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SWR2 Wissen, Totale Erschöpfung – Das chronische Fatigue-Syndrom

Totale Erschöpfung – Das chronische Fatigue-Syndrom

Atmo 01: Hinweg (Schlüssel, Treppenhaus, Straße)

Sprecherin: Theresa Küppers macht sich auf den Weg zum Einkaufen. Fünf Stockwerke die Treppe runter, dann zehn Minuten zum Bioladen. Sie ist schnell außer Atem.

OT 01 - Theresa Küppers: Ich arbeite seit Dezember 2018 nicht mehr und zwar, weil es einfach nicht mehr ging. Ich hatte Fieber, konnte mich kaum bewegen, wenn ich die Treppe hoch und runter gegangen bin, musste ich mich erst einmal eine halbe Stunde wieder hinlegen.

Konnte das damals überhaupt nicht einordnen.

Atmo 02: Einkauf (Geschäft, Tüten knistern)

Sprecherin: Sie leidet unter dem Chronischen Fatigue Syndrom, einem dauerhaften Erschöpfungszustand. Etwas bekannter wurde diese Krankheit, weil viele Covid-19- Patienten nach der Genesung über unerklärliche Erschöpfung klagen. Doch: Das Fatigue Syndrom kann jeden treffen, auch gesunde Menschen, jederzeit, aus heiterem Himmel.

Atmo 03: Kasse (Piepsen, Atmowechsel Straße)

Sprecherin: … auf dem Rückweg muss sie mehrmals anhalten und verschnaufen.

OT 02 - Theresa Küppers: Der Rückweg geht leicht bergauf … und deswegen muss ich den langsamer gehen, weil das sofort auf meine Herzfrequenz geht.

Atmo 04: Treppenhaus (sie geht sehr, sehr langsam hoch) (unter Ansage als Bett weiter)

Sprecherin: „Totale Erschöpfung – Das Chronische Fatigue-Syndrom“. Von Marcus Schwandner.

Atmo 05: Auspacken, Sofa

Sprecherin: Mit sehr langsamen Schritten kommt Theresa Küppers endlich in ihrer Wohnung an. Sie verstaut ihre Einkäufe. Dann muss sie sich im Wohnzimmer aufs Sofa legen.

Atmo 05: Seufzer

Sprecherin: Chronisches Fatigue Syndrom. Man könnte es mit „chronischer Müdigkeit“ übersetzen. Aber das trifft es nicht. Es hört sich so belanglos an. Die Immunologin Prof. Carmen Scheibenbogen von der Berliner Charité weiß, wie ernst und extrem belastend diese Krankheit ist.

OT 03 - Carmen Scheibenbogen: Es ist eine sehr komplexe Erkrankung, die letztendlich zu einer schweren Funktionsstörung führt, vor allem des autonomen Nervensystems, d. h., das ist alles das, was wir nicht bewusst steuern, dass wir atmen, dass das Herz schlägt, und in Folge dessen sind die Patienten meist schwer krank, leiden also nicht nur an schwerer Erschöpfung, sondern auch an schweren Konzentrationsstörungen, an Schmerzen und eigentlich als Leitsymptom, der sogenannten Belastungsintoleranz, d. h., oftmals führt eine leichte Belastung schon dazu, dass alle Symptome sich verschlechtern, und das für Tage.

Sprecherin: Deswegen bewegt sich Theresa Küppers so langsam. Um keine Überlastung zu riskieren. Bei ihr begann alles mit einem Autounfall. Sie war in einer anderen Stadt unterwegs, als ein Auto auf ihres auffuhr. Zwei Stunden musste sie in der Kälte auf die Polizei warten.

OT 04 - Theresa Küppers: Und eigentlich habe ich gar nichts gemerkt danach. Ich war einfach nur völlig durchgefroren und habe auch das Fieber, was direkt danach aufgetreten ist, auf eine Erkältung geschoben. Und auch das Nicht-mehr-Können, einfach, weil es, durch den Autounfall initiiert. Aber als es dann andauerte, da war das schon erstaunlich. Ich sage mal nach drei Wochen Fieber, Schmerzen hätte es sich eigentlich verändern müssen, hat es aber nicht.

Sprecherin: Der Autounfall liegt rund drei Jahre zurück. Seitdem ist Theresa Küppers, die früher in der Gemeindeverwaltung Aachen gearbeitet hat, arbeitsunfähig. Die leistungsbewusste und aktive Frau musste lernen, ihre Ansprüche zurückzuschrauben. Sie ist froh, dass sie überhaupt noch einkaufen gehen, kochen und sich selbst waschen kann. Aufräumen und putzen müssen manchmal ausfallen. Durch den Autounfall hatte sie ein Schleudertrauma. Entweder wurde dadurch die Chronische Fatigue ausgelöst oder das Schleudertrauma hat einen Virus aktiviert, der das Chronische Fatigue Syndrom, CFS, hervorgerufen hat.

OT 05 - Theresa Küppers: Seitdem habe ich eine Erschöpfung, also man kann es ganz einfach so beschreiben: Menschen, die eine schwere Grippe haben, haben Schmerzen, haben manchmal das Gefühl, ihr Körper besteht aus Blei, also können kaum aufstehen. Was man auch hat, man nennt es Brain Fog. Ich sage immer, mein Gehirn hat die Rollläden heruntergelassen, man kann einfach nicht denken, und manchmal ist es auch so, dass das Gefühl ist, auch die Seele hat die Rollläden heruntergelassen.

Sprecherin: Brain Fog. Nebel im Gehirn. Menschen mit CFS kann schon das Nachdenken derart anstrengen, dass sie sich danach ausruhen müssen. In ganz schlimmen Fällen können diese Patienten weder Tageslicht noch leise Geräusche ertragen. Fachleute wie Carmen Scheibenbogen von der Charité schätzen, dass in Deutschland – abgesehen von jenen, die nach der Genesung von Covid-19 unter Erschöpfung leiden – etwa 240.000 Menschen an CFS erkrankt sind.

OT 06 - Carmen Scheibenbogen: Wir wissen, dass es bei den meisten Patienten aus voller Gesundheit durch eine Infektion ausgelöst wird und wir gehen inzwischen davon aus, dass es sich mehrheitlich um eine sog. Autoimmunerkrankung handelt, d. h., durch eine Infektion kommt es zu einer Überaktivität des Immunsystems. Erstmal natürlich sehr sinnvoll, um den Infektionserreger zu bekämpfen, wenn das Immunsystem dann am Ende nicht mehr zur Ruhe kommt, dann entstehen Autoimmunerkrankungen und das gilt auch für viele andere Erkrankungen, wie Rheuma oder Diabetes bei jungen Menschen.

Sprecherin: Die Infektionen an sich sind harmlos und werden durch herkömmliche Viren oder Bakterien ausgelöst. Normalerweise ist eine solche Infektion nach einer Woche ausgestanden. Aber einige Menschen erkranken danach an CFS.

OT 07a - Carmen Scheibenbogen: Relativ gut untersucht ist es auch von sogenannten Entero-Viren, also das sind Viren, die Infektionen des Darms machen, bei Grippe ist es mit einer großen Untersuchung aus Norwegen auch gut dokumentiert. Aber viele Patienten erkranken auch an relativ harmlosen Atemwegsinfekten und entwickeln daraus CFS.

Sprecherin:

Das ist das Tückische. Selbst rundum gesunde Menschen können von einem auf den anderen Tag nach einer Atemwegs- oder einer Darminfektion oder nach einem Schleudertrauma am CFS erkranken. Aktuelle Studien zeigen, dass auch Patientinnen und Patienten nach einer überstandenen Covid-19-Infektion Symptome eines CFS entwickeln können (https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.02.06.21249256v1). Trotzdem sei die wissenschaftliche Unsicherheit noch groß, räumt Carmen Scheibenbogen ein.

O-Ton 07b - Carmen Scheibenbogen (aus Wissen Long Covid): Wir wissen z. B. noch nicht mal, ist denn das Chronische Fatigue-Syndrom nach COVID auch das, was wir jetzt kennen nach Epstein-Barr-Virus oder nach Grippe. Das ist das, was wir momentan untersuchen werden. Wir können sagen, die Patienten leiden nicht mehr an einer schweren Entzündung, die haben auch keine Virus-Infektion mehr, das kann man schon relativ sicher sagen. Wir wissen, auch, dass die Organfunktionen so weit in Ordnung sind. Es spricht also vieles dafür, dass Chronisches Fatigue-Syndrom nach COVID das ist, was wir auch nach vielen anderen Infektionen kennen.

