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2021 from Youtube, Reicht Hartz 4 zum Leben? Relative Armut in Deutschland trotz Sozialstaat. RABIAT!

Reicht Hartz 4 zum Leben? Relative Armut in Deutschland trotz Sozialstaat. RABIAT!

Neujahr.

Die hier feiern noch. Mein Jahr startet mit Arbeit.

Und um Arbeit – darum geht‘s in diesem Film.

Es ist kurz nach sechs. Ich bin in Berlin Marzahn.

Ich bin mit Kerstin verabredet. Sie geht wie an jedem 1. Januar Flaschen sammeln,

bevor andere es tun. Ich filme mit dem Handy, für den Neujahrsmorgen

einen Kameramann zu finden - keine Chance. Wer will jetzt schon arbeiten?

Die ist gar nichts, die ist leer. Die nehmen wir mit. 15 Cent! Ha!

Kerstin habe ich über eine Ebay-Anzeige kennengelernt. Sie sucht online nach Leergut, das sie abholen

und zu Geld machen kann. Flaschen sammelt sie aber auch bei der tägliche Runde mit

ihren Hunden.

Nach zweieinhalb Stunden sind wir zurück vor Kerstins Tür. Auf rund vier Euro schätzt

sie ihre Ausbeute. Kerstin werde ich später noch einmal treffen.

Das ist mein Arbeitsalltag. Wenn ich nicht gerade unterwegs bin zum Drehen, bin ich

im Büro, im Schnitt oder arbeite von zu Hause.

Ich verdiene einigermaßen mit dem was ich mache,

kann davon ganz gut leben. Und dass das so kommt, daran hab ich nie wirklich gezweifelt.

Das hier, das war mein allererster Job. Babysitten. Das hab ich gemacht als ich 14 war.

Danach hab ich Zeitungen ausgetragen, war im Callcenter. Während des Studiums in

der Bar, in der Gastro, auf Veranstaltungen. Und seit zehn Jahren jetzt verdiene ich mit

einem Job Geld, der mir Spaß macht, nämlich der hier. Ich hab aber auch einen finanziell

sicheren Hintergrund, komm aus einer Akademikerfamilie

und irgendwie war schon immer klar, dass alles

gut gehen wird. Und ich frag mich heute wie's wär, wenn es all das nicht

gegeben hätte. Ob Fleiß allein wirklich ausreicht?

Jeder Sechste in Deutschland lebt in relativer Armut. Und das in einem der reichsten Länder

Europas, in dem die Wirtschaft blüht und die offizielle Arbeitslosenquote niedrig ist.

Wie passt das zusammen? Meine Reise führt mich dorthin, wo ich sonst

nicht mehr bin. In die Platte. In einer Platte bin ich übrigens auch groß geworden

Dazu komm ich aber noch.

Erstmal geht's nach Potsdam.

Potsdam hat im Vergleich mit anderen Städten eine geringe soziale Durchmischung.

Arm und Reich sind hier scharf getrennt.

Hallo Her Weber!

Hallo.

Ich hab meine Stimme verloren,

aber Sie haben ja noch eine.

Na dann. Immer herein in die gute Stube.

Jürgen Weber wohnt seit 43 Jahren in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung, seitdem die Platte hier

gebaut wurde. 470 Euro Miete zahlt er.

Bis vor einem halben Jahr hat das noch das Amt übernommen.

17 Jahre lang hat Jürgen Weber von Hartz 4 gelebt.

Jetzt hat er wieder einen Job als Nachtwächter. Gerade ist Weber von seiner

letzten Zwölf-Stunden-Schicht zurückgekommen.

Warum haben Sie keinen Job wiedergefunden?

Was war denn da so schwer dran?

Oh. Ja, was kann man sagen? Alter, Gesundheitszustand,

überqualifiziert, unterqualifiziert, Nase nicht gepasst. Na irgendwas kam immer.

Ist nun mal so. Da kann man machen was man will. Oh... Aber noch hab ich Ersatz.

Ich warte wieder darauf, dass es ein Sonderangebot gibt,

dann krieg ich das wieder für 2,20 Euro,

dann brauch ich nicht 3,20 Euro zu bezahlen.

Auf meine Frage, ob der Hartz 4 Essenssatz

zum Leben reicht, hat Weber das hier auf Lager.

Hahahaha. 128 Euro im Monat. Für Essen

und Trinken, wohl gemerkt. Illusorisch.

Aktuell sind es knapp 148 Euro.

Jürgen Weber ist gelernter Bautischler, Zimmermann und Betonwerker,

bis 2001 hat er bei der Stadtentsorgung gearbeitet.

Dann war die Schulter kaputt, Weber wurde arbeitslos. Zwei Jobs hat ihm

das Amt seitdem vermittelt, Beides nix von Dauer.

Um die Weiterbildung zum Sicherheitsmann hat der 59-Jährige hart gekämpft.

Wenn man da nicht selber sich nicht auf die Hinterfüße stellt, wird das auch nichts.

Jetzt sind Sie im Sicherheitsdienst, war das ihr Wunsch?

Wunsch, ja.... Ich könnte mir auch wünschen in der Karibik zu wohnen.

Ja sagen wir das mal so, Karl Marx hat mal gesagt, es ist die Einsicht in die Notwendigkeit.

Ich muss ja sehen, ich

bin ja auch nicht mehr der Jüngste. Und so hab ich mir gedacht, dann machst du eben teils

Wachschutz und das kannst du wenigstens noch du bis zu deiner Rente machen.

Vor 15 Jahren hat Weber einen Verein gegründet und berät seitdem andere Arbeitslose,

alles ehrenamtlich. Weber hat sich viel angelesen zu Hartz 4 und der Rechtslage.

Sein eigener Lebenslauf ist voll von Weiterbildungen, Maßnahmen und Minijobs.

Maschinenausbildung hatte ich auch.

Gartenarbeit, Rechtsanwaltsgehilfe, Ausbildung zum Fachangestellter, Wiederherstellung des Gartens.

Sicherheitsdienst, Winterdienst, Hilfe im Garten, Winterdienstausbildung.

Also nicht jeder Hartz 4 Empfänger ist faul.

Seit er wieder fest arbeitet, hat Weber rund 1300 Euro.

500 Euro mehr als zu Hartz-Zeiten. Wie wichtig ist es ihm, einen Job zu haben?

Eigentlich sehr wichtig. Ja, weil man kommt unter Leute, man tut was, man weiß,

dass man gebraucht wird. Das ist doch schon mal was. Man vereinsamt ja zu Hause hier.

Wo sollman auch hin ohne Geld?

Man kann nicht irgendwo in die Bibliothek gehen oder was weiß ich.

Geht ja nicht. Oder ins Schwimmbad gehen. Ist alles nicht drin. Oder Kinobesuch.

Der letzte war, da ist gerade die Titanik gesunken. Muss man sich andere Hobbies suchen.

Haben Sie eines gefunden?

Ja, meine Modellbahn.

Nicht schlecht.

Dann hab ich ja auch jetzt schon zwei Dampfloks, die sind auch mit Sound.

Wahnsinn.

Toll.

Was bedeutet denn Luxus für Sie?

Entspannung, Konzentration,

mal abschalten zu können und ein bisschen Freude haben.

Bis zu 300 Euro kann ein Teil kosten. Häufig habe Weber weniger bezahlt, durch einen Bettelbrief

an die Hersteller. Den Mund aufmachen, das scheint er zu können.

Und dann kommen immer so 'ne schlauen Sprüche: Na dann müsst ihr euch mal selber politisch

betätigen, um das zu ändern. Ich war ja auch in der Linken drin gewesen.

Da wird man auch abgeblockt.

Weil man sich als Hartz 4Empfänger anstrengen kann wie man will,

man kommt nicht weiter. Das ist wie ne unsichtbare Schranke. Das ist eigentlich... Als Hartz

4 Empfänger wird man wie ein Leprakranker behandelt. Bloß nicht anfassen, bloß nicht

in die Nähe kommen. Das könnt ja ansteckend sein.

Unter dem Hashtag #unten finde ich auf Twitter tausende Kommentare von Menschen, die erzählen

was es bedeutet in einem reichen Land am Rand der Gesellschaft zu sein. Über mehrere Wochen

waren ihre Geschichten Thema in den Medien und in sozialen Netzwerken.

„Wenn deine Mutter dir deine 50 Euro Konfirmationsgeld nimmt, weil ihr sonst nichts zu essen habt.“

„Wenn deine alleinerziehende Mutter beim Elternsprechtag in der fünften Klasse von deinem

rechtskonservativen Klassenlehrer zu hören bekommt: Solche Kinder wie ihres haben auf

einem Gymnasium nichts verloren.“

Unter den Kommentaren finde ich auch die von

Lasse Petersdotter, Grünenpolitiker aus Kiel. Ich treffe ihn zum Interview in seiner Heimatstadt.

Wir sind schnell beim Du. In seiner Kindheit war Geld immer knapp.

Das hat er beim Hashtag "unten" offengelegt. Auch, weil er als Politiker nahbar sein will.

Seit zwei Jahren ist er Abgeordneter im Landtag von Schleswig-Holstein.

Ich hab auch für mich selber entschieden keine grundsätzlichen Weichen

in meiner Lebensführung zu ändern.

Also jetzt nicht sofort mir irgendwie ein fettes Auto zu kaufen, eine große Wohnung.

Natürlich gönne ich mir Dinge, aber ich hab immer noch kein Auto, wohne in der gleichen

Wohnung wie vorher und so weiter. Aber 27 Jahre Leben prägen einen mehr als zwei Jahre

Abgeordneter. Gerade in solchen Fragen, gerade wenn man sich bewusst ist, dass man nicht

zum Trottel werden will.

Sollen wir ne Runde rausgehen?

Gerne.

Gut

Ich lass meine Sachen alle hier.

Lasse hat sich bewusst für Finanzpolitik entschieden,

da könne man genauso wie in der Sozialpolitik was für ärmere Menschen tun.

Lasses Mutter war Altenpflegerin, hat ihn und seine zwei Geschwister allein großgezogen.

Sein Vater lebt von Hartz 4. Geld für Urlaub,

Klassenfahrten oder Markenklamotten gab's bei Lasse nicht.

Man weiß, man hat wenig Geld zur Verfügung, man überlegt sich, wie komm ich an Geld.

Als junger Mensch kannst du arbeiten, das hab ich immer gemacht. Ich hab angefangen

zu arbeiten, das war ich zwölf oder so. Das andere ist aber auch, wenn man wenig Geld

in dieser Gesellschaft hat, wo Geld extrem wichtig ist, dann wird einem ständig ein

erniedrigendes Bild von einem gemalt. Und wenn du ständig das Gefühl hast nicht mehr

Teil der Gesellschaft zu sein, dann hast du irgendwann auch keinen Bock mehr dich an die

Regeln der Gesellschaft zu halten. Das ist das Gefährliche.

Wir sind an Lasses Schule. Da ist er eher durch fehlende Hausaufgaben aufgefallen,

musste oft nachsitzen. Abi hat er erst mit 21 gemacht. Dann aber mit einem 1er Schnitt.

