18. Der Erbe Slytherins
Er stand am Ende einer sehr langen, schwach beleuchteten Kammer. Mächtige Säulen, auch sie umrankt von steinernen Schlangen, ragten empor zur Decke, die im Dunkeln lag. Die Säulen warfen lange schwarze Schatten durch das seltsam grünliche Dämmerlicht, das den Raum erfüllte. Reglos und mit immer noch rasendem Herzen stand Harry da und lauschte in die kalte Stille hinein. Konnte der Basilisk in einer Ecke lauern, hinter einer Säule? Wo war Ginny? Er zückte den Zauberstab und ging zwischen den Schlangensäulen hindurch nach vorn. jeder vorsichtige Tritt hallte von den Wänden wider. Er hatte die Augen zu Schlitzen verengt, bereit, sie bei der kleinsten Bewegung fest zu schließen. Die leeren Augenhöhlen der Steinschlangen schienen ihm zu folgen und es war ihm, als würden sie sich regen. Sein Magen krampfte sich zusammen. Dann trat er zwischen das letzte Säulenpaar. Vor ihm, an der Rückwand, ragte eine Statue auf, die so hoch war wie die Kammer selbst. Harry verrenkte sich den Hals, um das riesenhafte Gesicht sehen zu können: es war das alte, affenartige Gesicht eines Zauberers mit langem schmalem Bart, der fast bis zum Saum seines wogenden Steinumhangs herabfiel. Zwei gewaltige graue Füße standen auf dem glatten Kammerboden. Und zwischen den Füßen, mit dem Gesicht nach unten, lag eine kleine Gestalt mit schwarzem Umhang und flammend rotem Haar. »Ginny!«, flüsterte Harry. Mit einem Sprung war er bei ihr und fiel auf die Knie. »Ginny, sei nicht tot, bitte, sei nicht tot - « Er warf den Zauberstab zur Seite, packte Ginny an der Schulter und drehte sie um. Ihr Gesicht war weiß wie Marmor, und ebenso kalt doch ihre Augen waren geschlossen - also war sie nicht versteinert. Doch dann musste sie - »Ginny, bitte wach auf«, flüsterte Harry verzweifelt und schüttelte sie. Ginnys Kopf kullerte hoffnungslos hin und her. »Sie wird nicht aufwachen«, sagte eine leise Stimme. Harry schrak zusammen und rutschte auf den Knien herum. Ein großer, schwarzhaariger Junge stand gegen die nächste Säule gelehnt und musterte ihn. Seine Umrisse waren merkwürdig verschwommen, als ob Harry ihn durch ein beschlagenes Fenster sehen würde. Aber es gab keinen Zweifel - »Tom - Tom Riddle?« Riddle nickte, ohne die Augen von Harrys Gesicht zu wenden. »Was meinst du damit, sie wird nicht aufwachen?«, fragte Harry verzweifelt. »Sie ist nicht ... sie ist doch nicht ... ?« »Sie lebt noch«, sagte Riddle. »Gerade noch.« Harry starrte ihn an. Tom Riddle war vor fünfzig Jahren in Hogwarts gewesen, doch da stand er, ein unheimliches, nebliges Licht um sich ausbreitend, keinen Tag älter als sechzehn. »Bist du ein Geist?«, fragte Harry unsicher. »Eine Erinnerung«, sagte Riddle leise. »Fünfzig Jahre lang in einem Tagebuch aufbewahrt.« Er deutete auf den Boden neben die Riesenzehen der Statue. Dort lag aufgeschlagen der kleine schwarze Taschenkalender, den Harry im Klo der Maulenden Myrte gefunden hatte. Einen Moment lang fragte sich Harry, wie es hierher gekommen war - doch es gab Dringlicheres zu tun. »Du musst mir helfen, Tom«, sagte Harry und hob abermals Ginnys Kopf, »Wir müssen sie hier rausbringen. Da ist ein Basilisk ... ich weiß nicht, wo er steckt, aber er könnte jeden Augenblick kommen ... bitte, hilf mir -« Riddle rührte sich nicht. Harry, dem der Schweiß ausbrach, schaffte es, Ginny hochzuheben, und er beugte sich noch einmal zu Boden, um den Zauberstab aufzuheben. Doch der Zauberstab war verschwunden. »Hast du meinen -?« Er sah auf Riddle sah ihn immer noch an - und mit seinen langen Fingern ließ er Harrys Zauberstab im Kreise wirbeln. »Danke«, sagte Harry und streckte die Hand nach dem Zauberstab aus. Ein Lächeln kräuselte Riddles Mundwinkel. Er sah Harry ungerührt an und ließ den Zauberstab gelassen weiterkreisen. »Hör zu«, sagte Harry unwirsch und seine Knie knickten unter der leblosen Last Ginnys ein. »Wir müssen hier raus! Wenn der Basilisk kommt -« »Er kommt erst, wenn er gerufen wird«, sagte Riddle leise. Harry konnte Ginny nicht mehr halten und ließ sie wieder zu Boden gleiten. »Was meinst du damit?«, sagte er. »Gib mir meinen Zauberstab, ich brauch ihn womöglich -« Riddle verzog lächelnd die Mundwinkel. »Du wirst ihn nicht brauchen«, sagte er. Harry starrte ihn an. »Was meinst du, ich werd ihn nicht -?« »Ich habe lange auf diese Stunde gewartet, Harry Potter«, sagte Riddle. »Auf die Gelegenheit, dich zu treffen. Mit dir zu sprechen.