Sprecherin: Beobachtungen der Median-Rehaklinik Heiligendamm und des Infektionszentrums der Universitätsklinik Köln an über 1000 Genesenen zeigen (https://www.uk- koeln.de/uniklinik-koeln/aktuelles/detailansicht/covid-19-auch-milde-verlaeufe- koennen-schwere-folgen-haben/): Selbst Covid-19-Genesene, die einen eher milden oder mittelschweren Verlauf hatten und im Schnitt eher jung und sportlich sind, können folgende Symptome entwickeln: bleierne Müdigkeit, Leistungsminderung, Fatique Symptome, aber auch Wortfindungs- oder Gedächtnisstörungen. Auch an der Berliner Charité zeigten bei einer Studie viele der Patientinnen und Patienten diese und ähnliche Symptome.

O-Ton 08a - Carmen Scheibenbogen (aus Wissen Long Covid): Was wir jetzt sagen können, ist, dass wir von diesen 50 Patienten, die wir uns angeschaut haben, bei etwa der Hälfte jetzt diese Diagnose Chronisches Fatigue- Syndrom stellen können (https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.02.06.21249256v1). Und die andere Hälfte erfüllt diese Diagnose-Kriterien nicht ganz, hat aber auch viele ganz ähnliche Symptome. Und wir wissen bei denen auch noch nicht ganz genau, ob es sich dabei um eine eigenständige Krankheitsentität handelt und wir haben denen jetzt erstmal diesen Begriff gegeben: Chronisches COVID-SYNDROM. Und den anderen Chronisches COVID-SYNDROM / Chronisches Fatigue-Syndrom.

Sprecherin: Zur Zeit laufen weltweit Studien, die den Zusammenhang zwischen einer Covid-19 Erkrankung und einer chronischen Fatigue erforschen wollen. Viele Städte haben „Post-Covid Ambulanzen“ eingerichtet, um Betroffenen zu helfen. Bislang ist über die CFS bekannt, dass sie sich vor allem nach einer überstandenen Infektion mit eigentlich relativ harmlosen Viren entwickelt.

OT 08b - Carmen Scheibenbogen: Wir wissen, dass insbesondere der Epstein-Barr-Virus das machen kann. Das ist ein sogenannter Herpes Virus, mit dem wir alle auch infiziert sind, meistens schon als kleine Kinder. Wenn wir den erst später im Leben bekommen, und das betrifft heute viele junge Erwachsene, die also erstmalig sich mit EBV infizieren, dann verläuft diese Infektion in der Regel schwerer als bei Kindern, und wir wissen, dass es dann häufiger auch zum Entstehen von Autoimmunerkrankungen kommt.

Sprecherin: Kinder, die über eine Tröpfcheninfektion oder direkten Kontakt mit dem EBV, dem Epstein-Barr-Virus infiziert werden, haben in der Regel weniger Symptome. Bei Jugendlichen sieht das schon anders aus. Häufig kommt es bei ihnen zu einem schweren Verlauf, dem sogenannten Pfeifferschen-Drüsenfieber. Hohes Fieber, geschwollene Lymphknoten und entzündete Mandeln sind die Symptome. Forscher gehen davon aus, dass über 90 Prozent aller Europäer sich bis zum 30. Lebensjahr infiziert haben, die meisten wissen es gar nicht. Es ist also ein sehr häufiges Virus, das im Körper bleibt. Und reaktiviert werden kann.

OT 09 - Carmen Scheibenbogen: Das passiert aber nicht jedem Menschen, sondern wir wissen heute auch, dass man ein erhöhtes Risiko hat, Autoimmunerkrankungen zu entwickeln, das schon in den Genen liegt. D. h., ich habe von meinen Eltern vererbt bekommen Gene, und das betrifft vor allem wiederum Gene, die für das Immunsystem wichtig sind, die dazu führen, dass mein Immunsystem entweder leichter aktiviert werden kann oder schwerer kontrollierbar ist und wieder abgeschaltet werden kann. Und wenn ich also so eine Risikokonstellation habe, dann ist mein Risiko erhöht, irgendwann in meinem Leben eine Autoimmunerkrankung zu entwickeln. Und dann kann eine Infektion EBV sein, aber auch andere Infektionserreger können CFS auslösen.

Sprecherin: Wenn die Gene eine Rolle spielen, dann kann die Krankheit ganze Familien erfassen. Birgit Gustke, selbst an CFS erkrankt, leitet den Bundesverband der Patientenorganisation Fatigatio, der rund 1600 Mitglieder zählt.

OT 10 - Birgit Gustke: Es gibt Fälle, da sind Geschwister betroffen, also häufig sind auch ganze Familien betroffen, die Mutter und drei von vier Kindern. Die Kinder haben sich seit Jahren nicht mehr gesehen, weil sie in unterschiedlichen Räumen nur im Dunkeln liegen können, alles andere, Geräusch, Licht, Berührung verursachen unglaubliche Schmerzen.

Sprecherin: Das sind die schwersten Fälle. Aber immerhin ist etwa jeder vierte an CFS Erkrankte so schwer betroffen, dass er das Bett nicht mehr verlassen kann. Auch diese Patienten rufen bei Fatigatio an, um Hilfe zu erhalten.

OT 11 - Birgit Gustke: Natürlich völlig verzweifelte Menschen, die am Existenzminimum oder anExistenzsorgen leiden, weil sie eine falsche Reha verordnet bekommen haben, diesie abbrechen mussten, weil es einfach zu anstrengend war. Oder sie haben dieReha durchgeführt und sind völlig dekompensiert und trotzdem als arbeitsfähigausgewiesen worden und erhalten so auch ihre Berufsunfähigkeit nicht, also stehenwirklich am Existenzminimum und müssen versuchen, mit Hartz IV über die Rundenzu kommen, davon Privatärzte zu zahlen, davon zusätzliche Therapie über Nahrungsergänzungsmittel oder Ähnliches zu Finanzieren, das ist völlig hoffnungslos.

Sprecherin: Das habe damit zu tun, dass CFS häufig von den Kranken- und Rentenversicherungen nicht anerkannt werde, und dass CFS immer noch wenig bekannt und sehr wenig erforscht sei, erläutert Birgit Gustke.

OT 12 - Birgit Gustke: Das führt dazu, dass die Patienten eigentlich nicht die primäre optimale Versorgung bekommen, die sie notwendig hätten. Es gibt keine niedergelassenen Ärzte, es existieren keine Ambulanzen, kein Rehazentrum mit speziell auf diese Patientengruppe abgestimmten Bedürfnisse. Es gibt keine Leitlinien für ME/CFS und ja, auch Gutachter von den Renten- und Krankenversicherungen werden meistens aus psychosomatischer Ausrichtung gewählt und das hat natürlich katastrophale Auswirkungen.

Sprecherin: Lange dachten Ärzte und Gutachter, die chronische Erschöpfung habe psychische Ursachen und ordneten völlig falsche Therapien an.

Mittlerweile ist aber anerkannt, dass CFS durch eine Infektion ausgelöst wird und das Immunsystem betrifft. Es hat sich die Bezeichnung ME/CFS etabliert. ME steht für Myalgische Enzephalomyelitis. Die Diagnose dieser Erkrankung ist nur über die Symptome möglich. Diagnosekriterien finden sich im kanadischen Konsensdokument, das 2005 in Kanada entwickelt wurde und heute noch gültig ist.

Diese Symptome müssen mindestens seit sechs Monaten bestehen und sich vor allem nach Belastung verschlechtern. Prof. Wolfgang Huber, der bis Ende März noch privat in Heidelberg praktiziert hat, nennt die Hauptsymptome für das Chronische Fatigue Syndrom.