Meine damalige Lehrerin, vor der versammelten Klasse: 'Lasse aus dir wird nie was,

wenn du Glück hast darfst du hier irgendwann mal die Fenster putzen.'

So. Das kann einen erstmal

völlig in Grund und Boden trümmern emotional. Ich bin damit anders umgegangen, dachte mir,

ey du kannst mich mal. Jetzt erst recht.

Warum er es nach oben geschafft hat?

Durch Zorn und Respektlosigkeit, sagt der 29-Jährige.

Die Baseline von einem schwierigen Leben mit wenig Geld ist 'Ist halt so.'

'Das Leben ist wie es ist. Leben ist kein Ponyhof, Lehrjahre sind keine Herrenjahre'

und so weiter. Ganz viele Tugenden... also das ist es ja auch, es wird ja vermittelt

als wär das eine Tugend. Nee, ist es nicht, man kann mit Dingen unzufrieden sein und sagen:

Leute kriegt das mal gebacken.

Mal eben einen Kaffee für drei Euro holen

oder abends in eine Bar gehen war in Lasses Jugend nicht drin.

Aber ohne Plastikbecher, sonst werde ich geköpft.

Studieren konnte Lasse nur durch Bafög, Studienkredit

und Nebenjobs. In den Landtag kam er über einen Listenplatz, fiel durch sein Engagement

im Asta und seine Bewerbungsrede auf.

Es reicht nicht gute Noten zu habe. Es reicht auch nicht fleißig zu sein, das ist völliger Quatsch.

Also diese Erzählung von 'Sei nur fleißig, reiß dich mal zusammen,

durch Anstrengung kriegst du's hin' - das ist

diese ganze Kontra K-Scheiße. 'Erfolg ist kein Glück, sondern das Ergebnis von Blut,

Schweiß und Tränen' und so. 'Jeder kann es schaffen'. Das ist so nicht, sondern, das

erzählen sich die, die Geld haben, um sich ihr eigenes Geld zu legitimieren. Weil sie

dann glauben sie seien fleißig, wenn man das umdreht, würde man sagen, all die Leute

die kein Geld haben sind nicht fleißig. Und das soll mal jemand einer Altenpflegerin erzählen.

Jeder dritte Deutsche glaubt übrigens, dass die vier Millionen Hartz 4-Empfänger in Deutschland

gar nicht arbeiten wollen, so eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach.

Nach jemanden der lieber harzt als zu arbeiten und uns das vor der Kamera erzählt habe ich

ein viertel Jahr lang gesucht, ohne Erfolg. Hier bin ich gerade in Halle und Jena unterwegs.

Sollen sie die Kanaken ansprechen.

Na komm raus, du. Komm. Aber Vorsicht.

Komm raus, komm. Na komm. Paule komm!

Roberto Büttner aus Jena hat sich auf meinen Aufruf hin gemeldet.

Hartzen findet der 57-jährige auch nicht super. Aber er will reden,

darüber was seiner Ansicht nach in Deutschland falsch läuft.

Es ist ne Frechheit Leute zu beschäftigen für 10,50 Euro. Die rennen und rennen und

rennen und machen und dann kriegste von oben. Jeder der was zu sagen hat... Gibt einem auf

... gibt einen auf den Deckel.

Da gibt's einen auf den Deckel.

Wären Sie eigentlich ganz froh, wenn Sie keinen Job mehr finden müssten?

Doch

Ja.

Ich möchte arbeiten.

Aber eben ordentlich bezahlt.

Ordentlich bezahlt! 15 Euro - angemessen.

Büttner ist gelernter Maurer, hat mehrfach umgeschult und mehr als 30 Jahre gearbeitet.

Zuletzt in einer Reinigungsfirma. Gerade ist er arbeitslos. Er wünscht sich mehr Hilfe

vom Jobcenter.

Bieten die Ihnen denn keine Jobs an, das Jobcenter Jena?

Jetzt, die Jobs die ich bekommen habe sind

brauchbare Jobs, aber ich muss warten. Das kann nicht sein, wenn gesagt wird 'dort werden

Leute gesucht' und man wartet acht Wochen. Es ist mindestens schon die achte Woche wo

ich warte auf Rückruf. Na da hat man irgendwann die Geduld auch verloren. Und dann sagt man

wisst ihr was? Ich bleibe zuhause.

Sich initiativ zu bewerben, mit Papierkram

und Computer - das läge ihm nicht. Auf dem Balkon erzählt mir Büttner wovor

er Angst hat. Thema Flüchtlinge.

Es kann nicht sein, dass wenn welche hier rüber,

hier nach Deutschland kommen, dass denen eine Wohnung zur Verfügung steht,

dass denen Gelder zur Verfügung stehen, vom Vater Staat. Wo noch nicht ein Finger krumm

gemacht worden ist von diesen Leuten und die bekommen aber Gelder.

Ab dem 15. Monat Aufenthalt in Deutschland erhält ein alleinstehender Asylbewerber maximal

354 Euro monatlich. 70 Euro weniger als ein alleinstehender Hartz 4-Empfänger.

Also Sie fühlen sich auch irgendwie ungerecht behandelt?

Ja.

Nicht nur ich allein. Mehrere. Und ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich bin froh, dass

ich hier viele Leute kenne, die im selben Boot sitzen wie ich. Und dass wir uns gegenseitig

untereinander mal aushelfen können. Ich habe Angst davor, dass irgendwann die Zeit wieder

da ist wie anno dazumal, dass man mit Lebensmittelmarken durch die Kante rennt.

Was wollen Sie?

Ich? Bockwurst

Bockwurst. Ja ich glaub das mach ich auch.

Auswärts essen sei bei Büttner nur einmal

im Monat drin. Dass er als Ostbürger immer noch schlechter verdient als seine Westkollegen,

macht ihn sauer.

Fühlen Sie sich denn als Bürger dieses Landes,

wenn Sie sich so gar nicht gehört vorkommen?

Freilich. Ich bin doch hier geboren worden.

Ich bin gebürtiger Deutscher. Nationalität deutsch. Ich stehe auf Deutschland!

Aber trotzdem haben Sie irgendwie kein Stück vom Kuchen abgekriegt.

Genau so ist es. Aber es ist so. Warum soll ich denn da sauer sein. Warum?

Man muss das Beste draus machen.

Wieder mal die gute alte Tugend, wenn das

Leben halt kacke ist.

Ich bin auch in Jena geboren und hab ganz

in der Nähe, in Rudolstadt, die ersten fünf Jahre meines

Lebens verbracht. Dahin bin ich gerade unterwegs. Wir haben da in der Platte gewohnt. Also das

war damals Neubausiedlung und fast schon Privileg für meine Eltern da einzuziehen, weil die

beide nicht verheiratet waren, ohne Kinder und da war es im Osten ganz schwierig eine

Wohnung zu bekommen. Jetzt würde mich mal interessieren, wie es jetzt so ist für die

Leute , die da wohnen.

Das ist das... richtig. Das ist das Haus in dem wir gewohnt haben.

Und schön hellblau angemalt.

Hier müsste es genau das sein. Das ist ähm...Küchenfenster,

daneben Badfenster und das war von meinen Eltern das Schlafzimmer.

Hallo.

Wohnen Sie schon länger in Rudolstadt?

Ich war mein Leben lang hier.

Ja?

Ja, also ich wohne jetzt hier in diesem Block dort in der Mitte oben. Aber ich hadere doch irgendwie

mit mir selbst, dass ich aus meinem Milieu, eben Plattenbau, nicht rausgekommen bin.

Vorm Kindergarten lande ich dann noch einen Zufallstreffer.

Ich hab hier nämlich früher gewohnt und bin hier in den Kindergarten gegangen.

Ehrlich? Ich war hier Erzieherin!

Echt?

Also Thiele, der Name ist mir ein Begriff.

Ist ja lustig.. Ja, das sind wir beide in

ein bisschen größer. Aber da sieht man nicht nmehr so viel.

Ach Gottchen, süß. Ich hab Glück gehabt,

ich war nicht einmal arbeitslos, immer im Kindergarten hier gewesen.

Wie viele Jahre haben Sie gearbeitet?

45!

45 Jahre. Darf ich fragen wie viel Sie Rente kriegen?

Öh, ne. Das sag ich lieber nicht.

Ne?

Ne.

Okay.

Übrigens: Das Klischee vom zurückgebliebenen

Ostdeutschen geht mir auf die Nerven. Armut gibt es im ganzen Land - und sie fühlt sich

überall gleich mies an. Zurück in Berlin Marzahn.

Hier werde ich gleich Kerstin treffen, sie muss aufstocken mit Hartz 4, hat aber dennoch

ein Auto, drei Hunde, zwei Katzen und ich hab mich gefragt wie das zusammen passt

und hab mich gleichzeitig bei dem Gedanken ertappt, ob jemand der vom Staat Zuschüsse bekommt,

überhaupt seinen eigenen Luxus haben darf.

Hallo!

Hi!

Na? Tachchen! Kalte Hand.

Kerstin, das ist die junge Frau vom Neujahrsmorgen. Die 30-Jährige lebt mit ihren zwei Kindern

und ihren Tieren auf 90 Quadratmetern im sechsten Stock.

Wolltest du jemals raus? In eine andere Stadt?

Ne.

Also alleine nur wenn ich mir die Mieten angucke.

Kann ich gar nicht. Will ich gar nicht. Weil, erstens hab ich

durchs Arbeitsamt ein Limit, das ich nur darf. Und zweitens, warum? Ich bin so wie es jetzt

ist ganz zufrieden. Ich hab alles vor der Tür. Ich brauche mich nicht großartige um irgendwas

kümmern. Und von daher, bin ich da tiefenentspannt.

Per Definition sind Kerstin und ihre Kinder arm.

Sie verdient als Bürokauffrau 990 Euro, stockt mit 109 Euro Hartz auf

- so wie über eine Million Menschen in Deutschland.

Ich hab mich selber bei der Frage ertappt,

darf man, wenn man halbwegs arm ist, darf man sich überhaupt nen gewissen Luxus leisten?

Ich nenne Luxus mein Eigenheim, das was ich mir gönne. Die Hunde, die Katzen, die Hasen

und die Mehrschweinchen. Dafür lege ich keinen großen Wert auf nagelneue Markenklamotten.

Kerstin Brandt: Meine Zahme geht ja. Mein kleines zahmes Mädchen, wa Schatzi?

Mein zahmes Mädchen, ne! Du bist ein zahmes Mädchen.

Kerstin bekommt mit 16 ihren Sohn. Seitdem bezieht sie Geld vom Staat.

Mit 18 trennt sie sich vom Vater des Kindes, zieht als alleinerziehende Mutter

in eine eigene Wohnung.

Hast du manchmal das Gefühl in irgendeiner Art und Weise zu schmarotzen,

Art und Weise zu schmarotzen, irgendwelche Regeln zu umgehen, zu sagen ich nehme alles

vom Staat was ich kann und das ist gut so, oder?

