Hexensabbat von James Platt - 02
Das Geräusch eines zurück gezogenen Riegels erklang. Die Tür öffnete sich. Es zeigte sich dahinter ein bloßes Loch im Felsen, aber wahrlich groß genug, um eine beträchtliche Anzahl von Personen zu beherbergen. Möbel glänzten nur durch ihre Abwesenheit. Es gab keinerlei Anzeichen eines Bettes, es sei denn, ein Sarg, der grinsend in einer Ecke stand, diente diesem Bedürfnisse des Bewohners. Ein Schädel, eine Geißel, ein Kruzifix, ein Messer für sein Essen, was sollte ein Einsiedler mehr benötigen? Seine Füße waren nackt, der Kopf zur Tonsur geschoren, aber seine Augenbrauen waren lang und verfilzt, und fielen wie ein Schirm über brennend wahnsinnige Augen. Jeder Zoll von ihm ein Fanatiker.
Er musterte den Eindringling von Kopf bis Fuß. Offensichtlich war das Ergebnis nicht befriedigend. Er runzelte die Stirn.
»Ein Reisender«, sagte er, »und das in dieser unheiligen Stunde. Fort, hinfort! Wisst Ihr denn nicht, welchen unheimlichen Ruf diese Zeit und dieser Ort genießen?«
»Ich weiß, dass Euer Ruf einer der besten ist, ehrwürdiger Vater, ich kann nicht gutheißen, was zu diesem Berg an Gerüchten umgeht, wenn ich weiß, dass eine solcher Heiligkeit hier eine unbefristete Wohnstatt genommen hat.«
»Meine Wohnstatt ist auch genau aus diesem Grund hier, weil dies als Herrschaftsgebiet des unsagbaren Schreckens gilt. Meine Aufgabe ist es, diesen Ort wieder zu gewinnen, wenn ich kann. Damit die Herrschaft der Kirche diesen einsamen Winkel erreicht, welcher schon so lange vernachlässigt wurde, dass er laut zu Gott und den Menschen schrie. Diese Stelle entsprach meiner eigenen Wahl und ist nicht willkürlich. Hierher entlädt zum festgesetzten Zeitpunkt die volle Wucht des Sabbats zu seinem Rendezvous. Hier trotze ich dem Sabbat. Sehen Sie diese mächtige Tür?«
»Ich hatte mich schon gewundert, aber gefürchtet zu fragen, welchem Zweck eine solche Barriere an einem solch elenden Ort dienen kann.«
»Sie können sich gern hier verkriechen, wenn Sie noch länger hier bleiben. Um Mitternacht werden alle Legionen, mit allen Wirbelstürmen aller Höllen hinter sich, wie ein Tornado über diesen Gipfel fegen. Sind Sie auch aus dem Stoff gemacht, der nie erbebt, nie zurückweicht, dann wird Ihnen beim Hören dieser Töne dennoch das Rückgrat schmelzen. Vermeiden Sie dies, solange noch Zeit ist.«
»Aber Ihr bleibt doch auch hier, warum nicht ich?«
»Ich bleibe hier als Buße für ein Verbrechen, ja, ein Verbrechen, das mich fast von Grund auf gefangen nimmt, so verschieden war es von dem Verbrechen, zu dem ich mit all meinen Hoffnungen auszog, so tödlich der Tod. Ich werde während der gesamten Zeit dieses Pandämonium auf meinen Knien liegen, das sage ich Ihnen, und meine Gebetsperlen zählen, fest und schnell – während der ganzen Zeit. Lass ich auch nur für eine Sekunde im Beten nach, wäre das meine letzte Sekunde. Das Dach meiner Höhle würde hinabstürzen und meinen Körper und meine Seele auslöschen. Aber Sie, was werden Sie hier tun?«
»Ich verfolge meine eigenen Ziele, für die ich voll und ganz bereit bin. Um mit einem Schatten aus der anderen Welt zu sprechen, werde ich meine eigene Seele in Gefahr bringen. Für die kurze Zeit bis die besagte Stunde kommt, in der ich arbeiten kann, bitte ich aber um ein wenig von Eurem Licht und Feuer.«
»Der Irrlicht-Kobold sei dein Licht, Antonius dein Feuer! Hast du mich nicht erkannt?«