« Harry verlor die Geduld. »Hör mal«, sagte er, »ich glaub, du kapierst es nicht. Wir sind in der Kammer des Schreckens. Unterhalten können wir uns spater -« »Wir reden jetzt«, sagte Riddle immer noch breit lächelnd und steckte Harrys Zauberstab in die Tasche. Harry starrte ihn an. Etwas sehr Merkwürdiges ging hier vor ... »Was ist mit Ginny passiert?«, fragte er langsam. »Nun, das ist eine interessante Frage«, sagte Riddle vergnügt. »Und eine ziemlich lange Geschichte. Ich denke, der eigentliche Grund, warum Ginny hier liegt, ist, dass sie ihr Herz ausgeschüttet und all ihre Geheimnisse einem unsichtbaren Fremden verraten hat.« »Wovon redest du?«, sagte Harry. »Vorn Tagebuch«, sagte Riddle. »Meinem Tagebuch. Die kleine Ginny hat Monat für Monat darin geschrieben und mir all ihre jämmerlichen Sorgen und ihr Herzeleid anvertraut - wie ihre Brüder sie triezen, wie sie mit gebrauchten Umhängen und Büchern zur Schule kam, und dass -« Riddles Augen funkelten - »und dass sie nicht glaubt, der berühmte, gute, große Harry Potter würde sie jemals mögen ...« Während er sprach, wandte Riddle die Augen keinen Moment lang von Harrys Gesicht. Etwas Hungriges lag in seinem Blick. »Es war sehr langweilig, den albernen kleinen Sorgen eines elfjährigen Mädchens zu lauschen«, fuhr er fort. »Doch ich war geduldig. Ich schrieb zurück, ich zeigte Mitgefühl, ich war nett. Ginny hat mich einfach geliebt. Keiner versteht mich besser als du, Tom ... Ich bin so froh, dass ich mich diesem Tagebuch anvertrauen kann ... Es ist wie ein Freund, den ich in der Tasche herumtragen kann ...« Riddle lachte. Es war ein hohes, kaltes Lachen, das nicht zu ihm passte und Harry die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. »Ich darf durchaus von mir behaupten, Harry, dass ich jene, die ich brauchte, immer bezaubern konnte. Und so hat Ginny mir ihr Herz ausgeschüttet, und ihr Herz war genau das, was ich brauchte. Ich wurde stärker und stärker, denn ich konnte mich von ihren tiefsten Ängsten, ihren dunkelsten Geheimnissen nähren. Ich wurde mächtig, viel mächtiger als die kleine Miss Weasley. Mächtig genug, um Miss Weasley schließlich mit ein paar meiner Geheimnisse zu füttern, um ihr allmählich ein wenig von meiner Seele einzuflößen ...« »Was meinst du damit«, sagte Harry, dessen Mund jetzt sehr trocken war. »Hast du es noch nicht erraten, Harry Potter?«, sagte Riddle sanft. »Ginny Weasley hat die Kammer des Schreckens geöffnet. Sie hat die Schulhähne erwürgt und Drohungen an die Wände geschmiert. Sie hat die Schlange von Slytherin auf vier Schlammblüter losgelassen und auf die Katze von diesem Squib.« »Nein«, flüsterte Harry. »Ja«, sagte Riddle gelassen. »Natürlich wusste sie zuerst nicht, was sie tat. Es war sehr lustig. Ich wünschte, du hättest ihre neuen Tagebucheinträge lesen können ... Wurden jetzt bei weitem interessanter ... Lieber Tom«, zitierte er und beobachtete Harrys entsetztes Gesicht, »ich glaube, ich verliere mein Gedächtnis. Auf meinem Umhang sind überall Hühnerfedern und ich weiß nicht, wie das kommt. Lieber Tom, ich kann mich nicht erinnern, was ich in der Nacht von Halloween getan habe, aber eine Katze wurde angegriffen und ich bin überall mit Farbe bekleckert. Lieber Tom, Percy sagt ständig, ich sei blass und nicht mehr die Alte. Ich glaube, er verdächtigt mich ... Heute gab es wieder einen Angriff und ich weiß nicht, wo ich war. Tom, was soll ich tun? Ich glaube, ich werde verrückt ... Ich glaube, ich bin es, die alle angreift, Tom!« Harry ballte die Hände zu Fäusten. Seine Fingernägel gruben sich tief ins Fleisch. »Es hat sehr lange gedauert, bis die dumme kleine Ginny aufgehört hat, ihrem Tagebuch zu vertrauen«, sagte Riddle. »Schließlich wurde sie doch misstrauisch und versuchte es loszuwerden. Und dann kamst du auf die Bühne, Harry. Du hast es gefunden, zu meinem allergrößten Vergnügen. Von allen, die es hätten finden können, warst ausgerechnet du es, der Mensch, den ich am sehnlichsten treffen wollte ...« »Und warum wolltest du mich treffen?«, sagte Harry. Zorn durchflutete ihn und es kostete ihn Mühe, ruhig zu bleiben. »Nun, sieh mal, Ginny hat mir alles über dich erzählt, Harry«, sagte Riddle, »deine ganze faszinierende Geschichte.