OT 13 - Wolfgang Huber: Definiert ist die Krankheit mit einer Leistungsfähigkeit unter 50 Prozent von dem, was Sie vorher geleistet haben. Die Krankheit ist vielleicht am besten zu interpretieren als eine Art Dauergrippe, aber nicht einer leichten Grippe, sondern einer schweren Grippe. Und dazu gehört eben auch noch Müdigkeit, Erschöpfung, Konzentrationsschwäche, Konzentrationsminderung, was die Patienten zum Teil sehr beunruhigt, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Bauchschmerzen.

Sprecherin: Vier Schweregrade sind zu unterscheiden. Leicht: eine fünfzigprozentige Minderung des Aktivitätsniveaus. Moderat: meist ans Haus gefesselt. Schwer: meist ans Bett gefesselt und schließlich sehr schwer: vollständig ans Bett gefesselt.

Anhand dieser Kriterien ist ME/CFS recht gut zu erkennen. Laut den Diagnosedaten der deutschen Krankenhäuser wurden im Jahr 2017 jedoch nur 1088 Patienten mit CFS entlassen, die vorher vollstationär betreut wurden, etwa doppelt so viele Frauen wie Männer. Für die ambulante Behandlung gibt es keine offiziellen Zahlen. Aber die Patientinnen und Patienten können auch nur dann richtig behandelt werden, wenn der Arzt die Krankheit kennt und danach sucht. Genau das ist das Problem. Birgit Gustke macht darauf aufmerksam, dass viele Patienten beim Arzt oder während des Besuchs des Gutachters noch frisch und aktiv wirkten.

OT 14 - Birgit Gustke: In dem Moment, wo die Begutachtung stattfindet, sieht man vielleicht auch noch einen halbwegs gut aussehenden, gesund aussehenden Menschen, der auch in der Lage wäre, das ein oder andere zu tun, der sich redlich bemüht. Aber, was er nicht mehr sieht, ist der Absturz nach 12 bis 24, 48 Stunden. Und der kann wochen-, monatelang anhalten. Es gibt Fälle, die nach einer Begutachtung drei Monate lang nicht mehr in der Lage waren, das Bett zu verlassen.

Sprecherin: Das hört sich unglaublich an. Aber viele Betroffene erleben es genau so wie Claudia Schuster. Sie lebt seit mehr als 15 Jahren mit dem Chronischen Fatigue Syndrom.

OT 15 - Claudia Schuster: Naja, und des isch fürs Umfeld natürlich schwer zu verstehen, dass man dann seitenweise alle Kraft zusammenspart für n Geburtstag oder irgendwas, um dann teilnehmen zu können, und man kommt dann heim und liegt dann zwei Tage im Bett danach. Das sieht das Umfeld nicht, es sieht eigentlich, wenn wir dann rauskommen, dann sieht man unsere beste Seite, wo wer noch am meisten Kraft haben, aber die viele Zeit, die man zu Hause liegt und schläft oder einfach kognitiv kein Buch mehr lese kann, keine Zeitung, gar nix mehr, des kommt nach außen net.

Sprecherin: Für die Menschen, die plötzlich an CFS erkranken, verändert sich das Leben von einem Tag auf den anderen radikal. Claudia Schuster hatte zuvor in einer Apotheke gearbeitet. Morgens fuhr sie die 12 Kilometer mit dem Fahrrad zur Arbeit, abends wieder zurück. Regelmäßig trainierte sie im Fitnessstudio. Abends und am Wochenende besuchte sie Freunde oder unternahm etwas.

OT 16 - Claudia Schuster: Da hat mir auch mal n Arzt gesagt, ich soll Trauerarbeit leisten, dann habe ich ihn erstmal ganz entsetzt oder groß angeguckt, habe gedacht, ja, ich hab doch keinen geliebten Menschen verloren, da sagt er, doch, einen Teil meines Lebens, und das (seufzt) muss man erstmal unter die Füße kriegen. Und dann hab ich gelernt, von Tag zu Tag zu leben, d. h. nicht mehr in die Zukunft blicken, wie mag es wohl später sein, sondern jeden Tag für sich zu betrachten.

Sprecherin: ... denn ob morgen noch genügend Energie vorhanden ist, weiß sie nicht.

Musik: Shenandoah (Jarrett, Keith (p)) The melody at night, with you

Sprecherin: Der Titel Shenandoah, gespielt von Keith Jarrett, auf seinem Album „A melody at night, with you“ aus dem Jahr 1998. Dass der weltberühmte Jazzpianist je wieder Musik machen würde, war zwei Jahre zuvor undenkbar. Nach einem Zusammenbruch auf einer Tournee in Italien erhielt er die Diagnose „Chronisches Fatigue Syndrom“. Der Musiker war fast zwei Jahre wie gelähmt, äußerlich intakt, innerlich wie tot. Jarrett nannte seine Krankheit in Interviews das „Für-immer-tot- Syndrom“.

Musik hoch und wieder runter

Sprecherin: Das Album ‚A Melody at night‘ war das erste zarte Lebenszeichen des Pianisten nach der Krise. Ungewohnt reduziert und intim, eine erste Anstrengung. Keith Jarrett hat seinen Anschlag von Grund auf überdacht, auch seine Art und seinen Anspruch Musik zu machen. So fand er langsam in sein Leben zurück. Er schont nun seine Kräfte, sorgt für Erholung, ist sich stets bewusst, dass das nächste Konzert sein letztes sein könnte. Manche Experten spekulieren, dass ein Auslöser der Krankheit sein könnte, dass die Betroffenen jahrelang hyperaktiv sind und über ihre Belastungsgrenzen leben. Erste Symptome ignorieren sie, nehmen sich keine Zeit sich auszukurieren. Zumindest bei Keith Jarrett war es so, der jahrzehntelang durch die Welt getourt und ständig Platten aufgenommen hatte.

Musik Ende, Kreuzblende / Atmo: Medikamente rascheln, knistern

Sprecherin: In welchem Umfang die CFS-Patienten arbeiten können, ist individuell verschieden. Das eine Medikament zur Linderung der Symptome gibt es nicht. Die Betroffenen müssen Schmerzmittel, Schlaftabletten und Nahrungsergänzungsmittel nehmen.

Möglicherweise würden sie von Medikamenten profitieren, die gegen Autoimmunerkrankungen helfen, aber es gibt bislang kaum klinische Studien. Eine erste kleine Studie mit zehn Patienten an der Charité zeigte, dass eine Art Blutreinigung, bei der auch Autoantikörper aus dem Blut ausgewaschen werden, mehreren Patienten geholfen hat, aber solche Therapieansätze sind noch nicht für CFS zugelassen. Wichtig ist, dass die Menschen lernen, mit ihrer restlichen Energie zu haushalten. Und dass sie versuchen, möglichst entspannt zu bleiben und Stress zu vermeiden.

Manchmal verschwindet die Krankheit auch. Claudia Schuster hatte bis 2003 schon einmal über neun Monate lang CFS. Plötzlich war sie wieder gesund, es war, als habe jemand einen Schalter umgelegt, sagt sie.

OT 17 - Claudia Schuster: Klasse, oh, jetzt kannste auch wieder leben wie vorher, bin ich wieder ins Fitnessstudio gegangen, bin wieder Fahrrad gefahren, teilweise bin ich ins Geschäft geradelt, das sind so 12 Kilometer, mit Freunden telefoniert, mal sich irgendwo getroffen, das Leben ging „wieder weiter“. Und schön wär's gewesen, wenn es so geblieben wäre.

Sprecherin: Zwei Jahre später kam die Krankheit zurück und blieb.

Die Ursachen der Erkrankung sind bislang kaum erforscht. Eine Arbeitsgruppe aus Würzburg um den Immunologen Dr. Bhupesh Prusty hat vor zwei Jahren (https://solvecfs.org/dr-bhupesh-prusty/) Ergebnisse vorgestellt, die die Erkrankung erklären könnten:

OT 18 - Bhupesh Prusty: Es gibt viele verschiedene Typen von Viren, mit denen wir leben, wir alle haben sie, aber wir sind nicht krank, oder? Manche sind krank, manche haben CFS. Wie kommt das? Wir glauben, dass diese Viren sich reaktivieren. Diese Reaktivierung kann viele Ursachen haben. Manchmal aktiviert eine andere z. B. bakterielle Infektion diese Viren. Manchmal erkranken Menschen erst nach Monaten an diesen Viren.

