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Kaspar Hauser (Graded Reader), Kapitel 3. Kaspars Leben im Gefängnis

Kapitel 3. Kaspars Leben im Gefängnis

Seine Angaben sind im Kurzen folgende:

Er weiß nicht, wer er selbst ist oder wo seine Heimat ist. Erst in Nürnberg ist er auf die Welt gekommen. Hier erst hat er erfahren, dass es, außer ihm und dem Mann, bei dem er immer war, auch noch andere Menschen und Lebewesen gibt. Solange er sich erinnern kann, hat er immer in einem Loch gelebt. Es war ein kleiner niedriger Raum, den er auch Käfig nennt. Er hat nur ein Hemd und hinten aufgeschlitzte Lederhosen getragen und hat barfuß auf dem Boden gesessen.

Nach Kaspars Erzählung hat er niemals, auch nicht im Schlaf, mit dem ganzen Körper gelegen, sondern immer mit angelehntem Rücken gesessen. Wahrscheinlich war diese Position in seiner Unterkunft notwendig. Er selbst kann dazu keine nähere Auskunft geben.

Er hat nie einen Laut gehört, nicht von Menschen und nicht von Tieren oder von sonst etwas. Er hat nie den Himmel gesehen und er hat auch nie das helle Sonnenlicht, wie in Nürnberg, wahrgenommen. Einen Unterschied zwischen Tag und Nacht hat er nie erfahren und die schönen Lichter am Himmel hat er nie gesehen.

Auf dem Boden gab es ein Loch, wahrscheinlich mit einem Topf, wo er seine Notdurft verrichtet hat.

Jedes Mal, wenn er aus dem Schlaf erwacht ist, hat ein Brot neben ihm gelegen und Wasser neben ihm gestanden. Manchmal hatte das Wasser einen schlechten Geschmack. Dann konnte er nach dem Trinken seine Augen nicht mehr offen halten und musste einschlafen.

Wenn er wieder aufgewacht ist, hatte er ein sauberes Hemd an und seine Nägel waren geschnitten. Er hat das Gesicht des Mannes, der ihm Essen und Trinken gebracht hat, nie gesehen.

In seinem Loch hatte er zwei hölzerne Pferde und verschiedene Bänder.

Mit diesen Rossen hat er sich, solange er wach war, zu jeder Zeit unterhalten. Er hat sie neben sich herlaufen lassen und ihnen die Bänder unterschiedlich aufgelegt oder umgebunden. So ist ein Tag wie der andere vergangen.

Er hat aber nichts vermisst, war nicht krank und hatte keine Schmerzen. Es ist ihm besser gegangen als auf der Welt, wo er viel leiden muss. Wie lange er so gelebt hat, weiß er nicht, weil er die Zeit nicht gekannt hat. Er kann nicht sagen, wann und wie er dort hingekommen ist. Er kann sich auch nicht daran erinnern, dass er je in seinem Leben in einem anderen Zustand und an einem anderen Ort war.

Der Mann, bei dem er immer war, hat ihm nicht wehgetan. Er hat ihn nur einmal mit dem Stock auf seinen Arm geschlagen, weil er zu laut war.

In dieser Zeit ist der Mann in sein Gefängnis gekommen. Er hat ein Tischchen über seine Füße gestellt und etwas Weißes vor ihn gelegt. Jetzt weiß er, dass es Papier war. Von hinten hat er dann seine Hand genommen. So konnte Kaspar sein Gesicht nicht sehen. Mit einem Bleistift, den er ihm zwischen die Finger gesteckt hat, ist er auf dem Papier hin und her gefahren.

Kaspar hat nicht gewusst, was das ist. Er hat aber große Freude empfunden, als er die schwarzen Figuren auf dem weißen Papier gesehen hat. Dann war seine Hand wieder frei und der Mann ist wieder gegangen. Er konnte nicht auf hören, diese Figuren immer wieder auf das Papier zu zeichnen. Seine Freude über diese neue Entdeckung war sehr groß, auch wenn er nicht verstanden hat, was die Figuren bedeuten sollten.