Jein. Es gibt, gab Zeiten, gerade was die Anfangszeit war, wo ich ausgezogen

bin bei meinen Eltern, da hab ich auch gesagt 'ja gut ok, wenn ich's kriege, krieg ich's'.

Davon abgesehen, was mir zusteht sowieso. Da bin ich rigoros. Man muss wissen wann und

man muss wissen wie. Viele wissen nicht was denen zusteht.

Kerstin beantragt alles was geht: zum Beispiel beim Jugendamt drei Wochen Sommerurlaub für

die Tochter oder neue Möbel. Ja, klar. 416 Euro ist nicht viel. Aber dafür hast du als

Hartz 4-Empfänger oder als Sozialhilfeempfänger genug Chancen um dir alles

Du brauchst keine GEZ bezahlen, die Miete wird vom Amt überwiesen,

das Stromgeld kann vom Amt überwiesen werden, wenn du es beantragst

wegen irgendwelcher Zahlungsschwierigkeiten und und und... Versicherung

kriegt man 30 Euro frei. Seit Anfang 2019 liegt der Hartz 4-Satz bei

424 Euro im Monat. Reicht das für Urlaub?

Warst du mit deinen Kindern?

Doch letztes Jahr... Einmal.

Einmal? Seitdem?

Seit 13 Jahren.

Wahnsinn.

Und auch so aus Deutschland raus oder?

Nein.

Ok.

Ihre Kinder sollen einen Hauptschulabschluss

und eine Ausbildung machen. Mehr sei nicht nötig. An Aufstieg durch Bildung scheint

Kerstin nicht zu glauben. In ihrem Leben zählt Fleiß.

Laut ist es auf der Baustelle von Thomas Kornetzki. Der 39-Jährige sucht händeringend nach fleißigen

Mitarbeitern.

Aktuell hat er drei Baustellen und ist bis in den Herbst ausgebucht.

Wir haben eigentlich immer was zu tun. Obwohl jetzt so, 2000 bis 2010 war so ein bisschen weniger.

Aber seitdem die Zinsen wieder unten sind haben wir eigentlich, sag ich mal,

immer mindestens sechs Leute zu wenig.

Kornetzki hat neun Angestellte. Gerade arbeitet er hier in Schwingen, nahe Hamburg,

an seiner Altersabsicherung, einem Haus zum Vermieten.

Das Haus daneben hat er auch gebaut. Da wohnt er mit seiner Frau.

Viel zu tun gibt‘s, aber kaum einer will noch auf dem Bau arbeiten.

So ein Maurer der hat, wenn er ausgelernt hat, vielleicht zwei Kinder, verheiratet ist,

vielleicht so 2200 Euro netto. Netto, ok.

Ist aber acht Stunden auf der Baustelle, hat eigentlich einen Tag von

mindestens zwölf Stunden. Viele auf dem Bau wechseln auch in die Industrie.

Ja.

Ja, das ist schon so.

Weil besserer Gehälter und weniger anstrengend?

Ja, weil immer den gleichen Weg, immer im Trockenen.

Airbus ist zum Beispiel in der Nähe, mit rund 16.000 Mitarbeitern.

Das Unternehmen würde um einiges mehr bezahlen.

Joa, da hängt schon einiges an der Wand.

Ja.

Kornetzki ist Handwerker mit Begeisterung. Seine Frau ist Bauzeichnerin.

Seit Jahren suchen die beiden einen Auszubildenden.

Das ist seit langem mal wieder eine richtig gute Bewerbung,

deswegen werden wir uns auf jeden Fall uns mit ihm auch zusammensetzen.

Wie viele bewerben sich denn auf so einen Ausbildungsplatz?

Das ist unterschiedlich. Also im Moment ist es wirklich wenig. Das war jetzt der Zweite,

der sich als Lehrling beworben hat.

Ok, wow.

Zu meiner Zeit, 96, da hatten wir zwei 30er Klassen.

Wann haben Sie den letzten Auszubildenden eingestellt?

2013. Die gehen dann lieber zu den größeren Betrieben. Obwohl ich das ja genau verkehrt finde.

Aber ja. Also hier lernen sie alles.

Die Menschen brauchen ja auch Leute, die Häuser bauen,

weil alle Handwerker werden gebraucht. Und das vergessen glaube ich viele.

Die meisten der wenigen Bewerber kommen mit Hauptschulabschluss. Manche ganz ohne Abschluss,

das ginge auch. Hauptsache handwerklich geschickt, gut in Mathe und der deutschen Sprache mächtig.

Liegt es wirklich nur am hart arbeiten oder ist auch einfach die Möglichkeit für Schüler

viel größer?

Ja, das studieren, das ist auch für mich

irgendwie so ne Sache, die ich nicht ganz verstehe. In meiner Klasse damals haben halt

irgendwie von 25 Leuten vier Abi gemacht oder so. Und irgendwie ist das heute eher umgekehrt.

Egal wo man sich in der Nachbarschaft umhört, irgendwie machen die alle Abi.einer

Auch mit einer vier, ist egal.

Und wenn sie es dann nicht schaffen sollten, dann überlegen sie es sich vielleicht doch nochmal

einen normalen Beruf zu erlernen, aber die meisten wollen doch studieren heutzutage.

Die wachsen ja auch ganz anders auf wie wir.

Bei uns war's damals so, von der Schule nach Hause, Hausaufgaben machen und

dann ab auf'n Sportplatz. Und möglichst von oben bis unten klitschnass und dreckig

nach Hause kommen. Das war so irgendwie. Wenn ich heute meinem Kind erzähle er soll mal

draußen spielen, dann nimmt er seinen Laptop mit auf die Terrasse

Ok, das wird nicht mit der Nachfolge.

Ne das wird nichts.

12 Uhr Mittagessen auf dem Bau.

Genau.

Find ich super.

Wir machen Mittag!

Und Sie beiden sind schon lang dabei?

Fünf Jahre hier.

Und Eike ist hier schon Mann der ersten Stunde.

Darf ich fragen wie viel Sie verdienen. Oder ist das doof?

Ja, ich verdiene 15,50 Euro in der Stunde.

Als Arbeitsmann, muss man dazu sagen.

Als Arbeits.... ja ich bin Handlanger, Bauhelfer.

Ok.

Ich bin ja nun kein Maurer.

Auf dem Bau ist man mit 18, 19 schon ziemlich weit oben.

Die Industrie zahlt deutlich mehr. Christian und ein Kollege werden übrigens einen Tag später kündigen.

Für einen besser bezahlten Job in einem großen Bauunternehmen.

Zwei weitere werden in ein paar Wochen gehen.

Richtig voll arbeitet man neun oder zehn Monate im Jahr. Die anderen beiden Monate sind halt

dann überbrücken mit Kurzarbeitergeld. An Tagen wo es friert oder man nicht arbeiten kann,

kriegt man an dem Tag halt nur 60 Prozent. Wir kennen viele Handwerker die kaputt sind,

die trotzdem mit 70 immer noch irgendwie rumpusseln und irgendwie versuchen noch ein bisschen

Geld zu kriegen. Und das ist natürlich ne große Sauerei eigentlich.

Was müsste sich denn ändern?

Naja, früher gab's Schlechtwettergeld zum Beispiel.

Was gab‘s?

Schlechtwettergeld. Dass die Zeit überbrückt worden ist, in der Zeit in der man nicht arbeiten konnte.

Und das wäre schon mal.... Wenn man 12 Monate das volle Gehalt hätte, das wäre

ja schon mal ein riesen Anreiz. Das müsste aber vom Staat unterstützt werden, weil das

schafft ne Baufirma allein nicht, die kann das nicht.

Die Industrie hat da mehr Macht, mehr Geld.

Mittlerweile hat Kornetzki drei neue Mitarbeiter finden können. Und einen Azubi in spe!

Könnten sich Ihre Bauarbeiter auch ein Haus leisten?

Mal kurz überlegen wer eigentlich eines hat.

Einer hat eins.

Ein Mitarbeiter hat eins.

Von? Acht.

Ja.

Der Grund: Wer - wie auf dem Bau üblich - nicht zwölf Monate am Stück arbeitet,

sei für Banken kaum kreditwürdig.

Kerstin hat Papier geladen, das sie hier auf dem Wertstoffhof zu Geld machen will.

Einfach alles hier rein, ne? Ok.

Wo hast‘n das alles her?

Also die Kataloge, vieles hab ich von meiner Firma gekriegt, auch Papier auch vieles von denen

und von mir zu Hause ein bisschen Rest. Aber ansonsten ist vieles von der Firma.

147 Kilo. 146,5, 147.

15 Euro gibt's. Elf Kilometer sind wir dafür gefahren.

Ihr Auto braucht Kerstin übrigens um jeden Tag zu ihrer Arbeit zu fahren,

bis nach Brandenburg und zurück.

Nach der Geburt ihres Sohnes hat sie die mittlere Reife nachgeholt

und zwei Ausbildungen abgeschlossen.

Wenn du nicht arbeiten würdest und nur von Hartz 4 leben würdest,

wäre das so ein großartiger Unterschied?

Zu dem was jetzt ist ja. Das sind knapp 200 Euro mehr.

Mit arbeiten gehen?

Mit arbeiten gehen.

200 Euro.

Ja.

Und das ist Anreiz genug zu sagen, ich geh da fünf Tage die Woche hin anstelle fünf

Tage die Woche lang Zeit zu haben.

Eigentlich nicht. Mir macht's aber Spaß.

Okay.

Bei mir ist der Spaß im Vordergrund und die Kollegen und ich bin mal von zu Hause raus,

mir fällt nicht die Decke auf den Kopf.

Lindsay Tomate dazu?

Ja.

Wie heißt das?

Ja bitte.

Christian Tomate?

Ja bitte.

Wie viel hast du gerade auf dem Konto?

Auf dem einen sind es ein Euro plus.

Und auf dem anderen sind's 60 minus.

Ui. Und wann gleicht sich das wieder aus?

Ende der Woche.

Aber so Gespartes, haste?

Ja, ich hab ein paar Sparkonten.

Ok, und was ist da so maximal drauf?

Naja, jetzt zur Zeit sind's 15 Euro, 16 Euro.

Aber ab März wird dann jeden Monat so 50 Euro draufgezahlt.

Vom Gesparten will Kerstin im Sommer mit den Kindern zu ihrer Schwester

nach Süddeutschland fahren.

Noch nie aus Deutschland rausgekommen zu sein, nix auf der hohen Kante zu haben und das trotz

Maloche jeden Tag. Das find ich echt hart. Und klar, es gibt immer Menschen denen es

noch schlechter geht. Aber ey, das ist doch kein Argument.

Ich hab was mitgebracht, was zum Frühstücken, so was Kleines.

Das ist nett.

Das hier hat jetzt 3,75 Euro gekostet.

Da hätte ich jetzt - würde ich Hartz 4 beziehen - noch 1,10 Euro übrig.

So ist es.

Zum Essen heute.

Genau.

Nicht so wahnsinnig viel.

Nö. Hält sich in Grenzen.

