Der sterbliche Unsterbliche von Mary Shelley - 03
Fünf Jahre später wurde ich plötzlich an das Bett des sterbenden Cornelius gerufen. Er hatte nach mir in aller Eile schicken lassen, beschwor meine sofortige Anwesenheit. Ich fand ihn auf seiner Pritsche, zu Tode geschwächt. Alles Leben, das ihm noch verblieb, bewegte seine stechenden Augen, und diese waren auf ein Glasgefäß fixiert, gefüllt mit einer rosé-farbenen Flüssigkeit.
»Bewahre uns«, sagte er mit einer gebrochenen und hohlen Stimme, »vor der Eitelkeit der menschlichen Wünsche! Ein zweites Mal sind meine Hoffnungen dabei, gekrönt zu werden, ein zweites Mal werden sie zunichte gemacht. Schau auf die Flüssigkeit – du erinnerst dich vielleicht, dass ich vor 5 Jahre eben solches vorbereitet hatte, und mit dem gleichen Erfolg – damals, wie heute, erwarten meine dürstenden Lippen das Unsterblichkeits-Elixier zu kosten – Du hattest es mir fortgerissen! Und jetzt ist es zu spät!«
Er sprach mit Schwierigkeiten und fiel zurück auf seine Kissen. Ich konnte nicht umhin zu erwidern: »Wie, verehrter Meister, kann Ihnen ein Heilmittel für die Liebe das Leben erneuern?«
Ein schwaches Lächeln leuchtete über sein Gesicht, als ich gespannt seiner kaum verständlichen Antwort lauschte.
»Eine Heilmittel für die Liebe und für alle Dinge – Das Elixier der Unsterblichkeit! Ah, wenn ich es jetzt endlich trinke, sollte ich für immer leben!«
Während er sprach, leuchteten ein goldener Blitz aus der Flüssigkeit auf; ein ach so bekannter Duft stahl sich durch die Luft. Der Meister erhob sich, so schwach er auch war – Stärke schien auf wundersame Weise seine Gestalt neu zu erfüllen – er streckte seine Hand aus – eine laute Explosion ließ mich zusammenfahren – ein Feuerstrahl schoss aus dem Elixier, und das Glasgefäß, welches den Trank enthielt, zersprang in kleinste Stücke! Ich richtete meinen Augen auf den Philosophen; er war nach hinten gefallen – seine Augen wirkten glasig – seine Züge starr – er war tot!
Aber ich lebte, und sollte ewig leben! So sprach der unglückliche Alchimist, und ein paar Tage lang glaubte ich tatsächlich seinen Worten. Ich erinnerte mich an den glorreiche Rausch, der meinem gestohlenen Trank gefolgt war. Ich dachte an die Veränderung, die ich in meinem Körper gefühlt hatte – ja, bis in meine Seele hinein. Die sprunghafte Elastizität des einen – die jungenhafte Leichtigkeit der anderen. Ich erforschte mich selbst in einem Spiegel, und konnte nach einem Zeitraum von fünf Jahren, welche nun vergangen war, keine Veränderung in meinem Äußeren wahrnehmen. Oh, ich erinnerte mich an die strahlenden Farben und den dankbaren Duft dieses köstlichen Getränks – das schien wohl der Gabe, die es zu verleihen in der Lage war, angemessen – war ich also wirklich unsterblich!?
Ein paar Tage später lachte ich ob meiner eigenen Leichtgläubigkeit. Das alte Sprichwort, dass ›ein Philosoph im eigenen Land am wenigsten gilt‹, war in Bezug auf mich und meinen verstorbene Meister wahr. Ich liebte ihn als einen Mann und respektierte ihn als Lehrmeister – aber ich verspottete die Vorstellung, dass er die Mächte der Finsternis befehligen könnte, und lachte über die abergläubische Furcht, mit der er von den einfachen Leuten begrüßt wurde. Er war ein weiser Philosoph, aber pflegte keine nähere Bekanntschaft mit jedweiligen Geistern, außer denjenigen, die in Fleisch und Blut gekleidet waren. Seine Wissenschaft war einfach nur menschlich; und Humanwissenschaft, so redete ich mir selbst ein, konnte doch niemals die Gesetze der Natur so weit herausfordern, dass die Seele in ihrer fleischlichen Behausung für immer eingeschlossen wurde.
Cornelius hatte ein Seelen-Erfrischungsgetränk gebraut – berauschender als jeder Wein – süßer und duftender als jede Frucht; wahrscheinlich besaß es starke Heilkräfte, verursachte Freude im Herz und Kraft in den Gliedern; aber seine Wirkung würden nachlassen – schon war sie in mir selbst dabei zu schwinden. War ich doch ein wahrlich glücklicher Kerl, solch hervorragende Gesundheit und fröhlichen Geist zu besitzen, und vielleicht auch – aus den Händen meines Meisters, ein langes Leben; aber meine Glückssträhne würde sicher irgendwann enden. Langlebigkeit ist sehr verschieden von wahrer Unsterblichkeit.
