Das Vampirmädchen von Hume Nisbet - 01
Es war genau die Art von Wohnung, die ich wochenlang gesucht hatten, denn ich war in einem Geisteszustand, bei welchem der absolute Verzicht auf jede Art von Gesellschaft eine Notwendigkeit war. Ich war mißtrauisch mir selbst gegenüber und von meinen Leuten gelangweilt. Eine seltsame Unruhe existierte in meinem Blut; eine unfruchtbarer Mangel in meinem Gehirn. Vertraute Gegenstände und Gesichter schmecken mir nicht mehr. Ich wollte allein sein.
Das ist jene Stimmung, die jeden sensiblen und künstlerischen Verstand überkommt, wenn der Besitzer desjenigen überarbeitet oder zu lange in demselben Trott gelebt hat. Es ist ein Hinweis der Natur an ihn zu neuen Ufern aufzubrechen; das Zeichen, dass ein Rückzug notwendig geworden ist.
Wenn er nicht nachgibt, bricht er zusammen und wird stänkerich, hypochondrisch sowie hyperkritisch. Es ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn ein Mann Arbeiten überkritisch zensiert, seien es seine eigenen oder die anderer Menschen, denn es bedeutet, dass er die lebenswichtigen Teile der Arbeit – Frische und Begeisterung – zu verlieren droht.
Bevor ich diese düstere Phase der Kritik erreichte, packte ich hastig meinen Rucksack, und fuhr mit dem Zug nach Westmoreland. Dort begann ich meine Wanderung auf der Suche nach Einsamkeit, gesunder Luft und romantischer Umgebung.
Ich kam durch viele Orte auf in dieser Wanderschaft im Frühsommer, welche beinahe die erforderlichen Bedingungen zu erfüllen schienen, doch einige kleinliche Rückschläge hinderte mich immer wieder, meine Entscheidung zu treffen. Manchmal war es die Landschaft, die ich nicht als freundlich empfand. An anderen Stellen stellte ich plötzlich Antipathien gegenüber der Wirtin oder des Wirtes fest, und ahnte, ich würde sie verabscheuen, bevor ich auch nur eine Woche in ihrer Obhut verbracht hätte. Andere Orte gefielen mir zwar, waren aber nicht frei, da sie mich dort als Untermieter nicht haben wollten. Das Schicksal führte mich schließlich zu dieser Hütte im Moor, und gar niemand kann der Vorsehung widerstehen.
Eines Tages fand ich mich auf einem breiten und unwegsamen Moor in der Nähe des Meeres. Ich hatte in der Nacht zuvor bei einem kleinen Weiler geschlafen, aber das lag schon etwa 8 Meilen hinter mir, und seit ich diesem meinen Rücken gekehrt, hatte ich keine Anzeichen von der Menschheit mehr gesehen. Ich war allein mit einem klaren Himmel über mir, ein lauer mit Ozon gefüllter Wind wehte über den steinigen und mit Heidekraut bewachsenen Hügeln, und nichts störte mich in meinen Meditationen.
Ich hatte keine genaue Kenntnis davon, wie weit sich das Moor erstreckte. Ich wusste nur, dass, wenn ich einer geraden Linie folgte, ich zu den Klippen des Meeres gelangen … und dann nach einiger Zeit in irgend einem Fischerdorf anlangen musste.
Ich hatte Proviant in meinen Rucksack, war jung und fürchten keine Nacht unter den Sternen. Ich atmete die köstliche Sommerluft und langsam kehrte die Kraft und die Freude, welche ich verloren geglaubt hatte, wieder. Mein in der Stadt verdorrter Verstand wurde wieder munter und frisch.
So glitt Stunde um Stunde mit jedem Schritt an mir vorbei, bis ich etwa fünfzehn Meilen seit dem Morgen geschafft hatte. Da sah ich vor mir in der Ferne ein einsames Steinhaus mit rundem Schieferdach. »Dort werde ich, wenn möglich, Quartier nehmen«, sagte ich zu mir, also beschleunigte ich meine Schritte dorthin.
Für jemanden auf der Suche nach einem ruhigen, freien Leben, konnte wohl nichts besser geeignet sein als dieses Haus. Es stand am Rande von hohen Klippen, seine Haustür mit Blick auf die Heide und die Hinterhofmauern den Ozean überschauend. Der Gesang der tanzenden Wellen schlug wie ein Wiegenlied an meine Ohren, als ich mich näherte; oh wie er erst donnern würde, wenn die Herbststürme aufkämen und die Seevögel kreischend in den Schutz der Seggen flöhen!
