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Das Haidedorf, Das Haidedorf (5)

Die blödsinnige Großmutter war die erste gewesen, die ihn erkannt hatte.

"Es sind der Gaben eine Unendlichkeit über diese Erde ausgestreut worden," hatte sie eines Tages gerufen, "die Halmen der Getreide, das Sonnenlicht und die Winde der Gebirge--da sind Menschen, die den Segen der Gewächse erziehen, und ihn ausführen in die Theile der Erde; es sind, die da Straßen ziehen, Häuser bauen, dann sind andere, die das Gold ausbreiten, das in den Herzen der Menschen wächst, das Wort, und die Gedanken die Gott aufgehen läßt in den Seelen. Er ist geworden, wie einer der alten Seher und Propheten, und ist er ein solcher, so hab' ich es vorausgewußt, und ich habe ihn dazu gemacht, weil ich die Körner des Buches der Bücher in ihn geworfen; denn er war immer weich wie Wachs, und hochgesinnt, wie einer der Helden."

Die Großmutter war es aber auch, mit der er sich allein mehr beschäftigte, als alle Andern mit ihr; er war der Einzige, der sie zu flüssigen Reden bringen konnte, und der Einzige, der ihre Reden verstand; er las ihr oft aus einem Buche vor, und die hundertjährige Schülerin horchte emsig auf, und in ihrem Angesichte waren Sonnenlichter, als verstände sie das Gelesene.

So war der Frühling vergangen, so waren wieder Pfingsten gekommen:--aber wie waren es dießmal a n d e r e Pfingsten, als vor einem Jahre. Eine doppelte furchtbare Schwüle lag auf beiden, auf dem Dorfe und auf Felix; und bei beiden lösete sich die Schwüle am Pfingsttage--aber wie verschieden bei beiden!

Ich will noch, ehe wir von seinem einfachen Leben scheiden, dieses letzte Ergebniß, daß ich weiß, erzählen.

Wenn er so manchmal von der Haide kam und durch das Dorf ging, Geschenke für die Kinder seiner Schwester tragend, Steinchen, Muscheln, Schneckenhäuser und dergleichen, die Locken um die hohe Stirne geworfen, wie ein Kriegsgott, und doch die schwarzen Augen so sehnsuchtsvoll und schmachtend: dann war er so schön, und es trug ihn wohl manche Dirne der Haide als heimlichen Abgott im Herzen verborgen, aber er selber hatte einen Abgott im Herzen;--einen einzigen Punkt süßen heimlichen Glückes hatte er aus der Welt getragen, als er ihre Aemter und Reichthümer ließ-- einen einzig süßen Punkt durch alle Wüsten--und heute, morgen, dieser Tage sollte es sich zeigen, ob er sein Haus für sich allein gebaut, oder nicht.--Alle Kraft seiner Seele hatte er zu der Bitte aufgeboten, und mit Angst harrte er der Antwort, die ewig, ewig zögerte.

Wohl kam Pfingsten näher und näher, aber zu der Schwüle, die unbekannt und unsichtbar über des Jünglings Herzen hing, gesellte sich noch eine andere über dem ganzen Dorfe drohend, ein Gespenst, das mit unhörbaren Schritten nahte;--nämlich jener glänzende Himmel, zu dem Felix sein inbrünstiges Auge erhoben, als er jene schwere Bitte abgesandt hatte, jener glänzende Himmel, zu dem er vielleicht damals ganz allein emporgeblickt, war seit der Zeit w o c h e n l a n g ein glänzender geblieben, und wohl hundert Augen schauten nun zu ihm ängstlich auf. Felix, in seiner Erwartung befangen, hatte es nicht bemerkt; aber eines Nachmittags, da er gerade von der Haide dem Dorfe zuging, fiel ihm auf, [93] wie denn heuer gar so schönes Wetter sei; denn eben stand über der verwelkenden Haide eine jener prächtigen Erscheinungen, wie er wohl öfters, auch in morgenländischen Wüsten, aber nie so schön gesehen, nämlich das Wasserziehen der Sonne [94]:--aus der ungeheuren Himmelsglocke, die über der Haide lag, wimmelnd von glänzenden Wolken, schossen an verschiedenen Stellen majestätische Ströme des Lichtes, und, auseinanderfahrende Straßen am Himmelszelte bildend, schnitten sie von der gedehnten Haide blendend goldne Bilder heraus, während das ferne Moor in einem schwachen milchigten Höhenrauche verschwamm.