Manchmal können es Medikamente sein, aber auch unser Lebensstil, wie wir leben, was wir essen und die Umwelt beeinflussen diese Viren.

Sprecherin: Prusty und sein Team haben festgestellt, dass die Kraftwerke der Zelle, die Mitochondrien, bei CFS-Patienten nicht mehr richtig funktionieren. In Untersuchungen tröpfelten die Forscher das Blut-Serum von CFS-Patienten auf verschiedene gesunde Zellen. Die Mitochondrien der bis dahin gesunden Zellen begannen danach zu ‚fragmentieren‘, zu zerfasern, und verloren ihre Struktur. Das erklärt, warum sie nicht mehr genügend Energie produzieren können. Prusty glaubt darüber hinaus, dass Mitochondrien weitaus mehr sind als nur Energieerzeuger – sie spielen auch eine wichtige Rolle dabei, Viren zu bekämpfen. Sein Team und er wollen nun untersuchen, wie man das Fragmentieren der Mitochondrien stoppen kann.

OT 19 - Bhupesh Prusty: Es gibt viele für andere Krankheiten zugelassene Medikamente, die sehr gut wirken. Uns interessiert, ob wir diese Medikamente nutzen können, um so die Mitochondrien der Patienten wieder aufzubauen. Wir möchten weiterforschen und kooperieren dazu mit der Münchener Klinik und der Charité, damit wir mit über 200 Patienten arbeiten können. Unser Ziel ist, zu verhindern, dass die Mitochondrien fragmentieren.

Sprecherin: In Deutschland gibt es kaum Forschungsgelder für CFS, es gibt zu wenige Studien. Die meisten Studien werden durch private Spenden finanziert. Prof. Uta Behrends von der Technischen Universität München versucht die Forschungen ihrer Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen.

OT 20 - Uta Behrends: Zur Pathogenese, möglichen Biomarkern und kausalen Behandlungsansätzen des pädiatrischen CFS gibt es international kaum Daten. Wir haben deshalb Beobachtungsstudien initiiert und sammeln Probenmaterial von Kindern und Jugendlichen mit CFS für verschiedene Forschungsprojekte. An der Kinderklinik der TU München und am Helmholtz Zentrum München untersuchen wir mit diesen Proben derzeit das Blut der Patienten auf Antikörperprofile und gleichzeitig geben wir die Proben auch weiter an andere Arbeitsgruppen, wie etwa die von Prof. Prusty in Würzburg oder Prof. Scheibenbogen in Berlin.

Sprecherin: Nur wenige Ärzte und Ärztinnen kennen sich mit dem Chronischen Fatigue Syndrom aus, es gibt genau zwei Kliniken mit Ambulanzen für CFS-Patienten: die Charité Berlin und die TU München. Uta Behrends behandelt in München Kinder und Jugendliche.

OT 21 - Uta Behrends: Weltweit wird die Häufigkeit von CFS bei Kindern und Jugendlichen auf 0,1 bis 0,5 Prozent geschätzt, in einer jüngsten Studie sogar noch höher auf 0,75 Prozent. Für Deutschland werden etwa 40.000 betroffene Kinder und Jugendliche angenommen. Bislang gab es für diese Patienten noch keine auf CFS spezialisierte kinderärztliche Einrichtung, weshalb wir jetzt nach Gründung unserer eigenen Spezialambulanz in 2019 zahlreiche landesweite Anfragen bekommen.

Sprecherin: Diese vielen Anfragen können die Ärztinnen und Ärzte in München kaum beantworten. In der Klinik gibt es nur ein einziges Bett für einen jugendlichen Patienten. Deshalb werden die Jugendlichen zu Hause besucht, falls sie nicht mehr in der Lage sind, in die Sprechstunde zu kommen.

Kinder und Jugendliche benötigen außerdem Unterstützung in der Schule. Viele können sogar gar nicht mehr zur Schule gehen und sind daher auf Privatunterricht zu Hause oder auf internetbasiertes Lernen angewiesen. Für die Familien sei es bis dahin ein weiter Weg, ein Kampf mit Behörden, Ärzten und Gutachtern, erklärt der emeritierte Heidelberger Umweltmediziner Prof. Wolfgang Huber.

OT 22 - Wolfgang Huber: Besonders schlimm ist es bei den Kindern, ganz bestimmt, besonders schlimm, also da gibt es Schulbehörden und da gibt es vor allen Dingen Amtsärzte, die einfach nicht einsehen wollen, dass dies ein Entzündungsgeschehen ist. Die gehen immer noch formal von den Kriterien der Rentenversicherung aus, und die heißen einfach

„Psychiatrisierung“.

Sprecherin: Viele Ärzte und Krankenversicherungen wissen zu wenig über ME/CFS. Die körperlichen Ursachen der Krankheit würden oft ignoriert und stattdessen immer noch psychische Ursachen angenommen, beklagt auch Birgit Gustke vom Bundesverband Fatigatio:

OT 23 - Birgit Gustke: Die absolut notwendige Maßnahme ist einfach, dass das Krankheitsbild schon von der Bundesregierung her anerkannt wird, bzw. vom Bundesgesundheitsministerium, vom Robert-Koch-Institut, dass ME/CFS als eigene Entität, also als eigenes Krankheitsbild eingestuft wird und als schwere organische Erkrankung. Das ist die ganzen letzten Jahre nicht erfolgt, da hat man sich an alten Studien orientiert, die mittlerweile deutlich widerlegt sind. Und internationale Studien weisen zunehmend auf organische Zusammenhänge hin.

Sprecherin: Dass es keinen Labortest gibt, der die Krankheit eindeutig diagnostiziert, ist eines der größten Probleme. Daher müssen Gutachter die Erkrankung der Patientinnen und Patienten individuell einschätzen.

OT 24 - Birgit Gustke: Wenn wir Biomarker hätten, dann würde das dazu führen, dass wir wirklich von der Psychosomatik eindeutig wegkommen, dass Kinder und Jugendliche nicht mehr in die Jugendpsychiatrie verwiesen werden und als Verweigerer eingestuft werden.

Dass Patienten die Anträge auf Arbeitsunfähigkeit bewilligt bekommen, weil das wirklich eine eindeutige Sache ist.

Sprecherin: Laut einer Statistik der Deutschen Rentenversicherung erhielten im Jahr 2018 lediglich 206 Patienten eine Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund eines Chronischen Fatigue Syndroms. Für die Patienten, die extrem erschöpft und energielos sind, sei die Beantragung und der Kampf um Anerkennung fast unmöglich, weiß auch die Leiterin der CFS-Ambulanz an der Berliner Charité, Carmen Scheibenbogen.

OT 25 - Carmen Scheibenbogen: Das ist relativ unbefriedigend bislang. CFS wurde sehr lange als eine psychische Erkrankung angesehen und nicht nur in Deutschland und Europa, war fast überall so. Und daher hat man sich in den vergangenen 20 Jahren vor allem darauf konzentriert, Behandlungsstudien zu machen, zum einen mit Antidepressiva, zum anderen mit Verhaltenstherapie. Das Ergebnis dieser Studien war überwiegend negativ, d. h., die Patienten hatten davon geringen oder keinen Benefit.

Sprecherin: Noch fehlen eine evidenzbasierte Diagnostik und Leitlinien. Auch bei der Aufklärung über diese Krankheit liegt einiges im Argen in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern. Doch es tut sich etwas: Der Bund fördert nun den Aufbau eines Patienten- Registers. Und die Bundesregierung hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen damit beauftragt, eine Recherche zum Chronischen Fatigue Syndrom durchzuführen.

Totale Erschöpfung – Das chronische Fatigue-Syndrom Total Exhaustion - The Chronic Fatigue Syndrome Agotamiento total - Síndrome de fatiga crónica Épuisement total - Le syndrome de fatigue chronique Esaurimento totale - sindrome da fatica cronica Totale uitputting - chronisch vermoeidheidssyndroom Całkowite wyczerpanie - zespół chronicznego zmęczenia Exaustão total - Síndrome de fadiga crónica Tam bitkinlik - kronik yorgunluk sendromu

Atmo 01: Hinweg (Schlüssel, Treppenhaus, Straße) Atmo 01: way there (key, staircase, street)

Sprecherin: Theresa Küppers macht sich auf den Weg zum Einkaufen. Fünf Stockwerke die Treppe runter, dann zehn Minuten zum Bioladen. Sie ist schnell außer Atem.

