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Kaspar Hauser (Graded Reader), Kapitel 4. Kaspar entdeckt die Welt

Kapitel 4. Kaspar entdeckt die Welt

Schon war Kaspar Hauser mehr als einen Monat in Nürnberg, als ich von diesem Findling höre. Als Privatmann, aus menschlichem und wissenschaftlichem Interesse, komme ich am 11. Juli 1828 nach Nürnberg.

Kaspar hat noch immer seine Wohnung am Vestner-Tor. Es kann jeder zu ihm kommen, der Lust hat, ihn zu sehen. Ich besuche ihn zusammen mit einem Obristen, zwei Damen und zwei Kindern. Er ist barfuß, trägt eine alte, lange Hose und ein Hemd.

Kaspar hat die Wände des Zimmers mit gemalten Bilderbogen ausgeschmückt. Es sind Geschenke der vielen Besucher. Er klebt sie jeden Morgen mit seinem Speichel an die Wand. Am Abend nimmt er sie wieder ab und legt sie neben sich zusammen.

In der Ecke befindet sich sein Bett. Es ist ein Strohsack mit einem Kopf kissen und einer Wolldecke.

Der Raum ist voll mit verschiedenem Kinderspielzeug, mit Hunderten Soldaten aus Blei, mit hölzernen Hündchen, Pferdchen und anderen Waren aus Nürnberg. Bei Tag beschäftigt er sich nur noch wenig damit, aber abends legt er alle diese Sachen wieder zusammen. Nach dem Aufwachen packt er sie dann wieder aus und stellt sie in einer bestimmten Ordnung in einer Reihe nebeneinander.

Die Nürnberger haben ihm auch mehrere Kleidungsstücke geschenkt, die er unter sein Kopf kissen gelegt hat. Diese zeigt er uns mit kindlicher Freude und einiger Eitelkeit.

Es liegen verschiedene Geldstücke herum, denen er aber keine Aufmerksamkeit schenkt. Als ich ihn frage, welches Geldstück er am liebsten hat, wählt er das kleine, glänzende Geldstück. Ich versuche ihm zu erklären, dass das Große mehr Wert hat. Er denkt nach und sagt am Ende, dass er das nicht versteht.

Als wir hereinkommen, zeigt er keine Angst und Schüchternheit, sondern zutrauliches Entgegenkommen und Freude über unseren Besuch. Er interessiert sich sehr für die Uniform des Obristen und kann nicht aufhören, seinen goldenen Helm anzusehen. Seine Aufmerksamkeit wechselt dann zu den bunten Kleidern der Frauen. Ich trage einen einfachen schwarzen Frack und bin anfangs gar nicht interessant für ihn.

Jeder stellt sich vor und nennt seinen Namen und Titel. Ich beobachte, dass Kaspar sich nahe an die Person stellt und einen schnellen, durchdringenden Blick auf jeden besonderen Teil des Gesichts wirft. Am Ende fasst er die stückweise gelesenen Teile der Physiognomie in ein Ganzes zusammen. Er wiederholt dann den Namen der Person. Nun kennt er die Person und kennt sie, wie spätere Erfahrungen zeigen, für immer.

Er versucht, nicht ins helle Tageslicht zu schauen. Wenn ein einfallender Sonnenstrahl seine Augen trifft, blinzelt er stark, runzelt die Stirn und zeigt, dass er Schmerzen hat. Seine Augen sind außerdem etwas entzündet und sehr empfindlich gegenüber Licht.

Die linke Hälfte des Gesichts ist sehr von der rechten Seite verschieden. Sie ist deutlich verzerrt und zuckt häufig. An diesen Zuckungen nimmt immer die linke Seite des Körpers, besonders der Arm und die Hand, teil.

Wenn man ihm etwas zeigt, was ihn neugierig macht, oder ein Worts spricht, das er nicht versteht, fangen diese Zuckungen an. Diese werden meistens zu einer Art Erstarrung. Er steht dann still da, kein Muskel des Gesichts bewegt sich und die Augen starren wie leblos vor sich hin.