So war es dieser Tage oft gewesen, und der heutige schloß sich wie seine Vorgänger; nämlich zu Abends war der Himmel gefegt, und zeigte eine blanke hochgelb schimmernde Kuppel.

Felix ging zu der Schwester, und als er spät Abends in sein Haus zurückkehrte, bemerkte er auch, wie man im Dorfe geklagt, daß die Halme des Kornes so dünne standen, so zart, die wolligen Aehren pfeilrecht empor streckend, wie ohnmächtige Lanzen.

Am andern Tage war es schön, und immer schönere Tage kamen und schönere.

Alles und jedes Gefühl verstummte endlich vor der furchtbaren Angst, die täglich in den Herzen der Menschen stieg. Nun waren auch gar keine Wolken mehr am Himmel, sondern ewig blau und ewig mild lächelte er nieder auf die verzweifelnden Menschen. Auch eine andere Erscheinung sah man jetzt oft auf der Haide, die sich wohl früher auch mochte ereignet haben, jedoch von Niemand beachtet; aber jetzt, wo viele tausend und tausend Blicke täglich nach dem Himmel gingen, wurden sie als unglückweissagender Spuk betrachtet: nämlich ein Waldes- und Höhenzug, jenseits der Haide gelegen, und von ihr aus durchaus nicht sichtbar, stand nun öfters sehr deutlich am Himmel, das ihn nicht nur Alles sah, sondern daß man sich die einzelnen Rücken und Gipfel zu nennen und zu zeigen vermochte--und wenn es im Dorfe hieß, es sei wieder zu sehen, so ging Alles hinaus, und sah es an, und es blieb manchmal stundenlang stehen, bis es schwankte, sich in Längen- und Breitenstreifen zog, sich zerstückte, und mit eins verschwand.

Die Haidelerche war verstummt; aber dafür tönte den ganzen Tag, und auch in den warmen thaulosen Nächten das ewige einsame Zirpen und Wetzen der Heuschrecken über die Haide, und der Angstschrei des Kibitz. Das Flinke Wässerlein ging nur mehr wie ein dünner Seidenfaden über die graue Fläche, und das Korn und die Gerste im Dorfe standen fahlgrün und wesenlos in die Luft, [95] und erzählten bei dem Hauche derselben mit leichtfertigem Rauschen ihre innere Leere. Die Baumfrüchte lagen klein und mißreif auf der Erde, die Blätter waren staubig und von Blümlein war nichts mehr auf dem Rasen, der sich selber wie rauschend Papier zwischen den Feldern hinzog.

Es war die äußerste Zeit. Man flehte mit Inbrunst zu dem verschlossenen Gewölbe des Himmels. Wohl stand wieder mancher Wolkenberg tagelang am südlichen Himmel, und nie noch wurde ein so stoffloses Ding wie eine Wolke, von so vielen Augen angeschaut, so sehnsüchtig angeschaut, als hier--aber wenn es Abend wurde, erglühte der Wolkenberg purpurig [96] schön, zerging, lösete sich in lauter wunderschöne zerstreute Rosen am Firmamente auf, und verschwand--und die Millionen freundlicher Sterne besetzten den Himmel.

So war der Freitag vor Pfingsten gekommen; die weiche blaue Luft war ein blanker Felsen geworden. Vater Niklas war Nachmittags über die Haide gekommen, das Bächlein war nun auch versiecht, [97] das Gras bis auf eine Decke von schalgrauem [98] Filze verschwunden, nicht Futter gebend für ein einzig Kaninchen; nur der unverwüstliche und unverderbliche Haidesohn, der mißhandelte und verachtete Strauch, der Wachholder, stand mit eiserner Ausdauer da, der einzige lebhafte Feldbusch, das grüne Banner der Hoffnung; denn er bot freiwillig gerade heuer eine solche Fülle der größten blauen Beeren, so überschwenglich, wie sich keines Haidebewohners Gedächtniß, entsinnen konnte.--Eine plötzliche Hoffnung ging in Niklas Haupte auf, und er dachte als Richter mit den Aeltesten des Dorfes darüber zu rathen, wenn es nicht morgen oder übermorgen sich änderte. Er ging weit und breit und betrachtete die Ernte, die keiner gesäet, und auf die keiner gedacht, und er fand sie immer ergiebiger und reicher, sich, weiß Gott, in welche Ferne erstreckend--aber da fielen ihm die armen tausend Thiere ein, [99] die dadurch werden in Nothstand versetzt sein, wenn man die Beeren sammle: allein er dachte, Gott der Herr wird ihnen schon eingeben, wohin der Krammetsvogel fliegen, das Reh laufen müsse, um andere Nahrung zu finden.

