Gigastädte oder Massenghettos? - Die Vision der Arkologie (2018)
Was wäre, wenn wir alle Menschen auf diesem Planeten auf der Fläche von Grönland unterbringen
könnten – komfortabel, unter modernsten Lebensbedingungen – und das alles ohne die
Umwelt zu beeinträchtigen. Moment, wir könnten gleichzeitig die Probleme Überbevölkerung,
Umweltbelastung und Ernährung lösen? Was wie eine Utopie klingt, wird unter Architekten
weltweit seit Jahrzehnten diskutiert, geplant und in Ansätzen schon gebaut. Heute erfahrt
ihr bei uns alles über Arkologien, die größte Vision der Architektur. Ich bin Gesa. Willkommen
bei Raumzeit!
Der Begriff der Arkologie wurde geprägt von dem italienischen Architekten Paolo Soleri. In seinem Buch „Arkology – City in the
Image of Man“ beschreibt er sein Konzept als Vereinigung von Architektur und Ökologie.
Als Teil seines Lebenswerkes legte Soleri den Grundstein für Arcosanti, eine nach arkologischen
Grundsätzen angelegte Stadt in Arizona. Dort, in seinem Arcosanti, wurde Soleri, der vor
fünf Jahren verstarb, auch zur Ruhe gebettet. Aber werden wir mal konkreter. Von Arkologien
kann man sprechen, sobald die Faktoren der Selbstversorgung und der Umweltneutralität
erfüllt werden. Wenn euer Haus seinen Strom teils per Photovoltaik erzeugt, wenn ihr mit
einer Geothermieanlage heizt, wenn in eurem Garten ein paar Obstbäume und Gemüsebeete
sind, dann hat euer Haus bereits klare arkologische Züge.
Aber die Konzepte und Entwürfe gehen natürlich weiter. Eine Arkologie wird gemeinhin als
sehr dicht bevölkerte, häufig stark vertikale Struktur verstanden. Ein wesentliches Merkmal
ist die Möglichkeit, im Wesentlichen alle Wege zu Fuß zurücklegen zu können – damit
liegen Wohngebiete in unmittelbarer Nähe zu Gewerbebereichen und Erholungsarealen.
Außerdem soll eine Arkologie die Umwelt quasi nicht beanspruchen. Das bedeutet – dass
sie ihre eigene Energie erzeugt, Abfallprodukte und Wasser nahezu vollständig recycelt, und
ihre eigene Nahrungsversorgung sicherstellt. Was jetzt vielleicht wie ein düsterer Ansatz
aus Orwells 1984 oder dem Film „Das fünfte Element“ klingt, in dem Menschen in kleinen
Zellen bei Soylent Green ihr tristes Dasein fristen, ist natürlich anders geplant. Es
geht um großzügiges, modernes Wohnen für alle. Um Versorgung, die der heutigen in Nichts
nachsteht, aber eben lokal produziert wird. Nicht um Massenbehausung, sondern um ein Leben
des Menschen IN einer Umwelt, nicht auf Kosten der Umwelt.
Auch wenn noch immer keine echte Arkologie existiert, weil alle bisherigen Konzepte entweder
an mangelhaften Planungen oder an mangelnder Finanzierung scheiterten, so gibt es doch
weltweite Bestrebungen, arkologische Elemente in Stadtplanungen und Neubauten mit einzubeziehen.
Aktuelle Ansätze existieren teils im Konzeptstadium, so zum Beispiel NOAH, das New Orleans Arcology
Habitat, welches eine schwimmende Stadt werden soll. NOAH ist über 400 Meter hoch und hat
einen Durchmesser von etwa 500 Metern. Es soll 20.000 Wohnungen beherbergen, drei Hotels,
kommerzielle und kulturelle Bereiche, ein vollständiges Schul- und Gesundheitssystem
und mehr. Konkreter wird es in Dubai. Dort entsteht
mit Masdar City eine 6 Quadratkilometer große Stadt der Zukunft mit eigenem Sonnenkraftwerk,
automatisierten Transportsystemen und einem durchdachten Klimatisierungskonzept, um auf
Klimaanlagen fast vollständig verzichten zu können. Siemens errichtete in Masdar City
ein für seine Umweltfreundlichkeit ausgezeichnetes Firmengebäude.