Diesen Zustand kann man immer dann beobachten: wenn er nachdenkt; wenn er für ein neues Wort den passenden Begriff sucht; wenn er für ein neues Ding das passende Wort sucht; wenn er versucht, etwas noch Unbekanntes mit etwas Bekanntem zu verbinden und so versucht, das Unbekannte zu verstehen.

Die Worte, die er sagen kann, spricht er klar und deutlich. Nur an eine zusammenhängende Rede ist bei ihm noch nicht zu denken. Seine Sprache ist so arm wie die Anzahl der bekannten Begriffe. Es ist deshalb auch schwer, sich ihm verständlich zu machen. Von sich spricht er fast immer in der dritten Person. Man darf zu ihm nicht „Du“, sondern man muss „Kaspar“ sagen. Nur so versteht er, dass man ihn meint.

Viele Wörter für nur eine Spezies gebraucht er für die ganze Gattung. So gilt das Wort „Berg“ für jede Wölbung oder Erhöhung. Deshalb nennt er einen dickbäuchigen Mann, dessen Namen er vergessen hat, „Mann mit dem Berg“.

Für mich ist es wichtig, seinen Geschmack hinsichtlich der Farben zu prüfen. Auch hier verhält er sich so wie die Kinder und die sogenannten Wilden. Er liebt die rote Farbe, besonders die intensiv rote. Die gelbe mag er nicht, nur wenn sie als Gold glänzt. Weiß lässt ihn gleichgültig, Grün hasst er fast so wie Schwarz. An der Natur hat er deshalb keinen Gefallen. Er findet sie nur schön, wenn er sie durch ein rot gefärbtes Glas sieht.

Die Neugier, der Wissensdurst und die starke Beharrlichkeit, mit der er versucht zu lernen und zu verstehen, sind unglaublich und herzergreifend.

Tagsüber beschäftigt er sich zusammen mit Professor Daumer mit Schreiben, Zeichnen und anderen Lehrgegenständen.

Er beschwert sich immer wieder, dass die Leute auf der Welt so viel wissen und er so viel noch gar nicht gelernt hat. Mit seinem Leben auf der Welt ist er nicht zufrieden. Zu Hause in seinem Loch, sagt er, hat er nie so viele Schmerzen im Kopf gehabt und man hat ihm nicht so weh getan wie jetzt auf der Welt. Damit meint er die vielen neuen Eindrücke und Gerüche, die vielen Besuche der Neugierigen mit ihren Fragen und nicht sehr humanen Experimenten.

Über den Mann beschwert er sich nur, weil er noch nicht gekommen ist, um ihn wieder nach Hause zu bringen, und weil er ihm von den vielen schönen Sachen auf der Welt nichts gezeigt oder gesagt hat.

Als ich ihn frage, warum er zu dem bösen Mann wieder zurück will, antwortet er: „Mann nit bös. Mann mir nit bös tan.“

Er hat ein erstaunliches und schnelles Gedächtnis. Bei jedem der vielen kleinen und großen Geschenke nennt er uns den Namen und Titel der Person, von der er es bekommen hat.

Der Arzt Dr. Osterhausen zeigt Kaspar einen Blumenstrauß und sagt ihm die Namen der einzelnen Blumen vor. Mehrere Tage später kann er jede dieser Blumen wiedererkennen und mit ihrem Namen benennen. Später, als sein Verstand mehr Arbeit bekommt, wird dieses Gedächtnis aber viel schlechter.

Wenn Personen eine väterliche Autorität für Kaspar sind, macht er alles, was sie sagen. Dazu gehören besonders der Herr Bürgermeister, der Herr Professor Daumer und der Gefangenenwächter Hiltel. Er sagt, dass er das von dem Mann „bei dem er immer gewesen ist“ gelernt hat.