Da er heimwärts in die Felder kam, nahm er eine Scholle und zerdrückte sie; aber sie ging unter seinen Händen wie Kreide auseinander--und das Getreide, vor der Zeit Greis, fing schon an, sich zu einer tauben Ernte [100] zu bleichen. Wohl standen Wolken am Himmel, die in langen milchweißen Streifen tausendfarbig und verwaschen die Bläue durchstreiften, sonst immer Vorboten des Regens; aber er traute ihnen nicht, weil sie schon drei Tage da waren, und immer wieder verschwanden, als würden sie eingesogen von der unersättlichen Bläue. Auch manch anderer Hausvater ging händeringend zwischen den Feldern und als es Abend geworden, und selbst zerstückte Gewitter um den Rand des Horizontes standen, und sich gegenseitig Blitze zusandten,--sah ein von der Stadt heimfahrender Bauer selbst die halbgestorbene [101] Großmutter mitten im Felde knien, und mit emporgehobenen Händen beten, als sei sie durch die allgemeine Noth zu Bewußtsein und Kraft gelangt, und als sei sie die Person im Dorfe, deren Wort vor allen Geltung haben müsse im Jenseits.

Die Wolken wurden dichter, aber blitzten nur und regneten nicht.

Wie Vater Niklas zwischen die Zäune bog, begegnete er seinem Sohne und siehe, dieser ging mit traurigem Angesichte einher, mit weit traurigerem, als jeder Andere im Dorfe.

"Guten Abend, Felix," sagte der Vater zu ihm, "giebst Du denn die Hoffnung ganz auf?"

"Welche Hoffnung, Vater?"

"Giebt es denn eine andere, als die Ernte?"

"Ja, Vater, es giebt eine andere;--die der Ernte wird in Erfüllung gehen, die andere nicht. Ich will es Euch sagen, ich selber habe etwas für Euch und das Dorf gethan. Ich habe zu der Obrigkeiten der fernen Hauptstadt geschrieben, und ihnen der Stand der Dinge gemeldet; ich habe Freunde dort und manche haben mich lieb gehabt,--sie werden Euch helfen, daß ihr keinen Hauch von Noth empfindet sollet, und auch ich werde so viel helfen, als in meiner Kraft ist. Aber tröstet Euch und tröstet das Dorf: alle Hilfe von Menschen werdet Ihr nicht brauchen; ich habe den Himmel und seine Zeichen auf meinen Wanderungen kennen gelernt, und er zeigt, daß es morgen regnen werde.--Gott macht ja immer Alles, Alles gut, und es wird auch dort gut sein, wo er Schmerz und Entsagung sendet."

"Möge Dein Wort in Erfüllung gehen, Sohn, daß wir zusammen glückliche Festtage feiern."

"Amen," sagte der Sohn, "ich begleite Euch zur Mutter; wir wollen glückliche Festtage feiern."

Pfingstsamstags-Morgen war angebrochen und der ganze Himmel hing voll Wolken; aber noch war kein Tropfen gefallen. So ist der Mensch. Gestern gab jeder die Hoffnung der Ernte auf, und heute glaubte jeder, mit einigen Tropfen wäre ihr geholfen. Die Weiber und Mägde standen auf dem Dorfplatze und hatten Fässer und Geschirr hergebracht, um, wenn es regne, und der Dorfbach sich fülle, doch auch heuer wie sonst, ihre Festtagsreinigungen vornehmen zu können und feierliche Pfingsten zu halten. Aber es wurde Nachmittag, und noch kein Tropfen war gefallen, die Wolken wurden zwar nicht dünner--aber es kam auch Abend, und kein Tropfen war gefallen.

