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Aus dem Leben eines Taugenichts (1826), Aus dem Leben eines Taugenichts, Sechstes Kapitel 1/3

Aus dem Leben eines Taugenichts, Sechstes Kapitel 1/3

Als ich wieder erwachte, spielten schon die ersten Morgenstrahlen an den grünen Vorhängen über mir. Ich konnte mich gar nicht besinnen, wo ich eigentlich wäre. Es kam mir vor, als führe ich noch immerfort im Wagen, und es hätte mir von einem Schlosse im Mondschein geträumt und von einer alten Hexe und ihrem blassen Töchterlein.

Ich sprang endlich rasch aus dem Bette, kleidete mich an, und sah mich dabei nach allen Seiten in dem Zimmer um. Da bemerkte ich eine kleine Tapetentür, die ich gestern gar nicht gesehen hatte. Sie war nur angelehnt, ich öffnete sie, und erblickte ein kleines nettes Stübchen, das in der Morgendämmerung recht heimlich aussah. Über einem Stuhl waren Frauenkleider unordentlich hingeworfen, auf einem Bettchen daneben lag das Mädchen, das mir gestern abends bei der Tafel aufgewartet hatte. Sie schlief noch ganz ruhig und hatte den Kopf auf den weißen bloßen Arm gelegt, über den ihre schwarzen Locken herabfielen. Wenn die wüßte, daß die Tür offen war! sagte ich zu mir selbst und ging in mein Schlafzimmer zurück, während ich hinter mir wieder schloß und verriegelte, damit das Mädchen nicht erschrecken und sich schämen sollte, wenn sie erwachte.

Draußen ließ sich noch kein Laut vernehmen. Nur ein früherwachtes Waldvöglein saß vor meinem Fenster auf einem Strauch, der aus der Mauer herauswuchs, und sang schon sein Morgenlied. »Nein«, sagte ich, »du sollst mich nicht beschämen und allein so früh und fleißig Gott loben!« – Ich nahm schnell meine Geige, die ich gestern auf das Tischchen gelegt hatte, und ging hinaus. Im Schlosse war noch alles totenstill, und es dauerte lange, ehe ich mich aus den dunklen Gängen ins Freie herausfand.

Als ich vor das Schloß heraustrat, kam ich in einen großen Garten, der auf breiten Terrassen, wovon die eine immer tiefer war als die andere, bis auf den halben Berg herunterging. Aber das war eine liederliche Gärtnerei. Die Gänge waren alle mit hohem Grase bewachsen, die künstlichen Figuren von Buchsbaum waren nicht beschnitten und streckten, wie Gespenster, lange Nasen oder ellenhohe spitzige Mützen in die Luft hinaus, daß man sich in der Dämmerung ordentlich davor hätte fürchten mögen. Auf einige zerbrochene Statuen über einer vertrockneten Wasserkunst war gar Wäsche aufgehängt, hin und wieder hatten sie mitten im Garten Kohl gebaut, dann kamen wieder ein paar ordinäre Blumen, alles unordentlich durcheinander, und von hohem, wildem Unkraut überwachsen, zwischen dem sich bunte Eidechsen schlängelten. Zwischen die alten, hohen Bäume hindurch aber war überall eine weite, einsame Aussicht, eine Bergkoppe hinter der andern, so weit das Auge reichte.

Nachdem ich so ein Weilchen in der Morgendämmerung durch die Wildnis umherspaziert war, erblickte ich auf der Terrasse unter mir einen langen, schmalen, blassen Jüngling in einem langen braunen Kaputrock, der mit verschränkten Armen und großen Schritten auf und ab ging. Er tat, als sähe er mich nicht, setzte sich bald darauf auf eine steinerne Bank hin, zog ein Buch aus der Tasche, las sehr laut, als wenn er predigte, sah dabei zuweilen zum Himmel, und stützte dann den Kopf ganz melancholisch auf die rechte Hand. Ich sah ihm lange zu, endlich wurde ich doch neugierig, warum er denn eigentlich so absonderliche Grimassen machte, und ging schnell auf ihn zu. Er hatte eben einen tiefen Seufzer ausgestoßen und sprang erschrocken auf, als ich ankam. Er war voller Verlegenheit, ich auch, wir wußten beide nicht, was wir sprechen sollten, und machten immerfort Komplimente voreinander, bis er endlich mit langen Schritten in das Gebüsch Reißaus nahm. Unterdes war die Sonne über dem Walde aufgegangen, ich sprang auf die Bank hinauf und strich vor Lust meine Geige, daß es weit in die stillen Täler herunterschallte. Die Alte mit dem Schlüsselbunde, die mich schon ängstlich im ganzen Schlosse zum Frühstück aufgesucht hatte, erschien nun auf der Terrasse über mir, und verwunderte sich, daß ich so artig auf der Geige spielen konnte. Der alte grämliche Mann vom Schlosse fand sich dazu und verwunderte sich ebenfalls, endlich kamen auch noch die Mägde, und alles blieb oben voller Verwunderung stehen, und ich fingerte und schwenkte meinen Fiedelbogen immer künstlicher und hurtiger und spielte Kadenzen und Variationen, bis ich endlich ganz müde wurde.

