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2021 from Youtube, Sinn des Lebens · Hannah Arendt, Philosophie

Sinn des Lebens · Hannah Arendt, Philosophie

In diesem Beitrag geht es um den Sinn des menschlichen Lebens.

Um dort hinzukommen, erörtern wir erstmal das Hauptmerkmal des menschlichen Lebens

– also das, was ein Leben als menschlich auszeichnet.

Dazu klären wir den Unterschied zwischen dem Leben allgemein

und einem einzelnen Leben, sowie zwischen der Geschichte und einer Geschichte.

Welche Rolle Geschichten für das menschliche Dasein spielen, das ist das zentrale Thema heute.

Am Ende gibt's eine klare Antwort auf die Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens.

Das hier ist der zweite Teil eines Exkurses über Hannah Arendt.

Infos zur Denkerin selbst gibt's im vorherigen Beitrag über ihr Werk »Vita activa«.

Die darin behandelten Tätigkeiten des menschlichen Lebens bilden auch die Grundlage

für die nächsten Minuten. Es ist also sinnvoll, die Reihenfolge der Beiträge beizubehalten.

Das Leben ist ein Kreislauf von Verzehr und Wiederkehr.

Schau dich um, in der Natur, die aus abgestorbenem Zeugs ständig neues Leben wachsen lässt.

Da kann der Tod nichts machen.

»Das Leben findet immer einen Weg«, wie's in dem berühmten Dino-Film so schön heißt.

Insofern ist das Leben allgemein ein ewiger Prozess – zumindest einer,

dessen Ende wir nicht miterleben werden.

Und das liegt an der zweiten Bedeutungsebene von »Leben«, neben dem Leben allgemein. Gemeint ist:

ein Leben. Ein solches Leben ist eine Zeitspanne von Geburt bis Tod, eingebunden in den ewigen

Kreislauf des Lebens allgemein und sich doch davon abhebend – als eine lineare Folge von Ereignissen.

Arendt bringt die Unterscheidung des »menschlichen Lebens« vom biologischen Leben

in einem etwas längeren Satz auf den Punkt:

Mit einem frühen Werk, ihrem Buch über Rahel Varnhagen, legt Arendt ein Beispiel

für ein als Biographie »verdinglichtes Leben« vor und damit gleichsam einen Grundstein

für ihre spätere Bestimmung des »spezifisch Menschlichen« eines Lebens.

Das Verhältnis zwischen dem biologischen Leben als Kreislauf und den Grundtätigkeiten,

die Arendt beschreibt, zeigt das Zustandekommen eines menschlichen Lebens als Geschichte.

So ist die Tätigkeit des Arbeitens verstrickt »in unendlicher Wiederholung

in dem immer wiederkehrenden Kreise«.

Arbeiten hat nur insofern Anfang und Ende, als das taktgebende Leben eines jeden Organismus

zur Welt kommt und sie wieder verlässt.

Die Tätigkeit des Herstellens findet wiederum ein Ende in der Fertigstellung eines Gegenstandes,

der »nun als fertiges Ding der vorhandenen Dingwelt eingefügt werden kann«. Was macht nun

die Tätigkeit des Handelns (und des Sprechens, wie Arendt oft mitsagt und -meint) so bedeutsam

fürs menschliche Leben?

Handeln und Sprechen sind »unproduktiv« in dinglicher Hinsicht – und »so flüchtig wie das Leben selbst«.

Das Besondere liegt darin, wie die Philosophin Julia Kristeva schreibt,

dass »sich in der Handlung als Fähigkeit zum Beginnen die conditio humana der Individuierung aktualisiert.«

Soll heißen?

Mit der conditio humana sind in der Philosophie die Umstände des Menschseins gemeint.

Dieses Menschsein verwirklicht sich erst durch unsere Handlungsfähigkeit, mit der wir,

ob wir wollen oder nicht, immer einen Anfang setzen.

Das ist das Besondere an der Tätigkeit des Handelns; was das Arbeiten und das Herstellen nicht können.

Das Handeln und Sprechen setzt den Anfang und steht damit am Anfang einer jeden Lebensgeschichte.

Jedes Handeln geschieht im »Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten«,

das »allem einzelnen Handeln und Sprechen voraus[geht]«. Dieses Bezugsgewebe ist das,

was wir Geschichte (history) nennen.