Auf fremde Autoritäten hört er aber nur, wenn es ums Tun oder Nichttun geht. Um etwas als sicher oder wahr anzunehmen, ist seine eigene Überzeugung nötig. Diese bildet er entweder durch sinnliche Wahrnehmung oder durch einen Grund, den er verstehen kann. Wenn er etwas nicht versteht, widerspricht er nicht und lässt die Sache zunächst dahingestellt. Er sagt dann, dass er zuerst mehr lernen muss.

Ich erzähle ihm von dem nächsten Winter und sage, dass dann die Dächer der Häuser und alle Straßen der Stadt ganz weiß sind. Er glaubt es erst, wenn er es sieht.

Als im folgenden Winter der erste Schnee fällt, zeigt er große Freude, dass alles so gut „angestrichen“ ist. Er geht nach draußen, um sich etwas von der weißen Farbe zu holen. Kaspar kommt weinend wieder und schreit: „Die weiße Farbe hat mich in die Hände gebissen.“

Kaspar liebt die Ordnung und Sauberkeit. Diese Liebe treibt er bis zur Pedanterie. Er hasst die Unsauberkeit, oder was er dafür hält, bei sich und bei anderen.

Die merkwürdigste Erfahrung mache ich, als ich Kaspar sage, dass er aus dem Fenster sehen soll. Man hat eine weite Aussicht auf eine schöne Sommerlandschaft. Als ich ihn frage, ob das nicht schön ist, ruft er „Garstig! Garstig!“. Sein Gesicht drückt Abscheu und Schrecken aus.

Als nun Kaspar einige Jahre später, im Jahre 1831, einige Wochen lang bei mir Gast ist, frage ich ihn, warum er damals beim Anblick der Landschaft „Garstig! Garstig!“ gerufen hat. Er antwortet: „Ja, natürlich. Das war sehr garstig, was ich damals gesehen habe. Ich habe gedacht, ein Maler hat die Fensterläden mit Weiß, Blau, Grün, Gelb, Rot, alles bunt durcheinander angemalt. Ich konnte die einzelnen Dinge nicht erkennen und nicht unterscheiden.

Ich hatte Angst, weil ich gedacht habe, dass ein bunter Fensterladen das Fenster verschlossen hat, damit ich nicht ins Freie sehen kann.

Ich habe erst später auf meinen Spaziergängen ins Freie verstanden, dass ich Felder, Berge und Häuser gesehen hatte.

Anfangs konnte ich auch nicht unterscheiden, was wirklich rund und dreieckig war oder nur rund und dreieckig gemalt war.“

Der ständige Umgang mit den vielen Besuchern bringt den Gewinn, dass Kaspar schnell viele Dingen und Wörter kennenlernt und bald im Verstehen und Sprechen Fortschritte macht. Zu jeder Stunde des Tages lernt er von vielen Seiten etwas Neues kennen. Das alles kann er aber nicht zu einem Ganzen zusammenbringen. Die vielen Vorstellungen und Gedanken bleiben ungeordnet nebeneinander.

Sein Körper und sein Nervensystem sind zu schwach für das ungewohnte Licht und die frische Luft, die vielen verschiedenen Sinneseindrücke und die Anstrengung seiner wissensdurstigen Seele.

Kaspar wird krank. Sein Arzt, Dr. Osterhausen, sagt, dass Kaspar verändert ist. Er ist traurig und schwach. Die Empfindlichkeit seiner Nerven ist krankhaft erhöht. Seine Gesichtsmuskeln zucken ständig. Seine Hände zittern so sehr, dass er kaum etwas halten kann.

Seine Augen sind entzündet, können kein Licht vertragen und schmerzen beim Lesen. Sein Gehör ist so empfindlich, dass er bei jedem lauten Sprechen starke Schmerzen bekommt. Er kann die Musik, die er liebt, nicht mehr hören. Er hat keinen Appetit und einen erschwerten Stuhlgang. Er hat Beschwerden im Unterleib und fühlt sich nicht gut.