« Seine Augen wanderten über die blitzförmige Narbe auf Harrys Stirn und nahmen einen noch hungrigeren Ausdruck an. »Ich musste einfach noch mehr über dich rausfinden, mit dir sprechen, dich treffen, wenn ich konnte. Also beschloss ich, dein Vertrauen zu gewinnen und dir meine Ruhmestat vorzuführen: wie ich diesen gewaltigen Hornochsen Hagrid erwischt hab -« »Hagrid ist mein Freund«, sagte Harry, und seine Stimme zitterte jetzt. »Und du hast ihn reingelegt, oder? Ich dachte, du hättest einen Fehler gemacht, aber -« Riddle ließ erneut sein hohes Lachen vernehmen. »Mein Wort stand gegen das von Hagrid, Harry. Du kannst dir vorstellen, wie es für den alten Armando Dippet ausgesehen hat. Auf der einen Seite Tom Riddle, arm, aber brillant, elternlos, aber so mutig, Schulsprecher, vorbildlicher Schüler ... auf der anderen Seite der große, stümperhafte Hagrid, gerät alle paar Wochen in Schwierigkeiten, versucht Werwolfjunge unter seinem Bett großzuziehen, schleicht sich in den Verbotenen Wald, um mit Trollen zu raufen ... doch ich gebe zu, selbst ich war überrascht, wie gut der Plan funktionierte. Ich dachte, irgend jemand müsste doch erkennen, dass Hagrid unmöglich der Erbe Slytherins sein konnte. Selbst ich hatte fünf Jahre gebraucht, um alles über die Kammer des Schreckens herauszufinden und den geheimen Eingang zu finden ... und Hagrid sollte den Grips oder die Macht dazu haben? Nur Dumbledore, der Lehrer für Verwandlung, hielt Hagrid offenbar für unschuldig. Er überredete Dippet, Hagrid als Wildhüter zu behalten. ja, ich denke, Dumbledore hat etwas geahnt ... Dumbledore schien mich nie so zu mögen wie die anderen Lehrer ...« »Ich wette, Dumbledore hat dich durchschaut«, sagte Harry mit zusammengebissenen Zähnen. »Nun ja, er hat mich nach Hagrids Rauswurf genau im Auge behalten, das war ein wenig lästig«, sagte Riddle gleichmütig. »Ich wusste, es würde zu gefährlich sein, die Kammer noch einmal zu öffnen, während ich in der Schule war. Aber all die langen Jahre der Suche nach ihr sollten auch nicht umsonst gewesen sein. Ich beschloss, ein Tagebuch zu hinterlassen und mein sechzehn Jahre altes Selbst in den Seiten aufzubewahren, so dass ich mit ein wenig Glück eines Tages jemand anderen auf meine Spur bringen konnte, um Salazar Slytherins edles Werk zu vollenden.« »Nun, du hast es nicht vollendet«, sagte Harry siegessicher. »Diesmal ist keiner gestorben, nicht einmal die Katze. In ein paar Stunden ist der Alraunentrank fertig und alle Versteinerten werden wieder gesund -« »Hab ich dir nicht bereits erklärt«, sagte Riddle gelassen, »dass es mich nicht mehr interessiert, Schlammblüter zu töten? Seit vielen Monaten schon habe ich ein neues Ziel - dich!« Harry starrte ihn an. »Stell dir vor, wie wütend ich war, als das nächste Mal, da mein Tagebuch geöffnet wurde, Ginny vor mir saß und mir schrieb, und nicht du. Sie hat dich nämlich mit dem Tagebuch gesehen und ist in Panik geraten. Was, wenn du herausfändest, wie es zu gebrauchen ist, und ich dir all ihre Ge heimisse verraten würde? Und noch schlimmer, wenn ich dir erzählen würde, wer die Hähne erwürgt hat? Also hat das dumme kleine Gör gewartet, bis keiner mehr in deinem Schlafsaal war, und es gestohlen. Doch ich wusste, was zu tun war. Es war mir klar, dass du auf der Spur des Erben von Slytherin warst. Nach allem, was mir Ginny über dich erzählt hat, wusste ich, dass du vor nichts zurückschrecken würdest, um das Rätsel zu lösen - besonders, wenn deine beste Freundin angegriffen würde. Und Ginny hat mir gesagt, die ganze Schule sei in Aufruhr, weil du Parsel sprechen kannst ... Also ließ ich Ginny ihren eigenen Abschiedsgruß auf die Wand schreiben und kam hier herunter, um zu warten. Sie hat sich gewehrt und geheult und hat mich sehr gelangweilt. Doch jetzt ist nicht mehr viel Leben in ihr ... sie hat zu viel in das Tagebuch gesteckt - in mich. Genug, damit ich endlich dessen Seiten verlassen konnte ... Ich warte auf dich, seit wir hier sind. Ich wusste, du würdest kommen. Ich habe viele Fragen an dich, Harry Potter.« »Zum Beispiel?«, blaffte ihn Harry an, die Hände immer noch geballt. »Nun«, sagte Riddle vergnügt lächelnd, »wie kommt es, dass du - ein magerer Junge ohne außergewöhnliche magische Begabung - es geschafft hast, den größten Zauberer aller Zeiten zu besiegen? Wie konntest du mit nichts weiter als einer Narbe davonkommen, während Lord Voldemorts Kräfte zerstört wurden?« In seine hungrigen Augen trat jetzt ein merkwürdiges rotes Leuchten. »Was schert es dich, wie ich überlebte?