Sinngemäß geflochten aus individuellen Geschichten (stories) als »Lebensfäden«,

die sich je als Neuanfang »in ein bereits vorgewebtes Muster« schlagen, soll dieses Bild

nicht als ein bewusster Vorgang verstanden werden.

Die Geschichte hat keinen Webmeister, schreibt Arendt, denn sie sei nicht gemacht.

Arendt betont, das nicht die Realisierung von Zielen das »ursprünglichste Produkt des Handelns« sei,

sondern die »gar nicht intendierten Geschichten, die sich ergeben, wenn bestimmte Ziele verfolgt werden,

und die sich für den Handelnden [...] wie nebensächliche Nebenprodukte seines Tuns darstellen mögen.«

Demnach ist der Mensch geradezu verhängnisvoll in Geschichte und Geschichten verstrickt.

Die Unvorhersehbarkeit ist für Arendt das, was unsere Freiheit ausmacht.

Denn wenn Absicht und Ausführung einer Handlung immer deckungsgleich wären,

gäbe es Handlungsfreiheit nicht.

Die Handlung wäre Sklavin des Willens und wie es mit dessen Freiheit aussieht,

das steht in Zeiten immenser neurologischer Forschung auf einem anderen Blatt.

Für Arendt ergibt sich erst im Handeln die Möglichkeit, Mensch zu werden. Gemeint sind nicht Geschichten,

die von Menschen erzählt werden und uns etwas darüber sagen, was sie sind.

Etwa, dass Dalton Trumbo ein preisgekrönter Literat war, und Donald Trump ein notorischer Lügner ist.

Die Geschichten, die Menschen erzählen, machen sie zu dem, was sie sind.

J. K. Rowling ist eine Buchautorin.

Hier geht es um Geschichten über Menschen, denn: Wer jemand sei oder gewesen sei, so Arendt,

»können wir nur erfahren, wenn wir die Geschichte hören, deren Held er selbst ist, also seine Biographie.«

Arendts lebhaftes Interesse an europäischer Literatur schlägt sich in Beiträgen über

die »Begründerin des Neuen Romans«, Nathalie Sarraute nieder, sowie über Broch, Kafka, Gilbert und viele mehr

– und auch im eigenen Werk. Zitat der Literaturwissenschaftlerin Helgard Mahrdt:

Dahinter lässt eine übergeordnete Bedeutung vermuten.

Arendt sei überzeugt gewesen, schreibt Mahrdt, »dass unser Denken nach dem Traditionsbruch Beispiele,

exemplarische (Lebens-)Geschichten braucht, die uns helfen uns in unserer Welt zu orientieren«,

zur Schärfung der Urteilskraft und Humanität. Hier findet sich eine Quelle,

»aus der sich in der Menschenwelt selbst ein Sinn formiert, der als Sinnhaftigkeit

das menschliche Treiben zu erhellen [...] vermag« – das schreibt Kristeva über das Hervorbringen

von Geschichten und die sich darin enthüllenden Personen als spezifisch menschliche Protagonist*innen.

Hast du dich je gefragt, was der Sinn des Lebens sei?

Dann hast du jetzt zwei Antworten darauf, gemäß den zwei Bedeutungsebenen von »Leben«.

Da ist das biologische Leben, das ewige Kreuchen und Fleuchen auf diesem Planeten – und vielleicht

auf ein paar weiteren im Universum, das sich immer weiter ausdehnt, bis es irgendwann

in sich zusammenfällt und dem Leben allgemein ein Ende bereitet. Bis dahin liegt der Sinn des Lebens

eventuell einzig und allein darin, Energie zu verteilen.

Das ist nur eine Theorie von vielen und eine ziemlich enttäuschende obendrein, aber hey,

wer große Fragen stellt muss mit großen Enttäuschungen rechnen.

Zum Glück ist da noch das menschliche Leben,

das einmalige Zur-Welt-kommen und Wandeln auf diesem Planeten.

Worin liegt der Sinn eines solchen Lebens?

Darauf gibt es so viele Antworten, wie es Menschen und Momente gibt und gab. Unzählig viele.

Mag für dich auch eine enttäuschende Antwort sein, aber – wo sind denn deine Erwartungen?

Jedes Leben ist eine Geschichte mit einer Hauptfigur.