OT 01 - Theresa Küppers: Ich arbeite seit Dezember 2018 nicht mehr und zwar, weil es einfach nicht mehr ging. Ich hatte Fieber, konnte mich kaum bewegen, wenn ich die Treppe hoch und runter gegangen bin, musste ich mich erst einmal eine halbe Stunde wieder hinlegen.

Konnte das damals überhaupt nicht einordnen.

Atmo 02: Einkauf (Geschäft, Tüten knistern)

Sprecherin: Sie leidet unter dem Chronischen Fatigue Syndrom, einem dauerhaften Erschöpfungszustand. Etwas bekannter wurde diese Krankheit, weil viele Covid-19- Patienten nach der Genesung über unerklärliche Erschöpfung klagen. Doch: Das Fatigue Syndrom kann jeden treffen, auch gesunde Menschen, jederzeit, aus heiterem Himmel.

Atmo 03: Kasse (Piepsen, Atmowechsel Straße)

Sprecherin: … auf dem Rückweg muss sie mehrmals anhalten und verschnaufen.

OT 02 - Theresa Küppers: Der Rückweg geht leicht bergauf … und deswegen muss ich den langsamer gehen, weil das sofort auf meine Herzfrequenz geht.

Atmo 04: Treppenhaus (sie geht sehr, sehr langsam hoch) (unter Ansage als Bett weiter)

Sprecherin: „Totale Erschöpfung – Das Chronische Fatigue-Syndrom“. Von Marcus Schwandner.

Atmo 05: Auspacken, Sofa

Sprecherin: Mit sehr langsamen Schritten kommt Theresa Küppers endlich in ihrer Wohnung an. Sie verstaut ihre Einkäufe. Dann muss sie sich im Wohnzimmer aufs Sofa legen.

Atmo 05: Seufzer

Sprecherin: Chronisches Fatigue Syndrom. Man könnte es mit „chronischer Müdigkeit“ übersetzen. Aber das trifft es nicht. Es hört sich so belanglos an. Die Immunologin Prof. Carmen Scheibenbogen von der Berliner Charité weiß, wie ernst und extrem belastend diese Krankheit ist.

OT 03 - Carmen Scheibenbogen: Es ist eine sehr komplexe Erkrankung, die letztendlich zu einer schweren Funktionsstörung führt, vor allem des autonomen Nervensystems, d. h., das ist alles das, was wir nicht bewusst steuern, dass wir atmen, dass das Herz schlägt, und in Folge dessen sind die Patienten meist schwer krank, leiden also nicht nur an schwerer Erschöpfung, sondern auch an schweren Konzentrationsstörungen, an Schmerzen und eigentlich als Leitsymptom, der sogenannten Belastungsintoleranz, d. h., oftmals führt eine leichte Belastung schon dazu, dass alle Symptome sich verschlechtern, und das für Tage.

Sprecherin: Deswegen bewegt sich Theresa Küppers so langsam. Um keine Überlastung zu riskieren. Bei ihr begann alles mit einem Autounfall. Sie war in einer anderen Stadt unterwegs, als ein Auto auf ihres auffuhr. Zwei Stunden musste sie in der Kälte auf die Polizei warten.

OT 04 - Theresa Küppers: Und eigentlich habe ich gar nichts gemerkt danach. Ich war einfach nur völlig durchgefroren und habe auch das Fieber, was direkt danach aufgetreten ist, auf eine Erkältung geschoben. Und auch das Nicht-mehr-Können, einfach, weil es, durch den Autounfall initiiert. Aber als es dann andauerte, da war das schon erstaunlich. Ich sage mal nach drei Wochen Fieber, Schmerzen hätte es sich eigentlich verändern müssen, hat es aber nicht.

Sprecherin: Der Autounfall liegt rund drei Jahre zurück. Seitdem ist Theresa Küppers, die früher in der Gemeindeverwaltung Aachen gearbeitet hat, arbeitsunfähig. Die leistungsbewusste und aktive Frau musste lernen, ihre Ansprüche zurückzuschrauben. La donna attenta alle prestazioni e attiva ha dovuto imparare a ridurre le sue richieste. Sie ist froh, dass sie überhaupt noch einkaufen gehen, kochen und sich selbst waschen kann. Aufräumen und putzen müssen manchmal ausfallen. Durch den Autounfall hatte sie ein Schleudertrauma. Entweder wurde dadurch die Chronische Fatigue ausgelöst oder das Schleudertrauma hat einen Virus aktiviert, der das Chronische Fatigue Syndrom, CFS, hervorgerufen hat.

OT 05 - Theresa Küppers: Seitdem habe ich eine Erschöpfung, also man kann es ganz einfach so beschreiben: Menschen, die eine schwere Grippe haben, haben Schmerzen, haben manchmal das Gefühl, ihr Körper besteht aus Blei, also können kaum aufstehen. Was man auch hat, man nennt es Brain Fog. Ich sage immer, mein Gehirn hat die Rollläden heruntergelassen, man kann einfach nicht denken, und manchmal ist es auch so, dass das Gefühl ist, auch die Seele hat die Rollläden heruntergelassen. Dico sempre che il mio cervello ha abbassato le persiane, non riesci proprio a pensare, ea volte sembra che anche l'anima abbia abbassato le persiane.

Sprecherin: Brain Fog. Nebel im Gehirn. Menschen mit CFS kann schon das Nachdenken derart anstrengen, dass sie sich danach ausruhen müssen. In ganz schlimmen Fällen können diese Patienten weder Tageslicht noch leise Geräusche ertragen. Fachleute wie Carmen Scheibenbogen von der Charité schätzen, dass in Deutschland – abgesehen von jenen, die nach der Genesung von Covid-19 unter Erschöpfung leiden – etwa 240.000 Menschen an CFS erkrankt sind.

OT 06 - Carmen Scheibenbogen: Wir wissen, dass es bei den meisten Patienten aus voller Gesundheit durch eine Infektion ausgelöst wird und wir gehen inzwischen davon aus, dass es sich mehrheitlich um eine sog. Autoimmunerkrankung handelt, d. h., durch eine Infektion kommt es zu einer Überaktivität des Immunsystems. Erstmal natürlich sehr sinnvoll, um den Infektionserreger zu bekämpfen, wenn das Immunsystem dann am Ende nicht mehr zur Ruhe kommt, dann entstehen Autoimmunerkrankungen und das gilt auch für viele andere Erkrankungen, wie Rheuma oder Diabetes bei jungen Menschen.

Sprecherin: Die Infektionen an sich sind harmlos und werden durch herkömmliche Viren oder Bakterien ausgelöst. Normalerweise ist eine solche Infektion nach einer Woche ausgestanden. Aber einige Menschen erkranken danach an CFS.

OT 07a - Carmen Scheibenbogen: Relativ gut untersucht ist es auch von sogenannten Entero-Viren, also das sind Viren, die Infektionen des Darms machen, bei Grippe ist es mit einer großen Untersuchung aus Norwegen auch gut dokumentiert. Aber viele Patienten erkranken auch an relativ harmlosen Atemwegsinfekten und entwickeln daraus CFS.

Sprecherin:

Das ist das Tückische. Selbst rundum gesunde Menschen können von einem auf den anderen Tag nach einer Atemwegs- oder einer Darminfektion oder nach einem Schleudertrauma am CFS erkranken. Aktuelle Studien zeigen, dass auch Patientinnen und Patienten nach einer überstandenen Covid-19-Infektion Symptome eines CFS entwickeln können (https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.02.06.21249256v1). Trotzdem sei die wissenschaftliche Unsicherheit noch groß, räumt Carmen Scheibenbogen ein.