Der wilde Ritter beugte sich vor und blickte tief in die Augen des Einsiedlers, dann wich er zurück, und wäre gefallen, wäre sein Kopf nicht an die Eisentür geschlagen. Dies rief ihn zur Besinnung, und nach einem Moment stand er wieder fest und murmelte zwischen den Zähnen: »Mein Bruder!«
»Dein Bruder«, wiederholte der heilige Mann, »dein Bruder, dessen Schatz du gestohlen hast und mich in den Wahnsinn und das Verbrechen triebst.«
»Ich trieb dich nicht in den Wahnsinn, ich trieb dich zu keinem Verbrechen. Der Wahnsinn, das Verbrechen zu sühnen, weswegen du hier bist, das war alles dein eigenes Tun. Sie liebte mich, und mich allein – du vergossest ihr Blut. Ein Unfall, das gebe ich zu, aber alle Gebete deines gesamten Lebens können nicht einen Tropfen davon aufwiegen. Was von dem Blut in mein eigenes Gehirn sickerte, bleibt dort für immer, auch wenn ich versucht haben, es mit einem Meer aus anderer Männer Blut fortzuwaschen.«
»Und ich«, antwortete der Einsiedler, und er riss seine groben Kittel von den Schultern: »Ich habe versucht, es mit einem Meer von meinem eigenen zu ertränken.«
Er sprach die Wahrheit. Blut sickerte noch aus seinem nackten Fleisch, aus den Furchen, die von einer Geißel gepflügt worden waren.
»Du, der du so viele Morde begangen hast«, fuhr er fort, »und der mir so bittere Vorwürfe für nur einen gemacht hat, mit all den Flüchen der sterbenden Opfer, mit all ihren Flüche habe ich dich überschüttet, bevor ich reformiert wurde, damit du an den Galgen oder auf das Streckrad kommst. Aber du bist zäh wie eine Basilikumpflanze, die nur stärker wird, je mehr man sie verflucht. Ich erinnere mich, ich versuchte, dich zu lähmen, nachdem du das Haus verlassen hattest, indem ich einen rostigen Nagel durch einen deiner Fußabdrücke trieb, aber der Zauber verweigerte seinen Dienst. Aber dir ging es nie wirklich schlimm ihretwegen, was ich so gehört habe. Die Leute sagen, die Kinder des Teufels haben auch das Glück des Teufels. Doch eines Tages wird der Tod auch dir auf den Fersen sein.«
»Frieden, Frieden«, rief der wilde Ritter, »lass das Schlechte zwischen uns sterben, und dem bitteren Tod übergeben, wie es sich für deine heilige Pflicht gehört. Auch wenn ich sie nur für einen Moment heute Nacht wiedersehe, mit Hilfe der Wissenschaft, die du mich einmal lehrtest, so wirst du sie doch für alle Ewigkeit und ganz nah im Himmel wiedertreffen.«
»Im Himmel«, rief der Einsiedler, »ich werde sie im Himmel sehen? Auf der Erde würde ich sie gerne wiedersehen, und dieser eine Augenblick wäre billig im Tausch gegen meine neu entdeckte Seele! Aber das wird niemals geschehen. Nicht die Kunst, von der du sprichst, nicht alle dunklen Mächte, die die Menschen je zur Sünde bewegt haben, könnten sie uns wieder herstellen, so wie sie an jenem Tag war. Und sie hat dich geliebt. Sie starb, um dich zu retten. Du hast doch nichts zu beklagen. Aber für mich war sie wie ein keuscher unerreichbarer Stern.«
»Ich liebte sie mehr«, murmelte der Geächtete.
»Du liebtest sie mehr?«, schrie der Einsiedler. »Die Hölle sitzt auf deinen Augen! Stell mich auf die Probe. Sieh dich doch um. Entdeckst du etwas von ihr hier?«
Der andere sah eifrig quer durch die Höhle, aber ohne an irgendetwas hängen zu bleiben.
»Ich sehe nichts«, war er gezwungen zu gestehen.
Der Einsiedler ergriff den Totenschädel und hielt ihn vor Hagecks Augen.
