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Kaspar Hauser (Graded Reader), Kapitel 6. Kaspars Besonderheiten

Kapitel 6. Kaspars Besonderheiten

Neben dem seltenen Reitertalent Hausers machen sich die fast übernatürliche Qualität, Schärfe und Verstärkung aller seiner Sinne während seines Aufenthalts bei Professor Daumer bemerkbar.

Was das Sehen betrifft, so gibt es für ihn keine Dämmerung, keine Nacht und keine Dunkelheit. Bei Nacht geht er überall hin mit der größten Sicherheit, und wenn er an einen dunklen Ort geht, benutzt er kein Licht. Im Dämmerlicht sieht er sogar besser als am hellen Tag. Bei völliger Nacht unterscheidet er die Farben. Wenn bei beginnender Dämmerung ein gewöhnliches weitsichtiges Auge erst drei oder vier Sterne am Himmel sieht, erkennt er bereits die Sterngruppen. Er kann die einzelnen Sterne darin nach ihrer Größe und ihrem besonderen Farbenspiel unterscheiden. Sein Auge ist sehr scharf in der Nähe und sehr weitreichend in der Ferne.

Genauso scharf und weitreichend ist sein Gehör. Aus einer verhältnismäßig großen Entfernung hört er bei einem Spaziergang auf dem Feld die Schritte mehrerer Wanderer und unterscheidet diese Schritte nach ihrer Stärke.

Unter allen Sinnen ist es der Geruch, der für ihn am aufdringlichsten und unangenehmsten ist und ihm das Leben auf dieser Welt zur Qual macht.

Was für uns geruchlos ist, ist es für ihn nicht. Die feinsten, lieblichsten Gerüche der Blumen sind Gestank für ihn oder reizen schmerzlich seine Nerven. Er riecht Gerüche in der weitesten Ferne.

Mit Ausnahme des Geruchs von den Gewürzen, an die er sich schon in seinem Gefängnis gewöhnt hat - weil sein Brot im Gefängnis damit bestreut war - sind ihm alle Arten von Gerüchen mehr oder weniger widerlich. Am angenehmsten ist ihm gar kein Geruch.

Alles, was ihn umgibt oder in der Nähe ist, haucht ihm widerliche oder schmerzliche Gerüche entgegen. Wenn auf der Straße ein Schornsteinfeger mehrere Schritte vor ihm hergeht, wendet er schaudernd sein Gesicht ab. Bei einem alten Käse wird ihm unwohl und er muss sich erbrechen. Als er einmal Essig riecht, wirkt die Schärfe so sehr auf die Geruchs- und Augennerven, dass ihm das Wasser aus den Augen tritt. Wenn Wein, in größerer Entfernung von ihm auf dem Tisch eingeschenkt steht, beschwert er sich über den schlechten Geruch und Hitze im Kopf.

Der Geruch von frischem Fleisch ist für ihn der schrecklichste von allen. Als Professor Daumer und Kaspar im Herbst 188 in die Nähe des Johanniskirchhofs bei Nürnberg kommen, wirkt der Totengeruch so stark auf ihn, dass er sofort zu frieren6 und zu schaudern anfängt. Der Frost wird zu Fieberhitze und zuletzt zu starkem Schweiß.

Auf die besondere Qualität der Sinne Kaspars und deren Empfänglichkeit, besonders für Metallreize, wird Professor Daumer aufmerksam, als Kaspar sich noch auf dem Turm befindet.

Hier schenkt ihm ein Fremder ein Spielpferdchen, das vorne mit Eisen beschlagen ist und eine kleine Magnetstange hat. Man kann mit der Magnetstange das Pferdchen im Wasser schwimmend umherziehen. Als Kaspar den Magneten gebrauchen will, fühlt er sich sehr unangenehm gereizt. Er verschließt das Spielzeug sofort in sein Kästchen und holt es nie wieder daraus hervor. Bei Professor Daumer bewahrt er das Kästchen mit dem Magnet in einem Koffer auf.

Es kommt einmal beim Aufräumen seiner Sachen zufällig wieder zum Vorschein. Professor Daumer erinnert sich an das frühere Ereignis und kommt auf den Gedanken, mit dem Magneten des Pferdchens an Kaspar ein Experiment zu machen.

Als Professor Daumer den Nordpol des Magneten gegen ihn hält, greift er sich an sein Herz und zieht seine Weste nach außen. Er sagt, es zieht ihn in diese Richtung. Wie ein Luftzug geht es aus ihm heraus. Der Südpol wirkt weniger stark auf ihn und er sagt, es weht ihn ein Luftzug an. Professor Daumer und Professor Herrmann machen dann verschiedene ähnliche Experimente mit ihm, die ihn in die Irre führen sollen. Aber immer sagen ihm seine Empfindungen ganz richtig, ob ihm der Südpol oder der Nordpol oder keiner von beiden zugewendet ist.

