Abtreibung I Zwischen Mutter und Kind
Ein Kind abzutreiben ist in Deutschland rechtswidrig. „Wie?“ Werdet Ihr euch jetzt vielleicht
fragen. Abtreibung ist in Deutschland verboten? Ja, in der Regel ist sie das. Unter bestimmten
Umständen wird das aber nicht bestraft. Warum das so ist und welche Aspekte bei dem Thema
noch eine Rolle spielen, das klären wir nach dem Opener.
Eine derartige Regelung, also etwas zu verbieten, aber Ausnahmen zuzulassen bzw. Verstöße
erst gar nicht zu ahnden, ist eine beliebte Vorgehensweise des Gesetzgebers bei gesellschaftlich
kontrovers diskutierten Praktiken.
Durch das eigentliche Verbot ist ausgedrückt, dass es in der Gesellschaft Gegner von Abtreibung
gibt und dass man die Praxis für problematisch und das entstehende Leben für schutzwürdig
hält. Die Ausnahmen bringen zum Ausdruck, dass es durchaus berechtigte Gründe geben
kann, eine Schwangerschaft abzubrechen und man erkennt gleichzeitig das Selbstbestimmungsrecht
der Frau an.
Der Gesetzgeber sieht drei Arten von Ausnahmen vor. Erstens bleibt ein Schwangerschaftsabbruch
dann straffrei, wenn er in den ersten 12 bis 14 Wochen der Schwangerschaft durchgeführt
wird. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Schwangere an einem Beratungsgespräch
teilnimmt, in dem die Alternativen zur Abtreibung abgewogen werden. Nach dem Gespräch muss
sie eine Bedenkzeit von 3 Tagen einhalten.
Die zweite Ausnahme bilden medizinische Gründe. So kann eine Schwangerschaft zum Beispiel
ein zu hohes gesundheitliches Risiko darstellen oder es können Komplikationen während der
Schwangerschaft auftreten, die das Leben der Schwangeren gefährden. Auch die seelische
Gesundheit der werdenden Mutter kann hier eine Rolle spielen. Wie im ersten Fall gilt
eine Bedenkzeit von 3 Tagen - sofern dies möglich ist.
Die dritte Ausnahme bilden kriminogene Gründe. Diese liegen vor, wenn die Schwangerschaft
zum Beispiel das Resultat einer Vergewaltigung oder von Inzest ist.
Wie im ersten Fall muss auch bei diesem Grund für einen Schwangerschaftsabbruch in den
ersten 12 bis 14 Wochen der Schwangerschaft abgetrieben werden.
Bei den letzten beiden Ausnahmen ist der Schwangerschaftsabbruch auch ausdrücklich nicht rechtswidrig. Die
mitunter Paradox erscheinenden gesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch sind
das Resultat einer gesellschaftlichen Debatte, in der sich zwei Pole gegenüberstehen: Zum
einen das Recht auf Selbstbestimmung und das Wohl der Schwangeren und auf der anderen Seite
das Lebensrecht und die Würde des noch ungeborenen Kindes.
Das drückt sich schon im Namen der entsprechenden Bewegung, in diesem Fall in Amerika, aus.
Die Gegner von Abtreibung heißen dort “pro life” - also für das Leben - und die Befürworter
“pro choice” - also für die Entscheidung oder Entscheidungsfreiheit. Schauen wir uns
die Argumente der Gegner mal genauer an.
Im Zentrum ihrer Argumentation stehen - wie gesagt - die Rechte und Würde des Kindes.
Ihrer Auffassung nach ist es auch verboten, einen ungeborenen Menschen zu töten, weil
er Würde hat. In diesem Kontext drängt sich natürlich die Frage auf: Ab wann gestehen
wir einem Menschen diese Würde zu?
Denn bei einem Ungeborenen handelt es sich noch nicht um einen voll entwickelten Menschen,
dem alle Eigenschaften zukommen, die das Mensch-Sein ausmachen. Wobei: auch diese Feststellung
ist schon ein bisschen problematisch, denn es ist nicht ganz klar, welches die Eigenschaften
sind, die einen Menschen und seine Würde ausmachen.
Darauf gibt es sehr Unterschiedliche Antworten: Seine Gottebenbildlichkeit, sein zur Reflexion
befähigtes Bewusstsein oder auch seine Autonomie, also seien Fähigkeit zur Selbstbestimmung.
Dementsprechend sind die Antworten darauf, wann ein Mensch seine Würde erhält, auch
sehr unterschiedlich. Sie reichen vom Zeitpunkt der Befruchtung über die Geburt bis hin zur
vollen Entwicklung des Bewusstseins.
Trotzdem scheinen wir bestehendes Leben höher zu bewerten als ungeborenes. Zum Beispiel
dann, wenn es um das Überleben der werdenden Mutter geht. Die Potenzialität von ungeborenem
Leben spielt also eine Rolle in unserer Bewertung. Sie alleine ist aber noch kein gutes Argument
dafür, warum Abtreibungen unbedenklich sind, denn man muss einsehen, dass sich aus dem
Embryo - sofern man nicht weiter eingreift - ein Mensch entwickeln wird.