4,85 Euro – das ist der Tagessatz für Essen und Trinken. Der wurde Ralph Boes wie sein

gesamter Hartz 4-Satz 34 Monate komplett gestrichen. Seit 2011 macht Boes keinen „normalen“

Job mehr. Seine Berufung: Hartz 4 muss weg!

Seine Wohnung gleicht eher einem Büro. Boes ist Hartz 4 Empfänger im Widerstand.

Ich bin Weltmeister in Sanktionen?

Wie viele haben Sie schon?

Da habe ich ein schönes Bild, das ist jetzt nur aus einem Zyklus.

Da sieht man immer, das ist das Jahr. Hier ist die Höhe der Sanktionen eingetragen.

30, 60, 100. Und dann sieht man immer die Sanktionen wie die laufen.

Die laufen immer über drei Monate. So und hier sieht man wie die sich zuziehen,

wie gewissermaßen die ganzen Jahre, eins, zwei drei Jahre, ich ausschließlich Sanktionen erhalten habe.

Erst ein bisschen und dann immer mehr.

Und da sogar Sanktionen, die sich überlappen. Das sind 200 Prozent Sanktionen.

Jede dieser Sanktionen wollte Boes bekommen.

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht Hartz 4 zu kippen.

Ich kriege zum Beispiel einen Job beim Callcenter angeboten. Dann sag ich 'ich würd das unheimlich

gern machen. Mein Problem ist ich bin vollbeschäftigt. Meine Arbeit ist Sie abzuschaffen, Jobcenter.

Sie sind eine verfassungswidrige Organisation. Wenn Sie nicht so sturköpfig wären, wär

ich längst frei für den Job. Aber ich hab leider die Zeit nicht.' Und dann krieg ich

eine sichere Sanktion.

Boes hat jede Sanktion provoziert,

um ein Mittel zu haben durch die Klagen vors Bundesverfassungsgericht zu kommen.

16, 17, 18, 19. Allein das sind 19 Sanktionen, die Sie 19 mal beklagt haben.

Genau.

Das geht dann jetzt in die nächste Instanz.

Und die weißen sind Verfassungsklagen.

In der Zeit seiner Vollsanktionierung hat eine Bürgerinitiative Geld für Miete und

Krankenkasse für Boes gesammelt.

Ich hab gesagt das Gesetz ist verfassungswidrig

und darauf sind sie nie eingegangen. Nicht ein einziges Mal. Ich wurde immer nur sanktioniert.

Können Sie da mal ein Beispiel nennen?

Ich bekomme eine...

Ich habe eine 100 Prozent Sanktion, kein Geld für Essen, Wohnung und Krankenkasse

und soll in dieser Zeit mich bewerben und die Kosten für die Bewerbung vorstrecken.

Jeder normale Mensch sieht, dass das nicht geht.

Ich bekomme die Sanktion. Halt, Moment, ich sage das dem Jobcenter und sage 'es geht irgendwie nicht.'

Dann sagt das Jobcenter 'Die Zumutbarkeit einer Verpflichtung

scheitert nicht an einer fehlenden Eigenleistungsfähigkeit.'

Also wenn der Walfisch nicht fliegen kann, er muss. Sonst wird er sanktioniert und erschossen.

Also so ungefähr. Also dass ich kein Geld habe dafür, ist kein Grund es nicht zu tun.

Wer mit seiner Klage gegen eine ungerechtfertigte Sanktion Erfolg hat,

bekommt den Betrag zwar später wieder, hat jedoch bis dahin kaum

bis kein Geld zu Verfügung.

Und wie kommen Sie dann um die Runden? Ich meine, Sie müssen ja am Ende auch essen

und trinken, sich mal ne Klamotte kaufen.

Genau.

Im Moment krieg ich Hartz 4 wieder. Aber normalerweise wär ich tot.

Was meinen Sie damit?

Drei Jahre kein Geld für Essen, Wohnung und Krankenkasse...

So sah ich vorher aus und drei Monate später so.

In über drei Monaten Vollsanktion hat Boes nichts gegessen. Aus Protest.

Wenn einen Hartz 4 einfach so trifft und bis man wirklich klagen kann, da ist nicht jeder

drauf trainiert. Aber von denen, die klagen, gewinnt fast die Hälfte.

Das heißt es sind alles Sanktionen durchlitten, die nicht berechtigt waren.

Das ist ne Ungeheuerlichkeit.

Und es wird verschwiegen in der großen Öffentlichkeit.

Das steht übrigens auch in den offiziellen Zahlen der Arbeitsagentur.

Boes Verfahren zur Verfassungswidrigkeit der Sanktionen haben einem anderen Kläger

den Weg zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eröffnet.

Hier geht es um die Frage ob Leistungskürzungen das Grundgesetz verletzen.

Genauer gesagt: Das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.

Im letzten Jahr verhängte das Jobcenter rund 900.000 Sanktionen.

Ich treffe hier Inge Hannemann. Sie hat über acht Jahre im Jobcenter gearbeitet

und ist nach ihrem Burnout als erste Frau mit Namen und Gesicht an die Öffentlichkeit gegangen,

um über Missstände im Jobcenter zu berichten.

Das ist ja auch von Beginn an meine Kritik, dieses Controlling System, das ist ein Zahlenfetischismus.

Im Grunde genommen waren 50 Prozent tatsächlich Zahlen abarbeiten in Form von Excel Listen.

Die beinhalteten, der und der war zu wenig in den sogenannten Kundengesprächen,

der hat keine Eingliederungsvereinbarung, hier gibt's zu wenig Vermittlungsvorschläge.

Da gibt's ja immer vorgegebene Quoten. Also man kann fast pauschal sagen,

immer um die 80 Prozent, was man erreichen muss

und dann muss ich natürlich diese Eingliederungsvereinbarungin Massen rausschicken,

ob ich die Person gesehen haben oder nicht.

Dann muss ich Vermittlungsvorschläge in Massen raushauen, ob ich die Person kenne

oder nicht und davon müssen wir natürlich weg. Ich kann niemals eine Sozialarbeit,

das ist ja Sozialarbeit oder die Arbeit mit den Menschen an Zahlen ausrichten.

Das kann nur schief gehen.

Was hat Sie denn am meisten geärgert?

Diese Hilflosigkeit der Betroffenen und die Machtwillkür von Kolleginnen und Kollegen,

die ich einfach live erlebt habe und dieses zum Teil sehr, sehr negative Sprechen.

Also unwahrscheinlich herabwürdigend hinter den Türen.

Häufig würden Quereinsteiger im Jobcenter arbeiten. Als ersten bekämen die eine Schulung

wie man richtig sanktioniert.

Ich hab natürlich die Menschen gehabt, die

sagen 'es ist wunderbar zu hartzen.' Ja, so nennen die das ja häufig.

Aber, wenn ich dann mit denen so ein Viertel Jahr gesprochen habe,

dann steckten dahinter Blockierungen. Also Blockierungen: 'Ich habe Angst im Arbeitsmarkt

nicht mehr zu genügen. Ich habe Angst zu versagen.'

Und die die ich hatte, diese wirklich Totalverweigerer, das waren – ich schätze – drei Prozent.

Ja, was interessieren die mich. Das muss eine Gesellschaft aushalten.

Und Menschen mit Alkohol- und Drogensucht, die bisher auch vom Jobcenter versorgt würden,

bräuchten erstmal eine Betreuung durch Suchtmediziner und Psychologen.

Aus Ihrer eigenen Erfahrung, bringen die Sanktionen was? Kommen die bei den Leuten an?

Motivieren die die?

Nein.

Also sie motivieren in dem Sinne, dass es natürlich in Arbeit bringen kann,

weil sie keine weiteren Sanktionen haben wollen. Aber was bringt das, wenn ich sie kurzfristig

in Arbeit hab und die schaffen die Arbeit gar nicht. Ziel muss doch sein, dass ich im

Grunde genommen erarbeite, was ist möglich, was will ich, was bring ich mit, was bring

ich nicht mit und was muss ich mir noch erarbeiten.

Ralph Boes hat unter anderem Philosophie studiert. Er war Manager, Ergotherapeut und Sterbebegleiter.

War danach nicht wieder vorstellbar für Sie so einen "normalen"Job zu machen?

Ich bin vollbeschäftigt seitdem.

Wenn Sie sagen Sie sind vollbeschäftigt, das kann man glaube ich ganz schwer greifen.

Können Sie mir da ein bisschen was erzählen?

Wir haben viele parallele Projekte.

Also es sind so Sachen, das ist einem gar nicht so klar. Ralph steht morgens auf,

meistens schon um fünf.

Diana Aman arbeitet mit Boes zusammen, gemeinsam gegen Hartz 4.

Sie hat das Interview bisher im Hintergrund verfolgt.

Und dann werden die Webseiten gepflegt, dann muss Öffentlichkeitsarbeit gemacht werden,

dann müssen Briefe geschrieben werden, weil irgendwer wieder irgendwas wissen muss.

Dann werden Artikel geschrieben. Oder jemand kommt rein und hat wieder ein Problem mit dem Hartz 4 -Amt.

Diese Klagen schreiben, das ist ja ein riesen Act.

Ärgert Sie das, dass das so nach außen nie so richtig durch kommt?

Weil das fragt man sich natürlich, was macht er denn da?

Nein, ärgern nicht. Ich find es nur wahnsinnig schade.

Weil genau diejenigen, die am meisten unter Hartz 4 leiden,

sich dessen gar nicht bewusst sind.

Das sind diejenigen, die selber im Niedriglohnsektor sind.

Und dann aber auf Menschen schimpfen, also Hartz 4ler schimpfen,

weil sie sagen 'Oh Gott, ich muss hier ständig arbeiten.

Ich verdien ja nur so wenig und ich muss jeden Tag aufstehen, damit die faulen Säcke

da irgendwie auch noch was zu fressen haben.' Da ist das ne wahnsinnige Frustration da,

weil die Leute sind so überfordert.

Also aber in Hartz geht's nicht darum die Menschen in die Arbeit zu bringen.

Sondern es geht darum sie in den Niedriglohnsektor zu bringen

und das ist eine völlig andere Nummer.

Und da geht es gegen die Interessen der Menschen und dafür sind die Sanktionen da.

Wenn du nicht mitmachst, kriegst du alles entzogen.

Naja, eine neue Art von Lohnsklaverei. Und das ist verfassungswidrig.

Verfassungsgemäß wäre eine Umwelt zu schaffen, in der die Leute gern arbeiten gehen,

weil die Löhne stimmen.

Hartz 4-Empfänger, die kein soziales Netz wie Ralph Boes haben,

Menschen die psychisch krank werden oder aus anderen Gründen

keine Leistungen mehr vom Amt beziehen, haben ein hohes Risiko ganz aus dem System zu fallen

und auf der Straße zu landen.

In Berlin sind diese Bilder alltäglich. Und es macht mich jeden Tag auf neue fertig das zu sehen.

Lasse Petersdotter treffe ich nochmal in Berlin wieder, im Bundestag.

Wir gehen ne Runde an die Luft.

Hinter uns steht's: Dem Deutschen Volke. Nur werden die Anliegen armer und reicher

Menschen gleichermaßen gehört?