O-Ton 07b - Carmen Scheibenbogen (aus Wissen Long Covid): Wir wissen z. B. noch nicht mal, ist denn das Chronische Fatigue-Syndrom nach COVID auch das, was wir jetzt kennen nach Epstein-Barr-Virus oder nach Grippe. Das ist das, was wir momentan untersuchen werden. Wir können sagen, die Patienten leiden nicht mehr an einer schweren Entzündung, die haben auch keine Virus-Infektion mehr, das kann man schon relativ sicher sagen. Wir wissen, auch, dass die Organfunktionen so weit in Ordnung sind. Es spricht also vieles dafür, dass Chronisches Fatigue-Syndrom nach COVID das ist, was wir auch nach vielen anderen Infektionen kennen.

Sprecherin: Beobachtungen der Median-Rehaklinik Heiligendamm und des Infektionszentrums der Universitätsklinik Köln an über 1000 Genesenen zeigen (https://www.uk- koeln.de/uniklinik-koeln/aktuelles/detailansicht/covid-19-auch-milde-verlaeufe- koennen-schwere-folgen-haben/): Selbst Covid-19-Genesene, die einen eher milden oder mittelschweren Verlauf hatten und im Schnitt eher jung und sportlich sind, können folgende Symptome entwickeln: bleierne Müdigkeit, Leistungsminderung, Fatique Symptome, aber auch Wortfindungs- oder Gedächtnisstörungen. Auch an der Berliner Charité zeigten bei einer Studie viele der Patientinnen und Patienten diese und ähnliche Symptome.

O-Ton 08a - Carmen Scheibenbogen (aus Wissen Long Covid): Was wir jetzt sagen können, ist, dass wir von diesen 50 Patienten, die wir uns angeschaut haben, bei etwa der Hälfte jetzt diese Diagnose Chronisches Fatigue- Syndrom stellen können (https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.02.06.21249256v1). Und die andere Hälfte erfüllt diese Diagnose-Kriterien nicht ganz, hat aber auch viele ganz ähnliche Symptome. Und wir wissen bei denen auch noch nicht ganz genau, ob es sich dabei um eine eigenständige Krankheitsentität handelt und wir haben denen jetzt erstmal diesen Begriff gegeben: Chronisches COVID-SYNDROM. Und den anderen Chronisches COVID-SYNDROM / Chronisches Fatigue-Syndrom.

Sprecherin: Zur Zeit laufen weltweit Studien, die den Zusammenhang zwischen einer Covid-19 Erkrankung und einer chronischen Fatigue erforschen wollen. Viele Städte haben „Post-Covid Ambulanzen“ eingerichtet, um Betroffenen zu helfen. Bislang ist über die CFS bekannt, dass sie sich vor allem nach einer überstandenen Infektion mit eigentlich relativ harmlosen Viren entwickelt.

OT 08b - Carmen Scheibenbogen: Wir wissen, dass insbesondere der Epstein-Barr-Virus das machen kann. Das ist ein sogenannter Herpes Virus, mit dem wir alle auch infiziert sind, meistens schon als kleine Kinder. Wenn wir den erst später im Leben bekommen, und das betrifft heute viele junge Erwachsene, die also erstmalig sich mit EBV infizieren, dann verläuft diese Infektion in der Regel schwerer als bei Kindern, und wir wissen, dass es dann häufiger auch zum Entstehen von Autoimmunerkrankungen kommt.

Sprecherin: Kinder, die über eine Tröpfcheninfektion oder direkten Kontakt mit dem EBV, dem Epstein-Barr-Virus infiziert werden, haben in der Regel weniger Symptome. Bei Jugendlichen sieht das schon anders aus. Häufig kommt es bei ihnen zu einem schweren Verlauf, dem sogenannten Pfeifferschen-Drüsenfieber. Hohes Fieber, geschwollene Lymphknoten und entzündete Mandeln sind die Symptome. Forscher gehen davon aus, dass über 90 Prozent aller Europäer sich bis zum 30. Lebensjahr infiziert haben, die meisten wissen es gar nicht. Es ist also ein sehr häufiges Virus, das im Körper bleibt. Und reaktiviert werden kann.

OT 09 - Carmen Scheibenbogen: Das passiert aber nicht jedem Menschen, sondern wir wissen heute auch, dass man ein erhöhtes Risiko hat, Autoimmunerkrankungen zu entwickeln, das schon in den Genen liegt. D. h., ich habe von meinen Eltern vererbt bekommen Gene, und das betrifft vor allem wiederum Gene, die für das Immunsystem wichtig sind, die dazu führen, dass mein Immunsystem entweder leichter aktiviert werden kann oder schwerer kontrollierbar ist und wieder abgeschaltet werden kann. Und wenn ich also so eine Risikokonstellation habe, dann ist mein Risiko erhöht, irgendwann in meinem Leben eine Autoimmunerkrankung zu entwickeln. Und dann kann eine Infektion EBV sein, aber auch andere Infektionserreger können CFS auslösen.

Sprecherin: Wenn die Gene eine Rolle spielen, dann kann die Krankheit ganze Familien erfassen. Birgit Gustke, selbst an CFS erkrankt, leitet den Bundesverband der Patientenorganisation Fatigatio, der rund 1600 Mitglieder zählt.

OT 10 - Birgit Gustke: Es gibt Fälle, da sind Geschwister betroffen, also häufig sind auch ganze Familien betroffen, die Mutter und drei von vier Kindern. Die Kinder haben sich seit Jahren nicht mehr gesehen, weil sie in unterschiedlichen Räumen nur im Dunkeln liegen können, alles andere, Geräusch, Licht, Berührung verursachen unglaubliche Schmerzen.

Sprecherin: Das sind die schwersten Fälle. Aber immerhin ist etwa jeder vierte an CFS Erkrankte so schwer betroffen, dass er das Bett nicht mehr verlassen kann. Auch diese Patienten rufen bei Fatigatio an, um Hilfe zu erhalten.

OT 11 - Birgit Gustke: Natürlich völlig verzweifelte Menschen, die am Existenzminimum oder anExistenzsorgen leiden, weil sie eine falsche Reha verordnet bekommen haben, diesie abbrechen mussten, weil es einfach zu anstrengend war. Oder sie haben dieReha durchgeführt und sind völlig dekompensiert und trotzdem als arbeitsfähigausgewiesen worden und erhalten so auch ihre Berufsunfähigkeit nicht, also stehenwirklich am Existenzminimum und müssen versuchen, mit Hartz IV über die Rundenzu kommen, davon Privatärzte zu zahlen, davon zusätzliche Therapie über Nahrungsergänzungsmittel oder Ähnliches zu Finanzieren, das ist völlig hoffnungslos. Oppure hanno fatto la riabilitazione e sono stati completamente scompensati e si sono dimostrati ancora in grado di lavorare e quindi non ricevono la loro disabilità professionale, quindi sono davvero a livello di sussistenza e devono cercare di far quadrare i conti con Hartz IV, per pagare i privati medici da esso, compresa la terapia aggiuntiva tramite integratori alimentari o simili per finanziare che è completamente senza speranza.

Sprecherin: Das habe damit zu tun, dass CFS häufig von den Kranken- und Rentenversicherungen nicht anerkannt werde, und dass CFS immer noch wenig bekannt und sehr wenig erforscht sei, erläutert Birgit Gustke.

OT 12 - Birgit Gustke: Das führt dazu, dass die Patienten eigentlich nicht die primäre optimale Versorgung bekommen, die sie notwendig hätten. Es gibt keine niedergelassenen Ärzte, es existieren keine Ambulanzen, kein Rehazentrum mit speziell auf diese Patientengruppe abgestimmten Bedürfnisse. Es gibt keine Leitlinien für ME/CFS und ja, auch Gutachter von den Renten- und Krankenversicherungen werden meistens aus psychosomatischer Ausrichtung gewählt und das hat natürlich katastrophale Auswirkungen.

Sprecherin: Lange dachten Ärzte und Gutachter, die chronische Erschöpfung habe psychische Ursachen und ordneten völlig falsche Therapien an.

Mittlerweile ist aber anerkannt, dass CFS durch eine Infektion ausgelöst wird und das Immunsystem betrifft. Es hat sich die Bezeichnung ME/CFS etabliert. ME steht für Myalgische Enzephalomyelitis. Die Diagnose dieser Erkrankung ist nur über die Symptome möglich. Diagnosekriterien finden sich im kanadischen Konsensdokument, das 2005 in Kanada entwickelt wurde und heute noch gültig ist.