Kapitel 4. Kaspar entdeckt die Welt Chapter 4. Kaspar discovers the world Capítulo 4. Kaspar descubre el mundo 第4章 カスパーが世界を発見する Capítulo 4 - Kaspar descobre o mundo Глава 4. Каспар открывает для себя мир Bölüm 4. Kaspar dünyayı keşfediyor 第 4 章卡斯帕发现世界

Schon war Kaspar Hauser mehr als einen Monat in Nürnberg, als ich von diesem Findling höre. Als Privatmann, aus menschlichem und wissenschaftlichem Interesse, komme ich am 11. Juli 1828 nach Nürnberg.

Kaspar hat noch immer seine Wohnung am Vestner-Tor. Es kann jeder zu ihm kommen, der Lust hat, ihn zu sehen. Ich besuche ihn zusammen mit einem Obristen, zwei Damen und zwei Kindern. Er ist barfuß, trägt eine alte, lange Hose und ein Hemd.

Kaspar hat die Wände des Zimmers mit gemalten Bilderbogen ausgeschmückt. Es sind Geschenke der vielen Besucher. Er klebt sie jeden Morgen mit seinem Speichel an die Wand. Am Abend nimmt er sie wieder ab und legt sie neben sich zusammen.

In der Ecke befindet sich sein Bett. Es ist ein Strohsack mit einem Kopf kissen und einer Wolldecke.

Der Raum ist voll mit verschiedenem Kinderspielzeug, mit Hunderten Soldaten aus Blei, mit hölzernen Hündchen, Pferdchen und anderen Waren aus Nürnberg. Bei Tag beschäftigt er sich nur noch wenig damit, aber abends legt er alle diese Sachen wieder zusammen. Nach dem Aufwachen packt er sie dann wieder aus und stellt sie in einer bestimmten Ordnung in einer Reihe nebeneinander.

Die Nürnberger haben ihm auch mehrere Kleidungsstücke geschenkt, die er unter sein Kopf kissen gelegt hat. Diese zeigt er uns mit kindlicher Freude und einiger Eitelkeit.

Es liegen verschiedene Geldstücke herum, denen er aber keine Aufmerksamkeit schenkt. Als ich ihn frage, welches Geldstück er am liebsten hat, wählt er das kleine, glänzende Geldstück. Ich versuche ihm zu erklären, dass das Große mehr Wert hat. Er denkt nach und sagt am Ende, dass er das nicht versteht.

Als wir hereinkommen, zeigt er keine Angst und Schüchternheit, sondern zutrauliches Entgegenkommen und Freude über unseren Besuch. Er interessiert sich sehr für die Uniform des Obristen und kann nicht aufhören, seinen goldenen Helm anzusehen. Seine Aufmerksamkeit wechselt dann zu den bunten Kleidern der Frauen. Ich trage einen einfachen schwarzen Frack und bin anfangs gar nicht interessant für ihn.

Jeder stellt sich vor und nennt seinen Namen und Titel. Ich beobachte, dass Kaspar sich nahe an die Person stellt und einen schnellen, durchdringenden Blick auf jeden besonderen Teil des Gesichts wirft. Am Ende fasst er die stückweise gelesenen Teile der Physiognomie in ein Ganzes zusammen. Er wiederholt dann den Namen der Person. Nun kennt er die Person und kennt sie, wie spätere Erfahrungen zeigen, für immer.

Er versucht, nicht ins helle Tageslicht zu schauen. Wenn ein einfallender Sonnenstrahl seine Augen trifft, blinzelt er stark, runzelt die Stirn und zeigt, dass er Schmerzen hat. Seine Augen sind außerdem etwas entzündet und sehr empfindlich gegenüber Licht.

Die linke Hälfte des Gesichts ist sehr von der rechten Seite verschieden. Sie ist deutlich verzerrt und zuckt häufig. An diesen Zuckungen nimmt immer die linke Seite des Körpers, besonders der Arm und die Hand, teil.

Wenn man ihm etwas zeigt, was ihn neugierig macht, oder ein Worts spricht, das er nicht versteht, fangen diese Zuckungen an. Diese werden meistens zu einer Art Erstarrung. Er steht dann still da, kein Muskel des Gesichts bewegt sich und die Augen starren wie leblos vor sich hin.