Je aktiver diese ist, desto mehr gibt es zu erzählen. Und der Sinn des Lebens – seine Bedeutung – ist das,

was du selbst aus deinem Leben oder den Geschichten anderer an Sinnstiftung gewinnst.

Wenn die Biografie einer Berühmtheit oder die Erzählung von Omas Nachkriegsjahren dir etwas geben,

etwas bedeutet, ob als Inspiration oder Vorbildfunktion, dann ist das ein Sinn dieses Lebens

– für dich. Heißt nicht, dass Menschen, die gerne Arbeit verrichten, ob als Schuster oder Chirurgin,

und Menschen, die gerne Werke herstellen, wie Tischlerinnen oder Filmemacher,

dass solche Menschen nicht auch Handelnde sind und ein weniger sinnvolles Leben führen,

als solche in der Politik oder den Schlagzeilen.

Das Handeln findet nicht nur im Rampenlicht statt, sondern im alltäglichen Miteinander.

Als Beispiel dafür, wie jedes vermeintlich »einfache« Leben den Stoff für Geschichten

und Sinnstiftung bietet, empfehle ich die Biografie »Das Leben meiner Mutter« von Oskar Graf.

Gibt's ein Leben nach dem Tod? Klar, in den Erinnerungen und Geschichten,

die du in den Köpfen deiner Mitmenschen hinterlässt.

Kriegst du das bewusst mit, oder anders: Wirst du selbst was davon haben? (Darum geht's uns ja eigentlich,

wenn wir nach dem Jenseits fragen – die Fortsetzung des Egotrips bis in alle Ewigkeit.)

Die Vorstellung, dass wir als Seelen im kollektiven Gedächtnis der Menschheit weiterleben und dort quasi

himmlischer Anerkennung oder höllischer Verachtung ausgesetzt sein mögen, die erscheint jedenfalls

nicht weniger wahrscheinlich, als dass wir uns nach dem Tod in sonst einer Art von Jenseits tummeln.

Allein, dass wir uns dann keinem Gott gegenüber gut benehmen sollten,

sondern gegenüber den Mitmenschen, die uns in Erinnerung behalten.

Bleibt nur die nüchterne Gewissheit:

Beim Schreiben dieses Beitrags musste ich oft ans Musical »Hamilton« denken,

das die reinste Hymne auf die Idee ist, dass Leben und Geschichte miteinander verstrickt sind.

Musik-Mastermind Lin-Manuel Miranda hat eine Biografie des amerikanischen Gründervaters Hamilton

gelesen und inspiriert davon die Arbeit an etwas aufgenommen, das dieses Musical werden würde.

Starkes Stück! Nun, das war's für heute.

Danke fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal!


Sinn des Lebens · Hannah Arendt, Philosophie Meaning of life - Hannah Arendt, Philosophy Livets mening - Hannah Arendt, Filosofi Hayatın Anlamı - Hannah Arendt, Felsefe

In diesem Beitrag geht es um den Sinn des menschlichen Lebens.

Um dort hinzukommen, erörtern wir erstmal das Hauptmerkmal des menschlichen Lebens To get there, let's first discuss the main characteristic of human life

– also das, was ein Leben als menschlich auszeichnet. - that is, what characterizes a life as human.

Dazu klären wir den Unterschied zwischen dem Leben allgemein To do this, we clarify the difference between life in general

und einem einzelnen Leben, sowie zwischen der Geschichte und einer Geschichte. and a single life, as well as between the story and a story.

Welche Rolle Geschichten für das menschliche Dasein spielen, das ist das zentrale Thema heute. The central issue today is what role stories play in human existence.

Am Ende gibt's eine klare Antwort auf die Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens. In the end there is a clear answer to the question of the meaning of human life. В конце концов, на вопрос о смысле человеческой жизни есть однозначный ответ.

Das hier ist der zweite Teil eines Exkurses über Hannah Arendt.

Infos zur Denkerin selbst gibt's im vorherigen Beitrag über ihr Werk »Vita activa«. Information about the thinker herself can be found in the previous post about her work »Vita activa«.

Die darin behandelten Tätigkeiten des menschlichen Lebens bilden auch die Grundlage The activities of human life dealt with therein also form the basis

für die nächsten Minuten. Es ist also sinnvoll, die Reihenfolge der Beiträge beizubehalten. for the next few minutes. So it makes sense to keep the order of the contributions.