Aus dem Leben eines Taugenichts, Sechstes Kapitel 1/3 From the Life of a Good-for-Nothing, Sixth Chapter 1/3 Dalla vita di un buono a nulla, Capitolo 6 1/3 Da vida de um inútil, Capítulo 6 1/3 Из жизни бездельника, Шестая глава 1/3

Als ich wieder erwachte, spielten schon die ersten Morgenstrahlen an den grünen Vorhängen über mir. When I woke up again, the first rays of morning were already playing on the green curtains above me. Когда я очнулся снова, первые утренние лучи уже играли на зеленых занавесях надо мной. Ich konnte mich gar nicht besinnen, wo ich eigentlich wäre. I couldn't even remember where I was actually. Я совсем не мог вспомнить, где я нахожусь на самом деле. Es kam mir vor, als führe ich noch immerfort im Wagen, und es hätte mir von einem Schlosse im Mondschein geträumt und von einer alten Hexe und ihrem blassen Töchterlein. It seemed to me that I was still driving the carriage and had dreamed of a castle in the moonlight and of an old witch and her little pale daughter. Мне казалось, что я все еще еду в колесе, и мне приснился замок в лунном свете и старая ведьма со своей бледной дочкой.

Ich sprang endlich rasch aus dem Bette, kleidete mich an, und sah mich dabei nach allen Seiten in dem Zimmer um. At last I jumped out of bed quickly, dressed, and looked around the room in all directions. Наконец, я быстро вскочил с постели, оделся и в то же время оглянулся по сторонам в комнате. Da bemerkte ich eine kleine Tapetentür, die ich gestern gar nicht gesehen hatte. Then I noticed a small wallpapered door that I hadn't seen yesterday. Тогда я заметил маленькую обои дверь, которую вчера вообще не видел. Sie war nur angelehnt, ich öffnete sie, und erblickte ein kleines nettes Stübchen, das in der Morgendämmerung recht heimlich aussah. It was only ajar, I opened it and saw a nice little room that looked quite secret at dawn. Дверь была приоткрыта, я открыл ее и увидел маленькую милую комнатку, которая выглядела как будто совсем утро. Über einem Stuhl waren Frauenkleider unordentlich hingeworfen, auf einem Bettchen daneben lag das Mädchen, das mir gestern abends bei der Tafel aufgewartet hatte. Women's clothes were thrown untidily over a chair, and the girl who had waited for me at table yesterday evening was lying on a little bed next to it. На стуле была небрежно брошена женская одежда, на кровати рядом лежала девушка, которая вчера вечером обслуживала меня за столом. Sie schlief noch ganz ruhig und hatte den Kopf auf den weißen bloßen Arm gelegt, über den ihre schwarzen Locken herabfielen. Она все еще спала спокойно, прижав голову к своей белой голой руке, по которой спускались ее черные кудри. Wenn die wüßte, daß die Tür offen war! Если бы она знала, что дверь была открыта! sagte ich zu mir selbst und ging in mein Schlafzimmer zurück, während ich hinter mir wieder schloß und verriegelte, damit das Mädchen nicht erschrecken und sich schämen sollte, wenn sie erwachte. сказал я себе и вернулся в свою спальню, в то время как за мной опять закрыл и запер, чтобы девушка не испугалась и не постыдилась, если она проснется.

Draußen ließ sich noch kein Laut vernehmen. Снаружи не было слышно ни единого звука. Nur ein früherwachtes Waldvöglein saß vor meinem Fenster auf einem Strauch, der aus der Mauer herauswuchs, und sang schon sein Morgenlied. Только рано проснувшаяся лесная птичка сидела перед моим окном на кусте, растущем из стены, и уже пела свою утреннюю песню. »Nein«, sagte ich, »du sollst mich nicht beschämen und allein so früh und fleißig Gott loben!« – Ich nahm schnell meine Geige, die ich gestern auf das Tischchen gelegt hatte, und ging hinaus. «Нет», сказал я, «ты не должна стыдить меня и одну так рано и усердно славить Бога!» - Я быстро взял свою скрипку, которую вчера положил на столик, и вышел на улицу. Im Schlosse war noch alles totenstill, und es dauerte lange, ehe ich mich aus den dunklen Gängen ins Freie herausfand. В замке все еще было мертвенно тихо, и долго мне пришлось выбираться из темных коридоров наружу.