Wenn es so wäre, dass man die Entscheidungen nach den Ärmeren ausgerichtet hätte,

dann würde es denen heute besser gehen. Und das ist nicht der Fall.

Arme Menschen haben auch vermutlich einfach zu wenig Geld um sich eine Lobby zu leisten?

Ja, und haben auch nicht die Kraft unbedingt

um sich eine Lobby aufzubauen, selbstorganisiert aufzubauen, weil man eben ganz viele andere

Probleme hat, die einen daran hindern.

Profitieren arme Menschen denn eigentlich von der aktuellen Politik?

Während des letzten Booms, vor der Finanzkrise, hieß es auch immer 'jetzt sind bald die fetten Jahre vorbei.'

Und die meisten haben sich gedacht: 'welche fetten Jahre denn eigentlich?'

Jetzt ist das genau die gleiche Situation. Das sind fette Jahre nicht für die ärmeren Menschen.

Die Löhne sind zwar gestiegen, meinetwegen, aber marginal im Verhältnis z.B. dazu

was man am Kapitalmarkt verdienen kann.

Damit ich aber in Aktien investieren kann, brauch ich erstmal Geld,

das ich da reinstecken kann. Das fehlt ja schon. Das ist wahnsinnig frustrierend,

weil man merkt, da läuft irgendwie eine Entwicklung,

die an der Lebensrealität der allermeisten Menschen vorbei geht

und die profitieren von dieser wirtschaftlichen Entwicklung null.

Kein finanzielles Polster für sich und ihre Kinder zu haben ist für Kerstin normal.

Daran etwas zu ändern scheint in ihrem Leben unmöglich.

Fast 60 Prozent der Geringverdiener bleiben bleiben für immer arm.

Gehst du eigentlich wählen, Kerstin?

Nein.

Nein?

Nein.

Was ist das?

Sich für Politik interessieren und mitentscheiden.

Es wird doch aber nicht so wie ich es gerne haben möchte, das funktioniert doch nicht.

Die sollten sich mal in den kleinen Mann versetzen, der arbeiten geht,

sich dafür Steuern buckelig arbeitet, Steuern zahlt,

keinen Chauffeur hat, keine Luxuslimousine hat, nicht von A nach B gefahren wird und nicht

25.000 pro Tag kriegt.

Zurück dahin, wo der Film begann. Neujahr.

Für Kerstin ist es ein Morgen wie jeder andere – kein Neubeginn. Auch am nächsten Neujahrsmorgen

wird sie wohl wieder Flaschen sammeln.

Eins ist mir bei den Dreharbeiten nochmal klargeworden. Ich hab' Glück gehabt im Leben.

Da wo ich heute bin, dafür kann ich nur bedingt etwas.

In meine Familie bin ich reingeboren. Was bringt die Zukunft in Sachen Arbeit, Lohn

und Chancengleichheit? Vielleicht sollten wir in Deutschland mehr

über Ideen wie das bedingungslose Grundeinkommen oder zumindest eine neue Umverteilung von

Sozialleistungen diskutieren.

Und einen Mindestlohn anbieten, für den es sich auch lohnt zu arbeiten.

Denn die meisten Menschen wollen arbeiten.


Reicht Hartz 4 zum Leben? Relative Armut in Deutschland trotz Sozialstaat. RABIAT! Is Hartz 4 Enough to Live On? Relative poverty in Germany despite the welfare state. RABIAT! ¿Basta Hartz 4 para vivir? Pobreza relativa en Alemania a pesar del Estado del bienestar. RABIAT Hartz 4 suffit-il pour vivre ? La pauvreté relative en Allemagne malgré l'État social. RABIAT ! Is Hartz 4 genoeg om van te leven? Relatieve armoede in Duitsland ondanks de welvaartsstaat. RABIAT! Hartz 4 é suficiente para viver? Pobreza relativa na Alemanha, apesar do Estado social. RABIAT! Hartz 4 geçinmek için yeterli mi? Almanya'da refah devletine rağmen göreceli yoksulluk. RABIAT!

Neujahr. New Year.

Die hier feiern noch. They're still celebrating here. Estes ainda estão a festejar. Mein Jahr startet mit Arbeit. My year starts with work. O meu ano começa com trabalho.

Und um Arbeit – darum geht‘s in diesem Film. E sobre o trabalho - é disso que trata este filme.

Es ist kurz nach sechs. Passa pouco das seis. Ich bin in Berlin Marzahn. Estou em Berlim Marzahn.

Ich bin mit Kerstin verabredet. Tenho um encontro com a Kerstin. Sie geht wie an jedem 1. É como se fosse o primeiro dia. Januar Flaschen sammeln, Janeiro Recolher garrafas,

bevor andere es tun. antes que outros o façam. Ich filme mit dem Handy, für den Neujahrsmorgen Filmo com o meu telemóvel, para a manhã de Ano Novo

einen Kameramann zu finden - keine Chance. para encontrar um operador de câmara - sem hipótese. Wer will jetzt schon arbeiten? Quem é que quer trabalhar agora?

Die ist gar nichts, die ist leer. Não é nada, está vazio. Die nehmen wir mit. Levamo-los connosco. 15 Cent! Ha!

Kerstin habe ich über eine Ebay-Anzeige kennengelernt. Conheci a Kerstin através de um anúncio no Ebay. Sie sucht online nach Leergut, das sie abholen Procura na Internet vasilhame para recolher

und zu Geld machen kann. e transformá-los em dinheiro. Flaschen sammelt sie aber auch bei der tägliche Runde mit Mas ela também recolhe garrafas durante a ronda diária com

ihren Hunden. os seus cães.

Nach zweieinhalb Stunden sind wir zurück vor Kerstins Tür. Passadas duas horas e meia, estamos de novo à porta de Kerstin. Auf rund vier Euro schätzt Estimado em cerca de quatro euros

sie ihre Ausbeute. partilham os seus despojos. Kerstin werde ich später noch einmal treffen. Voltarei a encontrar-me com a Kerstin mais tarde.

Das ist mein Arbeitsalltag. É esse o meu trabalho quotidiano. Wenn ich nicht gerade unterwegs bin zum Drehen, bin ich Quando não estou na estrada a filmar, estou

im Büro, im Schnitt oder arbeite von zu Hause. no escritório, a editar ou a trabalhar a partir de casa.

Ich verdiene einigermaßen mit dem was ich mache, Ganho uma boa quantia com o que faço,

kann davon ganz gut leben. pode viver muito bem com ele. Und dass das so kommt, daran hab ich nie wirklich gezweifelt. E eu nunca duvidei que isso fosse acontecer.

Das hier, das war mein allererster Job. Este, este foi o meu primeiro emprego. Babysitten. Das hab ich gemacht als ich 14 war.

Danach hab ich Zeitungen ausgetragen, war im Callcenter. Depois disso, entreguei jornais e trabalhei num centro de atendimento telefónico. Während des Studiums in Durante os estudos em

der Bar, in der Gastro, auf Veranstaltungen. no bar, no gastro, em eventos. Und seit zehn Jahren jetzt verdiene ich mit E há dez anos que ganho

einem Job Geld, der mir Spaß macht, nämlich der hier. dinheiro num trabalho de que gosto, que é este. Ich hab aber auch einen finanziell Mas também tenho um financeiramente

sicheren Hintergrund, komm aus einer Akademikerfamilie ter um passado seguro, provir de uma família académica

und irgendwie war schon immer klar, dass alles e, de alguma forma, era sempre claro que tudo

gut gehen wird. Und ich frag mich heute wie's wär, wenn es all das nicht

gegeben hätte. Ob Fleiß allein wirklich ausreicht?

Jeder Sechste in Deutschland lebt in relativer Armut. Und das in einem der reichsten Länder

Europas, in dem die Wirtschaft blüht und die offizielle Arbeitslosenquote niedrig ist. Europa, onde a economia está a prosperar e a taxa de desemprego oficial é baixa.

Wie passt das zusammen? Meine Reise führt mich dorthin, wo ich sonst

nicht mehr bin. já não sou. In die Platte. Para o prato. In einer Platte bin ich übrigens auch groß geworden A propósito, também cresci numa loja de discos

Dazu komm ich aber noch. Mas já lá chegarei.

Erstmal geht's nach Potsdam. Primeiro, vamos a Potsdam.

Potsdam hat im Vergleich mit anderen Städten eine geringe soziale Durchmischung. Potsdam tem uma mistura social baixa em comparação com outras cidades.

Arm und Reich sind hier scharf getrennt. Os ricos e os pobres estão fortemente divididos neste país.

Hallo Her Weber! Olá Sr. Weber!

Hallo.

Ich hab meine Stimme verloren, Perdi a minha voz,

aber Sie haben ja noch eine.

Na dann. Immer herein in die gute Stube. Vem sempre à sala de estar.

Jürgen Weber wohnt seit 43 Jahren in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung, seitdem die Platte hier Jürgen Weber vive no seu apartamento de duas assoalhadas há 43 anos, desde que a laje aqui

gebaut wurde. foi construído. 470 Euro Miete zahlt er. Paga 470 euros de renda.

Bis vor einem halben Jahr hat das noch das Amt übernommen. Até há meio ano atrás, isso ainda dominava o escritório.

17 Jahre lang hat Jürgen Weber von Hartz 4 gelebt. Jürgen Weber viveu em Hartz 4 durante 17 anos.

Jetzt hat er wieder einen Job als Nachtwächter. Agora, voltou a trabalhar como guarda-nocturno. Gerade ist Weber von seiner

letzten Zwölf-Stunden-Schicht zurückgekommen.

Warum haben Sie keinen Job wiedergefunden?

Was war denn da so schwer dran?

Oh. Ja, was kann man sagen? Alter, Gesundheitszustand,

überqualifiziert, unterqualifiziert, Nase nicht gepasst. Na irgendwas kam immer.

Ist nun mal so. Da kann man machen was man will. Oh... Aber noch hab ich Ersatz.

Ich warte wieder darauf, dass es ein Sonderangebot gibt,

dann krieg ich das wieder für 2,20 Euro,

dann brauch ich nicht 3,20 Euro zu bezahlen.

Auf meine Frage, ob der Hartz 4 Essenssatz

zum Leben reicht, hat Weber das hier auf Lager.

Hahahaha. 128 Euro im Monat. Für Essen

und Trinken, wohl gemerkt. Illusorisch.

Aktuell sind es knapp 148 Euro.

Jürgen Weber ist gelernter Bautischler, Zimmermann und Betonwerker, Jürgen Weber é carpinteiro, marceneiro e operário de betão,

bis 2001 hat er bei der Stadtentsorgung gearbeitet.

Dann war die Schulter kaputt, Weber wurde arbeitslos. Zwei Jobs hat ihm

das Amt seitdem vermittelt, Beides nix von Dauer.

Um die Weiterbildung zum Sicherheitsmann hat der 59-Jährige hart gekämpft.

Wenn man da nicht selber sich nicht auf die Hinterfüße stellt, wird das auch nichts.

Jetzt sind Sie im Sicherheitsdienst, war das ihr Wunsch?