Das Leben ist ein Kreislauf von Verzehr und Wiederkehr. Life is a cycle of consumption and return.

Schau dich um, in der Natur, die aus abgestorbenem Zeugs ständig neues Leben wachsen lässt. Take a look around, in nature, which constantly lets new life grow out of dead stuff.

Da kann der Tod nichts machen. Death can't do anything about that.

»Das Leben findet immer einen Weg«, wie's in dem berühmten Dino-Film so schön heißt. "Life always finds a way," as the famous dinosaur movie puts it. "Жизнь всегда находит выход", - как говорится в известном фильме про динозавров.

Insofern ist das Leben allgemein ein ewiger Prozess – zumindest einer, In this respect, life in general is an eternal process - at least one,

dessen Ende wir nicht miterleben werden. whose end we will not see.

Und das liegt an der zweiten Bedeutungsebene von »Leben«, neben dem Leben allgemein. Gemeint ist: And that is due to the second level of meaning of "life", next to life in general. Is meant:

ein Leben. Ein solches Leben ist eine Zeitspanne von Geburt bis Tod, eingebunden in den ewigen a life. Such a life is a period from birth to death, tied into the eternal

Kreislauf des Lebens allgemein und sich doch davon abhebend – als eine lineare Folge von Ereignissen. The cycle of life in general and yet contrasting with it - as a linear sequence of events. Цикл жизни в целом и в то же время выделение из него - как линейной последовательности событий.

Arendt bringt die Unterscheidung des »menschlichen Lebens« vom biologischen Leben

in einem etwas längeren Satz auf den Punkt: in a slightly longer sentence to the point:

Mit einem frühen Werk, ihrem Buch über Rahel Varnhagen, legt Arendt ein Beispiel

für ein als Biographie »verdinglichtes Leben« vor und damit gleichsam einen Grundstein for a "reified life" as a biography and thus a foundation stone, as it were

für ihre spätere Bestimmung des »spezifisch Menschlichen« eines Lebens. for their later determination of what is "specifically human" in a life.

Das Verhältnis zwischen dem biologischen Leben als Kreislauf und den Grundtätigkeiten,

die Arendt beschreibt, zeigt das Zustandekommen eines menschlichen Lebens als Geschichte.

So ist die Tätigkeit des Arbeitens verstrickt »in unendlicher Wiederholung So the activity of work is entangled "in infinite repetition

in dem immer wiederkehrenden Kreise«.

Arbeiten hat nur insofern Anfang und Ende, als das taktgebende Leben eines jeden Organismus

zur Welt kommt und sie wieder verlässt.

Die Tätigkeit des Herstellens findet wiederum ein Ende in der Fertigstellung eines Gegenstandes,

der »nun als fertiges Ding der vorhandenen Dingwelt eingefügt werden kann«. Was macht nun which "can now be inserted into the existing world of things as a finished thing". What does now

die Tätigkeit des Handelns (und des Sprechens, wie Arendt oft mitsagt und -meint) so bedeutsam the activity of acting (and of speaking, as Arendt often says and means) so significant

fürs menschliche Leben?

Handeln und Sprechen sind »unproduktiv« in dinglicher Hinsicht – und »so flüchtig wie das Leben selbst«.

Das Besondere liegt darin, wie die Philosophin Julia Kristeva schreibt,

dass »sich in der Handlung als Fähigkeit zum Beginnen die conditio humana der Individuierung aktualisiert.« that "the human condition of individuation is actualized in the act as the ability to begin." что "conditio humana индивидуации актуализируется в действии как способность к началу".

Soll heißen?

Mit der conditio humana sind in der Philosophie die Umstände des Menschseins gemeint.

Dieses Menschsein verwirklicht sich erst durch unsere Handlungsfähigkeit, mit der wir,

ob wir wollen oder nicht, immer einen Anfang setzen.

Das ist das Besondere an der Tätigkeit des Handelns; was das Arbeiten und das Herstellen nicht können. That is what is special about the activity of acting; what working and manufacturing cannot.

Das Handeln und Sprechen setzt den Anfang und steht damit am Anfang einer jeden Lebensgeschichte. Acting and speaking sets the beginning and is at the beginning of every life story.