Diesen Glauben unterhielt ich für viele Jahre. Manchmal stahl sich ein Gedanke in mich – Hatte der Alchimist tatsächlich falsch gelegen? Aber meiner Gewohnheit folgend, mutmaßte ich, dass mir das Schicksal aller Kinder Adams zu der mir bestimmten Zeit erfüllt würde – ein wenig später vielleicht, aber noch immer in einem natürlichen Alter. Eins jedoch stand fest: ich behielt ein wunderlich jugendliches Aussehen. Ich wurde für meine eitle Rücksprache mit dem Spiegel zwar oft verspottet, aber ich konsultierte vergeblich – meine Stirn war ohne Falten – meine Wangen – meine Augen – meine ganze Person schien weiterhin so unbefleckt und rein wie in meinem zwanzigsten Jahr.
Das beunruhigte mich. Ich betrachtete die verblassende Schönheit meiner Bertha – ich schien mehr wie ihr Sohn zu sein. Nach und nach begannen unsere Nachbarn ähnliche Betrachtungen anzustellen, und ich fand schließlich heraus, dass ich unter dem Spitznamen ›der verhexte Lehrling‹ bekannt war. Bertha selbst nahm dies auch nicht leicht. Sie wurde eifersüchtig und reizbar, und endlich fing sie an, mir Fragen zu stellen. Wir hatten keine Kinder. Wir waren alles füreinander und trotzdem neigte, als sie älter wurde, ihr lebhafter Geist mit übler Laune einher zu gehen. Während ihre Schönheit weiter abnahm, hegte ich sie in meinem Herzen weiterhin als meine Dame, welche ich vergötterte … als die Ehefrau, die ich gesucht und mit perfekter Liebe für mich gewonnen hatte.
Endlich wurde unsere Lage unerträglich: Bertha war fünfzig – ich scheinbar zwanzig Jahre alt. Ich hatte, aus Scham, in gewissem Maße die Gewohnheiten des fortgeschrittenen Alters angenommen und mich nicht mehr im Tanz unter die Jungen und Fröhlichen gemischt, aber mein Herz schlug mit den ihren zusammen, während ich meine Füße zurückhielt; ich gab wohl eine traurige Figur unter den Nestoren unseres Dorfes ab. Noch vor der Zeit, welche ich erwähnte, hatten sich die Dinge verändert – wir waren allgemein gemieden. Wir – zumindest ich – sollten einige ungebührliche Bekanntschaft mit alten Freunden meines ehemaligen Meisters gepflegt haben, so wurde gemunkelt. Die arme Bertha wurde bemitleidet, aber trotzdem verlassen. Ich hingegen wurde mit Entsetzen und Abscheu betrachtet.
Was war zu tun? So saßen wir bei unserem Winterfeuer – Armut machte sich langsam bemerkbar, denn keiner wollte die Erzeugnisse meines Bauernhofs kaufen. Ich war oft zu einer Reise von 20 Meilen gezwungen gewesen, zu einem Ort wo ich unbekannt war, um unserer Eigentum zu veräußern. Es ist wahr, wir hatten etwas für die schlechten Tage zurückgelegt – aber diese Tage waren jetzt gekommen.
Wir saßen von unserem einsamen Kamin – der im Herzen alte Jugendliche und seine antiquierte Frau. Bertha bestand erneut darauf, die Wahrheit zu erfahren; sie rekapitulierte alles, was sie je über mich munkeln gehört hatte, und fügte ihre eigenen Beobachtungen hinzu. Sie bedrängte mich, den Zauber abzuschütteln.
Sie beschrieb, wie viel angenehmer graue Haare anstatt meiner kastanienbraunen Locken wären. Sie lobte die Achtung und den Respekt vor dem Alter und wie sehr wäre dies dem geringen Ansehen der bloßen Kinder vorzuziehen; ob ich mir vorstellen könne, dass die verabscheuungswürdigen Geschenke der Jugend und des guten Aussehens die Schande, den Hass und Hohn überwögen? Nein, am Ende würde ich gar als ein Ausüber der schwarzen Künste verbrannt werden, während sie, mit der ich nicht geruht hatte, einen Anteil meines Glücks zu teilen, als meine Komplizin gesteinigt werden würde. Endlich deutete sie an, dass ich mein Geheimnis mit ihr zu teilen hätte, und ihr damit diejenigen Vorteile schenken solle, wie ich sie selbst genoss, oder sie würde mich denunzieren – und dann brach sie in Tränen aus.
So bedrängt, sann ich bei mir, wäre es wohl der beste Weg, ihr die Wahrheit zu sagen. Ich enthüllte es ihr so sanft wie ich nur konnte, und sprach lediglich von einem sehr langen Leben, nicht von der Unsterblichkeit – diese Darstellung entsprach auch am besten meinen eigenen Vorstellungen. Als ich geendet hatte, erhob ich mich und rief: »Und nun, meine Bertha, werden Sie den Geliebten Ihrer Jugend verraten? – Sie werden es nicht, ich weiß es. Aber es wäre zu grausam, Sie, meine armes Weib, wegen meines Unglücks und der unseligen Kunst des Cornelius leiden zu lassen. Ich werde Sie verlassen – Sie haben genug Vermögen, und Ihre Freunde werden in meiner Abwesenheit zurückkehren, wenn ich erst einmal fort bin. Jung, wie ich erscheine, und stark, wie ich bin, kann ich arbeiten und mein Brot unter Fremden erwerben, unverdächtig und unerkannt. Ich liebte Sie in Ihrer Jugend und Gott ist mein Zeuge, dass ich Sie auch im Alter nicht im Stich lasse, sondern nur gehe, weil Ihre Sicherheit und Ihr Wohlergehen es erfordern.«