22. Kapitel - 02
Dieser Brief erweckte in mir wieder den Gedanken an die Drohung meines Dämons: »Ich werde in deiner Brautnacht bei dir sein!« Das war mein Todesurteil; in jener Nacht würde er sicherlich alle Mittel anwenden, um mich zu vernichten und mir so die Möglichkeit zu nehmen, in den Armen des Glücks wieder zu genesen. In jener Nacht also wollte er mit meiner Ermordung seinen Greueltaten die Krone aufsetzen. Nun gut, sollte es so sein! Aber ohne ein verzweifeltes Ringen sollte es nicht abgehen. Blieb er Sieger, nun, dann hatte ich Frieden für immer und seine Macht über mich war zu Ende. Würde er aber besiegt, dann war ich ein freier Mann. Allerdings was für eine Freiheit? Eine Freiheit, deren sich der Landmann erfreut, nachdem er gesehen hat, wie seine Familie hingeschlachtet, seine Hütte verbrannt, seine Felder verwüstet werden, und dann heimatlos, verarmt und allein, aber frei seines Weges zieht. Solcher Art würde dann meine Freiheit sein, nur daß ich an Elisabeth noch einen Schatz besaß, dessen Wert vielleicht in all den Gewissensbissen, in all dem Schuldbewußtsein, das mich bis zu meinem Ende bedrückte, gar nicht zur Geltung kam.
Süße, heißgeliebte Elisabeth! Ich las ihren Brief, und las ihn immer wieder, und einige sanftere, frohere Gefühle schlichen sich in mein verarmtes Herz und gaukelten mir paradiesische Träume von Glück und Liebe vor. Aber der Apfel war bereits gegessen und der Engel stand mit dem flammenden Schwert vor der Pforte. Gern hätte ich mein Leben hingegeben, um sie glücklich zu machen. Wenn der Dämon seine Drohung ausführte, so bedeutete das für mich, menschlichem Ermessen nach, den Tod, und meine Verheiratung mußte also die Erfüllung meines Schicksals beschleunigen. Meine Vernichtung mochte meinetwegen ein paar Monate früher kommen; denn wenn mein Peiniger merkte, daß ich, erschreckt durch seine Drohungen, meine Hochzeit hinausschob, fand er sicher bis dahin andere Mittel, um sich an mir zu rächen, viel grausamere vielleicht noch. Er hatte mir geschworen, in meiner Brautnacht bei mir zu sein, aber das verpflichtete ihn keineswegs, bis dahin sich untätig zu verhalten. Denn vielleicht um mir zu zeigen, daß sein Blutdurst noch lange nicht gesättigt sei, hatte er kurze Zeit, nachdem er die Drohung ausgestoßen, meinen Freund Clerval erwürgt. Ich war also fest entschlossen, daß die Anschläge meines Feindes auf mein Leben meine Vereinigung mit Elisabeth keine Stunde lang aufhalten durften, wenn diese oder mein Vater sie wünschten.
In dieser Verfassung schrieb ich an Elisabeth. Mein Brief war ruhig und liebevoll. »Ich fürchte, meine Geliebte,« schrieb ich, »daß für uns nur wenig Glück mehr auf Erden blüht. Dennoch aber ist all mein Sehnen und Hoffen auf Dich gerichtet. Deine Befürchtungen sind grundlos. Du allein bist es, die mein Leben heiligt und meine Hoffnung auf Frieden zu erfüllen vermag. Ich habe ein Geheimnis, Elisabeth, ein entsetzliches Geheimnis! Wenn ich es Dir anvertrauen dürfte, es würde Dich eiskalt überlaufen, und, statt über mein Elend überrascht zu sein, Dich nur wundern, daß ich das alles ertragen habe. An unserem Hochzeitsmorgen will ich Dir das Geheimnis anvertrauen, denn es soll vollkommene Klarheit zwischen uns herrschen. Und bis dahin, Geliebte, bitte ich Dich, weder darüber zu sprechen, noch auch irgend eine Andeutung zu machen. Darum bitte ich Dich ernstlich, und ich weiß, daß ich Dich nicht vergebens gebeten habe.