Jedes Handeln geschieht im »Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten«, Every action takes place in the "reference fabric of human affairs", Все действия происходят в "паутине референции человеческих дел",

das »allem einzelnen Handeln und Sprechen voraus[geht]«. Dieses Bezugsgewebe ist das, that "precedes all individual acting and speaking". This reference fabric is that

was wir Geschichte (history) nennen.

Sinngemäß geflochten aus individuellen Geschichten (stories) als »Lebensfäden«,

die sich je als Neuanfang »in ein bereits vorgewebtes Muster« schlagen, soll dieses Bild which each strike as a new beginning »in an already pre-woven pattern« is what this picture is supposed to do

nicht als ein bewusster Vorgang verstanden werden. cannot be understood as a conscious process.

Die Geschichte hat keinen Webmeister, schreibt Arendt, denn sie sei nicht gemacht. The story has no webmaster, writes Arendt, because it was not made.

Arendt betont, das nicht die Realisierung von Zielen das »ursprünglichste Produkt des Handelns« sei,

sondern die »gar nicht intendierten Geschichten, die sich ergeben, wenn bestimmte Ziele verfolgt werden, but the »unintended stories that arise when certain goals are pursued,

und die sich für den Handelnden [...] wie nebensächliche Nebenprodukte seines Tuns darstellen mögen.«

Demnach ist der Mensch geradezu verhängnisvoll in Geschichte und Geschichten verstrickt. Accordingly, man is downright fatally entangled in history and stories. В соответствии с этим человек почти фатально увяз в истории и преданиях.

Die Unvorhersehbarkeit ist für Arendt das, was unsere Freiheit ausmacht.

Denn wenn Absicht und Ausführung einer Handlung immer deckungsgleich wären, Because if the intention and execution of an action were always congruent,

gäbe es Handlungsfreiheit nicht.

Die Handlung wäre Sklavin des Willens und wie es mit dessen Freiheit aussieht,

das steht in Zeiten immenser neurologischer Forschung auf einem anderen Blatt.

Für Arendt ergibt sich erst im Handeln die Möglichkeit, Mensch zu werden. Gemeint sind nicht Geschichten, For Arendt, the opportunity to become human only arises in action. I don't mean stories

die von Menschen erzählt werden und uns etwas darüber sagen, was sie sind. that are told by people and tell us something about what they are.

Etwa, dass Dalton Trumbo ein preisgekrönter Literat war, und Donald Trump ein notorischer Lügner ist. Например, что Далтон Трамбо был лауреатом литературных премий, а Дональд Трамп - отъявленный лжец.

Die Geschichten, die Menschen erzählen, machen sie zu dem, was sie sind.

J. K. Rowling ist eine Buchautorin.

Hier geht es um Geschichten über Menschen, denn: Wer jemand sei oder gewesen sei, so Arendt,

»können wir nur erfahren, wenn wir die Geschichte hören, deren Held er selbst ist, also seine Biographie.«

Arendts lebhaftes Interesse an europäischer Literatur schlägt sich in Beiträgen über Arendt's lively interest in European literature is reflected in contributions

die »Begründerin des Neuen Romans«, Nathalie Sarraute nieder, sowie über Broch, Kafka, Gilbert und viele mehr the "founder of the New Novel", Nathalie Sarraute down, and about Broch, Kafka, Gilbert and many more

– und auch im eigenen Werk. Zitat der Literaturwissenschaftlerin Helgard Mahrdt:

Dahinter lässt eine übergeordnete Bedeutung vermuten.

Arendt sei überzeugt gewesen, schreibt Mahrdt, »dass unser Denken nach dem Traditionsbruch Beispiele,

exemplarische (Lebens-)Geschichten braucht, die uns helfen uns in unserer Welt zu orientieren«,

zur Schärfung der Urteilskraft und Humanität. Hier findet sich eine Quelle,

»aus der sich in der Menschenwelt selbst ein Sinn formiert, der als Sinnhaftigkeit

das menschliche Treiben zu erhellen [...] vermag« – das schreibt Kristeva über das Hervorbringen

von Geschichten und die sich darin enthüllenden Personen als spezifisch menschliche Protagonist*innen.

Hast du dich je gefragt, was der Sinn des Lebens sei?

Dann hast du jetzt zwei Antworten darauf, gemäß den zwei Bedeutungsebenen von »Leben«.

