Der Tempel - 02
Es zeichnete sich langsam ab, dass wir die Dacia gänzlich verpasst hatten. Solche Fehler sind nicht ungewöhnlich und wir waren mehr erfreut denn enttäuscht, da nun unsere Rückkehr nach Wilhelmshaven anstand. Am Mittag des 28. Juni drehten wir nordostwärts und waren trotz einiger skurriler Verstrickungen mit der ungewöhnlichen Menge an Delfinen bald unterwegs.
Die Explosion im Maschinenraum um 14 Uhr überraschte uns komplett. Weder ein Defekt in der Maschinerie, noch Fahrlässigkeit der Besatzung waren zuvor bemerkt worden, doch wurde das Schiff von Bug bis Heck durch einen kolossalen Schock erschüttert. Leutnant Klenze eilte in den Maschinenraum und fand Treibstofftank und einen Großteil der Mechanik zertrümmert, sowie Maschinisten Raabe und Schneider auf der Stelle tot vor. Unsere Situation war plötzlich sehr ernst, denn obwohl die chemischen Luftregenerationssysteme intakt und wir die Instrumente zum Auf- und Abtauchen sowie zum Öffnen der Luken benutzbar waren solange Druckluft und Reservebatterien hielten, waren wir nicht in der Lage, das Uboot anzutreiben oder zu steuern. Schutz in den Rettungsbooten zu suchen hätte gehießen, uns den Händen eines gegenüber unseres großen, Deutschen Reiches unzumutbar verbitterten Feindes auszuliefern und unser Funkgerät hatte schon seit der Victory keinen Kontakt mehr zu einem weiteren Uboot seiner Kaiserlichen Marine hergestellt.
Von der Stunde des Unfalls bis zum 2. Juli trieben wir fortwährend in Richtung Süden, fast planlos und ohne auf ein Schiff zu treffen. Delfine kreisten immer noch um die U29, ein einigermaßen bemerkenswerter Umstand, betrachtete man die Entfernung, die wir zurückgelegt hatten. Am Morgen des 2. Juli sichteten wir ein Kriegsschiff unter amerikanischer Flagge und die Männer wurden sehr unruhig in ihrem Verlangen, sich zu ergeben. Schließlich musste Leutnant Klenze einen Seemann namens Traube erschießen, der mit größter Gewalt auf diesen undeutschen Akt hin drängte. Dies stellte die Besatzung vorerst ruhig und wir tauchten ungesehen ab.
Am nächsten Nachmittag erschien aus dem Süden ein Schwarm Seevögel und der Ozean begann, beunruhigend zu wogen. Die Luken geschlossen, warteten wir ab, wie sich die Dinge entwickelten bis wir einsehen mussten, dass wir entweder tauchen mussten oder von den sich auftürmenden Wellen verschlungen werden würden. Unser Luftdruck und Strom wurden schwächer und wir suchten, jede unnötige Beanspruchung unserer knappen mechanischen Reserven zu vermeiden, doch in diesem Fall hatten wir keine Wahl. Wir stiegen nicht tief herab und als nach mehreren Stunden die See ruhiger wurde entschieden wir, an die Oberfläche zurückzukehren. Hierbei aber stellte sich uns ein neues Problem, denn das Schiff sprach nicht auf unsere Steuerung an, trotz allem was die Mechaniker tun konnten. Als die Männer ob dieser unterseeischen Gefangenschaft ängstlicher wurden, begannen einige von ihnen wieder über Leutnant Klenzes elfenbeinernes Götzenbild zu murren, doch der Anblick einer Automatikpistole beruhigte sie. Wir hielten die armen Teufel so gut bei Laune wie wir konnten und bastelten an der Maschinerie auch als uns bewusst wurde, dass es zwecklos war.
Klenze und ich schliefen üblicherweise zu unterschiedlichen Zeiten und es ereignete sich während ich schlief, um ca. 5 Uhr morgens am 4. Juli, dass eine allgemeine Meuterei losbrach. Die sechs übrigen Schweine von Seemännern, befürchtend, dass wir verloren seien, barsten plötzlich in eine wahnsinnige Raserei über unsere Weigerung zwei Tage zuvor, uns dem Yankee-Schlachtschiff zu ergeben und sie verfielen in einen Zustand des Deliriums, des Fluchens und der Zerstörung. Sie brüllten wie die Tiere, die sie waren und zerschlugen willkürlich Instrumente und Einrichtung, während sie Unsinn über den Fluch des elfenbeinernen Götzen und den dunkelhäutigen toten Jüngling, der sie anstarre und wegschwimme. Leutnant Klenze schien paralysiert und unfähig, wie man es von einem weichen, weibischen Rheinländer erwarten würde. Ich erschoss alle sechs Männer, es war unerlässlich, und versicherte mich, dass keiner am Leben blieb.
Wir warfen die Körper durch die Druckschleuse über Bord und waren allein in der U29. Klenze wirkte sehr nervös und trank viel. Wir entschieden, solange wie möglich am Leben zu bleiben und dabei die großen Vorräte an Proviant und Sauerstoff zu nutzen, von denen nichts unter den wahnsinnigen Possen dieser Schweinehunde von Seemännern gelitten hatte. Unsere Kompasse, Tiefenmesser und andere empfindliche Instrumente waren zerstört, so dass von nun an unsere Berechnungen bestimmt wurden durch Vermutungen, basierend auf unseren Uhren, dem Kalender und Schätzungen unseres Abdrifts, den wir anhand jeglicher Objekte, die wir durch die Luken oder den Kommandoturm erspähen konnten, festmachten. Glücklicherweise reichten unsere Batterien noch für längerfristige Nutzung sowohl der Innenbeleuchtung als auch des Suchscheinwerfers. Wir warfen oft einen Strahl rund um das Schiff, doch sahen wir nur Delfine. Obwohl der gewöhnliche Delphinus Delphis ein Meeressäuger ist, auf Atemluft angewiesen, beobachtete ich einen der Schwimmer zwei Stunden lang ohne, dass er zwischendurch auftauchte.
Mit der Zeit nahmen Klenze und ich an, dass wir nach wie vor nach Süden trieben, während wir tiefer und tiefer sanken. Wir nahmen Notiz von der Meeresfauna und -flora und lasen viel darüber in den Büchern, die ich für Momente der Muße mit auf das Schiff gebracht hatte. Ich konnte jedoch nicht anders als die mindere wissenschaftliche Bildung meines Kameraden zu bemerken. Sein Verstand war nicht der eines Preussen, sondern Einbildungen und wertlosen Spekulationen zugeneigt. Der Umstand unseres nahenden Todes beeinträchtigte ihn auf sonderbare Weise und er betete oft in Reue um all die Männer, Frauen und Kinder, die wir auf den Meeresboden versenkt hatten. Dabei vergaß er, dass alle Taten hehr sind, die dem Deutschen Vaterlande dienen. Mit der Zeit wurde er unruhig und starrte den elfenbeinernen Götzen stundenlang an, dabei abstruse Geschichten von verlorenen und vergessenen Dingen unter dem Meer spinnend. Manchmal, als psychologisches Experiment, tat ich als glaubte ich ihm diese Verirrungen und hörte seinen endlosen poetischen Aussprüchen und Geschichten von versunkenen Schiffen zu. Er tat mir sehr leid, denn es gefällt mir nicht, einen Deutschen leiden zu sehen, doch war er kein Mann mit dem man zusammen sterben wollte. Ich selbst war stolz, zu wissen wie das Vaterland mein Andenken ehren würde und meine Söhne dazu erzogen werden würden, Männer wie ich zu werden.