Über seine Empfindlichkeit gegenüber anderen Metallen und seine Fähigkeit, sie durch das Gefühl zu unterscheiden, hat Professor Daumer viele Tatsachen gesammelt.

Ein Fremder gibt ihm einmal ein kleines Goldstück in die Hand, ohne dass Kaspar es ansehen kann. Sofort sagt er, dass er Gold in seiner Hand fühlt.

Professor Daumer legt ihm einmal einen Ring, einen Zirkel und andere Gegenstände aus verschiedenen Metallen unter ein Papier. Es ist unmöglich zu merken, was darunter ist. Mit seinem Finger, ohne das Papier zu berühren, fährt er darüber. An der Verschiedenheit und Stärke des Zugs der Metalle in den Fingerspitzen unterscheidet er alle Gegenstände nach ihrem Material und nach ihrer Form.

Einmal will Professor Daumer ihn auf die Probe stellen. Auf einem Tisch mit einer Tischdecke liegt ein Bogen Papier. Kaspar soll wieder mit dem Finger darüber fahren und sagen, ob ein Metall darunter liegt oder nicht. Er sagt: „Da zieht es“. Professor Daumer antwortet: „Diesmal hast du dich getäuscht, denn es liegt nichts darunter.“ Er hebt das Papier auf. Kaspar wiederholt, dass er dort einen Zug fühlt. Man hebt die Tischdecke auf und findet eine Nadel.

Wir verlassen nun die physische und physiologische Seite Kaspars und werfen einen Blick in eine tiefere Region seines Wesens. Seine Seele voll kindlicher Güte und Milde macht ihn unfähig, einem Wurm, einer Fliege oder einem Menschen wehzutun.

Er bringt keine Idee, keine Ahnung von Gott aus dem Kerker mit in die Welt. Wie ein Tier, selbst im Wachen schlafend, wurde er von nichts angeregt außer von tierischen Bedürfnissen.

Er war mit nichts beschäftigt außer seinem Futter und dem Einerlei seiner Rosse.

Sein Seelenleben kann man mit dem einer Auster vergleichen. Diese klebt am Felsen und empfindet nichts, frisst und nimmt nur den einförmigen Schlag der Wellen wahr. Im engen Raum ihres Gehäuses hat sie keine Vorstellung von der äußeren Welt und noch weniger von dem, was über der Erde und über allen Welten ist.

So kommt Kaspar ohne Sinn für Unsichtbares, Unkörperliches, Ewiges auf die obere Welt. Dort hat er mit den sichtbaren Dingen schon so viel zu tun, dass er kein Bedürfnis nach dem Unsichtbaren hat. Alle Bemühungen, religiöse Vorstellungen in ihm zu wecken, sind lange ohne Erfolg.

Professor Daumer versucht auf folgende Weise, ihn für eine unsichtbare Welt und besonders für einen Gott empfänglich zu machen: Daumer fragt ihn, ob er Gedanken, Vorstellungen und einen Willen in sich hat. Als Kaspar bejaht, fragt er, ob er diese sehen und hören kann. Weil er mit „Nein“ antwortet, erklärt ihm sein Lehrer, dass es folglich Dinge gibt, die man nicht sehen oder sonst äußerlich wahrnehmen kann.

Daumer fährt fort: Kaspar kann in seinem Körper durch unsichtbares Denken und Wollen sichtbare Veränderungen hervor bringen. Er kann zum Beispiel seine Hände und Füße bewegen. So kann es auch Gott in der Welt. Er ist das Leben in allen Dingen. Kaspar zeigt große Freude, als ihm dies klar wird. Auf diesem Weg können nun religiöse Vorstellungen seiner Seele nahe gebracht werden.

Einmal fragt er, ob er Gott bitten darf, ihn von seinem Augenübel zu befreien. Die Antwort ist, dass er Gott bitten darf. Er soll es aber der Weisheit Gottes überlassen, ob dieser ihm seine Bitte erfüllt. „Aber“, sagt er, „ich will ja meine Augen wieder haben, damit ich lernen und arbeiten kann. Das muss doch gut für mich sein. Gott kann also nichts dagegen haben.“

Seine Zweifel, Fragen und Einwände bringen seinen Lehrer oft in Verlegenheit. Als einmal von Gottes Allmacht die Rede ist, stellt er die Frage, ob Gott auch die Zeit rückgängig machen kann. Dahinter steckt die Frage, ob Gott ihm seine verlorene Kindheit und Jugend wieder zurückgeben kann.

