Ich seh’ dir in die Augen
Nicht nur im Hollywoodfilm Casablanca spielen die Augen sprachlich gesehen eine Rolle. Manchmal traut man seinen Augen nicht, bei den vielen Redewendungen – die andere Sinnesorgane schon mal neidisch machen. Grundlos! „Zwei blaue Augen, leuchten in der Nacht. Ein Leuchten, das mein Herz so glücklich macht. / Blaugrün finde ich am schönsten / Grüne Augen sind besonders schön. / Braun und leicht geschlitzt / ‚Spiegel der Seele‘. / Wenn man einem in die Augen guckt, sieht man ob er lügt. / … dann kann man es ihnen von den Augen ablesen. / ‚Holzauge, sei wachsam‘ / ‚viereckige Augen‘ / ‚Stielaugen‘ / ‚Augen zu und durch‘ / ‚Ich seh' dir in die Augen, Kleines!‘“ „Schöne Augen hier, tolle Augen da …Wann kapieren die Leute eigentlich, dass sie sich total idiotisch anhören? Besonders in dem Film „Casablanca“! „Ich seh' dir in die Augen, Kleines!“ – und am Ende haut Ingrid Bergman trotzdem mit ihrem Ehemann in die USA ab. Da hat dir dein Schwärmen über ihre Augen auch nichts gebracht, Rick, alias Humphrey Bogart! Überhaupt: wenn er aufgepasst hätte, dann wäre ihm aufgefallen, dass er NICHTS über diese Frau weiß. Er weiß nicht einmal, dass sie verheiratet ist, als sie sich kennenlernen. So was lässt sich nämlich nicht ‚an den Augen ablesen‘! Hätte er mal für einen Augenblick keine Stielaugen gemacht und richtig zugehört, während sie seinen Fragen ausweicht, dann wäre ihm viel Herzschmerz erspart geblieben. Doch so ‚weinen sich‘ noch Jahrzehnte später Männer und Frauen wegen ‚Casablanca‘ ‚die Augen aus dem Kopf‘.“ „Kann man dir irgendwie helfen? Du bist ja echt aufgebracht wegen dieses Films …“ „Sind wir doch mal alle ehrlich. Es ist nicht Ricks Schuld, dass er Ilsa, alias Ingrid Bergman, ‚nicht aus den Augen lassen‘ wollte. Wir leben in einer Welt, die zu viel Wert auf das Äußere legt. Ich bin fest davon überzeugt, dass Augen schlicht und einfach überbewertet sind. Man darf ‚seinen Augen nicht trauen‘, denn sie haben kein Problem damit, die Realität zu verzerren. Wenn die Menschen weniger gucken und mehr zuhören würden, dann könnte man ihnen viele Enttäuschungen ersparen.“ „Ich kann deinem Gedankengang nicht ganz folgen …“ „Politiker hätten es schwerer, sich als Wohltäter zu inszenieren, Schauspieler müssten sich vor dem Auftritt auf dem roten Teppich weniger Stress machen und beim Eurovision Song Contest würde tatsächlich der beste Song gewinnen und nicht die besten Lichteffekte. Man könnte sogar sagen, dass es gerade zu gefährlich ist, dass die Menschen sehen können.“ „Versuchst du gerade für eine allgemeine Blindheit zu plädieren?“ „Lass es mich so sagen: Die Besessenheit der Menschen mit dem Sehen war mir schon lange ‚ein Dorn im Auge‘ und ich kann – und ich will auch nicht länger – den Mund halten. Denn die meisten Leute sind ‚der schönen Augen willen‘ bereit, alles zu tun und lassen sich auf gefährliche Situationen ein. So viel Macht in einem einzigen Sinnesorgan darf nicht unterschätzt werden. Sonst kann so etwas schnell ‚ins Auge gehen‘. Guck dir Casablanca an: Wenn Rick nicht zu tief in Ilsas Augen geschaut hätte, wäre er jetzt nicht mehr in Marokko, sondern hätte die Papiere nutzen können, um selbst in die USA zu fliehen. Stattdessen sitzt er jetzt weiterhin in Casablanca fest.“ „Der Film hat dich ja echt mitgenommen!“ „Ich habe das Gefühl, dass du mir nicht richtig zuhörst! Ich versuche hier gerade, dir ‚die Augen zu öffnen‘. Ich habe das alles zu lange stillschweigend hingenommen und du bist mein einziger Verbündeter! Deshalb muss ich jetzt mit dir ‚unter vier Augen‘ darüber sprechen, okay?“ „Wohl eher unter zwei Ohren …!“ „Musst du mich immer unterbrechen!“ „Entschuldigung, fahr fort!“ „Weißt du, das Leben war nicht immer so schlecht für uns. Es wurden Gedichte über die Schönheit des Vogelzwitscherns am Morgen geschrieben. Und um Neuigkeiten aus der Welt zu erfahren, hat sich die ganze Familie ums Radio versammelt. Doch das moderne Zeitalter macht es uns schwer. Es gab einmal eine Zeit, in der man Musik einfach nur gehört hat. Doch heute muss sie gefühlt und gesehen werden. Während wir unerträglich lauter Musik ausgesetzt werden, durch die wir Schaden nehmen und langsam unsere Fähigkeit zu arbeiten verlieren, werden die Augen gehütet wie, ja, … wie ein Augapfel halt! Um ihre Augen vor der Sonne zu schützen, tragen Menschen Sonnenbrillen und breite Hüte. Sie hören auf Fernsehen zu gucken, weil sie Angst haben, viereckige Augen zu bekommen. Und überhaupt: Jede Nacht werden die Augen zugemacht, damit sie ihren Schönheitsschlaf bekommen. Und was ist mit uns? Wir arbeiten auch nachts: um vor Einbrechern warnen zu können oder im richtigen Moment fürs Aufwachen zu sorgen, wenn das Baby schreit. Jede Nacht wird uns die ganze Arbeit übertragen! Aber sobald die Sonne aufgeht, wird wieder total vergessen, was wir Minute für Minute leisten. Plötzlich sind wieder nur die Augen gefragt. Dabei wäre die Menschheit ohne UNS im Alltag total aufgeschmissen. Der Mensch ‚hat hinten keine Augen‘, aber wir hören alles. Wenn also nochmal jemand behauptet, dass er wüsste, was gerade los ist, weil er ‚Augen im Kopf hat‘, würde ich dieser Person am liebsten ‚die Augen auskratzen‘.“ „Ich kann in weiten Teilen zustimmen. Blinde kommen schließlich auch ohne Augen klar und unsere Arbeit wird wirklich unterschätzt. Und ja, auch ich würde mich freuen, wenn beim Eurovision Song Contest mal wieder erträgliche Musik gespielt werden würde. Aber: Taube Menschen kommen auch ohne uns Ohren aus, und ich glaube, die wären nicht sehr glücklich, wenn wir ihnen auch noch ihr ‚Augenlicht nehmen‘ würden. Am einfachsten ist das Leben doch für alle, wenn sie ‚Augen und Ohren aufhalten‘ können und wir so den Alltag in Teamwork meistern!“ „Aber wenn Ilsa Rick nicht so ‚schöne Augen gemacht‘ hätte …“ „Ich wusste es! Das ist wieder sooo typisch! All dieses Gerede nur, weil dir das Ende von Casablanca nicht gefallen hat …!“