«, sagte Harry langsam. »Voldemort kam nach deiner Zeit ...« »Voldemort«, sagte Riddle sanft, »ist meine Vergangenheit, meine Gegenwart und meine Zukunft, Harry Potter ...« Er zog Harrys Zauberstab aus der Tasche, schwang ihn durch die Luft und schrieb drei schimmernde Wörter: TOM VORLOST RIDDLE Und mit einem Schwung des Zauberstabs vertauschten die Buchstaben ihre Plätze: IST LORD VOLDEMORT »Siehst du?«, flüsterte er. »Es war ein Name, den ich schon in Hogwarts gebraucht habe, natürlich nur für meine engsten Freunde. Glaubst du etwa, ich wollte für immer den Namen meines miesen Muggelvaters tragen? Ich, in dessen Adern von der Mutter her das Blut von Salazar Slytherin selbst fließt? Ich soll den Namen eines schäbigen, gemeinen Muggels behalten, der mich verließ, noch bevor ich geboren war, nur weil er herausfand, dass seine Frau eine Hexe war? Nein, Harry - ich erfand mir einen neuen Namen, einen Namen, von dem ich wusste, dass Zauberer allerorten ihn eines Tages, wenn ich der größte Zaubermeister der Welt sein würde, vor Angst nicht auszusprechen wagen würden!« Harrys Gehirn schien wie gelähmt. Benommen starrte er Riddle an, den Waisenjungen, der später Harrys Eltern töten sollte und wie viele andere noch ... Endlich zwang er sich zu sprechen. »Das bist du nicht«, sagte er leise und mit hasserfüllter Stimme. »Was nicht?«, fuhr ihn Riddle an. »Nicht der größte Zauberer der Welt«, sagte Harry rasch atmend. »Tut mir Leid, dass ich dich enttäuschen muss, doch der größte Zauberer der Welt ist Albus Dumbledore. Das sagen alle. Selbst als du stark warst, hast du nicht gewagt, Hogwarts zu erobern. Dumbledore hat dich schon durchschaut, als du noch in der Schule warst, und er macht dir immer noch Angst, wo du dich auch heute verstecken magst -« Das Lächeln war aus Riddles Gesicht gewichen und er schaute Harry mit einem sehr hässlichen Blick an. »Dumbledore ist durch mein bloßes Gedächtnis aus diesem Schloss vertrieben worden«, zischte er. »Er ist nicht so fern, wie du glauben möchtest!«, erwiderte Harry. Er sprach so dahin, um Riddle Furcht einzujagen, ohne zu glauben, dass es stimmte - Riddle öffnete den Mund, doch dann erstarrte er. Von irgendwoher kam Musik. Riddle wirbelte herum und starrte durch die leere Kammer. Die Musik wurde lauter. Es war unheimliche Musik, sie ließ einen erschaudern, als wäre sie nicht von dieser Welt; Harrys Nackenhaare sträubten sich und sein Herz fühlte sich an, als wolle es auf die doppelte Größe anschwellen. Dann, als die Musik einen so hohen Ton erreicht hatte, dass Harrys Rippen erzitterten, brachen hoch oben an der Säule neben ihm Flammen aus. Ein scharlachroter Vogel, groß wie ein Schwan, tauchte aus den Flammen auf und zwitscherte seine unheimliche Musik der gewölbten Decke entgegen. Er hatte einen golden schimmernden Schweif, lang wie der eines Pfaus, und leuchtend goldene Krallen, die ein zerlumptes Bündel trugen. Eine Sekunde später schwebte der Vogel geradewegs auf Harry zu. Er ließ das zerlumpte Ding vor seine Füße fallen und landete dann schwer auf seiner Schulter. Während der Vogel seine großen Flügel faltete, sah Harry hoch und erkannte einen langen, scharfen goldenen Schnabel und ein perlenes schwarzes Auge. Der Vogel hörte auf zu singen. Er saß still und wärmend an Harrys Wange und starrte unverwandt Riddle an. »Das ist ein Phönix ...«, sagte Riddle misstrauisch zurückstarrend. »Fawkes?«, hauchte Harry und die goldenen Krallen des Vogels drückten sanft seine Schulter. »Und das -«, sagte Riddle und beäugte nun das zerlumpte Ding, das Fawkes hatte fallen lassen, »das ist der alte Sprechende Hut der Schule -« So war es. Geflickt, zerzaust und schmutzig lag der Hut reglos zu Harrys Füßen. Riddle begann wieder zu lachen. Er lachte so heftig, dass die dunkle Kammer davon widerhallte, als ob zehn Riddles auf einmal lachten - »Das also schickt Dumbledore seinem Verteidiger! Einen Singvogel und einen alten Hut! Fühlst du dich ermutigt, Harry Potter? Fühlst du dich jetzt sicher?« Harry antwortete nicht. Noch sah er ganz und gar nicht, was ihm Fawkes und der Sprechende Hut nützen würden, doch er war nicht mehr allein und mit wachsendem Mut wartete er, bis Riddle aufhörte zu lachen. »Spaß beiseite, Harry«, sagte Riddle, immer noch breit lächelnd. »Zweimal - in deiner Vergangenheit - in meiner Zukunft - sind wir uns begegnet. Und zweimal ist es mir nicht gelungen, dich zu töten. Wie hast du überlebt? Sag mir alles. je länger du sprichst«, fügte er sanft hinzu, »desto länger bleibst du am Leben.