Spät Nachts war der Bote zurückgekommen, den Felix in die Stadt zur Post gesendet, und brachte einen Brief für ihn. Er lohnte [102] den Boten, trat, als er allein war, vor die Lampe seines Tisches, und entsiegelte die wohlbekannte Handschrift: "Es macht mir vielen Kummer, in der That, s c h w e r e n Kummer, daß ich Ihre Bitte abschlagen muß. Ihre selbstgewählte Stellung in der Welt macht es unmöglich zu willfahren; meine Tochter sieht ein, daß so nichts sein kann, und hat nachgegeben. Sie wird den Sommer und Winter in Italien zubringen, um sich zu erholen, und sendet Ihnen durch mich die besten Grüße. Sonst ihr treuer, ewiger Freund."

Der Mann, als er gelesen, trat mit schneebleichem Angesichte und mit zuckenden Lippen von dem Tische weg--an den Wimpern zitterten Thränen vor. Er ging ein paarmal auf und ab, legte endlich das erhaltene Schreiben langsam auf den Tisch, schritt mit dem Lichte gegen einen Schrein, nahm ein Päckchen Briefe heraus, legte sie schön zusammen, umwickelte sie mit einem feinen Umschlage, und siegelte sie zu--dann legte er sie wieder in den Schrein.

"Es ist geschehen," sagte er athmend, und trat an's Fenster, sein Auge an den dicken finstern Nachthimmel legend. Unten stand ein verwelkter Garten--die Haide schlummerte--und auch das entfernte Dorf lag in hoffnungsvollen Träumen.

Es war eine lange, lange Stille.

"Meine selbstgewählte Stellung," sagte er endlich sich emporrichtend--und im tiefen, tiefen Schmerze war es wie eine zuckende Seligkeit, die ihn lohnte. Dann löschte er das Licht aus und ging zu Bette.

Des andern Morgens, als sich die Augen aller Menschen öffneten, war der ganze Haidehimmel grau, und ein dichter sanfter Landregen träufelte nieder.


Die blödsinnige Großmutter war die erste gewesen, die ihn erkannt hatte.

"Es sind der Gaben eine Unendlichkeit über diese Erde ausgestreut worden," hatte sie eines Tages gerufen, "die Halmen der Getreide, das Sonnenlicht und die Winde der Gebirge--da sind Menschen, die den Segen der Gewächse erziehen, und ihn ausführen in die Theile der Erde; es sind, die da Straßen ziehen, Häuser bauen, dann sind andere, die das Gold ausbreiten, das in den Herzen der Menschen wächst, das Wort, und die Gedanken die Gott aufgehen läßt in den Seelen. Er ist geworden, wie einer der alten Seher und Propheten, und ist er ein solcher, so hab' ich es vorausgewußt, und ich habe ihn dazu gemacht, weil ich die Körner des Buches der Bücher in ihn geworfen; denn er war immer weich wie Wachs, und hochgesinnt, wie einer der Helden."

Die Großmutter war es aber auch, mit der er sich allein mehr beschäftigte, als alle Andern mit ihr; er war der Einzige, der sie zu flüssigen Reden bringen konnte, und der Einzige, der ihre Reden verstand; er las ihr oft aus einem Buche vor, und die hundertjährige Schülerin horchte emsig auf, und in ihrem Angesichte waren Sonnenlichter, als verstände sie das Gelesene.

So war der Frühling vergangen, so waren wieder Pfingsten gekommen:--aber wie waren es dießmal a n d e r e Pfingsten, als vor einem Jahre. Eine doppelte furchtbare Schwüle lag auf beiden, auf dem Dorfe und auf Felix; und bei beiden lösete sich die Schwüle am Pfingsttage--aber wie verschieden bei beiden!

Ich will noch, ehe wir von seinem einfachen Leben scheiden, dieses letzte Ergebniß, daß ich weiß, erzählen.