Als ich vor das Schloß heraustrat, kam ich in einen großen Garten, der auf breiten Terrassen, wovon die eine immer tiefer war als die andere, bis auf den halben Berg herunterging. Когда я вышел перед замок, я попал в большой сад, расположенный на широких террасах, каждая из которых была всегда ниже предыдущей, спускающихся до половины горы. Aber das war eine liederliche Gärtnerei. Но это был запущенный сад. Die Gänge waren alle mit hohem Grase bewachsen, die künstlichen Figuren von Buchsbaum waren nicht beschnitten und streckten, wie Gespenster, lange Nasen oder ellenhohe spitzige Mützen in die Luft hinaus, daß man sich in der Dämmerung ordentlich davor hätte fürchten mögen. Аллеи были все поросшие высокой травой, искусственные фигуры из буксуса не были подстрижены и тянулись, как призраки, длинными носами или шляпами в воздух, так что при здесь в сумерках можно было испугаться. Auf einige zerbrochene Statuen über einer vertrockneten Wasserkunst war gar Wäsche aufgehängt, hin und wieder hatten sie mitten im Garten Kohl gebaut, dann kamen wieder ein paar ordinäre Blumen, alles unordentlich durcheinander, und von hohem, wildem Unkraut überwachsen, zwischen dem sich bunte Eidechsen schlängelten. На некоторых разбитых статуях над иссохшим фонтаном было развешано белье, время от времени они сажали капусту прямо посреди сада, затем снова появлялись обычные цветы, все беспорядочно перемешано, покрыто высокой, дикой сорной травой, между которой ползали разноцветные ящерицы. Zwischen die alten, hohen Bäume hindurch aber war überall eine weite, einsame Aussicht, eine Bergkoppe hinter der andern, so weit das Auge reichte. Но сквозь старые высокие деревья открывался широкий, уединенный вид - одна гора за другой, насколько хватал взгляд.

Nachdem ich so ein Weilchen in der Morgendämmerung durch die Wildnis umherspaziert war, erblickte ich auf der Terrasse unter mir einen langen, schmalen, blassen Jüngling in einem langen braunen Kaputrock, der mit verschränkten Armen und großen Schritten auf und ab ging. Пройдя некоторое время в сумерках по дикой местности, я увидел на террасе под собой длинного, худого бледного юношу в длинном коричневом капюшоне, который шагал взад-вперед с перекрещенными руками и большими шагами. Er tat, als sähe er mich nicht, setzte sich bald darauf auf eine steinerne Bank hin, zog ein Buch aus der Tasche, las sehr laut, als wenn er predigte, sah dabei zuweilen zum Himmel, und stützte dann den Kopf ganz melancholisch auf die rechte Hand. Он делал вид, что меня не видит, вскоре сел на каменную скамью, достал книгу из кармана, громко читал, будто проповедует, иногда взглядывал на небо и затем опускал голову совершенно меланхолично на правую руку. Ich sah ihm lange zu, endlich wurde ich doch neugierig, warum er denn eigentlich so absonderliche Grimassen machte, und ging schnell auf ihn zu. Я наблюдал за ним долго, в конце концов меня все-таки овладело любопытство, почему он делает такие странные гримасы, и я быстро подошел к нему. Er hatte eben einen tiefen Seufzer ausgestoßen und sprang erschrocken auf, als ich ankam. Он только что вздохнул глубоко и испуганно вскочил, когда я подошел. Er war voller Verlegenheit, ich auch, wir wußten beide nicht, was wir sprechen sollten, und machten immerfort Komplimente voreinander, bis er endlich mit langen Schritten in das Gebüsch Reißaus nahm. Он был полон смущения, я тоже, мы оба не знали, о чем разговаривать, и постоянно делали комплименты друг другу, пока он наконец дал длинные шаги кустам искать убежище. Unterdes war die Sonne über dem Walde aufgegangen, ich sprang auf die Bank hinauf und strich vor Lust meine Geige, daß es weit in die stillen Täler herunterschallte. Тем временем солнце взошло над лесом, я вскочила на скамью и с радостью заиграла на скрипке, что доносилось далеко в тихие долины. Die Alte mit dem Schlüsselbunde, die mich schon ängstlich im ganzen Schlosse zum Frühstück aufgesucht hatte, erschien nun auf der Terrasse über mir, und verwunderte sich, daß ich so artig auf der Geige spielen konnte. Старушка с пучком ключей, которая уже тревожно искала меня по всему замку на завтрак, теперь появилась на террасе надо мной и удивилась, что я так хорошо играю на скрипке. Der alte grämliche Mann vom Schlosse fand sich dazu und verwunderte sich ebenfalls, endlich kamen auch noch die Mägde, und alles blieb oben voller Verwunderung stehen, und ich fingerte und schwenkte meinen Fiedelbogen immer künstlicher und hurtiger und spielte Kadenzen und Variationen, bis ich endlich ganz müde wurde. Старик, злобный мужчина из замка, присоединился к ним и тоже удивился, в конце концов появились и служанки, и все остались в изумлении на верхнем этаже, а я пальцами играл на скрипке все искуснее и быстрее, играл каденции и вариации, пока наконец не устал.