die Ausländerfeindlichkeit groß?

Wo sind die Leute gegen Migration?

Dann ist das auf dem Land, wo wir gar keine Migranten haben.

Von draußen ist das Ganze ein bisschen trist.

Hier drinnen ...

Das ist gerade umgebaut worden.

Das Wirtschaftliche ist das eine.

Auf der anderen Seite gibt's die Ängste,

dass sich in unserer Gemeinschaft kulturell was verändert.

Ich glaube, das ist der Kern des Problems.

Die Menschen haben Angst vor Veränderung,

dass sie ihre kulturelle Identität verlieren.

Als die Italiener gekommen sind nach Deutschland, waren sie unbeliebt.

Es kamen Machos, die haben unsere Frauen bedroht.

Es gab Vergewaltigungsfantasien, Kriminalität.

Zum Teil gab's das auch. Die Kriminalität ist gestiegen.

Die Italiener sind heute die beliebteste Ausländergruppe.

Im Arbeitsmarkt performen sie nicht so super.

Aber wir haben uns mit dieser Kultur angefreundet.

Keiner mag sich Deutschland vorstellen ohne Pizza.

So verändern wir uns fortlaufend.

Jeden Tag verändert sich unsere Gesellschaft durch Zuwanderung.

Wir verändern uns und die Migranten verändern sich.

Das schlimmste Szenario ist eine Gesellschaft,

die keine Vielfalt hat.

Solche Gesellschaften erstarren,

sind nicht mehr innovationsfähig, überaltern und werden absteigen.

Zuwanderer lassen sich nicht alle über einen Kamm scheren.

Dafür sind berufliche Qualifikation und Bildungsstand

einfach zu unterschiedlich.

Deshalb ist es so, dass sich die einen und ihre Nachkommen

auf dem deutschen Arbeitsmarkt integrieren

und die anderen vielleicht eher nicht.

Experten sagen, die Mehrheit der aufnehmenden deutschen Gesellschaft

wird vom Arbeitsmarkt mit Zuwanderern wohl profitieren,

aber es werden nicht alle gewinnen.

Wie kann man so eine Einwanderungsgesellschaft gestalten?

Könntest du mir das rüberschicken? Dann schau ich's mir an.

Ich schau mir noch mal den Artikel an.

Die Lösung für viele: ein flexibles Einwanderungsgesetz.

Das Ziel: Die Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften

außerhalb der EU soll gezielt und geordnet ablaufen.

Entscheidend ist dabei der Bedarf der deutschen Wirtschaft

und die Qualifikation der Arbeitskräfte,

die einwandern wollen.

Kriterien dafür sind die Ausbildung, ein abgeschlossenes Studium,

aber auch Sprachkenntnisse, das Alter

oder bereits konkrete Jobangebote.

Beim Thema Zuwanderung

geht es nicht nur um die Integration auf dem Arbeitsmarkt,

es geht um viel mehr eigentlich.

Es geht um unsere Gesellschaft. Um die Fragen:

Wer wollen wir sein? Wo wollen wir hin?

Was wollen wir vielleicht nicht sein?

Ich mache mich noch mal auf den Weg zu Markus Wasserle.

Wir haben heute wieder Deutschunterricht.

Ich habe euch Blöcke mitgebracht.

Der Unternehmer möchte,

dass sich seine Mitarbeiter hier in Deutschland auch was aufbauen können.

Deshalb hat er sich einiges einfallen lassen:

Werkswohnungen für seine Mitarbeiter etwa

oder einen Deutschkurs einmal die Woche.

In Bayern ist wichtig, dass wir eine Breze essen.

Weißwürste mit Brezen.

Leberkäs. - Wunderbar.

Und dazu einen kalten Kaffee.

Das schmeckt bestimmt.

Sprachkurs: Ich kann mir vorstellen, das ist mit einem Aufwand verbunden.

Warum betreiben Sie den?

Sprache ist das erste und wichtigste Element

bei der Integration in unsere Gesellschaft.

Es ist nur ein Baustein

neben dem Wohnraum, den wir zur Verfügung stellen.

Oder der Hilfe beim Finden einer Krankenkasse, Bankkonto,

den Behördengängen, die immer häufiger kommen.

Am Schluss ist das alles wichtig,

damit sie sich in unsere Gesellschaft integrieren können.

Hallo, servus. - Hallo, servus.

Zwei von euch machen am Erdgeschoss und zwei gehen in den Innenhof.

Genau.

Stichwort Einwanderungsgesetz.

Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz.

V.a. brauchen wir als Unternehmer aber auch als Arbeitnehmer

Verlässlichkeit von Seiten der Politik.

Es kann nicht sein, dass jede Behörde anders entscheidet.

Und die Entscheidungen so lange dauern.