Da ist das biologische Leben, das ewige Kreuchen und Fleuchen auf diesem Planeten – und vielleicht There is biological life, the eternal creeping and fleeing on this planet - and maybe Есть биологическая жизнь, вечное барахтанье на этой планете - и, может быть.

auf ein paar weiteren im Universum, das sich immer weiter ausdehnt, bis es irgendwann

in sich zusammenfällt und dem Leben allgemein ein Ende bereitet. Bis dahin liegt der Sinn des Lebens collapses and puts an end to life in general. Until then lies the meaning of life

eventuell einzig und allein darin, Energie zu verteilen.

Das ist nur eine Theorie von vielen und eine ziemlich enttäuschende obendrein, aber hey, That's just one of many theory and a pretty disappointing one on top of that, but hey,

wer große Fragen stellt muss mit großen Enttäuschungen rechnen. whoever asks big questions must expect big disappointments.

Zum Glück ist da noch das menschliche Leben,

das einmalige Zur-Welt-kommen und Wandeln auf diesem Planeten. the unique coming into the world and walking on this planet.

Worin liegt der Sinn eines solchen Lebens?

Darauf gibt es so viele Antworten, wie es Menschen und Momente gibt und gab. Unzählig viele.

Mag für dich auch eine enttäuschende Antwort sein, aber – wo sind denn deine Erwartungen?

Jedes Leben ist eine Geschichte mit einer Hauptfigur.

Je aktiver diese ist, desto mehr gibt es zu erzählen. Und der Sinn des Lebens – seine Bedeutung – ist das,

was du selbst aus deinem Leben oder den Geschichten anderer an Sinnstiftung gewinnst.

Wenn die Biografie einer Berühmtheit oder die Erzählung von Omas Nachkriegsjahren dir etwas geben,

etwas bedeutet, ob als Inspiration oder Vorbildfunktion, dann ist das ein Sinn dieses Lebens

– für dich. Heißt nicht, dass Menschen, die gerne Arbeit verrichten, ob als Schuster oder Chirurgin,

und Menschen, die gerne Werke herstellen, wie Tischlerinnen oder Filmemacher,

dass solche Menschen nicht auch Handelnde sind und ein weniger sinnvolles Leben führen,

als solche in der Politik oder den Schlagzeilen.

Das Handeln findet nicht nur im Rampenlicht statt, sondern im alltäglichen Miteinander.

Als Beispiel dafür, wie jedes vermeintlich »einfache« Leben den Stoff für Geschichten

und Sinnstiftung bietet, empfehle ich die Biografie »Das Leben meiner Mutter« von Oskar Graf.

Gibt's ein Leben nach dem Tod? Klar, in den Erinnerungen und Geschichten,

die du in den Köpfen deiner Mitmenschen hinterlässt.

Kriegst du das bewusst mit, oder anders: Wirst du selbst was davon haben? (Darum geht's uns ja eigentlich, Are you aware of this, or in another way: will you benefit from it yourself? (That's what it's actually about

wenn wir nach dem Jenseits fragen – die Fortsetzung des Egotrips bis in alle Ewigkeit.)

Die Vorstellung, dass wir als Seelen im kollektiven Gedächtnis der Menschheit weiterleben und dort quasi

himmlischer Anerkennung oder höllischer Verachtung ausgesetzt sein mögen, die erscheint jedenfalls May be exposed to heavenly approval or infernal contempt, it appears anyway

nicht weniger wahrscheinlich, als dass wir uns nach dem Tod in sonst einer Art von Jenseits tummeln.

Allein, dass wir uns dann keinem Gott gegenüber gut benehmen sollten,

sondern gegenüber den Mitmenschen, die uns in Erinnerung behalten.

Bleibt nur die nüchterne Gewissheit:

Beim Schreiben dieses Beitrags musste ich oft ans Musical »Hamilton« denken,

das die reinste Hymne auf die Idee ist, dass Leben und Geschichte miteinander verstrickt sind.

Musik-Mastermind Lin-Manuel Miranda hat eine Biografie des amerikanischen Gründervaters Hamilton

gelesen und inspiriert davon die Arbeit an etwas aufgenommen, das dieses Musical werden würde.

Starkes Stück! Nun, das war's für heute.

Danke fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal!