Im Blick
Blickfänge ziehen Blicke auf sich oder werden vom bösen Blick getroffen. Nicht jeder Rundblick verschafft einen Überblick. Einen Durchblick hat nicht jeder direkt – besonders bei der Liebe auf den ersten Blick.
Es soll Werbetexter geben, die, wenn sie ein Produkt bewerben müssen, von dem sie gar nicht wissen, wozu es gut ist, einen Satz wie diesen formulieren: „Ein wunderschöner Blickfang für jede Wohnung.“
Blickfänge und erste Blicke
Der Blickfang ist etwas, das Blicke auf sich zieht. Blickfänge können auch Menschen sein, die außergewöhnlich hübsch oder hässlich sind, die ins Auge stechen, auffallen. Sie können aber auch unauffällig sein, aber doch erblickt werden, weil sie sich nach Jahren woanders mal wieder blicken lassen.
Und wenn der Erblickte nicht der Erkannte war? Hat man sich dann „verblickt“? Nein. Denn „verblickt“ sucht man im Wörterbuch vergeblich! Dann heißt es eben „versehen“? Das Wort existiert zwar, aber es trifft die Sache nicht ganz. Man hat sich nur getäuscht, „der erste Blick hat getrogen“. Nur verwendet das heute kaum noch jemand. Also warum nicht sagen: Man hat „sich verguckt“? Das geht auch nicht. Denn wer sich in jemanden verguckt hat, hat sich verliebt. Wahrscheinlich sogar „auf den ersten Blick“…
Rund-, Fern- und Weitblicke
Reißen wir uns vom Thema „Anblick“ los und lassen wir den Blick schweifen! Schön ist es, auf dem Gipfel eines Berges zu stehen, keine Wolke trübt den freien Blick. Man kann den herrlichen Rundblick, das Panorama, genießen. Von ganz oben überblickt man so vieles! Das nennt man „Fernblick“ oder auch „Fernsicht“ – nicht aber „Weitblick“.
Der Weitblick zielt nicht auf große örtliche Entfernung, sondern auf eine zeitliche. Einer, der „mit Weitblick“ vorgeht, versucht vorausschauend zu handeln, er plant und wird zum Beispiel vor der Bergbesteigung den Wetterbericht studieren. Denn Nebel verkürzt die Sichtweite. Und es ist ärgerlich, wegen mangelnden Weitblicks keinen Fernblick zu haben.
Im Blickwinkel
Allerdings: Auch eine Planung hat Tücken. Ein Beispiel: Urlaub am Meer. Das Foto im Prospekt zeigt den Blick, die Ansicht, aus dem Hotelzimmer. Der Blick, die Aussicht, aufs Meer ist unverstellt. Aber der Fotograf wählte bewusst eine besondere Perspektive, einen Blickwinkel, der etwas verschweigt: nämlich dass zwischen Hotel und Meer eine mehrspurige Schnellstraße verläuft!
Bis man das durchblickt beziehungsweise umgangssprachlich „geblickt“ hat, ja, da ist es zu spät. Noch Jahre später, im Rückblick, ärgert man sich. Das ist der „Blick zurück im Zorn“ – ursprünglich ist das allerdings der Titel eines Theaterstücks von John Osborne, das mit Richard Burton in der Hauptrolle auch verfilmt wurde. Und der konnte manchmal sehr zornig und böse blicken.
Der böse Blick
In der Antike wurde manchen Völkern „der böse Blick“ zugeschrieben. Die antike Sagenwelt kennt zum Beispiel die Medusa, eine geflügelte Schreckgestalt mit Schlangenhaaren. Jeder, der sie anblickt, erstarrt zu Stein. Im christlichen Mittelalter gab's die Hexenverfolgungen. Als Hexen verbrannt wurden Frauen, die angeklagt waren, Menschen und Tiere durch den bloßen Blick, ohne sie zu berühren, zu behexen und zu töten.
Die Hexenverbrennungen sind Geschichte, der böse Blick nicht. Wer hat noch nicht jemandem mal – aus Neid oder Wut – einen bösen Blick zugeworfen? Oder war Adressat eines bösen, eines stechenden Blicks und hat dann mehr oder weniger entsetzt gedacht: „Oje, wenn Blicke töten könnten! ?“
Verschlungene, ver- und bezaubernde Blicke
Das Anglotzen oder Anstarren ist eine dem bösen Blick verwandte Art des Anblickens. Mancher Prominente, der im Blickpunkt des Interesses steht, wird förmlich mit Blicken verschlungen – egal, ob real bei Veranstaltungen oder bildlich. Denn überall blicken uns Promi-Fotos an, die Boulevard-Presse lebt vom indiskreten Blick hinter die Kulissen. Die größte Boulevardzeitung der Schweiz heißt „Blick“. Das lässt ja tief blicken!
Allerdings weiß jeder: Das Böse allein macht nicht glücklich. Die Macht des Blickes funktioniert auch positiv. Statt hasserfüllt zu verzaubern, vermag ein Blick auch liebevoll zu bezaubern. Wie beim Flirten: Man riskiert einen Blick, stellt Blickkontakt her, tauscht Blicke aus, und dann? – Vielleicht wird Liebe daraus, sogar auf den ersten Blick.
Die Liebe und der erste Blick
Aber Vorsicht! Der irisch-britische Literaturnobelpreisträger George Bernhard Shaw spöttelte mit Kennerblick: „Liebe auf den ersten Blick ist ungefähr so zuverlässig wie Diagnose auf den ersten Händedruck.“ Milder, aber mit gleichfalls geschultem Blick, urteilte sein französischer Literatur-Kollege Antoine de Saint-Exupéry: „Liebe besteht nicht darin, in den anderen hineinzustarren, sondern darin, gemeinsam nach vorn zu blicken.“ Dem ist nichts hinzuzufügen!