Eine Woche, nachdem Elisabeths Brief mich erreicht hatte, kamen wir in Genf an. Das teuere Mädchen begrüßte mich mit heißer Freude. Aber Tränen standen in ihren Augen, als sie meine abgemagerten Hände drückte und mich auf die fieberheißen Wangen küßte. Auch sie war etwas verändert. Sie war schmaler geworden und hatte viel von der Lebhaftigkeit eingebüßt, die ihr vordem so gut gestanden hatte. Aber ihre Milde und ihr sanftes Mitleid machten sie zu einer geeigneten Genossin für einen Mann, der elend und gebrochen ist.
Die Ruhe, deren ich damals genoß, war nicht von langer Dauer. Die Erinnerungen tauchten wieder in aller Frische auf und machten mich fast wahnsinnig. Manchmal raste ich, manchmal war ich still und nachdenklich. Ich sprach mit niemand und sah auch niemand an, sondern saß regungslos in einer Ecke, erdrückt von den Qualen, die auf mich einstürmten.
Nur Elisabeth vermochte mich einigermaßen aufzuheitern. Ihre sanfte Stimme milderte meine Rasereien und flößte mir Lebensmut ein, wenn ich in trostloses Grübeln verfiel. Sie weinte mit mir und um mich. Wenn ich dann wieder vernünftig geworden war, bemühte sie sich, mir Mut zu machen. Ja, dem Unglücklichen kann man wohl Mut zusprechen, aber nicht dem Schuldigen.
Bald nach unserer Heimkehr sprach mein Vater mit mir über die bevorstehende Hochzeit. Ich verhielt mich schweigend.
»Du hast also keine andere Verpflichtung?«
»Keine! Ich liebe Elisabeth und sehe unserer Vereinigung mit Freuden entgegen. Bestimme den Tag, und dieser Tag soll es sein, an dem ich mich für Leben und Tod dem Glück der Geliebten weihe!«
»Lieber Viktor, so darfst du nicht sprechen! Wir haben sehr viel Schweres zu tragen gehabt, das ist wahr; aber wir wollen fest zusammenhalten, wir, die noch übrig geblieben sind, und unseren Lebenden die Liebe schenken, die wir für die Toten hatten. Unser Kreis wird nur mehr ein kleiner sein, aber die Gefühle treuer Liebe und das gemeinsam erlebte Mißgeschick wird uns unlöslich aneinander ketten. Und bis die Zeit dein Leid gemildert hat, werden wieder neue Wesen da sein, die die ersetzen sollen, die uns auf so grauenhafte Weise genommen worden sind.«
Aber die Trostworte meines Vaters waren doch nicht imstande, mich die Drohungen des Dämons vergessen zu machen, denn ich hielt diesen nach all den blutigen Siegen, die er bisher über mich errungen, für unüberwindlich. Und nachdem er einmal die Worte ausgesprochen: »Ich werde in deiner Brautnacht bei dir sein,« hielt ich auch mein Schicksal für unabwendbar. Aber der Tod war kein Übel für mich, wenn ich daran dachte, daß er mir ja auch meine Elisabeth hätte wegnehmen können. Ich gab deshalb fast freudig meine Zustimmung, daß die Hochzeit in zehn Tagen gefeiert werden sollte, wenn auch damit mein Geschick besiegelt war.
Großer Gott, wenn mir auch nur einmal eine Ahnung gekommen wäre, welche Absichten mein tückischer Feind hatte, ich hätte mich lieber in die wildesten Landstriche geflüchtet und wäre als ruheloser Wanderer auf Erden umhergezogen, als daß ich zu dieser unseligen Heirat mein Einverständnis erteilt hätte. Aber es war, als hätte mich das Ungeheuer mittels magischer Einflüsse über seine wahren Absichten im Dunkeln gehalten, und indem ich mich auf mein eigenes Ende gefaßt machte, beschleunigte ich nur den Tod des über alles geliebten Weibes.