Man könnte das Argument der Potenzialität natürlich auch noch in die andere Richtung
weitertreiben - wie es die Kirche tut - und damit auch gegen Verhütung im Allgemeinen
argumentieren. Ob man diesen Schritt aber wirklich mitgehen will - ich weiß es nicht.
Denn vernünftige Verhütung ist in jedem Fall ein Mittel, mit dem sich viele Abtreibungen
verhindern ließen. Zumal man sonst auch sagen könnte, man muss jede Gelegenheit nutzen,
neues Leben zu schaffen, denn im Prinzip verhindert man sogar mit dem Verzicht auf Sex potentielles Leben.
Eine Frage, die sich in diesem Kontext immer wieder aufdrängt, ist die, ob die Pille danach
eine Form der Abtreibung darstellt. Die klare Antwort ist nein, denn die Pille danach verhindert
nicht die Befruchtung der Eizelle, sie zögert lediglich den Eisprung hinaus. Ist dieser
schon erfolgt, bleibt sie wirkungslos.
Ein Argument der Gegner sind die angeblich negativen psychologischen Folgen einer Abtreibung.
Ich sage deshalb “angeblich”, weil mehrere Studien renommierter Institute unabhängig
voneinander keinen Zusammenhang zwischen psychologischen Erkrankungen und Abtreibungen feststellen
konnten. Was problematisch sein kann, ist die gesellschaftliche Stigmatisierung, der
sich manche Frauen nach einer Abtreibung ausgesetzt sehen.
Die Bedürfnisse der Frau zu betonen ist aber generell eher die Perspektive der Abtreibungsbefürworter
oder besser gesagt: der Befürworter von Entscheidungsfreiheit, denn natürlich finden diese Abtreibungen
auch nicht toll oder wünschenswert. Vielmehr fordern sie das Recht der Frau auf Selbstbestimmung
über ihren Körper und ihr Leben.
Insofern müssen sich die Befürworter auch nicht auf eine problematisierbare Vorstellung
von Moral oder der Würde des Menschen berufen. Sie überlassen es vielmehr jeder Frau selbst,
die Entscheidung zu treffen, wie sie mit einer ungewollten Schwangerschaft umgeht.
Die große Frage, die sich hier stellt, ist: Wer hat das Recht über den Körper und die
Schwangerschaft einer Frau zu entscheiden? Sie selbst oder der Staat, der sich zum Schutz
des werdenden Kindes verpflichtet sieht. Wenn man beiden ein gewisses Recht zugesteht, dann
wird man sich darauf einigen müssen, welche Gründe einen Schwangerschaftsabbruch rechtfertigen
und welche nicht.
Den Grund medizinischer Indikationen in Bezug auf die Schwangere hatten wir ja schon erwähnt,
aber natürlich kann sich diese Frage auch in Bezug auf das Kind stellen, zum Beispiel
dann, wenn eine Behinderung diagnostiziert wird. Oft wird darüber diskutiert, ob mit
dieser oder jener Behinderung ein lebenswertes Leben möglich ist.
Man muss sich dabei darüber im Klaren sein, über welche Arten und Grade von Behinderung
man diskutiert, denn die Bandbreite reicht ja von kleinen Beeinträchtigungen bis hin
zu schwersten Fehlbildungen, die nur ein sehr kurzes und leidvolles Leben zulassen.
Auch den Extremfall einer Schwangerschaft, die aus einer Vergewaltigung resultiert, haben
wir ja schon angesprochen. Ich glaube jeder kann nachvollziehen, was es für eine Zumutung
für eine Frau wäre, dieses Kind auszutragen. Aber natürlich - und das ist das problematische
daran - kann das Kind letztlich nichts dafür.
Ein anderer Grund, der gelegentlich angeführt wird, ist, dass ein Kind nicht in die aktuelle
Lebensplanung passt. Das mag auf den ersten Blick wie ein Luxusproblem klingen, man darf
aber nicht aus dem Blick verlieren, dass eine Mutterschaft das weitere Leben der Frau maßgeblich beeinflusst.
Sehr leicht wird man sich wohl darauf einigen können, dass Beratungsstellen zu dem Thema
wichtig sind. Sie können im Zweifelsfall verhindern, dass auf Grund falscher Annahmen
entschieden wird, ein Kind nicht zu bekommen. Die Berater sollten dabei versuchen nicht
zu beeinflussen, sondern höchstens auf die Bedeutung der Entscheidung hinzuweisen, denn
mit dieser Entscheidung leben muss letztlich die Frau.
Die beiden Seiten, also Befürworter und Gegner von Abtreibung oder dem Recht dazu, stehen
sich nicht wirklich gegenüber. Vielmehr nehmen sie unterschiedliche Perspektiven auf das
gleiche Problem ein und kommen deshalb zu unterschiedlichen Schlüssen. Dass der Entschluss
zu einer Abtreibung niemandem leicht fällt, steht wohl außer Frage.
Was denkt Ihr? Wie sollte Abreibung gesetzlich geregelt sein? Seid Ihr mit den bestehenden
Regeln zufrieden oder meint Ihr, der Staat sollte sich da komplett raushalten? Diskutiert
in den Comments, aber bleibt konstruktiv! Ich bin der Ben, das war SOundSO gesehen.