Der Mann hat diese Besuche zu verschiedenen Zeiten wiederholt.

Ein anderes Mal ist der Mann gekommen, hat ihn aus seiner Unterkunft aufgehoben und hat ihn auf die Füße gestellt. Er hat sich dann hinter Kaspar gestellt, ihn gehalten und versucht, ihn laufen zu lehren. Auch das hat er zu verschiedenen Zeiten wiederholt.

Einmal ist der Mann gekommen, hat Kaspars Hände über seine Schultern gelegt und ihn auf dem Rücken aus dem Loch getragen. Er hat ihn auf einen Berg gebracht. Dort hat er Kaspar auf den Boden gelegt und es ist Nacht geworden. Dieses ,Nachtwerden‘ heißt in Kaspars Sprache auch ,ohnmächtig werden‘, wie später in verschiedenen Situationen in Nürnberg klar wird.

Von der Reise erzählt Hauser weiter, dass er mehrmals mit dem Gesicht auf dem Boden gelegen hat und es dann Nacht geworden ist. Er hat einige Male Brot gegessen und Wasser getrunken. Der Mann, bei dem er immer gewesen ist, hat mit ihm immer öfter Gehen geübt. Das hat ihm immer sehr weh getan. Der Mann hat nicht mit ihm gesprochen, er hat nur immer die Worte „Reutä wähn, wie mei Vottä wähn is.“ gesagt.

Kaspar konnte das Gesicht des Mannes auch nicht auf dieser Reise sehen. Jedes Mal, wenn er ihn geführt hat, musste Kaspar immer vor sich auf den Boden und auf seine Füße blicken. Dies hat er auch deshalb gemacht, weil er mit sich und seinen Füßen schon genug zu tun hatte.

Bevor er nach Nürnberg gekommen ist, hat ihm der Mann die Kleider angezogen, mit denen er am neuen Tor erschienen ist. Sehr schmerzhaft ist es für ihn gewesen, als der Mann ihm die Stiefel angezogen hat.

Er hat nichts von der Umgebung gesehen. Deshalb kann er nicht sagen, von woher, in welcher Richtung und auf welchem Weg er nach Nürnberg gekommen ist. Er kann sich nur daran erinnern, dass ihm zuletzt der Mann den Brief in die Hand gegeben hat und dann weggegangen ist. Dann hat ihn ein Bürger gesehen und ihn zur Wache am neuen Tor gebracht.

Diese Geschichte der Geheimhaltung und Aussetzung eines jungen Menschen ist nicht nur ein grauenvolles, sondern auch ein seltsames, dunkles Rätsel.

Man kann bei dieser Geschichte viel fragen und raten, aber wenig mit Sicherheit beantworten.

Der Seelenzustand Kaspars während seines Lebens im Gefängnis war der Zustand eines Menschen, der als Kind in einen tiefen Schlaf fällt. Diesen Schlaf hat er ohne Traum geschlafen, bis er im wilden Lärm der bunten Welt mit Angst und Schmerz aus dem Traum erwacht ist. Nun weiß er nicht, was passiert ist.

Deshalb ist es kein Wunder, dass Kaspar Hauser nicht berichten kann, wie und durch welche Orte er nach Nürnberg gekommen ist und was er auf dem Weg gesehen hat. Die frische Luft hat ihn betäubt, das helle Sonnenlicht hat seine Augen geblendet. Auch in der Natur, mit all ihren Erscheinungen, kann er noch nichts unterscheiden.

Kaspar selbst erinnert sich nur an sein Gehen. Aufgrund seiner Erzählung kann man nicht sagen, wie lange und wie weit er zu Fuß gegangen ist. Er hat ans Fahren gar keine Erinnerung. Das bedeutet aber nicht, dass ihn nicht trotzdem jemand gefahren hat. Kaspar fällt auch jetzt noch beim Fahren, besonders in freier Luft, sehr bald in einen förmlichen Totenschlaf. Der Wagen kann rollen oder stillstehen, man kann ihn dann nur sehr schwer wecken. Auch kein Geräusch ist stark genug, ihn aufzuwecken.

Kaspar erzählt, dass er in Ohnmacht gefallen ist, sobald er an die freie Luft gekommen ist. Man hat ihm, wahrscheinlich zur Vorsicht, vorher noch von dem Wasser mit dem schlechten Geschmack, Wasser mit Opium verdünnt, zu trinken gegeben.

So konnte man ihn ohne Schwierigkeiten in einen Wagen werfen und dann einige Tagesreisen mit ihm machen. Man musste sich keine Sorgen machen, dass er aufwacht, schreit oder andere Probleme macht.

Es gibt viele Vermutungen über diese Geschichte. Sicher ist, dass die Person, die Hauser nach Nürnberg gebracht hat, Nürnberg gut gekannt hat. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass sie früher dort Soldat bei einem Regiment war.

Das bayrische Strafgesetzbuch hat die Verbrechen an der Person Kaspars beurteilt:

1. Das Verbrechen der Gefangenhaltung wird doppelt angerechnet. Wegen der Dauer, das heißt von der frühsten Kindheit an bis in das Jünglingsalter, und wegen der Art. Die tierische Unterkunft hat den Körper Kaspars verkrüppelt und das Essen war kaum gut genug für einen Hund. Außerdem hatte er keine Möglichkeit zur geistigen Entwicklung und Ausbildung. Man hat eine menschliche Seele gegen die Natur im tierischen Zustand gehalten.

2. Das Verbrechen der Aussetzung. Die Aussetzung Kaspars war lebensgefährlich. Dieser Mensch war in seinem früheren geistigen und körperlichen Zustand in Gefahr, zu fallen oder überritten oder überfahren zu werden.

Im bayrischen Gesetzbuch gibt es das Verbrechen am Seelenleben, wie es zu nennen ist, nicht. Es ist aber das schwerste Verbrechen. Man hat Kaspar von der Natur und anderen Menschen ausgeschlossen.

Er hat nicht die geistigen Nahrungsmittel bekommen, welche die Natur der menschlichen Seele zum Wachsen, zur Erziehung, Entwicklung und Bildung gegeben hat. Das ist der strafwürdigste Eingriff in der Seele eines Menschen.

Außerdem war Kaspar in seiner Jugendzeit in einem tierischen Seelenschlaf. Er hat diesen Teil seines Lebens verlebt, ohne ihn gelebt zu haben. Er war in dieser Zeit wie ein Toter.

Er bleibt für immer ein Mensch ohne Kindheit und Jugend. Weil er sein Kinderleben erst im Alter der physischen Reife beginnen kann, bleibt sein Geist immer hinter seinem Alter zurück. Sein Alter aber ist seinem Geist voraus. Es gibt also einen unnatürlichen Gegensatz zwischen dem geistigen und physischen Leben Kaspars.

Zu dem Verbrechen am Seelenleben gehört außerdem die Zerstörung in seinem Gemüt.

Diese Geschichte hat eine besondere Seite: Gegenstand der Untersuchung und Beurteilung von Seelenzuständen ist normalerweise der Verbrecher selbst. Hier gibt es einen einzigartigen Fall, bei dem man das Verbrechen in einer Menschenseele findet. Man muss es auf psychischem Wege untersuchen und den Geist und das Gemüt dieses Menschen beobachten.

Auch über die Geschichte der Tat haben wir nur die Erzählung der Person, die das Verbrechen erlitten hat. An seinem Körper, seinem Geist und seinem Gemüt kann man die Tat deutlich erkennen. Wer also an Kaspers Erzählung zweifelt, der zweifelt an der Person Kaspers.


Kapitel 3. Kaspars Leben im Gefängnis Chapter 3. Kaspar's life in prison Capítulo 3. La vida de Kaspar en la cárcel Chapitre 3 : La vie de Kaspar en prison Capitolo 3. La vita di Kaspar in prigione 第3章 カスパールの獄中生活 Capítulo 3 - A vida de Kaspar na prisão Глава 3. Жизнь Каспара в тюрьме Bölüm 3. Kaspar'ın hapishanedeki hayatı

Seine Angaben sind im Kurzen folgende: His details are briefly as follows:

Er weiß nicht, wer er selbst ist oder wo seine Heimat ist. Erst in Nürnberg ist er auf die Welt gekommen. It was only in Nuremberg that he came into the world. Hier erst hat er erfahren, dass es, außer ihm und dem Mann, bei dem er immer war, auch noch andere Menschen und Lebewesen gibt. It was here that he first learned that there were other people and living beings besides himself and the man he had always been with. Solange er sich erinnern kann, hat er immer in einem Loch gelebt. For as long as he can remember, he has always lived in a hole. Es war ein kleiner niedriger Raum, den er auch Käfig nennt. Er hat nur ein Hemd und hinten aufgeschlitzte Lederhosen getragen und hat barfuß auf dem Boden gesessen. He wore only a shirt and leather pants slit in the back and sat barefoot on the floor.

Nach Kaspars Erzählung hat er niemals, auch nicht im Schlaf, mit dem ganzen Körper gelegen, sondern immer mit angelehntem Rücken gesessen. According to Kaspar's account, he never lay down with his whole body, even in his sleep, but always sat with his back ajar. Wahrscheinlich war diese Position in seiner Unterkunft notwendig. Er selbst kann dazu keine nähere Auskunft geben. He himself cannot provide any further information on this.

Er hat nie einen Laut gehört, nicht von Menschen und nicht von Tieren oder von sonst etwas. He never heard a sound, not from humans and not from animals or anything else. Er hat nie den Himmel gesehen und er hat auch nie das helle Sonnenlicht, wie in Nürnberg, wahrgenommen. Einen Unterschied zwischen Tag und Nacht hat er nie erfahren und die schönen Lichter am Himmel hat er nie gesehen.

Auf dem Boden gab es ein Loch, wahrscheinlich mit einem Topf, wo er seine Notdurft verrichtet hat.

Jedes Mal, wenn er aus dem Schlaf erwacht ist, hat ein Brot neben ihm gelegen und Wasser neben ihm gestanden. Manchmal hatte das Wasser einen schlechten Geschmack. Dann konnte er nach dem Trinken seine Augen nicht mehr offen halten und musste einschlafen. Then, after drinking, he could no longer keep his eyes open and had to fall asleep.

Wenn er wieder aufgewacht ist, hatte er ein sauberes Hemd an und seine Nägel waren geschnitten. Er hat das Gesicht des Mannes, der ihm Essen und Trinken gebracht hat, nie gesehen.

In seinem Loch hatte er zwei hölzerne Pferde und verschiedene Bänder.

Mit diesen Rossen hat er sich, solange er wach war, zu jeder Zeit unterhalten. Er hat sie neben sich herlaufen lassen und ihnen die Bänder unterschiedlich aufgelegt oder umgebunden. So ist ein Tag wie der andere vergangen.

Er hat aber nichts vermisst, war nicht krank und hatte keine Schmerzen. Es ist ihm besser gegangen als auf der Welt, wo er viel leiden muss. Wie lange er so gelebt hat, weiß er nicht, weil er die Zeit nicht gekannt hat. Er kann nicht sagen, wann und wie er dort hingekommen ist. Er kann sich auch nicht daran erinnern, dass er je in seinem Leben in einem anderen Zustand und an einem anderen Ort war.

Der Mann, bei dem er immer war, hat ihm nicht wehgetan. Er hat ihn nur einmal mit dem Stock auf seinen Arm geschlagen, weil er zu laut war.

In dieser Zeit ist der Mann in sein Gefängnis gekommen. Er hat ein Tischchen über seine Füße gestellt und etwas Weißes vor ihn gelegt. Jetzt weiß er, dass es Papier war. Von hinten hat er dann seine Hand genommen. So konnte Kaspar sein Gesicht nicht sehen. Mit einem Bleistift, den er ihm zwischen die Finger gesteckt hat, ist er auf dem Papier hin und her gefahren.

Kaspar hat nicht gewusst, was das ist. Er hat aber große Freude empfunden, als er die schwarzen Figuren auf dem weißen Papier gesehen hat. Dann war seine Hand wieder frei und der Mann ist wieder gegangen. Er konnte nicht auf hören, diese Figuren immer wieder auf das Papier zu zeichnen. Seine Freude über diese neue Entdeckung war sehr groß, auch wenn er nicht verstanden hat, was die Figuren bedeuten sollten.

Der Mann hat diese Besuche zu verschiedenen Zeiten wiederholt. The man repeated these visits at different times.

Ein anderes Mal ist der Mann gekommen, hat ihn aus seiner Unterkunft aufgehoben und hat ihn auf die Füße gestellt. Another time the man came, picked him up from his shelter and put him on his feet. Er hat sich dann hinter Kaspar gestellt, ihn gehalten und versucht, ihn laufen zu lehren. Auch das hat er zu verschiedenen Zeiten wiederholt.

Einmal ist der Mann gekommen, hat Kaspars Hände über seine Schultern gelegt und ihn auf dem Rücken aus dem Loch getragen. Er hat ihn auf einen Berg gebracht. Dort hat er Kaspar auf den Boden gelegt und es ist Nacht geworden. Dieses ,Nachtwerden‘ heißt in Kaspars Sprache auch ,ohnmächtig werden‘, wie später in verschiedenen Situationen in Nürnberg klar wird.

Von der Reise erzählt Hauser weiter, dass er mehrmals mit dem Gesicht auf dem Boden gelegen hat und es dann Nacht geworden ist. Er hat einige Male Brot gegessen und Wasser getrunken. Der Mann, bei dem er immer gewesen ist, hat mit ihm immer öfter Gehen geübt. Das hat ihm immer sehr weh getan. Der Mann hat nicht mit ihm gesprochen, er hat nur immer die Worte „Reutä wähn, wie mei Vottä wähn is.“ gesagt.

Kaspar konnte das Gesicht des Mannes auch nicht auf dieser Reise sehen. Jedes Mal, wenn er ihn geführt hat, musste Kaspar immer vor sich auf den Boden und auf seine Füße blicken. Dies hat er auch deshalb gemacht, weil er mit sich und seinen Füßen schon genug zu tun hatte.

Bevor er nach Nürnberg gekommen ist, hat ihm der Mann die Kleider angezogen, mit denen er am neuen Tor erschienen ist. Sehr schmerzhaft ist es für ihn gewesen, als der Mann ihm die Stiefel angezogen hat.

Er hat nichts von der Umgebung gesehen. Deshalb kann er nicht sagen, von woher, in welcher Richtung und auf welchem Weg er nach Nürnberg gekommen ist. Er kann sich nur daran erinnern, dass ihm zuletzt der Mann den Brief in die Hand gegeben hat und dann weggegangen ist. Dann hat ihn ein Bürger gesehen und ihn zur Wache am neuen Tor gebracht.

Diese Geschichte der Geheimhaltung und Aussetzung eines jungen Menschen ist nicht nur ein grauenvolles, sondern auch ein seltsames, dunkles Rätsel.

Man kann bei dieser Geschichte viel fragen und raten, aber wenig mit Sicherheit beantworten.

Der Seelenzustand Kaspars während seines Lebens im Gefängnis war der Zustand eines Menschen, der als Kind in einen tiefen Schlaf fällt. Diesen Schlaf hat er ohne Traum geschlafen, bis er im wilden Lärm der bunten Welt mit Angst und Schmerz aus dem Traum erwacht ist. Nun weiß er nicht, was passiert ist.

Deshalb ist es kein Wunder, dass Kaspar Hauser nicht berichten kann, wie und durch welche Orte er nach Nürnberg gekommen ist und was er auf dem Weg gesehen hat. Die frische Luft hat ihn betäubt, das helle Sonnenlicht hat seine Augen geblendet. Auch in der Natur, mit all ihren Erscheinungen, kann er noch nichts unterscheiden.