An wieder anderen Orten werden einzelne Arkologiemerkmale genutzt. Wer schonmal in Las Vegas war, weiß,
dass man nahezu jeden Ort entlang des kilometerlangen Las Vegas Strips erreichen kann, ohne je ein
Gebäude zu verlassen. Auf dem Shanghai Tower wurden Windturbinen errichtet, welche das
Gebäude pro Jahr mit 350 Megawattstunden versorgen. Die gewundene Form half dabei,
Konstruktionsmaterialen einzusparen – und das ganze Gebäude verfügt über eine semi-intelligente
Außenhülle, welche die Klimakontrolle erleichtert. Warum aber gibt es noch keine fertigen Megastrukturen
wie NOAH aus New Orleans oder Crystal Island, dessen Bau vor wenigen Jahren in Moskau hätte
beginnen sollen? Arkologien stellen Architekten, Stadtplaner und Bauingenieure vor ganz besondere
Herausforderungen. Allein Sicherheit, Wartung und Verkehrsführung innerhalb eines solchen
Gebäudes sind ein planerischer Albtraum. Dazu kommen drei große Probleme für die
gewaltigen Arkologien der Zukunft – Energieversorgung, Nahrungsproduktion und Kühlung. Diese Probleme
greifen ineinander – oft wird zum Beispiel die Fläche unterschätzt, die für Nahrungsproduktion
nötig ist. Mithilfe von Hydroponik und vertikalem Anbau lässt sich die nötige Fläche pro
Person auf potenziell 500 bis 600 Quadratmeter reduzieren. Aber die angebauten Pflanzen benötigen
viel Licht. Selbst mit modernsten LED-Anlagen, welche nur das für die Pflanzen optimale
rötliche Licht abgeben, wird immer noch eine erhebliche Menge an Restwärme erzeugt – und
entsprechend viel Energie benötigt. Solar- und Windkraftwerke können diesen Energiebedarf
nur bedingt decken. Als realistische Lösung bietet sich daher vermutlich nur fortgeschrittene
Fusionstechnologie an. Aber was ist potenziell möglich? Machen wir
ein Gedankenexperiment. Gehen wir mal davon aus, dass eine Person 50 m² zum Leben benötigt
und großzügig weitere 950 für öffentliche Flächen, Anbau und Gewerbe genutzt werden.
In einer Arkologie mit einer Grundfläche von 4 Quadratkilometern und 50 Stockwerken
kann ich so 200.000 Menschen unterbringen, deren gesamte Nahrung produzieren und habe
immer noch viele Quadratkilometer Platz für Behörden, Fabriken, Einkaufszentren, Parks,
Schwimmbäder, Konzertsäle und vieles mehr. 50000 dieser Arkologien bieten bereits 10
Milliarden Menschen Platz und tatsächlich ließen sich 50.000 Arkologien in Grönland
errichten, wenn man zwischen ihnen 4 km Platz lässt.
Diese Arkologien könnten sich spezialisieren – etwa als Regierungssitz, als Produktionszentrum,
als Universitäten. Verbunden werden die Komplexe mit Hochbahnen – auf den Längsachsen hingegen
sind hyperloopähnliche Fortbewegungsmöglichkeiten vorstellbar.
Wir wissen ganz genau, dass an dieser Stelle viele unserer Zuschauer mit dem Kopf schütteln
werden. Tatsache ist aber, dass die Lebensbedingungen in einer Arkologie für mehr als 90% der Menschen
auf diesem Planeten eine entschiedene Verbesserung der Lebenssituation darstellen würde. Mehr
noch, die Umweltbelastungen würden auf ein Minimalmaß reduziert – Arkologien sind
umweltneutral und machen gleichzeitig die überwiegende Mehrheit des globalen Verkehrs
überflüssig. Denkt man das Konzept weiter, dann stellt
man schnell fest, dass auf diese Weise sogar Billionen von Menschen auf der Erde leben
könnten und dabei die Umwelt deutlich weniger belasten würden als die aktuellen 7 Milliarden.
Arkologien lassen sich natürlich auch als Teil von Kolonien im Sonnensystem vorstellen.
In lebensfeindlichen Umgebungen – etwa auf dem Mars – sind Arkologien Pflicht, wenn
man größere Bevölkerungszahlen realisieren will.
Wie wir schon mehrfach betonten – das ist keine Forderung oder Handlungsanweisung unsererseits.
Es soll lediglich demonstrieren, was für Möglichkeiten uns die Erde bietet und wie
wir auch bei drastischem Bevölkerungswachstum immer noch Lösungsmöglichkeiten hätten.
Dass arkologische Konzepte, wie sie aktuell stadtplanerisch mehr und mehr zum Einsatz
kommen, sinnvoll sind, steht ohnehin außer Frage.
Wie aber ist eure Meinung? Sind Arkologien ein Konzept, dessen weitere Betrachtung sich
für die Menschen lohnt? Wenn nein, was sind die Alternativen? Wir hoffen, unsere Sendung
hat euch gefallen. Und wenn das so ist, dann freuen wir uns über ein Abo. Wir sagen wie
immer danke fürs Zuschauen und in diesem Sinne, 42!