Wenn er so manchmal von der Haide kam und durch das Dorf ging, Geschenke für die Kinder seiner Schwester tragend, Steinchen, Muscheln, Schneckenhäuser und dergleichen, die Locken um die hohe Stirne geworfen, wie ein Kriegsgott, und doch die schwarzen Augen so sehnsuchtsvoll und schmachtend: dann war er so schön, und es trug ihn wohl manche Dirne der Haide als heimlichen Abgott im Herzen verborgen, aber er selber hatte einen Abgott im Herzen;--einen einzigen Punkt süßen heimlichen Glückes hatte er aus der Welt getragen, als er ihre Aemter und Reichthümer ließ-- einen einzig süßen Punkt durch alle Wüsten--und heute, morgen, dieser Tage sollte es sich zeigen, ob er sein Haus für sich allein gebaut, oder nicht.--Alle Kraft seiner Seele hatte er zu der Bitte aufgeboten, und mit Angst harrte er der Antwort, die ewig, ewig zögerte.

Wohl kam Pfingsten näher und näher, aber zu der Schwüle, die unbekannt und unsichtbar über des Jünglings Herzen hing, gesellte sich noch eine andere über dem ganzen Dorfe drohend, ein Gespenst, das mit unhörbaren Schritten nahte;--nämlich jener glänzende Himmel, zu dem Felix sein inbrünstiges Auge erhoben, als er jene schwere Bitte abgesandt hatte, jener glänzende Himmel, zu dem er vielleicht damals ganz allein emporgeblickt, war seit der Zeit w o c h e n l a n g ein glänzender geblieben, und wohl hundert Augen schauten nun zu ihm ängstlich auf. Felix, in seiner Erwartung befangen, hatte es nicht bemerkt; aber eines Nachmittags, da er gerade von der Haide dem Dorfe zuging, fiel ihm auf, [93] wie denn heuer gar so schönes Wetter sei; denn eben stand über der verwelkenden Haide eine jener prächtigen Erscheinungen, wie er wohl öfters, auch in morgenländischen Wüsten, aber nie so schön gesehen, nämlich das Wasserziehen der Sonne [94]:--aus der ungeheuren Himmelsglocke, die über der Haide lag, wimmelnd von glänzenden Wolken, schossen an verschiedenen Stellen majestätische Ströme des Lichtes, und, auseinanderfahrende Straßen am Himmelszelte bildend, schnitten sie von der gedehnten Haide blendend goldne Bilder heraus, während das ferne Moor in einem schwachen milchigten Höhenrauche verschwamm.

So war es dieser Tage oft gewesen, und der heutige schloß sich wie seine Vorgänger; nämlich zu Abends war der Himmel gefegt, und zeigte eine blanke hochgelb schimmernde Kuppel.

Felix ging zu der Schwester, und als er spät Abends in sein Haus zurückkehrte, bemerkte er auch, wie man im Dorfe geklagt, daß die Halme des Kornes so dünne standen, so zart, die wolligen Aehren pfeilrecht empor streckend, wie ohnmächtige Lanzen.

Am andern Tage war es schön, und immer schönere Tage kamen und schönere.

Alles und jedes Gefühl verstummte endlich vor der furchtbaren Angst, die täglich in den Herzen der Menschen stieg. Nun waren auch gar keine Wolken mehr am Himmel, sondern ewig blau und ewig mild lächelte er nieder auf die verzweifelnden Menschen. Auch eine andere Erscheinung sah man jetzt oft auf der Haide, die sich wohl früher auch mochte ereignet haben, jedoch von Niemand beachtet; aber jetzt, wo viele tausend und tausend Blicke täglich nach dem Himmel gingen, wurden sie als unglückweissagender Spuk betrachtet: nämlich ein Waldes- und Höhenzug, jenseits der Haide gelegen, und von ihr aus durchaus nicht sichtbar, stand nun öfters sehr deutlich am Himmel, das ihn nicht nur Alles sah, sondern daß man sich die einzelnen Rücken und Gipfel zu nennen und zu zeigen vermochte--und wenn es im Dorfe hieß, es sei wieder zu sehen, so ging Alles hinaus, und sah es an, und es blieb manchmal stundenlang stehen, bis es schwankte, sich in Längen- und Breitenstreifen zog, sich zerstückte, und mit eins verschwand.