Diese Symptome müssen mindestens seit sechs Monaten bestehen und sich vor allem nach Belastung verschlechtern. Prof. Wolfgang Huber, der bis Ende März noch privat in Heidelberg praktiziert hat, nennt die Hauptsymptome für das Chronische Fatigue Syndrom.

OT 13 - Wolfgang Huber: Definiert ist die Krankheit mit einer Leistungsfähigkeit unter 50 Prozent von dem, was Sie vorher geleistet haben. Die Krankheit ist vielleicht am besten zu interpretieren als eine Art Dauergrippe, aber nicht einer leichten Grippe, sondern einer schweren Grippe. Und dazu gehört eben auch noch Müdigkeit, Erschöpfung, Konzentrationsschwäche, Konzentrationsminderung, was die Patienten zum Teil sehr beunruhigt, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Bauchschmerzen.

Sprecherin: Vier Schweregrade sind zu unterscheiden. Leicht: eine fünfzigprozentige Minderung des Aktivitätsniveaus. Moderat: meist ans Haus gefesselt. Schwer: meist ans Bett gefesselt und schließlich sehr schwer: vollständig ans Bett gefesselt.

Anhand dieser Kriterien ist ME/CFS recht gut zu erkennen. Laut den Diagnosedaten der deutschen Krankenhäuser wurden im Jahr 2017 jedoch nur 1088 Patienten mit CFS entlassen, die vorher vollstationär betreut wurden, etwa doppelt so viele Frauen wie Männer. Für die ambulante Behandlung gibt es keine offiziellen Zahlen. Aber die Patientinnen und Patienten können auch nur dann richtig behandelt werden, wenn der Arzt die Krankheit kennt und danach sucht. Genau das ist das Problem. Birgit Gustke macht darauf aufmerksam, dass viele Patienten beim Arzt oder während des Besuchs des Gutachters noch frisch und aktiv wirkten.

OT 14 - Birgit Gustke: In dem Moment, wo die Begutachtung stattfindet, sieht man vielleicht auch noch einen halbwegs gut aussehenden, gesund aussehenden Menschen, der auch in der Lage wäre, das ein oder andere zu tun, der sich redlich bemüht. Aber, was er nicht mehr sieht, ist der Absturz nach 12 bis 24, 48 Stunden. Und der kann wochen-, monatelang anhalten. Es gibt Fälle, die nach einer Begutachtung drei Monate lang nicht mehr in der Lage waren, das Bett zu verlassen.

Sprecherin: Das hört sich unglaublich an. Aber viele Betroffene erleben es genau so wie Claudia Schuster. Sie lebt seit mehr als 15 Jahren mit dem Chronischen Fatigue Syndrom.

OT 15 - Claudia Schuster: Naja, und des isch fürs Umfeld natürlich schwer zu verstehen, dass man dann seitenweise alle Kraft zusammenspart für n Geburtstag oder irgendwas, um dann teilnehmen zu können, und man kommt dann heim und liegt dann zwei Tage im Bett danach. Das sieht das Umfeld nicht, es sieht eigentlich, wenn wir dann rauskommen, dann sieht man unsere beste Seite, wo wer noch am meisten Kraft haben, aber die viele Zeit, die man zu Hause liegt und schläft oder einfach kognitiv kein Buch mehr lese kann, keine Zeitung, gar nix mehr, des kommt nach außen net.

Sprecherin: Für die Menschen, die plötzlich an CFS erkranken, verändert sich das Leben von einem Tag auf den anderen radikal. Claudia Schuster hatte zuvor in einer Apotheke gearbeitet. Morgens fuhr sie die 12 Kilometer mit dem Fahrrad zur Arbeit, abends wieder zurück. Regelmäßig trainierte sie im Fitnessstudio. Abends und am Wochenende besuchte sie Freunde oder unternahm etwas.

OT 16 - Claudia Schuster: Da hat mir auch mal n Arzt gesagt, ich soll Trauerarbeit leisten, dann habe ich ihn erstmal ganz entsetzt oder groß angeguckt, habe gedacht, ja, ich hab doch keinen geliebten Menschen verloren, da sagt er, doch, einen Teil meines Lebens, und das (seufzt) muss man erstmal unter die Füße kriegen. Und dann hab ich gelernt, von Tag zu Tag zu leben, d. h. nicht mehr in die Zukunft blicken, wie mag es wohl später sein, sondern jeden Tag für sich zu betrachten.

Sprecherin: ... denn ob morgen noch genügend Energie vorhanden ist, weiß sie nicht.

Musik: Shenandoah (Jarrett, Keith (p)) The melody at night, with you

Sprecherin: Der Titel Shenandoah, gespielt von Keith Jarrett, auf seinem Album „A melody at night, with you“ aus dem Jahr 1998. Dass der weltberühmte Jazzpianist je wieder Musik machen würde, war zwei Jahre zuvor undenkbar. Nach einem Zusammenbruch auf einer Tournee in Italien erhielt er die Diagnose „Chronisches Fatigue Syndrom“. Der Musiker war fast zwei Jahre wie gelähmt, äußerlich intakt, innerlich wie tot. Jarrett nannte seine Krankheit in Interviews das „Für-immer-tot- Syndrom“.

Musik hoch und wieder runter

Sprecherin: Das Album ‚A Melody at night‘ war das erste zarte Lebenszeichen des Pianisten nach der Krise. Ungewohnt reduziert und intim, eine erste Anstrengung. Keith Jarrett hat seinen Anschlag von Grund auf überdacht, auch seine Art und seinen Anspruch Musik zu machen. So fand er langsam in sein Leben zurück. Er schont nun seine Kräfte, sorgt für Erholung, ist sich stets bewusst, dass das nächste Konzert sein letztes sein könnte. Manche Experten spekulieren, dass ein Auslöser der Krankheit sein könnte, dass die Betroffenen jahrelang hyperaktiv sind und über ihre Belastungsgrenzen leben. Erste Symptome ignorieren sie, nehmen sich keine Zeit sich auszukurieren. Zumindest bei Keith Jarrett war es so, der jahrzehntelang durch die Welt getourt und ständig Platten aufgenommen hatte.

Musik Ende, Kreuzblende / Atmo: Medikamente rascheln, knistern

Sprecherin: In welchem Umfang die CFS-Patienten arbeiten können, ist individuell verschieden. Das eine Medikament zur Linderung der Symptome gibt es nicht. Die Betroffenen müssen Schmerzmittel, Schlaftabletten und Nahrungsergänzungsmittel nehmen.

Möglicherweise würden sie von Medikamenten profitieren, die gegen Autoimmunerkrankungen helfen, aber es gibt bislang kaum klinische Studien. Eine erste kleine Studie mit zehn Patienten an der Charité zeigte, dass eine Art Blutreinigung, bei der auch Autoantikörper aus dem Blut ausgewaschen werden, mehreren Patienten geholfen hat, aber solche Therapieansätze sind noch nicht für CFS zugelassen. Wichtig ist, dass die Menschen lernen, mit ihrer restlichen Energie zu haushalten. Und dass sie versuchen, möglichst entspannt zu bleiben und Stress zu vermeiden.

Manchmal verschwindet die Krankheit auch. Claudia Schuster hatte bis 2003 schon einmal über neun Monate lang CFS. Plötzlich war sie wieder gesund, es war, als habe jemand einen Schalter umgelegt, sagt sie.

OT 17 - Claudia Schuster: Klasse, oh, jetzt kannste auch wieder leben wie vorher, bin ich wieder ins Fitnessstudio gegangen, bin wieder Fahrrad gefahren, teilweise bin ich ins Geschäft geradelt, das sind so 12 Kilometer, mit Freunden telefoniert, mal sich irgendwo getroffen, das Leben ging „wieder weiter“. Und schön wär's gewesen, wenn es so geblieben wäre.

Sprecherin: Zwei Jahre später kam die Krankheit zurück und blieb.

Die Ursachen der Erkrankung sind bislang kaum erforscht. Eine Arbeitsgruppe aus Würzburg um den Immunologen Dr. Bhupesh Prusty hat vor zwei Jahren (https://solvecfs.org/dr-bhupesh-prusty/) Ergebnisse vorgestellt, die die Erkrankung erklären könnten:

OT 18 - Bhupesh Prusty: Es gibt viele verschiedene Typen von Viren, mit denen wir leben, wir alle haben sie, aber wir sind nicht krank, oder? Manche sind krank, manche haben CFS. Wie kommt das? Wir glauben, dass diese Viren sich reaktivieren. Diese Reaktivierung kann viele Ursachen haben. Manchmal aktiviert eine andere z. B. bakterielle Infektion diese Viren. Manchmal erkranken Menschen erst nach Monaten an diesen Viren.

Manchmal können es Medikamente sein, aber auch unser Lebensstil, wie wir leben, was wir essen und die Umwelt beeinflussen diese Viren.

Sprecherin: Prusty und sein Team haben festgestellt, dass die Kraftwerke der Zelle, die Mitochondrien, bei CFS-Patienten nicht mehr richtig funktionieren. In Untersuchungen tröpfelten die Forscher das Blut-Serum von CFS-Patienten auf verschiedene gesunde Zellen. Die Mitochondrien der bis dahin gesunden Zellen begannen danach zu ‚fragmentieren‘, zu zerfasern, und verloren ihre Struktur. Das erklärt, warum sie nicht mehr genügend Energie produzieren können. Prusty glaubt darüber hinaus, dass Mitochondrien weitaus mehr sind als nur Energieerzeuger – sie spielen auch eine wichtige Rolle dabei, Viren zu bekämpfen. Sein Team und er wollen nun untersuchen, wie man das Fragmentieren der Mitochondrien stoppen kann.

OT 19 - Bhupesh Prusty: Es gibt viele für andere Krankheiten zugelassene Medikamente, die sehr gut wirken. Uns interessiert, ob wir diese Medikamente nutzen können, um so die Mitochondrien der Patienten wieder aufzubauen. Wir möchten weiterforschen und kooperieren dazu mit der Münchener Klinik und der Charité, damit wir mit über 200 Patienten arbeiten können. Unser Ziel ist, zu verhindern, dass die Mitochondrien fragmentieren.

Sprecherin: In Deutschland gibt es kaum Forschungsgelder für CFS, es gibt zu wenige Studien. Die meisten Studien werden durch private Spenden finanziert. Prof. Uta Behrends von der Technischen Universität München versucht die Forschungen ihrer Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen.

OT 20 - Uta Behrends: Zur Pathogenese, möglichen Biomarkern und kausalen Behandlungsansätzen des pädiatrischen CFS gibt es international kaum Daten. Wir haben deshalb Beobachtungsstudien initiiert und sammeln Probenmaterial von Kindern und Jugendlichen mit CFS für verschiedene Forschungsprojekte. An der Kinderklinik der TU München und am Helmholtz Zentrum München untersuchen wir mit diesen Proben derzeit das Blut der Patienten auf Antikörperprofile und gleichzeitig geben wir die Proben auch weiter an andere Arbeitsgruppen, wie etwa die von Prof. Prusty in Würzburg oder Prof. Scheibenbogen in Berlin.

Sprecherin: Nur wenige Ärzte und Ärztinnen kennen sich mit dem Chronischen Fatigue Syndrom aus, es gibt genau zwei Kliniken mit Ambulanzen für CFS-Patienten: die Charité Berlin und die TU München. Uta Behrends behandelt in München Kinder und Jugendliche.

OT 21 - Uta Behrends: Weltweit wird die Häufigkeit von CFS bei Kindern und Jugendlichen auf 0,1 bis 0,5 Prozent geschätzt, in einer jüngsten Studie sogar noch höher auf 0,75 Prozent. Für Deutschland werden etwa 40.000 betroffene Kinder und Jugendliche angenommen. Bislang gab es für diese Patienten noch keine auf CFS spezialisierte kinderärztliche Einrichtung, weshalb wir jetzt nach Gründung unserer eigenen Spezialambulanz in 2019 zahlreiche landesweite Anfragen bekommen.

Sprecherin: Diese vielen Anfragen können die Ärztinnen und Ärzte in München kaum beantworten. In der Klinik gibt es nur ein einziges Bett für einen jugendlichen Patienten. Deshalb werden die Jugendlichen zu Hause besucht, falls sie nicht mehr in der Lage sind, in die Sprechstunde zu kommen.

Kinder und Jugendliche benötigen außerdem Unterstützung in der Schule. Viele können sogar gar nicht mehr zur Schule gehen und sind daher auf Privatunterricht zu Hause oder auf internetbasiertes Lernen angewiesen. Für die Familien sei es bis dahin ein weiter Weg, ein Kampf mit Behörden, Ärzten und Gutachtern, erklärt der emeritierte Heidelberger Umweltmediziner Prof. Wolfgang Huber. Per le famiglie è una lunga strada da percorrere, una lotta con autorità, medici ed esperti, spiega il medico ambientale emerito di Heidelberg, il prof. Wolfgang Huber.

OT 22 - Wolfgang Huber: Besonders schlimm ist es bei den Kindern, ganz bestimmt, besonders schlimm, also da gibt es Schulbehörden und da gibt es vor allen Dingen Amtsärzte, die einfach nicht einsehen wollen, dass dies ein Entzündungsgeschehen ist. Die gehen immer noch formal von den Kriterien der Rentenversicherung aus, und die heißen einfach

„Psychiatrisierung“.

Sprecherin: Viele Ärzte und Krankenversicherungen wissen zu wenig über ME/CFS. Die körperlichen Ursachen der Krankheit würden oft ignoriert und stattdessen immer noch psychische Ursachen angenommen, beklagt auch Birgit Gustke vom Bundesverband Fatigatio:

OT 23 - Birgit Gustke: Die absolut notwendige Maßnahme ist einfach, dass das Krankheitsbild schon von der Bundesregierung her anerkannt wird, bzw. vom Bundesgesundheitsministerium, vom Robert-Koch-Institut, dass ME/CFS als eigene Entität, also als eigenes Krankheitsbild eingestuft wird und als schwere organische Erkrankung. Das ist die ganzen letzten Jahre nicht erfolgt, da hat man sich an alten Studien orientiert, die mittlerweile deutlich widerlegt sind. Und internationale Studien weisen zunehmend auf organische Zusammenhänge hin.

Sprecherin: Dass es keinen Labortest gibt, der die Krankheit eindeutig diagnostiziert, ist eines der größten Probleme. Daher müssen Gutachter die Erkrankung der Patientinnen und Patienten individuell einschätzen.

OT 24 - Birgit Gustke: Wenn wir Biomarker hätten, dann würde das dazu führen, dass wir wirklich von der Psychosomatik eindeutig wegkommen, dass Kinder und Jugendliche nicht mehr in die Jugendpsychiatrie verwiesen werden und als Verweigerer eingestuft werden.

Dass Patienten die Anträge auf Arbeitsunfähigkeit bewilligt bekommen, weil das wirklich eine eindeutige Sache ist.

Sprecherin: Laut einer Statistik der Deutschen Rentenversicherung erhielten im Jahr 2018 lediglich 206 Patienten eine Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund eines Chronischen Fatigue Syndroms. Für die Patienten, die extrem erschöpft und energielos sind, sei die Beantragung und der Kampf um Anerkennung fast unmöglich, weiß auch die Leiterin der CFS-Ambulanz an der Berliner Charité, Carmen Scheibenbogen.

OT 25 - Carmen Scheibenbogen: Das ist relativ unbefriedigend bislang. CFS wurde sehr lange als eine psychische Erkrankung angesehen und nicht nur in Deutschland und Europa, war fast überall so. Und daher hat man sich in den vergangenen 20 Jahren vor allem darauf konzentriert, Behandlungsstudien zu machen, zum einen mit Antidepressiva, zum anderen mit Verhaltenstherapie. Das Ergebnis dieser Studien war überwiegend negativ, d. h., die Patienten hatten davon geringen oder keinen Benefit.

Sprecherin: Noch fehlen eine evidenzbasierte Diagnostik und Leitlinien. Auch bei der Aufklärung über diese Krankheit liegt einiges im Argen in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern. Doch es tut sich etwas: Der Bund fördert nun den Aufbau eines Patienten- Registers. Und die Bundesregierung hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen damit beauftragt, eine Recherche zum Chronischen Fatigue Syndrom durchzuführen.