Wunsch, ja.... Ich könnte mir auch wünschen in der Karibik zu wohnen.

Ja sagen wir das mal so, Karl Marx hat mal gesagt, es ist die Einsicht in die Notwendigkeit.

Ich muss ja sehen, ich

bin ja auch nicht mehr der Jüngste. Und so hab ich mir gedacht, dann machst du eben teils

Wachschutz und das kannst du wenigstens noch du bis zu deiner Rente machen.

Vor 15 Jahren hat Weber einen Verein gegründet und berät seitdem andere Arbeitslose,

alles ehrenamtlich. Weber hat sich viel angelesen zu Hartz 4 und der Rechtslage.

Sein eigener Lebenslauf ist voll von Weiterbildungen, Maßnahmen und Minijobs.

Maschinenausbildung hatte ich auch.

Gartenarbeit, Rechtsanwaltsgehilfe, Ausbildung zum Fachangestellter, Wiederherstellung des Gartens.

Sicherheitsdienst, Winterdienst, Hilfe im Garten, Winterdienstausbildung.

Also nicht jeder Hartz 4 Empfänger ist faul.

Seit er wieder fest arbeitet, hat Weber rund 1300 Euro.

500 Euro mehr als zu Hartz-Zeiten. Wie wichtig ist es ihm, einen Job zu haben?

Eigentlich sehr wichtig. Ja, weil man kommt unter Leute, man tut was, man weiß,

dass man gebraucht wird. Das ist doch schon mal was. Man vereinsamt ja zu Hause hier.

Wo sollman auch hin ohne Geld?

Man kann nicht irgendwo in die Bibliothek gehen oder was weiß ich.

Geht ja nicht. Oder ins Schwimmbad gehen. Ist alles nicht drin. Oder Kinobesuch.

Der letzte war, da ist gerade die Titanik gesunken. Muss man sich andere Hobbies suchen.

Haben Sie eines gefunden?

Ja, meine Modellbahn.

Nicht schlecht.

Dann hab ich ja auch jetzt schon zwei Dampfloks, die sind auch mit Sound.

Wahnsinn.

Toll.

Was bedeutet denn Luxus für Sie?

Entspannung, Konzentration,

mal abschalten zu können und ein bisschen Freude haben.

Bis zu 300 Euro kann ein Teil kosten. Häufig habe Weber weniger bezahlt, durch einen Bettelbrief

an die Hersteller. Den Mund aufmachen, das scheint er zu können.

Und dann kommen immer so 'ne schlauen Sprüche: Na dann müsst ihr euch mal selber politisch

betätigen, um das zu ändern. Ich war ja auch in der Linken drin gewesen.

Da wird man auch abgeblockt.

Weil man sich als Hartz 4Empfänger anstrengen kann wie man will,

man kommt nicht weiter. Das ist wie ne unsichtbare Schranke. Das ist eigentlich... Als Hartz

4 Empfänger wird man wie ein Leprakranker behandelt. Bloß nicht anfassen, bloß nicht

in die Nähe kommen. Das könnt ja ansteckend sein.

Unter dem Hashtag #unten finde ich auf Twitter tausende Kommentare von Menschen, die erzählen

was es bedeutet in einem reichen Land am Rand der Gesellschaft zu sein. Über mehrere Wochen

waren ihre Geschichten Thema in den Medien und in sozialen Netzwerken.

„Wenn deine Mutter dir deine 50 Euro Konfirmationsgeld nimmt, weil ihr sonst nichts zu essen habt.“

„Wenn deine alleinerziehende Mutter beim Elternsprechtag in der fünften Klasse von deinem

rechtskonservativen Klassenlehrer zu hören bekommt: Solche Kinder wie ihres haben auf

einem Gymnasium nichts verloren.“

Unter den Kommentaren finde ich auch die von

Lasse Petersdotter, Grünenpolitiker aus Kiel. Ich treffe ihn zum Interview in seiner Heimatstadt.

Wir sind schnell beim Du. In seiner Kindheit war Geld immer knapp.

Das hat er beim Hashtag "unten" offengelegt. Auch, weil er als Politiker nahbar sein will.

Seit zwei Jahren ist er Abgeordneter im Landtag von Schleswig-Holstein.

Ich hab auch für mich selber entschieden keine grundsätzlichen Weichen

in meiner Lebensführung zu ändern.

Also jetzt nicht sofort mir irgendwie ein fettes Auto zu kaufen, eine große Wohnung.

Natürlich gönne ich mir Dinge, aber ich hab immer noch kein Auto, wohne in der gleichen

Wohnung wie vorher und so weiter. Aber 27 Jahre Leben prägen einen mehr als zwei Jahre

Abgeordneter. Gerade in solchen Fragen, gerade wenn man sich bewusst ist, dass man nicht

zum Trottel werden will.

Sollen wir ne Runde rausgehen?

Gerne.

Gut

Ich lass meine Sachen alle hier.

Lasse hat sich bewusst für Finanzpolitik entschieden,

da könne man genauso wie in der Sozialpolitik was für ärmere Menschen tun.

Lasses Mutter war Altenpflegerin, hat ihn und seine zwei Geschwister allein großgezogen.

Sein Vater lebt von Hartz 4. Geld für Urlaub,

Klassenfahrten oder Markenklamotten gab's bei Lasse nicht.

Man weiß, man hat wenig Geld zur Verfügung, man überlegt sich, wie komm ich an Geld.

Als junger Mensch kannst du arbeiten, das hab ich immer gemacht. Ich hab angefangen

zu arbeiten, das war ich zwölf oder so. Das andere ist aber auch, wenn man wenig Geld

in dieser Gesellschaft hat, wo Geld extrem wichtig ist, dann wird einem ständig ein

erniedrigendes Bild von einem gemalt. Und wenn du ständig das Gefühl hast nicht mehr

Teil der Gesellschaft zu sein, dann hast du irgendwann auch keinen Bock mehr dich an die

Regeln der Gesellschaft zu halten. Das ist das Gefährliche.

Wir sind an Lasses Schule. Da ist er eher durch fehlende Hausaufgaben aufgefallen,

musste oft nachsitzen. Abi hat er erst mit 21 gemacht. Dann aber mit einem 1er Schnitt.

Meine damalige Lehrerin, vor der versammelten Klasse: 'Lasse aus dir wird nie was,

wenn du Glück hast darfst du hier irgendwann mal die Fenster putzen.'

So. Das kann einen erstmal

völlig in Grund und Boden trümmern emotional. Ich bin damit anders umgegangen, dachte mir,

ey du kannst mich mal. Jetzt erst recht.

Warum er es nach oben geschafft hat?

Durch Zorn und Respektlosigkeit, sagt der 29-Jährige.

Die Baseline von einem schwierigen Leben mit wenig Geld ist 'Ist halt so.'

'Das Leben ist wie es ist. Leben ist kein Ponyhof, Lehrjahre sind keine Herrenjahre'

und so weiter. Ganz viele Tugenden... also das ist es ja auch, es wird ja vermittelt

als wär das eine Tugend. Nee, ist es nicht, man kann mit Dingen unzufrieden sein und sagen:

Leute kriegt das mal gebacken.

Mal eben einen Kaffee für drei Euro holen

oder abends in eine Bar gehen war in Lasses Jugend nicht drin.

Aber ohne Plastikbecher, sonst werde ich geköpft.

Studieren konnte Lasse nur durch Bafög, Studienkredit

und Nebenjobs. In den Landtag kam er über einen Listenplatz, fiel durch sein Engagement

im Asta und seine Bewerbungsrede auf.

Es reicht nicht gute Noten zu habe. Es reicht auch nicht fleißig zu sein, das ist völliger Quatsch.

Also diese Erzählung von 'Sei nur fleißig, reiß dich mal zusammen,

durch Anstrengung kriegst du's hin' - das ist

diese ganze Kontra K-Scheiße. 'Erfolg ist kein Glück, sondern das Ergebnis von Blut,

Schweiß und Tränen' und so. 'Jeder kann es schaffen'. Das ist so nicht, sondern, das

erzählen sich die, die Geld haben, um sich ihr eigenes Geld zu legitimieren. Weil sie

dann glauben sie seien fleißig, wenn man das umdreht, würde man sagen, all die Leute

die kein Geld haben sind nicht fleißig. Und das soll mal jemand einer Altenpflegerin erzählen.

Jeder dritte Deutsche glaubt übrigens, dass die vier Millionen Hartz 4-Empfänger in Deutschland

gar nicht arbeiten wollen, so eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach.

Nach jemanden der lieber harzt als zu arbeiten und uns das vor der Kamera erzählt habe ich

ein viertel Jahr lang gesucht, ohne Erfolg. Hier bin ich gerade in Halle und Jena unterwegs.

Sollen sie die Kanaken ansprechen.

Na komm raus, du. Komm. Aber Vorsicht.

Komm raus, komm. Na komm. Paule komm!

Roberto Büttner aus Jena hat sich auf meinen Aufruf hin gemeldet.

Hartzen findet der 57-jährige auch nicht super. Aber er will reden,

darüber was seiner Ansicht nach in Deutschland falsch läuft.

Es ist ne Frechheit Leute zu beschäftigen für 10,50 Euro. Die rennen und rennen und

rennen und machen und dann kriegste von oben. Jeder der was zu sagen hat... Gibt einem auf

... gibt einen auf den Deckel.

Da gibt's einen auf den Deckel.

Wären Sie eigentlich ganz froh, wenn Sie keinen Job mehr finden müssten?

Doch

Ja.

Ich möchte arbeiten.

Aber eben ordentlich bezahlt.

Ordentlich bezahlt! 15 Euro - angemessen.

Büttner ist gelernter Maurer, hat mehrfach umgeschult und mehr als 30 Jahre gearbeitet.

Zuletzt in einer Reinigungsfirma. Gerade ist er arbeitslos. Er wünscht sich mehr Hilfe

vom Jobcenter.

Bieten die Ihnen denn keine Jobs an, das Jobcenter Jena?

Jetzt, die Jobs die ich bekommen habe sind

brauchbare Jobs, aber ich muss warten. Das kann nicht sein, wenn gesagt wird 'dort werden

Leute gesucht' und man wartet acht Wochen. Es ist mindestens schon die achte Woche wo

ich warte auf Rückruf. Na da hat man irgendwann die Geduld auch verloren. Und dann sagt man

wisst ihr was? Ich bleibe zuhause.

Sich initiativ zu bewerben, mit Papierkram

und Computer - das läge ihm nicht. Auf dem Balkon erzählt mir Büttner wovor

er Angst hat. Thema Flüchtlinge.

Es kann nicht sein, dass wenn welche hier rüber,

hier nach Deutschland kommen, dass denen eine Wohnung zur Verfügung steht,

dass denen Gelder zur Verfügung stehen, vom Vater Staat. Wo noch nicht ein Finger krumm

gemacht worden ist von diesen Leuten und die bekommen aber Gelder.

Ab dem 15. Monat Aufenthalt in Deutschland erhält ein alleinstehender Asylbewerber maximal

354 Euro monatlich. 70 Euro weniger als ein alleinstehender Hartz 4-Empfänger.

Also Sie fühlen sich auch irgendwie ungerecht behandelt?