Ein kleiner Garten breitete sich vor mir aus, von einer Trockenmauer umgeben, welche gerade hoch genug war, dass sich jemand müde lässig darauf lehnen konnte, wenn er sich bückte. Dieser Garten war eine Flammenmeer aus Farben, überwiegend Scharlachrot, aber auch aus allen anderen weicheren Schattierungen, welche gezüchtete Mohnblumen in ihrer Blüte annehmen, denn dies war alles, was in dem Garten gedieh.
Als ich näher trat, und diese einzigartige Zusammenstellung des Mohns sowie die ordentliche Sauberkeit der Fenster zur Kenntnis nahm, öffnete sich die Haustür und eine Frau erschien, die mich mit einem Mal für sich einnahm, als sie so gemächlich entlang des Weges zum Tor kam, es aufzog, um mich, wie es schien, zu begrüßen.
Sie war mittleren Alters, doch musste sie in ihrer Jugend bemerkenswert schön gewesen sein. Sie war groß gewachsen und immer noch beeindruckend, mit glatter klare Haut, regelmäßigen Zügen und einem sanften Ausdruck, der mir auf einmal ein Gefühl der Ruhe einflößte.
Auf meine Frage antwortete sie, dass sie mir sowohl ein Wohn- als auch ein Schlafzimmer geben könne, und lud mich ein, diese zu besichtigen. Als ich sie näher betrachtete, diese glatten schwarzen Haare, die kühlen braunen Augen, fühlte ich, dass ich nicht zu wählerisch wegen der Unterkunft sein sollte. Mit solch einer Wirtin, war ich mir sicher, zu finden, weswegen ich hierher gekommen war.
Das Zimmer übertraf meine Erwartungen, hübsche weiße Vorhänge und Bettwäsche mit dem Duft von Lavendel überhaucht, ein Wohnzimmer wohnlichen gemütlich, ohne überfüllt zu wirken. Mit einem Seufzer unendlicher Erleichterung warf ich meinen Rucksack von mir und schloss den Handel ab.
Sie war eine Witwe mit einer Tochter, die ich den ersten Tag über nicht sah, da sie sich unwohl fühle und auf ihr eigenes Zimmer beschränkt sei, aber am nächsten Tag schien sie etwas besser, und nun trafen wir uns.
Die Mahlzeit war einfach, aber mir zum damaligen Zeit genau recht: köstliche Milch und Butter mit hausgemachten Scones, dazu frische Eier und Speck. Nach einem herzhaften Tee ging ich früh, in einem Zustand der vollkommenen Zufriedenheit mit meinem Quartier, zu Bett.
Obwohl ich glücklich und müde war, so hatte ich doch keineswegs eine bequeme Nacht. Ich schob es auf das fremde Bett. Sicher, ich schlief, aber mein Schlaf war derart von Träumen erfüllt, dass ich spät und unerfrischt erwachte. Ein gutes Stück Wandern im Moor stellte mich jedoch wieder her, und ich kehrte mit einem ordentlichen Appetit aufs Frühstück zurück.
Es bedarf bestimmter Voraussetzungen des Geistes und nur unter erschwerten Umständen ist es möglich, dass selbst ein junger Mann der Liebe auf den ersten Blick verfällt, wie Shakespeare in seinem ›Romeo und Julia‹ einst darstellte. In der Stadt, wo man zu jeder Stunde so vielen angenehmen Gesichtern begegnet, war ich stoisch geblieben; doch kaum nach diesem Morgenspaziergang in das Häuschen zurückgekehrt, erlag ich sofort dem seltsamen Charme der Tochter meiner Wirtin, Ariadne Brunnell.
An diesem Morgen ging es ihr besser und sie war in der Lage, mit mir am Frühstück teilzunehmen, denn wir nahmen unsere Mahlzeiten gemeinsam ein, solange ich ihr Untermieter war. Ariadne war nicht in einem streng klassischen Sinne schön, ihr Teint galt als zu bleich und ihr Gesichtsausdruck schien beim ersten Eindruck zu aufgesetzt, um recht angenehm zu wirken; doch, wie ihre Mutter mich informierte, war sie seit einiger Zeit krank, und dieser Umstand für diesen Mangel verantwortlich. Ihre Züge waren nicht regelmäßig, ihre Haare und Augen schienen zu schwarz im Kontrast zu dieser seltsam weißen Haut, und ihre Lippen zu rot für jeden anderen, außer den dekadenten Harmonien des Aubrey Beardsley.
Und doch hatten mich meine fantastischen Träume der vorangegangenen Nacht, zusammen mit meinem Morgenspaziergang darauf vorbereitet, von dieser, einem modernen Poster ähnelnden Kranken, ungewöhnlich begeistert zu sein.