Erst arbeitslos, dann obdachlos? – MONITOR
Hanna Krieg aus Hamburg, 44 Jahre, Diplom-Medienwirtin.
Lange erfolgreiche Unternehmensberaterin. Was kann da schon passieren?
(Hanna) Das habe ich auch mal gedacht.
Wenn Sie in Lohn und Brot sind, gut verdienen,
Sie haben ne super Ausbildung gemacht.
Dass einen das nicht betrifft oder dass einem das nicht passieren kann,
das stimmt ja nicht, das sehen wir ja an mir.
Natürlich muss ich sagen, es kann jeden treffen.
(Off-Sprecher) Eine Krankheit warf sie vor 5 Jahren aus der Bahn,
als Selbständige musste sie kürzer treten.
Aktuell bekommt sie Arbeitslosengeld II und erlebt die Vorurteile in den Köpfen.
(Hanna) Meine Eltern, zu denen habe ich gar kein Kontakt gerade.
Die ignorieren das, weil die das nicht sehen wollen.
Die haben sich ein Haus gebaut, die haben eine sichere Rente.
Die sind jetzt Anfang 70 und so weiter und sofort.
Und meine Probleme verstehen die gar nicht.
Das ist direkt im familiären Umfeld leider auch der Fall.
Deswegen ist das auch so ein Problem von Menschen, die dann so abdriften,
oder Arbeit verlieren oder ihr Einkommen verlieren.
Und dann vielleicht noch die Wohnung verlieren.
Ihre Mietwohnung in Groß Flottbek ist ihr noch geblieben,
sie hat Freunde in der Nachbarschaft.
Das Durchschnittsgehalt liegt im Stadtteil bei 88.000 Euro.
Früher konnte sie da noch finanziell mithalten.
Doch jetzt nicht mehr, und das hat Folgen:
Das Haus, in dem sie zur Miete lebt, wurde verkauft,
es folgte eine kräftige Mieterhöhung.
Weit über dem Satz, den das Jobcenter üblicherweise zahlt.
Und dabei blieb es nicht, der Vermieter kündigte.
Wegen Eigenbedarfs. Sie muss raus.
Das sind echt schlaflose Nächte, das ist ja, Sie verlieren Ihr Obdach.
Das Einzige, was der Mensch... Eins der wichtigsten Dinge.
Bevor Sie überhaupt irgendwie sind, brauchen Sie ein Dach überm Kopf.
Bevor Sie überhaupt irgendwas machen können im Leben.
Dazu kommt Essen und Trinken.
Und...
Ist keine leichte Situation, insbesondere nach 11 Jahren.
Ist das schon nicht so leicht, so einfach sich hiervon zu trennen.
(Off-Sprecher) Rechtlich kann sie nichts machen.
Die neuen Eigentümer wollen hier selbst einziehen.
Noch vor dem Kauf kamen die neuen Besitzer zu Besuch.
Dann habe ich mich mit denen unterhalten, ne halbe Stunde.
Die haben mir erzählt, sie wollen mich raushaben.
Und ich hab erzählt, ich würde gerne hier drin wohnen bleiben, verständlicherweise.
Und am Ende des Gesprächs meinten sie, wir haben Ihnen schon mal die Mieterhöhung
von Ihrem jetzigen Vermieter mitgebracht, mit der wir natürlich einverstanden sind.
So, dann können Sie sich denken,
dann waren die beiden, die das geschrieben haben, weil das Anwälte sind.
Nun muss sie als Hartz-IV-Empfängerin eine neue Wohnung suchen.
Für maximal 495 Euro Kaltmiete, parallel mit Tausenden anderen Hamburgern.
Es ist nie schön, wenn man arbeitslos wird, egal was.
Und was dann an Rattenschwanz dahinter kommt
mit den finanziellen Einschränkungen, ist bestimmt auch nicht schön.
Und wenn dann noch eine Kündigung kommt
und man muss mit diesen finanziellen Einschränkungen dann ne Wohnung suchen,
ist es der Super-GAU.
Sie sehen plötzlich ganz viele Obdachlose um sich herum.
Kann ich Ihnen zeigen, da vorne unter der Brücke wohnt einer.
Das sind Horrorszenarien, da können Sie nachts dann nicht schlafen.
Hanna Krieg gibt aber nicht auf, sucht im Internet und über Bekannte,
selbst eine nette Wohngemeinschaft kann sie sich vorstellen.
Sie hofft auf einen Zufallstreffer.
Mit ihren Existenzängsten ist sie nicht allein.