Ja.

Nicht nur ich allein. Mehrere. Und ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich bin froh, dass

ich hier viele Leute kenne, die im selben Boot sitzen wie ich. Und dass wir uns gegenseitig

untereinander mal aushelfen können. Ich habe Angst davor, dass irgendwann die Zeit wieder

da ist wie anno dazumal, dass man mit Lebensmittelmarken durch die Kante rennt.

Was wollen Sie?

Ich? Bockwurst

Bockwurst. Ja ich glaub das mach ich auch.

Auswärts essen sei bei Büttner nur einmal

im Monat drin. Dass er als Ostbürger immer noch schlechter verdient als seine Westkollegen,

macht ihn sauer.

Fühlen Sie sich denn als Bürger dieses Landes,

wenn Sie sich so gar nicht gehört vorkommen?

Freilich. Ich bin doch hier geboren worden.

Ich bin gebürtiger Deutscher. Nationalität deutsch. Ich stehe auf Deutschland!

Aber trotzdem haben Sie irgendwie kein Stück vom Kuchen abgekriegt.

Genau so ist es. Aber es ist so. Warum soll ich denn da sauer sein. Warum?

Man muss das Beste draus machen.

Wieder mal die gute alte Tugend, wenn das

Leben halt kacke ist.

Ich bin auch in Jena geboren und hab ganz

in der Nähe, in Rudolstadt, die ersten fünf Jahre meines

Lebens verbracht. Dahin bin ich gerade unterwegs. Wir haben da in der Platte gewohnt. Also das

war damals Neubausiedlung und fast schon Privileg für meine Eltern da einzuziehen, weil die

beide nicht verheiratet waren, ohne Kinder und da war es im Osten ganz schwierig eine

Wohnung zu bekommen. Jetzt würde mich mal interessieren, wie es jetzt so ist für die

Leute , die da wohnen.

Das ist das... richtig. Das ist das Haus in dem wir gewohnt haben.

Und schön hellblau angemalt.

Hier müsste es genau das sein. Das ist ähm...Küchenfenster,

daneben Badfenster und das war von meinen Eltern das Schlafzimmer.

Hallo.

Wohnen Sie schon länger in Rudolstadt?

Ich war mein Leben lang hier.

Ja?

Ja, also ich wohne jetzt hier in diesem Block dort in der Mitte oben. Aber ich hadere doch irgendwie

mit mir selbst, dass ich aus meinem Milieu, eben Plattenbau, nicht rausgekommen bin.

Vorm Kindergarten lande ich dann noch einen Zufallstreffer.

Ich hab hier nämlich früher gewohnt und bin hier in den Kindergarten gegangen.

Ehrlich? Ich war hier Erzieherin!

Echt?

Also Thiele, der Name ist mir ein Begriff.

Ist ja lustig.. Ja, das sind wir beide in

ein bisschen größer. Aber da sieht man nicht nmehr so viel.

Ach Gottchen, süß. Ich hab Glück gehabt,

ich war nicht einmal arbeitslos, immer im Kindergarten hier gewesen.

Wie viele Jahre haben Sie gearbeitet?

45!

45 Jahre. Darf ich fragen wie viel Sie Rente kriegen?

Öh, ne. Das sag ich lieber nicht.

Ne?

Ne.

Okay.

Übrigens: Das Klischee vom zurückgebliebenen

Ostdeutschen geht mir auf die Nerven. Armut gibt es im ganzen Land - und sie fühlt sich

überall gleich mies an. Zurück in Berlin Marzahn.

Hier werde ich gleich Kerstin treffen, sie muss aufstocken mit Hartz 4, hat aber dennoch

ein Auto, drei Hunde, zwei Katzen und ich hab mich gefragt wie das zusammen passt

und hab mich gleichzeitig bei dem Gedanken ertappt, ob jemand der vom Staat Zuschüsse bekommt,

überhaupt seinen eigenen Luxus haben darf.

Hallo!

Hi!

Na? Tachchen! Kalte Hand.

Kerstin, das ist die junge Frau vom Neujahrsmorgen. Die 30-Jährige lebt mit ihren zwei Kindern

und ihren Tieren auf 90 Quadratmetern im sechsten Stock.

Wolltest du jemals raus? In eine andere Stadt?

Ne.

Also alleine nur wenn ich mir die Mieten angucke.

Kann ich gar nicht. Will ich gar nicht. Weil, erstens hab ich

durchs Arbeitsamt ein Limit, das ich nur darf. Und zweitens, warum? Ich bin so wie es jetzt

ist ganz zufrieden. Ich hab alles vor der Tür. Ich brauche mich nicht großartige um irgendwas

kümmern. Und von daher, bin ich da tiefenentspannt.

Per Definition sind Kerstin und ihre Kinder arm.

Sie verdient als Bürokauffrau 990 Euro, stockt mit 109 Euro Hartz auf

- so wie über eine Million Menschen in Deutschland.

Ich hab mich selber bei der Frage ertappt,

darf man, wenn man halbwegs arm ist, darf man sich überhaupt nen gewissen Luxus leisten?

Ich nenne Luxus mein Eigenheim, das was ich mir gönne. Die Hunde, die Katzen, die Hasen

und die Mehrschweinchen. Dafür lege ich keinen großen Wert auf nagelneue Markenklamotten.

Kerstin Brandt: Meine Zahme geht ja. Mein kleines zahmes Mädchen, wa Schatzi?

Mein zahmes Mädchen, ne! Du bist ein zahmes Mädchen.

Kerstin bekommt mit 16 ihren Sohn. Seitdem bezieht sie Geld vom Staat.

Mit 18 trennt sie sich vom Vater des Kindes, zieht als alleinerziehende Mutter

in eine eigene Wohnung.

Hast du manchmal das Gefühl in irgendeiner Art und Weise zu schmarotzen,

Art und Weise zu schmarotzen, irgendwelche Regeln zu umgehen, zu sagen ich nehme alles

vom Staat was ich kann und das ist gut so, oder?

Jein. Es gibt, gab Zeiten, gerade was die Anfangszeit war, wo ich ausgezogen

bin bei meinen Eltern, da hab ich auch gesagt 'ja gut ok, wenn ich's kriege, krieg ich's'.

Davon abgesehen, was mir zusteht sowieso. Da bin ich rigoros. Man muss wissen wann und

man muss wissen wie. Viele wissen nicht was denen zusteht.

Kerstin beantragt alles was geht: zum Beispiel beim Jugendamt drei Wochen Sommerurlaub für

die Tochter oder neue Möbel. Ja, klar. 416 Euro ist nicht viel. Aber dafür hast du als

Hartz 4-Empfänger oder als Sozialhilfeempfänger genug Chancen um dir alles

Du brauchst keine GEZ bezahlen, die Miete wird vom Amt überwiesen,

das Stromgeld kann vom Amt überwiesen werden, wenn du es beantragst

wegen irgendwelcher Zahlungsschwierigkeiten und und und... Versicherung

kriegt man 30 Euro frei. Seit Anfang 2019 liegt der Hartz 4-Satz bei

424 Euro im Monat. Reicht das für Urlaub?

Warst du mit deinen Kindern?

Doch letztes Jahr... Einmal.

Einmal? Seitdem?

Seit 13 Jahren.

Wahnsinn.

Und auch so aus Deutschland raus oder?

Nein.

Ok.

Ihre Kinder sollen einen Hauptschulabschluss

und eine Ausbildung machen. Mehr sei nicht nötig. An Aufstieg durch Bildung scheint

Kerstin nicht zu glauben. In ihrem Leben zählt Fleiß.

Laut ist es auf der Baustelle von Thomas Kornetzki. Der 39-Jährige sucht händeringend nach fleißigen

Mitarbeitern.

Aktuell hat er drei Baustellen und ist bis in den Herbst ausgebucht.

Wir haben eigentlich immer was zu tun. Obwohl jetzt so, 2000 bis 2010 war so ein bisschen weniger.

Aber seitdem die Zinsen wieder unten sind haben wir eigentlich, sag ich mal,

immer mindestens sechs Leute zu wenig.

Kornetzki hat neun Angestellte. Gerade arbeitet er hier in Schwingen, nahe Hamburg,

an seiner Altersabsicherung, einem Haus zum Vermieten.

Das Haus daneben hat er auch gebaut. Da wohnt er mit seiner Frau.

Viel zu tun gibt‘s, aber kaum einer will noch auf dem Bau arbeiten.

So ein Maurer der hat, wenn er ausgelernt hat, vielleicht zwei Kinder, verheiratet ist,

vielleicht so 2200 Euro netto. Netto, ok.

Ist aber acht Stunden auf der Baustelle, hat eigentlich einen Tag von

mindestens zwölf Stunden. Viele auf dem Bau wechseln auch in die Industrie.

Ja.

Ja, das ist schon so.

Weil besserer Gehälter und weniger anstrengend?

Ja, weil immer den gleichen Weg, immer im Trockenen.

Airbus ist zum Beispiel in der Nähe, mit rund 16.000 Mitarbeitern.

Das Unternehmen würde um einiges mehr bezahlen.

Joa, da hängt schon einiges an der Wand.

Ja.

Kornetzki ist Handwerker mit Begeisterung. Seine Frau ist Bauzeichnerin.

Seit Jahren suchen die beiden einen Auszubildenden.

Das ist seit langem mal wieder eine richtig gute Bewerbung,

deswegen werden wir uns auf jeden Fall uns mit ihm auch zusammensetzen.

Wie viele bewerben sich denn auf so einen Ausbildungsplatz?

Das ist unterschiedlich. Also im Moment ist es wirklich wenig. Das war jetzt der Zweite,

der sich als Lehrling beworben hat.

Ok, wow.

Zu meiner Zeit, 96, da hatten wir zwei 30er Klassen.

Wann haben Sie den letzten Auszubildenden eingestellt?

2013\\. Die gehen dann lieber zu den größeren Betrieben. Obwohl ich das ja genau verkehrt finde.

Aber ja. Also hier lernen sie alles.

Die Menschen brauchen ja auch Leute, die Häuser bauen,

weil alle Handwerker werden gebraucht. Und das vergessen glaube ich viele.

Die meisten der wenigen Bewerber kommen mit Hauptschulabschluss. Manche ganz ohne Abschluss,

das ginge auch. Hauptsache handwerklich geschickt, gut in Mathe und der deutschen Sprache mächtig.

Liegt es wirklich nur am hart arbeiten oder ist auch einfach die Möglichkeit für Schüler

viel größer?

Ja, das studieren, das ist auch für mich

irgendwie so ne Sache, die ich nicht ganz verstehe. In meiner Klasse damals haben halt

irgendwie von 25 Leuten vier Abi gemacht oder so. Und irgendwie ist das heute eher umgekehrt.

Egal wo man sich in der Nachbarschaft umhört, irgendwie machen die alle Abi.einer

Auch mit einer vier, ist egal.

Und wenn sie es dann nicht schaffen sollten, dann überlegen sie es sich vielleicht doch nochmal

einen normalen Beruf zu erlernen, aber die meisten wollen doch studieren heutzutage.