« Harry dachte rasch nach und wog seine Chancen ab. Riddle hatte den Zauberstab. Er hatte Fawkes und den Sprechenden Hut, und keiner von beiden würde ihm in einem Duell viel nützen. Es sah schlecht aus, gewiss ... doch je länger Riddle dastand, desto mehr Leben sickerte aus Ginny heraus ... und inzwischen, stellte Harry plötzlich fest, wurde Riddles Umriss klarer, fester ... Wenn es ein Kampf zwischen ihm und Riddle geben musste, dann so schnell wie möglich. »Keiner weiß, warum deine Kräfte verloren gingen, als du mich angegriffen hast«, sagte Harry brüsk. »Ich weiß es selbst nicht. Doch ich weiß, warum du mich nicht töten konntest. Weil meine Mutter starb, um mich zu retten. Meine einfache, von Muggeln geborene Mutter«, fügte er hinzu, zitternd vor unterdrückter Wut. »Sie hat dich daran gehindert, mich zu töten. Und ich habe dein wahres Selbst gesehen, letztes Jahr. Du bist ein Wrack. Du bist kaum noch am Leben. All deine Macht hat dir nichts weiter eingebracht. Du versteckst dich. Du bist hässlich, du bist abscheulich -« Riddles Gesicht verzerrte sich. Dann zwang er es zu einem grässlichen Lächeln. »Soso. Deine Mutter ist gestorben, um dich zu retten. ja, das ist ein mächtiger Gegenzauber. jetzt verstehe ich ... es ist trotz allem nichts Besonderes an dir. Ich hab mich gewundert, weißt du. Schließlich gibt es merkwürdige Ähnlichkeiten zwischen uns. Selbst du musst das bemerkt haben. Beide Halblütige, Waisen, von Muggeln aufgezogen. Wahrscheinlich die einzigen Parselzungen, die seit dem großen Slytherin nach Hogwarts kamen. Wir sehen uns sogar ein wenig ähnlich ... doch am Ende hat dich nur eine glückliche Fügung vor mir gerettet. Das ist alles, was ich wissen wollte.« Harry wartete angespannt darauf, dass Riddle seinen Zauberstab heben würde. Doch Riddles verzerrtes Lächeln wurde wieder breiter. »Nun, Harry, werde ich dir eine kleine Lektion erteilen. Messen wir die Kräfte von Lord Voldemort, dem Erben von Salazar Slytherin, mit denen des berühmten Harry Potter und den besten Waffen, die Dumbledore ihm geben kann ...« Er warf einen belustigten Blick auf Fawkes und den Sprechenden Hut und ging davon. Harry, dem die Angst dumpf die Beine hochkroch, sah, wie Riddle zwischen den hohen Säulen stehen blieb und zum steinernen Gesicht Slytherins emporblickte, hoch oben im Halbdunkel. Riddle öffnete weit den Mund und zischte - doch Harry verstand, was er sagte ... »Sprich zu mir, Slytherin, Größter der Vier von Hogwarts.« Harry wirbelte herum und sah zum Kopf der Statue hoch; Fawkes schlug mit den Flügeln. Slytherins gigantisches Steingesicht begann sich zu regen. Von Grauen gepackt sah Harry, wie sich der Mund öffnete, immer weiter, und ein riesiges schwarzes Loch freigab. Und etwas bewegte sich im Innern des steinernen Mundes. Etwas wand sich aus seinen Tiefen empor. Harry wich zurück, bis er gegen die dunkle Wand stieß. Er presste die Augen zusammen und dann spürte er, wie Fawkes, mit dem Flügel gegen seine Wange schlagend, von seiner Schulter flatterte. »Lass mich nicht allein!«, wollte Harry ihm nachrufen, doch welche Chance hatte ein Phönix gegen den König der Schlangen? Etwas Riesiges klatschte auf den steinernen Boden der Kammer und ließ ihn erzittern. Harry wusste, was geschah, er konnte es spüren, konnte fast sehen, wie die Schlange sich aus Slytherins Mund herauswand - dann hörte er Riddles zischende Stimme: »Töte ihn.« Der Basilisk schlängelte auf Harry zu, er konnte seinen schweren Körper über den staubigen Boden gleiten hören. Die Augen immer noch geschlossen, rannte Harry mit tastenden Händen an der Wand entlang - Voldemort lachte - Harry stolperte. Er schlug hart auf den Steinboden und schmeckte Blut - die Schlange war nur noch ein paar Meter von ihm entfernt, er hörte sie näher kommen - Nicht weit über seinem Kopf hörte er ein lautes, knallendes Spucken und dann traf ihn etwas Schweres so heftig, dass er gegen die Wand geschleudert wurde. Gleich würden Giftzähne in seinen Körper dringen, dachte er, und wieder hörte er ein rasendes Zischen und etwas, das wütend gegen die Säulen klatschte. Er konnte nicht anders - er öffnete die Augen weit genug, um etwas sehen zu können. Die riesige Schlange, leuchtend giftgrün, dick wie ein alter Baumstamm, hatte sich hoch in die Luft erhoben und ihr großer, stumpfer Kopf wankte wie betrunken zwischen den Säulen umher. Harry erschauderte, bereit, die Augen zu schließen, sobald sie sich umdrehte - und dann sah er, was die Schlange abgelenkt hatte. Fawkes schwebte um ihren Kopf herum und der Basilisk schnappte mit langen, säbeldünnen Giftzähnen nach ihm - Fawkes stürzte sich kopfüber in die Tiefe. Sein langer goldener Schnabel verschwand und ein jäher Schauer von dunklem Blut benetzte den Boden. Die Schlange schlug mit dem Schwanz aus und verfehlte Harry nur knapp, und noch bevor Harry die Augen schließen konnte, schoss sie herum - er blickte ihr direkt ins Gesicht und sah, dass ihre Augen, beide großen wulstigen Augen, vom Phönix durchstochen worden waren; Blut floss auf den Boden und die Schlange zischte in tödlicher Qual. »Nein!«, hörte Harry Voldemort schreien, »lass den Vogel! Lass den Vogel! Der Junge ist hinter dir! Du kannst ihn riechen! Töte ihn!« Die geblendete Schlange wankte, verstört, doch immer noch todbringend. Fawkes umkreiste weiter ihren Kopf, sein schauriges Lied singend, und hackte hin und wieder auf ihre schuppige Nase ein, während das Blut aus ihren zerstörten Augen quoll. »Helft mir, helft mir«, flüsterte Harry fiebrig, »jemand - irgendwer -« Wieder peitschte die Schlange mit dem Schwanz über den Boden. Harry duckte sich. Etwas Weiches hatte ihn im Gesicht getroffen. Der Basilisk hatte den Sprechenden Hut in Harrys Arme gewischt. Harry packte ihn. Er war alles, was er noch hatte, seine einzige Chance - er drückte ihn auf den Kopf und warf sich flach zu Boden, und schon peitschte der Schwanz des Basilisken über ihn hinweg. »Hilf mir - hilf mir -«, dachte Harry, die Augen unter dem Hut fest zugekniffen - »bitte, hilf mir -« Keine Stimme antwortete. Stattdessen zog sich der Hut zusammen, als würde ihn eine unsichtbare Hand fest umklammern. Etwas sehr Hartes und Schweres fiel auf Harrys Kopf und er wurde fast ohnmächtig. Er sah Sterne funkeln und packte die Spitze des Hutes, um ihn herunterzureißen, doch unter dem Stoff spürte er etwas Langes und Hartes. Im Innern des Hutes war ein silbern schimmerndes Schwert erschienen, auf dessen Griff eiergroße Rubine glitzerten. »Töte den Jungen! Lass den Vogel! Der Junge ist hinter dir, schnuppere - riech ihn!« Harry stand auf. bereit zum Kampf. Der Kopf des Basilisken fiel herab, der Körper wälzte sich umher und schlug gegen die Säulen, als er sich Harry zuwandte. Er konnte die riesigen, blutigen Augenhöhlen sehen, das Maul, weit aufgerissen, weit genug, um ihn auf einmal zu verschlingen, versehen mit Zähnen, so lang wie sein Schwert, schimmernd und giftig - Blindlings stieß der Kopf vor - Harry duckte sich weg und schlug gegen die Wand. Wieder stieß der Basilisk zu, und seine gespaltene Zunge peitschte Harry gegen die Schulter. Harry hob das Schwert mit beiden Händen - Der Basilisk stieß abermals zu, und diesmal zielte er richtig - Harry stürzte sich mit der Kraft seines ganzen Gewichts nach vorn und trieb das Schwert bis zum Heft in das Gaumendach der Schlange - Warmes Blut strömte über Harrys Arme herab, doch nun spürte er oberhalb des Ellbogens einen stechenden Schmerz. Ein langer, giftiger Zahn senkte sich tiefer und tiefer in seinen Arm und splitterte ab, als der Basilisk zur Seite kippte und zuckend zu Boden fiel. Harry glitt an der Mauer herunter. Er packte den Zahn, der Gift durch seinen Körper jagte, und zog ihn aus dem Arm. Doch er wusste, dass es zu spät war. Glühend heißer Schmerz breitete sich von der Wunde aus. Er ließ den Zahn fallen und sah noch, wie sein eigenes Blut den Umhang durchnässte, dann trübte sich sein Blick. Die Kammer verschwamm in einem Wirbel dunkler Farben. Ein Fleck Scharlachrot schwebte vorbei und Harry hörte das leise Geklapper von Klauen hinter sich. »Fawkes«, sagte Harry mit schwerer Zunge. »Du warst klasse, Fawkes ...«Er spürte, wie der Vogel seinen schönen Kopf auf die Stelle legte, wo der Schlangenzahn ihn durchstochen hatte. Harry hörte Schritte widerhallen und dann tauchte ein dunkler Schatten vor ihm auf. »Du bist tot, Harry Potter«, hörte er Riddles Stimme über sich. »Tot. Selbst Dumbledores Vogel weiß das. Siehst du, was er tut, Potter? Er weint.« Harry blinzelte. Fawkes' Kopf wurde klar und verschwamm dann wieder. Dicke, perlene Tränen kullerten die glänzenden Federn hinab. »Ich bleibe hier sitzen und sehe zu, wie du stirbst, Harry Potter. Lass dir Zeit. Ich hab's nicht eilig.« Harry fühlte sich benommen. Alles um ihn her schien sich zu drehen. »So endet der berühmte Harry Potter«, sagte Riddles ferne Stimme. »Allein in der Kammer des Schreckens, aufgegeben von seinen Freunden, am Ende besiegt vom Dunklen Lord, den er so vorwitzig herausgefordert hat. Bald bist du bei deiner lieben Schlammblutmutter, Harry ... sie hat dir zwölf Jahre geborgte Zeit verschafft ... doch Lord Voldemort hat dich schließlich gekriegt, und du wusstest, dass es so kommen musste ...« Wenn dies Sterben ist, dachte Harry, dann ist es gar nicht so übel. Selbst der Schmerz ließ nach. Aber war dies das Sterben? Die Kammer, anstatt schwarz zu werden, schien wieder schärfere Umrisse anzunehmen. Harry drehte den Kopf leicht zur Seite und sah Fawkes, der immer noch den Kopf auf seinen Arm gelegt hatte. Perlene Tränen schimmerten im Umkreis der Wunde - aber da war gar keine Wunde mehr - »Weg von ihm, Vogel«, ertönte plötzlich Riddles Stimme. »Weg von ihm - ich sagte, weg hier -« Harry hob den Kopf. Riddle deutete mit Harrys Zauberstab auf Fawkes; es gab einen Knall, laut wie ein Gewehrschuss, und wieder flatterte Fawkes in einem Wirbel aus Gold und Scharlach davon. »Phönixtränen ...«, sagte Riddle leise und starrte auf Harrys Arm.»Natürlich ... heilende Kräfte ... ganz vergessen ...« Er sah Harry ins Gesicht. »Macht nichts. In Wahrheit mag ich es lieber auf diese Weise. Nur du und ich, Harry Potter ... du und ich ...« Er hob den Zauberstab - Doch da, heftig mit den Flügeln schlagend, kam Fawkes wieder herbeigeschwebt und ließ etwas in seinen Schoß fallen - das Tagebuch. Den Bruchteil einer Sekunde lang starrten Harry und Riddle mit immer noch erhobenem Zauberstab auf das Tagebuch. Dann, ohne nachzudenken, ohne zu zögern, als habe er es schon immer vorgehabt, hob Harry den Basiliskzahn vom Boden und stach ihn mitten ins Herz des Buches. Ein langer, fürchterlicher, durchdringender Schrei ertönte. Tinte quoll in Sturzbächen aus dem Buch, strömte über Harrys Hände und überflutete den Boden. Riddle wand und krümmte sich, schreiend und mit den Armen rudernd, und dann - Er war verschwunden. Harrys Zauberstab fiel klappernd zu Boden und es herrschte Stille. Stille mit Ausnahme des stetigen tropf, tropf der Tinte, die immer noch aus dem Tagebuch heraussickerte. Der Giftzahn des Basilisken hatte ein knisterndes Loch mitten hindurch gebrannt. Am ganzen Leib zitternd richtete Harry sich auf. Ihm drehte sich alles, als ob er gerade meilenweit mit Flohpulver gereist wäre. Schwerfällig sammelte er den Zauberstab und den Sprechenden Hut auf, und dann, mit einem gewaltigen Ruck, zog er das schimmernde Schwert aus dem Maul des Basilisken. Da hörte er ein schwaches Stöhnen vom Ende der Kammer. Ginny regte sich. Bis Harry bei ihr war, hatte sie sich schon aufgesetzt. Ihr verwirrter Blick wanderte von der riesigen Gestalt des toten Basilisken zu Harry in seinem blutgetränkten Umhang und zum Tagebuch in seiner Hand. Sie stöhnte laut auf und erschauderte und Tränen flossen ihr übers Gesicht. »Harry, ach, Harry - ich wollte es dir beim F...Frühstück sagen, aber ich k...konnte es nicht vor Percy - ich wars, Harry - aber ich - ich sch...schwöre, ich wollte es nicht - R...Riddle hat mich dazu gebracht, er h...hat mich geholt – und - wie hast du dieses - dieses Ding da - getötet? Wo ist Riddle? Das Letzte, an das ich mich erinnere, ist, dass er aus seinem Tagebuch kam -« »Es ist alles gut«, sagte Harry, hielt das Buch empor und zeigte Ginny das Loch, das der Giftzahn hinterlassen hatte. »Riddle ist erledigt. Schau! Er und der Basilisk. Komm, Ginny, verschwinden wir von hier -« »Sie werden mich von der Schule schmeißen«, weinte Ginny, als Harry ihr ungeschickt auf die Beine half. »Ich hab mich so gefreut, nach Hogwarts zu kommen, schon seit B...Bill hinging und j...jetzt muss ich wieder fort und - w...was werden Mum und Dad sagen?« Fawkes wartete auf sie, über dem Eingang der Kammer schwebend. Harry drängte Ginny, schnell zu gehen; sie stapften über den reglosen Schwanz des toten Basilisken, durch die von Echos erfüllte Düsternis und zurück in den Tunnel. Harry hörte, wie die Steintore hinter ihnen mit einem leisen Zischen zuschlugen. Nachdem sie ein paar Minuten durch die Finsternis gegangen waren, hörte Harry von fern ein Geräusch. Es waren Steine, die über den Boden geschleift wurden. »Ron!