Diesen Zustand kann man immer dann beobachten: wenn er nachdenkt; wenn er für ein neues Wort den passenden Begriff sucht; wenn er für ein neues Ding das passende Wort sucht; wenn er versucht, etwas noch Unbekanntes mit etwas Bekanntem zu verbinden und so versucht, das Unbekannte zu verstehen.

Die Worte, die er sagen kann, spricht er klar und deutlich. Nur an eine zusammenhängende Rede ist bei ihm noch nicht zu denken. Only a coherent speech is not to be thought with him yet. Seine Sprache ist so arm wie die Anzahl der bekannten Begriffe. Es ist deshalb auch schwer, sich ihm verständlich zu machen. Von sich spricht er fast immer in der dritten Person. Man darf zu ihm nicht „Du“, sondern man muss „Kaspar“ sagen. Nur so versteht er, dass man ihn meint.

Viele Wörter für nur eine Spezies gebraucht er für die ganze Gattung. He uses many words for only one species for the whole genus. So gilt das Wort „Berg“ für jede Wölbung oder Erhöhung. Deshalb nennt er einen dickbäuchigen Mann, dessen Namen er vergessen hat, „Mann mit dem Berg“.

Für mich ist es wichtig, seinen Geschmack hinsichtlich der Farben zu prüfen. Auch hier verhält er sich so wie die Kinder und die sogenannten Wilden. Er liebt die rote Farbe, besonders die intensiv rote. Die gelbe mag er nicht, nur wenn sie als Gold glänzt. Weiß lässt ihn gleichgültig, Grün hasst er fast so wie Schwarz. An der Natur hat er deshalb keinen Gefallen. Er findet sie nur schön, wenn er sie durch ein rot gefärbtes Glas sieht.

Die Neugier, der Wissensdurst und die starke Beharrlichkeit, mit der er versucht zu lernen und zu verstehen, sind unglaublich und herzergreifend.

Tagsüber beschäftigt er sich zusammen mit Professor Daumer mit Schreiben, Zeichnen und anderen Lehrgegenständen.

Er beschwert sich immer wieder, dass die Leute auf der Welt so viel wissen und er so viel noch gar nicht gelernt hat. Mit seinem Leben auf der Welt ist er nicht zufrieden. Zu Hause in seinem Loch, sagt er, hat er nie so viele Schmerzen im Kopf gehabt und man hat ihm nicht so weh getan wie jetzt auf der Welt. Damit meint er die vielen neuen Eindrücke und Gerüche, die vielen Besuche der Neugierigen mit ihren Fragen und nicht sehr humanen Experimenten.

Über den Mann beschwert er sich nur, weil er noch nicht gekommen ist, um ihn wieder nach Hause zu bringen, und weil er ihm von den vielen schönen Sachen auf der Welt nichts gezeigt oder gesagt hat. About the man he complains only because he has not yet come to take him home again, and because he has not shown or told him about the many beautiful things in the world.

Als ich ihn frage, warum er zu dem bösen Mann wieder zurück will, antwortet er: „Mann nit bös. Mann mir nit bös tan.“

Er hat ein erstaunliches und schnelles Gedächtnis. Bei jedem der vielen kleinen und großen Geschenke nennt er uns den Namen und Titel der Person, von der er es bekommen hat.

Der Arzt Dr. Osterhausen zeigt Kaspar einen Blumenstrauß und sagt ihm die Namen der einzelnen Blumen vor. Mehrere Tage später kann er jede dieser Blumen wiedererkennen und mit ihrem Namen benennen. Später, als sein Verstand mehr Arbeit bekommt, wird dieses Gedächtnis aber viel schlechter.

Wenn Personen eine väterliche Autorität für Kaspar sind, macht er alles, was sie sagen. Dazu gehören besonders der Herr Bürgermeister, der Herr Professor Daumer und der Gefangenenwächter Hiltel. Er sagt, dass er das von dem Mann „bei dem er immer gewesen ist“ gelernt hat.