Vor zwei Ständen hat Kaspar lange Zeit Abscheu: vor den Ärzten und den Geistlichen. Vor den ersten wegen der abscheulichen Medizin, die sie verschreiben und mit der sie die Leute krank machen. Vor den letzten, weil sie ihn ängstigen und durch unverständliche Dinge verwirren.

Kaspar sagt: „Einmal sind vier von ihnen zu mir auf den Turm gekommen und haben mir Dinge gesagt, die ich damals nicht verstanden habe. Wenn ich um Erklärungen gebeten habe, so haben alle zusammen geschrien und jeder hat etwas anderes gesagt. Sie sind nicht eher weggegangen, bis ich ihnen zu verstehen gegeben habe, dass sie mich endlich in Ruhe lassen sollen.“

In Kirchen fühlt er sich nicht wohl. Die Kruzifixe darin erschrecken ihn, weil für lange Zeit in seiner Vorstellung Bilder lebendig sind. Das Singen der Gemeinde ist für ihn ein schreckliches Schreien. Er sagt einmal nach einem Kirchenbesuch: „Zuerst schreien die Leute, und wenn diese auf hören, fängt der Pfarrer zu schreien an.“

Kaspars Gesundheit wird bei der guten Pflege der Daumerschen Familie, bei richtiger körperlicher Bewegung und angemessener Beschäftigung viel besser. Er lernt fleißig, macht Fortschritte im Rechnen und Schreiben.

Im Sommer 1829 schreibt er die Erinnerungen seines Lebens auf. Er zeigt sie den einheimischen und fremden Besuchern. Bald erzählt man in mehreren öffentlichen Blättern, dass Kaspar an einer Lebensbeschreibung arbeitet.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass es deshalb kurz danach, im Oktober desselben Jahres, zur Katastrophe kommt. Diese hat die Absicht seinem kurzes Leben ein tragisches Ende zu bereiten.


Kapitel 6. Kaspars Besonderheiten Chapter 6. Kaspar's special features Capítulo 6. Particularidades de Kaspar 第6章 カスパールの特徴 Capítulo 6 - As particularidades de Kaspar Глава 6. Особенности Каспара Bölüm 6. Kaspar'ın özellikleri 第 6 章卡斯帕的特点

Neben dem seltenen Reitertalent Hausers machen sich die fast übernatürliche Qualität, Schärfe und Verstärkung aller seiner Sinne während seines Aufenthalts bei Professor Daumer bemerkbar.

Was das Sehen betrifft, so gibt es für ihn keine Dämmerung, keine Nacht und keine Dunkelheit. Bei Nacht geht er überall hin mit der größten Sicherheit, und wenn er an einen dunklen Ort geht, benutzt er kein Licht. Im Dämmerlicht sieht er sogar besser als am hellen Tag. Bei völliger Nacht unterscheidet er die Farben. Wenn bei beginnender Dämmerung ein gewöhnliches weitsichtiges Auge erst drei oder vier Sterne am Himmel sieht, erkennt er bereits die Sterngruppen. Er kann die einzelnen Sterne darin nach ihrer Größe und ihrem besonderen Farbenspiel unterscheiden. Sein Auge ist sehr scharf in der Nähe und sehr weitreichend in der Ferne.

Genauso scharf und weitreichend ist sein Gehör. Aus einer verhältnismäßig großen Entfernung hört er bei einem Spaziergang auf dem Feld die Schritte mehrerer Wanderer und unterscheidet diese Schritte nach ihrer Stärke.

Unter allen Sinnen ist es der Geruch, der für ihn am aufdringlichsten und unangenehmsten ist und ihm das Leben auf dieser Welt zur Qual macht.

Was für uns geruchlos ist, ist es für ihn nicht. Die feinsten, lieblichsten Gerüche der Blumen sind Gestank für ihn oder reizen schmerzlich seine Nerven. Er riecht Gerüche in der weitesten Ferne.

Mit Ausnahme des Geruchs von den Gewürzen, an die er sich schon in seinem Gefängnis gewöhnt hat - weil sein Brot im Gefängnis damit bestreut war - sind ihm alle Arten von Gerüchen mehr oder weniger widerlich. Am angenehmsten ist ihm gar kein Geruch.