«, schrie Harry und ging schneller. »Ginny geht es gut! Ich hab sie!« Er hörte den gedämpften Freudenschrei Rons, und als sie um die nächste Biegung kamen, sahen sie sein begeistertes Gesicht durch den erstaunlich breiten Spalt lugen, den er zwischen den Felsbrocken geschaffen hatte. »Ginny!« Ron versagte die Stimme, als er einen Arm durch die Lücke steckte, um sie zuerst hindurchzuziehen. »Du lebst! Ich kann's nicht fassen! Was ist passiert?« Er versuchte sie in den Arm zu nehmen, doch Ginny sträubte sich schluchzend. »Aber du bist gesund, Ginny«, sagte Ron und strahlte sie an. »Es ist vorbei, es ist - wo kommt eigentlich dieser Vogel her?« Fawkes war nach Ginny durch den Spalt geflattert. »Er gehört Dumbledore«, sagte Harry und quetschte sich nun ebenfalls hindurch. »Und wie kommst du zu dem Schwert?«, sagte Ron und starrte mit offenem Mund die schimmernde Waffe in Harrys Hand an. »Das erklär ich dir, wenn wir hier raus sind«, sagte Harry mit einem Seitenblick auf Ginny. »Aber -« »Später«, sagte Harry rasch. Er hielt es für keine gute Idee, Ron jetzt schon zu sagen, wer die Kammer des Schreckens geöffnet hatte, nicht vor Ginny jedenfalls. »Wo steckt Lockhart?« »Dahinten«, sagte Ron grinsend und nickte mit dem Kopf zum Rohr am anderen Ende des Tunnels. »Geht ihm ziemlich dreckig. Komm mit.« Von Fawkes geführt, dessen scharlachrote Flügel einen sanften goldenen Schimmer in der Dunkelheit verbreiteten, gingen sie den ganzen Weg zurück zur Mündung des Rohrs. Dort saß, friedlich vor sich hin summend, Gilderoy Lockhart. »Er hat sein Gedächtnis verloren«, sagte Ron. »Der Vergessenszauber ist nach hinten losgegangen. Hat ihn selbst erwischt. Er hat keine Ahnung, wer er ist, wo er ist und wer wir sind. Ich hab ihm gesagt, er soll hier warten, sonst bringt er sich noch selbst in Gefahr.« Lockhart schaute gut gelaunt zu ihnen hoch. »Hallo«, sagte er. »Komischer Ort ist das. Lebt ihr hier?« »Nein«, sagte Ron und sah Harry stirnrunzelnd an. Harry beugte sich hinunter und schaute in die lange dunkle Röhre. »Hast du eine Idee, wie wir hier wieder hochkommen?«, sagte er zu Ron. Ron schüttelte den Kopf, doch der Phönix war an Harry vorbeigerauscht und flatterte nun vor seinem Gesicht. Seine Perlenaugen leuchteten hell in der Dunkelheit. Er wedelte mit seinem langen goldenen Federschweif. Harry sah ihn unsicher an. »Sieht aus, als wolle er, dass du dich festhältst ...«, sagte Ron verdutzt. »Aber du bist viel zu schwer, als dass ein Vogel dich da hochziehen könnte.« »Fawkes«, sagte Harry, »ist kein gewöhnlicher Vogel.« Er wandte sich rasch zu den andern um. »Wir müssen uns aneinander festhalten. Ginny, du nimmst Rons Hand. Professor Lockhart -« »Er meint Sie«, sagte Ron in scharfem Ton zu Lockhart. »Sie halten Ginnys andere Hand.« Harry steckte das Schwert und den Sprechenden Hut in den Gürtel, Ron hielt sich hinten an seinem Umhang fest und Harry streckte die Hand aus und griff nach Fawkes' merkwürdig heißen Schwanzfedern. Eine ungewöhnliche Leichtigkeit schien durch seinen ganzen Körper zu fluten und einen Augenblick später rauschten sie durch das Rohr nach oben. Harry konnte Lockhart unter sich hin und her schwingen hören. »Unglaublich! Unglaublich, rief er. »Das ist ja wie Zauberei!« Die kalte Luft peitschte durch Harrys Haar und bevor er den Spaß an der Fahrt verlor, war sie auch schon vorbei - alle vier klatschten auf den nassen Boden im Klo der Maulenden Myrte, und während Lockhart seinen Hut zurechtrückte, glitt das Waschbecken, das das Rohr verbarg, wieder an seinen Platz. Myrte machte Glubschaugen. »Du lebst ja noch«, sagte sie mit tonloser Stimme zu Harry. »Kein Grund, so enttäuscht zu sein«, sagte er grimmig und wischte die Blut- und Schleimspritzer von seiner Brille. »Nun ja ... ich hab nur ein wenig nachgedacht. Wenn du gestorben wärst, hättest du gerne meine Toilette mit mir teilen können«, sagte Myrte und lief silbern an. »Uääh«, sagte Ron, als sie das Klo verließen und in den dunklen, verlassenen Korridor hinaustraten. »Harry! Ich glaub, Myrte hat sich in dich verknallt! Du hast eine Konkurrentin, Ginny« Doch immer noch kullerten Tränen über Ginnys stummes Gesicht. »Wohin jetzt?«, sagte Ron mit einem besorgten Blick auf Ginny. Harry deutete nach vorn. Fawkes, golden im dunklen Gang glühend, wies ihnen den Weg. Sie gingen ihm nach und kurze Zeit später standen sie vor Professor McGonagalls Büro. Harry klopfte und öffnete die Tür.