Auf fremde Autoritäten hört er aber nur, wenn es ums Tun oder Nichttun geht. But he only listens to foreign authorities when it is a matter of doing or not doing. Um etwas als sicher oder wahr anzunehmen, ist seine eigene Überzeugung nötig. Diese bildet er entweder durch sinnliche Wahrnehmung oder durch einen Grund, den er verstehen kann. Wenn er etwas nicht versteht, widerspricht er nicht und lässt die Sache zunächst dahingestellt. Er sagt dann, dass er zuerst mehr lernen muss.

Ich erzähle ihm von dem nächsten Winter und sage, dass dann die Dächer der Häuser und alle Straßen der Stadt ganz weiß sind. Er glaubt es erst, wenn er es sieht.

Als im folgenden Winter der erste Schnee fällt, zeigt er große Freude, dass alles so gut „angestrichen“ ist. Er geht nach draußen, um sich etwas von der weißen Farbe zu holen. Kaspar kommt weinend wieder und schreit: „Die weiße Farbe hat mich in die Hände gebissen.“

Kaspar liebt die Ordnung und Sauberkeit. Diese Liebe treibt er bis zur Pedanterie. Er hasst die Unsauberkeit, oder was er dafür hält, bei sich und bei anderen.

Die merkwürdigste Erfahrung mache ich, als ich Kaspar sage, dass er aus dem Fenster sehen soll. Man hat eine weite Aussicht auf eine schöne Sommerlandschaft. Als ich ihn frage, ob das nicht schön ist, ruft er „Garstig! Garstig!“. Sein Gesicht drückt Abscheu und Schrecken aus.

Als nun Kaspar einige Jahre später, im Jahre 1831, einige Wochen lang bei mir Gast ist, frage ich ihn, warum er damals beim Anblick der Landschaft „Garstig! Garstig!“ gerufen hat. Er antwortet: „Ja, natürlich. Das war sehr garstig, was ich damals gesehen habe. Ich habe gedacht, ein Maler hat die Fensterläden mit Weiß, Blau, Grün, Gelb, Rot, alles bunt durcheinander angemalt. Ich konnte die einzelnen Dinge nicht erkennen und nicht unterscheiden.

Ich hatte Angst, weil ich gedacht habe, dass ein bunter Fensterladen das Fenster verschlossen hat, damit ich nicht ins Freie sehen kann.

Ich habe erst später auf meinen Spaziergängen ins Freie verstanden, dass ich Felder, Berge und Häuser gesehen hatte.

Anfangs konnte ich auch nicht unterscheiden, was wirklich rund und dreieckig war oder nur rund und dreieckig gemalt war.“

Der ständige Umgang mit den vielen Besuchern bringt den Gewinn, dass Kaspar schnell viele Dingen und Wörter kennenlernt und bald im Verstehen und Sprechen Fortschritte macht. Zu jeder Stunde des Tages lernt er von vielen Seiten etwas Neues kennen. Das alles kann er aber nicht zu einem Ganzen zusammenbringen. Die vielen Vorstellungen und Gedanken bleiben ungeordnet nebeneinander.

Sein Körper und sein Nervensystem sind zu schwach für das ungewohnte Licht und die frische Luft, die vielen verschiedenen Sinneseindrücke und die Anstrengung seiner wissensdurstigen Seele.

Kaspar wird krank. Sein Arzt, Dr. Osterhausen, sagt, dass Kaspar verändert ist. Er ist traurig und schwach. Die Empfindlichkeit seiner Nerven ist krankhaft erhöht. Seine Gesichtsmuskeln zucken ständig. Seine Hände zittern so sehr, dass er kaum etwas halten kann.

Seine Augen sind entzündet, können kein Licht vertragen und schmerzen beim Lesen. Sein Gehör ist so empfindlich, dass er bei jedem lauten Sprechen starke Schmerzen bekommt. Er kann die Musik, die er liebt, nicht mehr hören. Er hat keinen Appetit und einen erschwerten Stuhlgang. Er hat Beschwerden im Unterleib und fühlt sich nicht gut.