Die Haidelerche war verstummt; aber dafür tönte den ganzen Tag, und auch in den warmen thaulosen Nächten das ewige einsame Zirpen und Wetzen der Heuschrecken über die Haide, und der Angstschrei des Kibitz. Das Flinke Wässerlein ging nur mehr wie ein dünner Seidenfaden über die graue Fläche, und das Korn und die Gerste im Dorfe standen fahlgrün und wesenlos in die Luft, [95] und erzählten bei dem Hauche derselben mit leichtfertigem Rauschen ihre innere Leere. Die Baumfrüchte lagen klein und mißreif auf der Erde, die Blätter waren staubig und von Blümlein war nichts mehr auf dem Rasen, der sich selber wie rauschend Papier zwischen den Feldern hinzog.

Es war die äußerste Zeit. Man flehte mit Inbrunst zu dem verschlossenen Gewölbe des Himmels. Wohl stand wieder mancher Wolkenberg tagelang am südlichen Himmel, und nie noch wurde ein so stoffloses Ding wie eine Wolke, von so vielen Augen angeschaut, so sehnsüchtig angeschaut, als hier--aber wenn es Abend wurde, erglühte der Wolkenberg purpurig [96] schön, zerging, lösete sich in lauter wunderschöne zerstreute Rosen am Firmamente auf, und verschwand--und die Millionen freundlicher Sterne besetzten den Himmel.

So war der Freitag vor Pfingsten gekommen; die weiche blaue Luft war ein blanker Felsen geworden. Vater Niklas war Nachmittags über die Haide gekommen, das Bächlein war nun auch versiecht, [97] das Gras bis auf eine Decke von schalgrauem [98] Filze verschwunden, nicht Futter gebend für ein einzig Kaninchen; nur der unverwüstliche und unverderbliche Haidesohn, der mißhandelte und verachtete Strauch, der Wachholder, stand mit eiserner Ausdauer da, der einzige lebhafte Feldbusch, das grüne Banner der Hoffnung; denn er bot freiwillig gerade heuer eine solche Fülle der größten blauen Beeren, so überschwenglich, wie sich keines Haidebewohners Gedächtniß, entsinnen konnte.--Eine plötzliche Hoffnung ging in Niklas Haupte auf, und er dachte als Richter mit den Aeltesten des Dorfes darüber zu rathen, wenn es nicht morgen oder übermorgen sich änderte. Er ging weit und breit und betrachtete die Ernte, die keiner gesäet, und auf die keiner gedacht, und er fand sie immer ergiebiger und reicher, sich, weiß Gott, in welche Ferne erstreckend--aber da fielen ihm die armen tausend Thiere ein, [99] die dadurch werden in Nothstand versetzt sein, wenn man die Beeren sammle: allein er dachte, Gott der Herr wird ihnen schon eingeben, wohin der Krammetsvogel fliegen, das Reh laufen müsse, um andere Nahrung zu finden.

Da er heimwärts in die Felder kam, nahm er eine Scholle und zerdrückte sie; aber sie ging unter seinen Händen wie Kreide auseinander--und das Getreide, vor der Zeit Greis, fing schon an, sich zu einer tauben Ernte [100] zu bleichen. Wohl standen Wolken am Himmel, die in langen milchweißen Streifen tausendfarbig und verwaschen die Bläue durchstreiften, sonst immer Vorboten des Regens; aber er traute ihnen nicht, weil sie schon drei Tage da waren, und immer wieder verschwanden, als würden sie eingesogen von der unersättlichen Bläue. Auch manch anderer Hausvater ging händeringend zwischen den Feldern und als es Abend geworden, und selbst zerstückte Gewitter um den Rand des Horizontes standen, und sich gegenseitig Blitze zusandten,--sah ein von der Stadt heimfahrender Bauer selbst die halbgestorbene [101] Großmutter mitten im Felde knien, und mit emporgehobenen Händen beten, als sei sie durch die allgemeine Noth zu Bewußtsein und Kraft gelangt, und als sei sie die Person im Dorfe, deren Wort vor allen Geltung haben müsse im Jenseits.

Die Wolken wurden dichter, aber blitzten nur und regneten nicht.

Wie Vater Niklas zwischen die Zäune bog, begegnete er seinem Sohne und siehe, dieser ging mit traurigem Angesichte einher, mit weit traurigerem, als jeder Andere im Dorfe.