Alles, was ihn umgibt oder in der Nähe ist, haucht ihm widerliche oder schmerzliche Gerüche entgegen. Everything that surrounds him or is near him breathes disgusting or painful odors to him. Wenn auf der Straße ein Schornsteinfeger mehrere Schritte vor ihm hergeht, wendet er schaudernd sein Gesicht ab. Bei einem alten Käse wird ihm unwohl und er muss sich erbrechen. Als er einmal Essig riecht, wirkt die Schärfe so sehr auf die Geruchs- und Augennerven, dass ihm das Wasser aus den Augen tritt. Wenn Wein, in größerer Entfernung von ihm auf dem Tisch eingeschenkt steht, beschwert er sich über den schlechten Geruch und Hitze im Kopf.

Der Geruch von frischem Fleisch ist für ihn der schrecklichste von allen. Als Professor Daumer und Kaspar im Herbst 188 in die Nähe des Johanniskirchhofs bei Nürnberg kommen, wirkt der Totengeruch so stark auf ihn, dass er sofort zu frieren6 und zu schaudern anfängt. Der Frost wird zu Fieberhitze und zuletzt zu starkem Schweiß.

Auf die besondere Qualität der Sinne Kaspars und deren Empfänglichkeit, besonders für Metallreize, wird Professor Daumer aufmerksam, als Kaspar sich noch auf dem Turm befindet.

Hier schenkt ihm ein Fremder ein Spielpferdchen, das vorne mit Eisen beschlagen ist und eine kleine Magnetstange hat. Man kann mit der Magnetstange das Pferdchen im Wasser schwimmend umherziehen. Als Kaspar den Magneten gebrauchen will, fühlt er sich sehr unangenehm gereizt. Er verschließt das Spielzeug sofort in sein Kästchen und holt es nie wieder daraus hervor. Bei Professor Daumer bewahrt er das Kästchen mit dem Magnet in einem Koffer auf.

Es kommt einmal beim Aufräumen seiner Sachen zufällig wieder zum Vorschein. Professor Daumer erinnert sich an das frühere Ereignis und kommt auf den Gedanken, mit dem Magneten des Pferdchens an Kaspar ein Experiment zu machen.

Als Professor Daumer den Nordpol des Magneten gegen ihn hält, greift er sich an sein Herz und zieht seine Weste nach außen. When Professor Daumer holds the north pole of the magnet against him, he grabs his heart and pulls his vest outward. Er sagt, es zieht ihn in diese Richtung. He says he's drawn in that direction. Wie ein Luftzug geht es aus ihm heraus. Der Südpol wirkt weniger stark auf ihn und er sagt, es weht ihn ein Luftzug an. Professor Daumer und Professor Herrmann machen dann verschiedene ähnliche Experimente mit ihm, die ihn in die Irre führen sollen. Aber immer sagen ihm seine Empfindungen ganz richtig, ob ihm der Südpol oder der Nordpol oder keiner von beiden zugewendet ist.

Über seine Empfindlichkeit gegenüber anderen Metallen und seine Fähigkeit, sie durch das Gefühl zu unterscheiden, hat Professor Daumer viele Tatsachen gesammelt.

Ein Fremder gibt ihm einmal ein kleines Goldstück in die Hand, ohne dass Kaspar es ansehen kann. Sofort sagt er, dass er Gold in seiner Hand fühlt.

Professor Daumer legt ihm einmal einen Ring, einen Zirkel und andere Gegenstände aus verschiedenen Metallen unter ein Papier. Es ist unmöglich zu merken, was darunter ist. Mit seinem Finger, ohne das Papier zu berühren, fährt er darüber. An der Verschiedenheit und Stärke des Zugs der Metalle in den Fingerspitzen unterscheidet er alle Gegenstände nach ihrem Material und nach ihrer Form.

Einmal will Professor Daumer ihn auf die Probe stellen. Auf einem Tisch mit einer Tischdecke liegt ein Bogen Papier. Kaspar soll wieder mit dem Finger darüber fahren und sagen, ob ein Metall darunter liegt oder nicht. Er sagt: „Da zieht es“. Professor Daumer antwortet: „Diesmal hast du dich getäuscht, denn es liegt nichts darunter.“ Er hebt das Papier auf. Kaspar wiederholt, dass er dort einen Zug fühlt. Man hebt die Tischdecke auf und findet eine Nadel.

Wir verlassen nun die physische und physiologische Seite Kaspars und werfen einen Blick in eine tiefere Region seines Wesens. Seine Seele voll kindlicher Güte und Milde macht ihn unfähig, einem Wurm, einer Fliege oder einem Menschen wehzutun.

Er bringt keine Idee, keine Ahnung von Gott aus dem Kerker mit in die Welt. Wie ein Tier, selbst im Wachen schlafend, wurde er von nichts angeregt außer von tierischen Bedürfnissen. Like an animal, asleep even when awake, he was stimulated by nothing except animal needs.

Er war mit nichts beschäftigt außer seinem Futter und dem Einerlei seiner Rosse.

Sein Seelenleben kann man mit dem einer Auster vergleichen. Diese klebt am Felsen und empfindet nichts, frisst und nimmt nur den einförmigen Schlag der Wellen wahr. Im engen Raum ihres Gehäuses hat sie keine Vorstellung von der äußeren Welt und noch weniger von dem, was über der Erde und über allen Welten ist.

So kommt Kaspar ohne Sinn für Unsichtbares, Unkörperliches, Ewiges auf die obere Welt. Dort hat er mit den sichtbaren Dingen schon so viel zu tun, dass er kein Bedürfnis nach dem Unsichtbaren hat. Alle Bemühungen, religiöse Vorstellungen in ihm zu wecken, sind lange ohne Erfolg.

Professor Daumer versucht auf folgende Weise, ihn für eine unsichtbare Welt und besonders für einen Gott empfänglich zu machen: Daumer fragt ihn, ob er Gedanken, Vorstellungen und einen Willen in sich hat. Als Kaspar bejaht, fragt er, ob er diese sehen und hören kann. Weil er mit „Nein“ antwortet, erklärt ihm sein Lehrer, dass es folglich Dinge gibt, die man nicht sehen oder sonst äußerlich wahrnehmen kann.

Daumer fährt fort: Kaspar kann in seinem Körper durch unsichtbares Denken und Wollen sichtbare Veränderungen hervor bringen. Er kann zum Beispiel seine Hände und Füße bewegen. So kann es auch Gott in der Welt. Er ist das Leben in allen Dingen. Kaspar zeigt große Freude, als ihm dies klar wird. Auf diesem Weg können nun religiöse Vorstellungen seiner Seele nahe gebracht werden.

Einmal fragt er, ob er Gott bitten darf, ihn von seinem Augenübel zu befreien. Die Antwort ist, dass er Gott bitten darf. Er soll es aber der Weisheit Gottes überlassen, ob dieser ihm seine Bitte erfüllt. „Aber“, sagt er, „ich will ja meine Augen wieder haben, damit ich lernen und arbeiten kann. Das muss doch gut für mich sein. Gott kann also nichts dagegen haben.“

Seine Zweifel, Fragen und Einwände bringen seinen Lehrer oft in Verlegenheit. Als einmal von Gottes Allmacht die Rede ist, stellt er die Frage, ob Gott auch die Zeit rückgängig machen kann. Dahinter steckt die Frage, ob Gott ihm seine verlorene Kindheit und Jugend wieder zurückgeben kann.

Vor zwei Ständen hat Kaspar lange Zeit Abscheu: vor den Ärzten und den Geistlichen. Vor den ersten wegen der abscheulichen Medizin, die sie verschreiben und mit der sie die Leute krank machen. Vor den letzten, weil sie ihn ängstigen und durch unverständliche Dinge verwirren.

Kaspar sagt: „Einmal sind vier von ihnen zu mir auf den Turm gekommen und haben mir Dinge gesagt, die ich damals nicht verstanden habe. Wenn ich um Erklärungen gebeten habe, so haben alle zusammen geschrien und jeder hat etwas anderes gesagt. Sie sind nicht eher weggegangen, bis ich ihnen zu verstehen gegeben habe, dass sie mich endlich in Ruhe lassen sollen.“

In Kirchen fühlt er sich nicht wohl. Die Kruzifixe darin erschrecken ihn, weil für lange Zeit in seiner Vorstellung Bilder lebendig sind. Das Singen der Gemeinde ist für ihn ein schreckliches Schreien. Er sagt einmal nach einem Kirchenbesuch: „Zuerst schreien die Leute, und wenn diese auf hören, fängt der Pfarrer zu schreien an.“

Kaspars Gesundheit wird bei der guten Pflege der Daumerschen Familie, bei richtiger körperlicher Bewegung und angemessener Beschäftigung viel besser. Er lernt fleißig, macht Fortschritte im Rechnen und Schreiben.

Im Sommer 1829 schreibt er die Erinnerungen seines Lebens auf. Er zeigt sie den einheimischen und fremden Besuchern. Bald erzählt man in mehreren öffentlichen Blättern, dass Kaspar an einer Lebensbeschreibung arbeitet.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass es deshalb kurz danach, im Oktober desselben Jahres, zur Katastrophe kommt. Diese hat die Absicht seinem kurzes Leben ein tragisches Ende zu bereiten.