Der Schatten über Innsmouth - Kapitel 2 - 01
Um kurz vor Zehn am nächsten Morgen stand ich mit einer kleinen Reisetasche vor Hammond's Drug Store am alten Marktplatz und wartete auf den Innsmouth-Bus. Als die Stunde seiner Ankunft nahte, bemerkte ich wie die anwesenden Müßiggänger allgemein zu anderen Orten abwanderten, die Straße hoch oder zum Ideal Lunch auf der anderen Seite des Platzes. Offensichtlich hatte der Schalterbeamte nicht übertrieben, was die Abneigung, die die hiesigen Leute gegenüber Innsmouth und seinen Bewohnern hegten, anging. Nach wenigen Augenblicken ratterte ein kleiner Autobus von extremer Klapprigkeit und dreckig grauer Farbe die State Street herunter, wendete und hielt am Bordstein neben mir. Mir war sofort bewusst, dass dies der Richtige war. Ein Eindruck, den das halb lesbare Schild in der Windschutzscheibe --- „Arkham-Innsmouth-Newb'port“ --- bald bestätigte.
Da waren nur drei Fahrgäste --- dunkle, ungepflegte Männer von mürrischem Antlitz und einigermaßen jugendlicher Gestalt --- und als das Fahrzeug stoppte, schlurften sie unbeholfen heraus und begannen, die State Street auf stille, fast verstohlene Art entlangzugehen. Der Fahrer stieg ebenfalls aus und ich beobachtete ihn, wie er in die Drogerie ging um einen Einkauf zu tätigen. Dies, so dachte ich, muss jener Joe Sargent sein, den der Fahrkartenverkäufer erwähnt hatte. Und noch bevor ich irgendwelche Details bemerkte, überkam mich eine Welle der spontanen Abneigung, die ich weder kontrollieren, noch erklären konnte. Es kam mir plötzlich sehr selbstverständlich vor, dass die Leute hier nicht in einem Bus fahren wollten, der im Besitz dieses Mannes war und von ihm gefahren wurde oder den Lebensraum eines solchen Mannes und Seinesgleichen öfter als nötig zu besuchen.
Als der Fahrer wieder aus dem Geschäft trat, schaute ich ihn genauer an und versuchte, die Ursache meines üblen Eindrucks auszumachen. Er war ein dünner Mann mit hängenden Schultern, knapp unter sechs Fuß groß, gekleidet in lumpiger, blauer Zivilkleidung und einer ausgefransten Golfmütze. Sein Alter betrug vielleicht fünfunddreißig Jahre, doch die seltsamen, tiefen Falten in den Seiten seines Halses ließen ihn älter aussehen, wenn man nicht sein träges, ausdrucksloses Gesicht betrachtete. Er hatte einen schmalen Kopf, hervortretende, feuchte, blaue Augen, die niemals zu blinzeln schienen, eine flache Nase, fliehende Stirn und Kinn und unentwickelte Ohren. Seine langen, dicken Lippen und grobporigen, grauen Wangen schienen fast bartlos, mit Ausnahme einiger spärlicher, gelber Haare, die in ungleichmäßigen Büscheln wucherten und sich kräuselten und an einigen Stellen schien die Hautoberfläche eigenartig auffällig, als ob sie sich durch eine Hautkrankheit schäle. Seine Hände waren groß, schwer von Venen durchzogen und hatten eine ungewöhnliche, grau-blaue Färbung. Die Finger waren auffallend kurz in Proportion zum Rest und schienen die Neigung zu haben, sich fest in die riesige Handfläche zu ballen. Während er zum Bus ging, bemerkte ich seine eigentümliche, watschelnde Gangart und sah, dass seine Füße übermäßig groß waren. Je mehr ich sie studierte, desto mehr fragte ich mich, wie er wohl passende Schuhe finden konnte.
Eine gewisse, ihm anhaftende Schmierigkeit verstärkte meinen Missfallen. Er arbeitete dem Anschein nach an den Docks für die Fischer --- oder hing dort herum --- und trug sehr viel von ihrem charakteristischen Gestank mit sich. Welches fremdartige Blut genau sich in ihm wieder fand, konnte ich beim besten Willen nicht erraten. Seine Eigentümlichkeiten sahen sicherlich nicht asiatisch, polynesisch, morgenländisch oder negrid aus, doch sah ich ein, warum die Leute ihn als fremdartig empfanden. Ich selbst hätte eher biologische Degeneration angenommen, als fremde Herkunft.
Ich bedauerte es, als ich sah, dass keine anderen Fahrgäste im Bus sein würden. Irgendwie mochte ich den Gedanken nicht, alleine mit diesem Busfahrer zu fahren. Doch als die Abfahrtszeit sich näherte, überkam ich meine Bedenken und folgte dem Mann an Bord, reichte ihm einen Dollarschein und murmelte das Wort „Innsmouth.“ Er schaute mich kurz neugierig an, während er mir wortlos vierzig Cent Wechselgeld herausgab. Ich nahm einen Platz weit hinter ihm, jedoch auf der selben Seite des Busses ein, da ich während der Reise die Küste verfolgen wollte.
Schließlich startete das heruntergekommene Vehikel mit einem Zucken und ratterte geräuschvoll entlang der alten Backsteinbauten der State Street in einer Wolke von Auspuffgasen. Die Leute auf den Bürgersteigen flüchtig betrachtend, glaubte ich in ihnen einen eigentümlichen Wunsch zu entdecken, Blickkontakt mit dem Bus --- oder zumindest den Eindruck, so auszusehen als starre man ihn an --- zu vermeiden. Dann bogen wir links auf die High Street ab, wo es schneller voranging, an imposanten alten Villen aus der Frühzeit der Republik und noch älteren Farmhäusern aus der Kolonialzeit vorbei, bevor sie in eine lange, eintönige Strecke offenen Küstenlandes hervortrat.
Der Tag war warm und sonnig, doch die Landschaft aus Sand, Riedgras und Zwerggesträuch wurde immer trostloser, je weiter wir kamen. Aus dem Fenster konnte ich das blaue Wasser und die sandigen Umrisse von Plum Island sehen und bald kamen wir dem Strand sehr nahe, als unsere schmale Strecke von der Hauptstraße nach Rowley und Ipswich abdrehte. Es waren keine Häuser zu sehen und ich konnte am Zustand der Fahrbahn erkennen, dass hier ziemlich wenig Verkehr entlang kam. Die kleinen, verwitterten Telefonmasten trugen nur zwei Leitungen. Hier und da überfuhren wir krude, hölzerne Brücken über Priele, die sich weit ins Land hinein wanden und zur generellen Isolation der Region beitrugen.
Gelegentlich bemerkte ich tote Baumstümpfe und bröckelnde Fundamente in den Dünen und erinnerte mich an eine Überlieferung in einer der alten Geschichten, die ich gelesen hatte, dass dies einst eine fruchtbare und dicht besiedelte Landschaft war. Die Veränderung kam, sagte man, mit der Epidemie von 1846 in Innsmouth und wurde vom einfachen Volk in dunkle Verbindung mit geheimen, bösen Mächten gebracht. In Wirklichkeit, war sie durch die törichte Abholzung der Küstenwälder entstanden, die die Erde ihres besten Schutzes beraubte und den Weg für Sandwehen freimachte.