»Das ist ihr lieber Kopf«, rief er, »weit gerechter als im Leben, rot für dich und weiß für mich!«
Der wilde Ritter wich mit einem Stöhnen des Entsetzens zurück, schnappte sich das grässlichen Relikt aus der Hand seines Bruders, und schleuderte es in den Abgrund. Er legte seine Finger über die Augen und zitterte wie Espenlaub. Für einen Moment schien der Eremit seinem Verlust kaum zu begreifen. Dann mit einem Wutgeheul ergriff er seinen Bruder bei der Kehle.
»Du hast sie umgebracht«, schrie er in kaum verständlichen Tönen, »sie wird durch so einen Fall in hundert Stücke zerschmettert!«
Er warf den Geächteten auf den Boden, wich in seiner Höhle zurück, und knallte die Tür hinter sich zu, aber sein herzzerreißendes Schluchzen konnte noch immer deutlich vernommen werden. Es war nun offensichtlich, dass er nicht mehr bei Verstand war. Der wilde Ritter erhob sich etwas schmerzhaft und humpelte ein Stück weiter, wo er eine günstige Stelle für die Errichtung seines Kreises ausgemacht hatte. Das Schluchzen des verrückten Einsiedlers hatte derweil aufgehört. Hageck war sich bewusst, dass sein Rivale seiner Operation hinzugetreten war. Der Einsiedler hatte seine Tür wieder geöffnet, auf dass er vielleicht deutlicher den Tönen lauschen könne, die sein Feind bei seiner Tätigkeit ausstoßen würde. Jeder seiner Schritte war von einem absorbierenden Interesse sowohl für den Einsamen als auch wie für den Ausführenden.
Anon, der Einsiedler, sprang auf. Er bildete sich ein, eine andere Stimme seinem Bruder antworten gehört zu haben. Ja, da war eine Stimme, die er zu kennen schien. Er eilte aus der Höhle. Eine mädchenhafte Gestalt in einem blutgetränkten Kleid gekleidet, lag in den Armen seines Bruders. Kuss um Kuss drückte der wilde Ritter auf ihre Stirn, überschüttete Augen und Wangen und Lippen damit. Das Mädchen erwiderte gleichsam, so wie sie es schon zuvor getan – und der Einsiedler es ebenfalls gesehen hatte. Er floh in seine Höhle zurück.
Dort ergriff er das Messer, das er für sein Essen benutzte. Dann schoss er wie ein Pfeil auf das erschrockene Paar zu. Die Frau versuchte, sich vor ihren Geliebten zu werfen, aber der Einsiedler lachte grob, »dieser Dolch sucht nicht zweimal die gleiche Brust auf,« und stieß es in das Herz ihres Begleiters. Der wilde Ritter riss seine Arme hoch und ging ohne einen Laut zu Boden. Das Mädchen stieß einen Schrei aus, welcher den Himmel zu erschüttern schien und warf sich über ihren Toten. Der Einsiedler sah dem dümmlich zu und rieb sich die Augen. Er schien wie benommen, aber langsam erholten sich seine Sinne. Plötzlich schüttelte er sich, kam wieder zu sich selbst und zupfte das Mädchen an der Schulter.
»Wir haben keine Minute zu verlieren«, rief er, »der große Sabbat ist nah. Es geht um Alles oder nichts. Wenn sein Körper noch eine Sekunde nach Schlag zwölf hier ist, wird seine Seele für alle Ewigkeit verloren sein. Sie wird ihm entrissen werden von den Unholden, die auch jetzt schon an ihn gebunden sind. Kannst du die Schattenhorden nicht sehen? – Ja ich vergaß, du kannst es nicht, weil du keine Hexe bist.«
»Ich sehe nichts«, antwortete sie mürrisch, sich aufrichtend und in die Runde blickend. Die Nacht war klar, aber sternenlos.
»Ich war einst ein Zauberer,« antwortete er, »einmal ein Eingeweihter, immer ein Eingeweihter, auch wenn ich jetzt für die andere Seite kämpfe. Nimm meine Hand, und auch du wirst sie sehen.«
Sie nahm seine Hand, und schrie auf, als sie das tat. Für einen Augenblick wurde dort etwas sichtbar; eine Wolke aus abscheulichen Wesen, die aus jeder Himmelsrichtung zu diesem Ort eilten.