Kaspar selbst erinnert sich nur an sein Gehen. Aufgrund seiner Erzählung kann man nicht sagen, wie lange und wie weit er zu Fuß gegangen ist. Er hat ans Fahren gar keine Erinnerung. Das bedeutet aber nicht, dass ihn nicht trotzdem jemand gefahren hat. Kaspar fällt auch jetzt noch beim Fahren, besonders in freier Luft, sehr bald in einen förmlichen Totenschlaf. Der Wagen kann rollen oder stillstehen, man kann ihn dann nur sehr schwer wecken. Auch kein Geräusch ist stark genug, ihn aufzuwecken.

Kaspar erzählt, dass er in Ohnmacht gefallen ist, sobald er an die freie Luft gekommen ist. Man hat ihm, wahrscheinlich zur Vorsicht, vorher noch von dem Wasser mit dem schlechten Geschmack, Wasser mit Opium verdünnt, zu trinken gegeben.

So konnte man ihn ohne Schwierigkeiten in einen Wagen werfen und dann einige Tagesreisen mit ihm machen. Man musste sich keine Sorgen machen, dass er aufwacht, schreit oder andere Probleme macht.

Es gibt viele Vermutungen über diese Geschichte. Sicher ist, dass die Person, die Hauser nach Nürnberg gebracht hat, Nürnberg gut gekannt hat. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass sie früher dort Soldat bei einem Regiment war.

Das bayrische Strafgesetzbuch hat die Verbrechen an der Person Kaspars beurteilt:

1. Das Verbrechen der Gefangenhaltung wird doppelt angerechnet. The crime of confinement is double counted. Wegen der Dauer, das heißt von der frühsten Kindheit an bis in das Jünglingsalter, und wegen der Art. Die tierische Unterkunft hat den Körper Kaspars verkrüppelt und das Essen war kaum gut genug für einen Hund. Außerdem hatte er keine Möglichkeit zur geistigen Entwicklung und Ausbildung. Man hat eine menschliche Seele gegen die Natur im tierischen Zustand gehalten.

2. Das Verbrechen der Aussetzung. Die Aussetzung Kaspars war lebensgefährlich. Dieser Mensch war in seinem früheren geistigen und körperlichen Zustand in Gefahr, zu fallen oder überritten oder überfahren zu werden.

Im bayrischen Gesetzbuch gibt es das Verbrechen am Seelenleben, wie es zu nennen ist, nicht. Es ist aber das schwerste Verbrechen. Man hat Kaspar von der Natur und anderen Menschen ausgeschlossen.

Er hat nicht die geistigen Nahrungsmittel bekommen, welche die Natur der menschlichen Seele zum Wachsen, zur Erziehung, Entwicklung und Bildung gegeben hat. Das ist der strafwürdigste Eingriff in der Seele eines Menschen.

Außerdem war Kaspar in seiner Jugendzeit in einem tierischen Seelenschlaf. Er hat diesen Teil seines Lebens verlebt, ohne ihn gelebt zu haben. Er war in dieser Zeit wie ein Toter.

Er bleibt für immer ein Mensch ohne Kindheit und Jugend. Weil er sein Kinderleben erst im Alter der physischen Reife beginnen kann, bleibt sein Geist immer hinter seinem Alter zurück. Sein Alter aber ist seinem Geist voraus. Es gibt also einen unnatürlichen Gegensatz zwischen dem geistigen und physischen Leben Kaspars.

Zu dem Verbrechen am Seelenleben gehört außerdem die Zerstörung in seinem Gemüt.

Diese Geschichte hat eine besondere Seite: Gegenstand der Untersuchung und Beurteilung von Seelenzuständen ist normalerweise der Verbrecher selbst. Hier gibt es einen einzigartigen Fall, bei dem man das Verbrechen in einer Menschenseele findet. Man muss es auf psychischem Wege untersuchen und den Geist und das Gemüt dieses Menschen beobachten.

Auch über die Geschichte der Tat haben wir nur die Erzählung der Person, die das Verbrechen erlitten hat. An seinem Körper, seinem Geist und seinem Gemüt kann man die Tat deutlich erkennen. Wer also an Kaspers Erzählung zweifelt, der zweifelt an der Person Kaspers.