"Guten Abend, Felix," sagte der Vater zu ihm, "giebst Du denn die Hoffnung ganz auf?"

"Welche Hoffnung, Vater?"

"Giebt es denn eine andere, als die Ernte?"

"Ja, Vater, es giebt eine andere;--die der Ernte wird in Erfüllung gehen, die andere nicht. Ich will es Euch sagen, ich selber habe etwas für Euch und das Dorf gethan. Ich habe zu der Obrigkeiten der fernen Hauptstadt geschrieben, und ihnen der Stand der Dinge gemeldet; ich habe Freunde dort und manche haben mich lieb gehabt,--sie werden Euch helfen, daß ihr keinen Hauch von Noth empfindet sollet, und auch ich werde so viel helfen, als in meiner Kraft ist. Aber tröstet Euch und tröstet das Dorf: alle Hilfe von Menschen werdet Ihr nicht brauchen; ich habe den Himmel und seine Zeichen auf meinen Wanderungen kennen gelernt, und er zeigt, daß es morgen regnen werde.--Gott macht ja immer Alles, Alles gut, und es wird auch dort gut sein, wo er Schmerz und Entsagung sendet."

"Möge Dein Wort in Erfüllung gehen, Sohn, daß wir zusammen glückliche Festtage feiern."

"Amen," sagte der Sohn, "ich begleite Euch zur Mutter; wir wollen glückliche Festtage feiern."

Pfingstsamstags-Morgen war angebrochen und der ganze Himmel hing voll Wolken; aber noch war kein Tropfen gefallen. So ist der Mensch. Gestern gab jeder die Hoffnung der Ernte auf, und heute glaubte jeder, mit einigen Tropfen wäre ihr geholfen. Die Weiber und Mägde standen auf dem Dorfplatze und hatten Fässer und Geschirr hergebracht, um, wenn es regne, und der Dorfbach sich fülle, doch auch heuer wie sonst, ihre Festtagsreinigungen vornehmen zu können und feierliche Pfingsten zu halten. Aber es wurde Nachmittag, und noch kein Tropfen war gefallen, die Wolken wurden zwar nicht dünner--aber es kam auch Abend, und kein Tropfen war gefallen.

Spät Nachts war der Bote zurückgekommen, den Felix in die Stadt zur Post gesendet, und brachte einen Brief für ihn. Er lohnte [102] den Boten, trat, als er allein war, vor die Lampe seines Tisches, und entsiegelte die wohlbekannte Handschrift: "Es macht mir vielen Kummer, in der That, s c h w e r e n Kummer, daß ich Ihre Bitte abschlagen muß. Ihre selbstgewählte Stellung in der Welt macht es unmöglich zu willfahren; meine Tochter sieht ein, daß so nichts sein kann, und hat nachgegeben. Sie wird den Sommer und Winter in Italien zubringen, um sich zu erholen, und sendet Ihnen durch mich die besten Grüße. Sonst ihr treuer, ewiger Freund."

Der Mann, als er gelesen, trat mit schneebleichem Angesichte und mit zuckenden Lippen von dem Tische weg--an den Wimpern zitterten Thränen vor. Er ging ein paarmal auf und ab, legte endlich das erhaltene Schreiben langsam auf den Tisch, schritt mit dem Lichte gegen einen Schrein, nahm ein Päckchen Briefe heraus, legte sie schön zusammen, umwickelte sie mit einem feinen Umschlage, und siegelte sie zu--dann legte er sie wieder in den Schrein.

"Es ist geschehen," sagte er athmend, und trat an's Fenster, sein Auge an den dicken finstern Nachthimmel legend. Unten stand ein verwelkter Garten--die Haide schlummerte--und auch das entfernte Dorf lag in hoffnungsvollen Träumen.

Es war eine lange, lange Stille.

"Meine selbstgewählte Stellung," sagte er endlich sich emporrichtend--und im tiefen, tiefen Schmerze war es wie eine zuckende Seligkeit, die ihn lohnte. Dann löschte er das Licht aus und ging zu Bette.

Des andern Morgens, als sich die Augen aller Menschen öffneten, war der ganze Haidehimmel grau, und ein dichter sanfter Landregen träufelte nieder.