Das ist eine psychische Belastung für die Menschen,

die man ihnen nicht zumuten braucht.

Sie sind in Ihrer Firma eine große Gemeinschaft,

so habe ich das wahrgenommen.

So etwas brauchen wir ja in unserer Gesellschaft auch,

dass man sich in gewisser Weise zusammenrauft.

Es ist Arbeit, dass man zusammenbleibt, in dem Sinn,

dass man sich gegenseitig wertschätzt, versteht, zuhört.

Und immer wieder ein Stück aufeinander zuzugehen.

D.h. man braucht Leute, die sich sprachlich an uns anpassen wollen,

aber auch kulturell.

Das kann man lernen aus den 60er-, 70er-Jahren,

wo das teilweise versäumt worden ist und sich Gettos gebildet haben,

in denen die Einwanderer unter sich waren

und Generationen entstanden sind,

die sich weder in Deutschland zugehörig fühlen

noch in ihren Heimatländern.

Das ist eine Sache, die man in Zukunft besser machen kann,

indem man sich miteinander weiterentwickelt.

Wie sehen das die Einwanderer selbst?

Selen Gürler hat später Germanistik und Philosophie studiert.

Inzwischen arbeitet sie für die Diakonie Hasenbergl

hier im Münchner Norden in der Stadtteilarbeit,

als einzige muslimische Führungskraft.

Nahezu 100% ihrer Klienten haben einen Migrationshintergrund.

Einmal pro Monat gibt es ein Mütterfrühstück.

Dort treffe ich sie jetzt.

Wie viele dieser Nachbarschaftstreffs gibt es?

Insgesamt, über München verteilt, ca. 40 Stück.

Wir versuchen hier, eine Anlaufstelle zu bieten,

wie sie sich in ihrem alltäglichen Leben besser zurechtfinden können.

Wenn ich eine Frage habe: Wo finde ich einen Kindergartenplatz?

Wer kann mir bei dem und dem helfen?

Und ich möchte nicht in eine offizielle Institution,

weil das ein Amt ist.

Da ist eine Hemmschwelle. Da muss ich erst mal durch die Tür gehen.

Dann kann es in einem Nachbarschaftstreff leichter sein,

als beim Amt.

Damals sind die türkischen Gastarbeiter

nach Deutschland gekommen.

Was glauben Sie: Wie gut haben die sich integriert?

Eigentlich nicht. Sie kamen als Gastarbeiter hierher.

Sie kamen, um zu arbeiten und ein Stück weit als Gast.

Dann sollten sie nach einer Zeit wieder zurückgehen.

Daher war die Integration in die deutsche Gesellschaft

gar nicht geplant, vielleicht auch gar nicht gewünscht.

Oder wurde von der türkischen Seite auch gar nicht vollzogen.

Es gab die sprachliche, die kulturelle Barriere.

Von daher glaube ich nicht,

dass Integration wirklich stattgefunden hat.

Erst später, mit der zweiten und dritten Generation,

mit den Kindern hier, wenn sie die Sprache besser konnten

und man gemerkt hat:

Die Gastarbeitergeneration ist noch hier und bleibt auch hier.

Da konnte man anfangen, von Integration zu sprechen.

Wie fühlen Sie sich denn? Als Deutsche, als Türkin?

Welche Identität haben Sie?

Das ist die typische Frage.

Dann kommt man sich vor wie ein Kuchen und muss sich aufteilen,

was für ein Anteil von mir ist türkisch, welcher ist deutsch.

Ich kann das ganz schwer definieren.

Wenn ich mich in der Gesellschaft, in der ich bin,

egal ob türkisch oder deutsch, als Mensch mit all meinen Seiten,

angenommen und wertgeschätzt fühle,

wenn ich das Gefühl habe, es ist gut, ich muss nicht anders sein,

ich bin nicht falsch,

sondern dass ich, so wie ich bin, geschätzt werde,

das ist das Wichtigste.

D.h. Wertschätzung ist ein Schlüssel zu einer gemeinsamen Zukunft?

Definitiv.

Wertschätzung dahingehend, dass ich mir dessen bewusst sein muss:

Die Person vor mir ist anders als ich.

Und es gibt kein richtig oder falsch.

Mein "richtig" muss nicht das "richtig" der anderen Person sein.

So wie ich Vorurteile habe, hat auch diese Person Vorurteile.

Wichtig ist, miteinander in Austausch zu gehen, zu sprechen,

sich kennenzulernen, Fragen zu stellen,

auf eine respektvolle Art und Weise. Vielleicht auch neugierig.

Zuwanderung, das heißt Vielfalt und Chancen,

aber auch Ängste, Konflikte und Ressentiments.

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir lernen, damit umzugehen.

Denn wenn Integration nicht klappt,

dann wird's für uns alle richtig teuer.

Untertitelung: BR 2018