Mietrechtsexpertin Sylvia Sonnemann erlebt solche Ängste nahezu täglich.
Menschen mit geringem Einkommen
würden nicht nur aus den angestammten Vierteln verdrängt,
sie hätten Not, überhaupt etwas zu finden.
Wenn Sie sich als ALG-II-Bezieherin oder als Grundsicherungsempfänger
eine Wohnung suchen, da müssen Sie sich an Mietobergrenzen halten.
Und diese Mietobergrenzen sind angemessen auf einem Wohnungsmarkt nicht anzumieten,
diese Wohnungen.
Die einzige Chance, die man wirklich hat, ist, bei einer Genossenschaft
oder bei einem staatlichen Wohnungsunternehmen unterzukommen.
Sonst ist man da chancenlos.
Auf dem freien Markt sind die Preise explodiert.
Selbst in Stellingen, einem durchschnittlichen Stadtteil,
kostet eine 2-Zimmer-Wohnung 790 Euro kalt.
300 Euro mehr, als das Jobcenter zahlt.
Ihre letzte Hoffnung ist die SAGA, das städtische Wohnungsunternehmen.
Jedes Jahr baut das Unternehmen 1.000 neue Sozialwohnungen.
Hamburg gilt deshalb bundesweit als Vorbild.
Doch es reicht bei Weitem nicht. Ihr Anruf bringt Ernüchterung.
Ach, Sie haben gar keine?
Nichts?
Danke, tschüs.
Mein Gesuch ist jetzt einer von 1.000 in der Warteliste.
Und sollte was Passendes dabei sein, werde ich benachrichtigt.
Innerhalb von 1 bis 2 h sind die meistens weg, wenn die im Internet stehen.
Also müsste ich dann 24 h oder so auf die Webseite gucken.
Da bin ich dann sprachlos.
SAGA ist ja einer der größten Anbieter überhaupt hier in Hamburg, ne?
Ja.
Keine Chance.
Die größte Angst hat sie davor,
mit der Wohnung ihr ganzes soziales Umfeld zu verlieren.
Raus aus der Wohnung, raus aus ihrem Leben.
Gerade wenn Sie krank werden und wenn Sie dann noch finanziell absteigen,
können Sie nicht mehr das alles machen, was Sie noch vorher gemacht haben,
als voll berufstätiger Mensch, der draußen rumgelaufen ist und Action gemacht hat.
Freunde oder Kollegen oder Bekannte, auch da wird das soziale Umfeld eingeschränkt.
Deswegen bin ich ja so froh, dass ich hier wohne.
Damit ich auch nach wie vor den Kontakt halten kann zu den Leuten
wie eben dem Chor oder den anderen Menschen,
die ich z.T. betreue oder denen ich weiterhelfe.
Für die Holtmanns aus der Nachbarschaft ist Hanna Krieg eine gute Freundin.
Die ehemalige Unternehmensberaterin unterstützt das blinde Paar beim Einkaufen
und holt sie jede Woche für die Kirchenchorproben ab.
Hier in Groß Flottbek wird Hanna Krieg kaum mehr eine Wohnung finden.
Als Hartz-IV-Empfängerin ist sie sowieso die große Ausnahme.
In der Kirche spielt das keine Rolle.
Seit der Gründung des Chors singt sie hier mit.
Sie gehört dazu. Noch.
Dann würde jemand fehlen, jemand Wichtiges fehlen.
Ich finde es wirklich bedrohlich.
Ich meine, auch wir haben mal irgendwann zur Miete gewohnt,
das war uns nicht an der Wiege gesungen,
dass wir irgendwann ne Eigentumswohnung hätten, und ich finde das bedrohlich.
Es ist... Ich finde das auch bedrohlich für einen Stadtteil,
wenn sich da so viel verschiebt und tut.
Irgendwie habe ich auch ehrlich gesagt Angst um manche gute Freundinnen,
die wissen, irgendwann können sie vielleicht die Miete nicht zahlen.
(Off-Sprecher) In ihrem Chor hat sie Freunde gefunden.
Den meisten hier geht es finanziell gut.
Auch Hanna Krieg fühlte sich einmal gut abgesichert.
Nun fürchtet sie um ihre Existenz.
Wenn Sie beruflich, finanziell Abstriche machen müssen
und dann immer mehr und mehr vielleicht auch in gesundheitliche Probleme verfallen
und dann noch eine Kündigung kommt,
das ist dann alles irgendwie ganz schön viel für einen Menschen.