Die wachsen ja auch ganz anders auf wie wir.

Bei uns war's damals so, von der Schule nach Hause, Hausaufgaben machen und

dann ab auf'n Sportplatz. Und möglichst von oben bis unten klitschnass und dreckig

nach Hause kommen. Das war so irgendwie. Wenn ich heute meinem Kind erzähle er soll mal

draußen spielen, dann nimmt er seinen Laptop mit auf die Terrasse

Ok, das wird nicht mit der Nachfolge.

Ne das wird nichts.

12 Uhr Mittagessen auf dem Bau.

Genau.

Find ich super.

Wir machen Mittag!

Und Sie beiden sind schon lang dabei?

Fünf Jahre hier.

Und Eike ist hier schon Mann der ersten Stunde.

Darf ich fragen wie viel Sie verdienen. Oder ist das doof?

Ja, ich verdiene 15,50 Euro in der Stunde.

Als Arbeitsmann, muss man dazu sagen.

Als Arbeits.... ja ich bin Handlanger, Bauhelfer.

Ok.

Ich bin ja nun kein Maurer.

Auf dem Bau ist man mit 18, 19 schon ziemlich weit oben.

Die Industrie zahlt deutlich mehr. Christian und ein Kollege werden übrigens einen Tag später kündigen.

Für einen besser bezahlten Job in einem großen Bauunternehmen.

Zwei weitere werden in ein paar Wochen gehen.

Richtig voll arbeitet man neun oder zehn Monate im Jahr. Die anderen beiden Monate sind halt

dann überbrücken mit Kurzarbeitergeld. An Tagen wo es friert oder man nicht arbeiten kann,

kriegt man an dem Tag halt nur 60 Prozent. Wir kennen viele Handwerker die kaputt sind,

die trotzdem mit 70 immer noch irgendwie rumpusseln und irgendwie versuchen noch ein bisschen

Geld zu kriegen. Und das ist natürlich ne große Sauerei eigentlich.

Was müsste sich denn ändern?

Naja, früher gab's Schlechtwettergeld zum Beispiel.

Was gab‘s?

Schlechtwettergeld. Dass die Zeit überbrückt worden ist, in der Zeit in der man nicht arbeiten konnte.

Und das wäre schon mal.... Wenn man 12 Monate das volle Gehalt hätte, das wäre

ja schon mal ein riesen Anreiz. Das müsste aber vom Staat unterstützt werden, weil das

schafft ne Baufirma allein nicht, die kann das nicht.

Die Industrie hat da mehr Macht, mehr Geld.

Mittlerweile hat Kornetzki drei neue Mitarbeiter finden können. Und einen Azubi in spe!

Könnten sich Ihre Bauarbeiter auch ein Haus leisten?

Mal kurz überlegen wer eigentlich eines hat.

Einer hat eins.

Ein Mitarbeiter hat eins.

Von? Acht.

Ja.

Der Grund: Wer - wie auf dem Bau üblich - nicht zwölf Monate am Stück arbeitet,

sei für Banken kaum kreditwürdig.

Kerstin hat Papier geladen, das sie hier auf dem Wertstoffhof zu Geld machen will.

Einfach alles hier rein, ne? Ok.

Wo hast‘n das alles her?

Also die Kataloge, vieles hab ich von meiner Firma gekriegt, auch Papier auch vieles von denen

und von mir zu Hause ein bisschen Rest. Aber ansonsten ist vieles von der Firma.

147 Kilo. 146,5, 147.

15 Euro gibt's. Elf Kilometer sind wir dafür gefahren.

Ihr Auto braucht Kerstin übrigens um jeden Tag zu ihrer Arbeit zu fahren,

bis nach Brandenburg und zurück.

Nach der Geburt ihres Sohnes hat sie die mittlere Reife nachgeholt

und zwei Ausbildungen abgeschlossen.

Wenn du nicht arbeiten würdest und nur von Hartz 4 leben würdest,

wäre das so ein großartiger Unterschied?

Zu dem was jetzt ist ja. Das sind knapp 200 Euro mehr.

Mit arbeiten gehen?

Mit arbeiten gehen.

200 Euro.

Ja.

Und das ist Anreiz genug zu sagen, ich geh da fünf Tage die Woche hin anstelle fünf

Tage die Woche lang Zeit zu haben.

Eigentlich nicht. Mir macht's aber Spaß.

Okay.

Bei mir ist der Spaß im Vordergrund und die Kollegen und ich bin mal von zu Hause raus,

mir fällt nicht die Decke auf den Kopf.

Lindsay Tomate dazu?

Ja.

Wie heißt das?

Ja bitte.

Christian Tomate?

Ja bitte.

Wie viel hast du gerade auf dem Konto?

Auf dem einen sind es ein Euro plus.

Und auf dem anderen sind's 60 minus.

Ui. Und wann gleicht sich das wieder aus?

Ende der Woche.

Aber so Gespartes, haste?

Ja, ich hab ein paar Sparkonten.

Ok, und was ist da so maximal drauf?

Naja, jetzt zur Zeit sind's 15 Euro, 16 Euro.

Aber ab März wird dann jeden Monat so 50 Euro draufgezahlt.

Vom Gesparten will Kerstin im Sommer mit den Kindern zu ihrer Schwester

nach Süddeutschland fahren.

Noch nie aus Deutschland rausgekommen zu sein, nix auf der hohen Kante zu haben und das trotz

Maloche jeden Tag. Das find ich echt hart. Und klar, es gibt immer Menschen denen es

noch schlechter geht. Aber ey, das ist doch kein Argument.

Ich hab was mitgebracht, was zum Frühstücken, so was Kleines.

Das ist nett.

Das hier hat jetzt 3,75 Euro gekostet.

Da hätte ich jetzt - würde ich Hartz 4 beziehen - noch 1,10 Euro übrig.

So ist es.

Zum Essen heute.

Genau.

Nicht so wahnsinnig viel.

Nö. Hält sich in Grenzen. Has its limits.

4,85 Euro – das ist der Tagessatz für Essen und Trinken. Der wurde Ralph Boes wie sein

gesamter Hartz 4-Satz 34 Monate komplett gestrichen. Seit 2011 macht Boes keinen „normalen“

Job mehr. Seine Berufung: Hartz 4 muss weg!

Seine Wohnung gleicht eher einem Büro. Boes ist Hartz 4 Empfänger im Widerstand. Boes is a Hartz 4 recipient in the resistance.

Ich bin Weltmeister in Sanktionen?

Wie viele haben Sie schon?

Da habe ich ein schönes Bild, das ist jetzt nur aus einem Zyklus.

Da sieht man immer, das ist das Jahr. Hier ist die Höhe der Sanktionen eingetragen.

30, 60, 100. Und dann sieht man immer die Sanktionen wie die laufen.

Die laufen immer über drei Monate. So und hier sieht man wie die sich zuziehen,

wie gewissermaßen die ganzen Jahre, eins, zwei drei Jahre, ich ausschließlich Sanktionen erhalten habe.

Erst ein bisschen und dann immer mehr.

Und da sogar Sanktionen, die sich überlappen. Das sind 200 Prozent Sanktionen.

Jede dieser Sanktionen wollte Boes bekommen.

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht Hartz 4 zu kippen.

Ich kriege zum Beispiel einen Job beim Callcenter angeboten. Dann sag ich 'ich würd das unheimlich

gern machen. Mein Problem ist ich bin vollbeschäftigt. Meine Arbeit ist Sie abzuschaffen, Jobcenter.

Sie sind eine verfassungswidrige Organisation. Wenn Sie nicht so sturköpfig wären, wär

ich längst frei für den Job. Aber ich hab leider die Zeit nicht.' Und dann krieg ich

eine sichere Sanktion.

Boes hat jede Sanktion provoziert,

um ein Mittel zu haben durch die Klagen vors Bundesverfassungsgericht zu kommen.

16, 17, 18, 19. Allein das sind 19 Sanktionen, die Sie 19 mal beklagt haben.

Genau.

Das geht dann jetzt in die nächste Instanz.

Und die weißen sind Verfassungsklagen.

In der Zeit seiner Vollsanktionierung hat eine Bürgerinitiative Geld für Miete und

Krankenkasse für Boes gesammelt.

Ich hab gesagt das Gesetz ist verfassungswidrig

und darauf sind sie nie eingegangen. Nicht ein einziges Mal. Ich wurde immer nur sanktioniert.

Können Sie da mal ein Beispiel nennen?

Ich bekomme eine...

Ich habe eine 100 Prozent Sanktion, kein Geld für Essen, Wohnung und Krankenkasse

und soll in dieser Zeit mich bewerben und die Kosten für die Bewerbung vorstrecken.

Jeder normale Mensch sieht, dass das nicht geht.

Ich bekomme die Sanktion. Halt, Moment, ich sage das dem Jobcenter und sage 'es geht irgendwie nicht.'

Dann sagt das Jobcenter 'Die Zumutbarkeit einer Verpflichtung

scheitert nicht an einer fehlenden Eigenleistungsfähigkeit.'

Also wenn der Walfisch nicht fliegen kann, er muss. Sonst wird er sanktioniert und erschossen.

Also so ungefähr. Also dass ich kein Geld habe dafür, ist kein Grund es nicht zu tun.

Wer mit seiner Klage gegen eine ungerechtfertigte Sanktion Erfolg hat,

bekommt den Betrag zwar später wieder, hat jedoch bis dahin kaum

bis kein Geld zu Verfügung.

Und wie kommen Sie dann um die Runden? Ich meine, Sie müssen ja am Ende auch essen

und trinken, sich mal ne Klamotte kaufen.

Genau.

Im Moment krieg ich Hartz 4 wieder. Aber normalerweise wär ich tot.

Was meinen Sie damit?

Drei Jahre kein Geld für Essen, Wohnung und Krankenkasse...

So sah ich vorher aus und drei Monate später so.

In über drei Monaten Vollsanktion hat Boes nichts gegessen. Aus Protest.

Wenn einen Hartz 4 einfach so trifft und bis man wirklich klagen kann, da ist nicht jeder

drauf trainiert. Aber von denen, die klagen, gewinnt fast die Hälfte.

Das heißt es sind alles Sanktionen durchlitten, die nicht berechtigt waren.

Das ist ne Ungeheuerlichkeit.

Und es wird verschwiegen in der großen Öffentlichkeit.

Das steht übrigens auch in den offiziellen Zahlen der Arbeitsagentur.

Boes Verfahren zur Verfassungswidrigkeit der Sanktionen haben einem anderen Kläger

den Weg zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eröffnet.

Hier geht es um die Frage ob Leistungskürzungen das Grundgesetz verletzen.

Genauer gesagt: Das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.

Im letzten Jahr verhängte das Jobcenter rund 900.000 Sanktionen.

Ich treffe hier Inge Hannemann. Sie hat über acht Jahre im Jobcenter gearbeitet

und ist nach ihrem Burnout als erste Frau mit Namen und Gesicht an die Öffentlichkeit gegangen,

um über Missstände im Jobcenter zu berichten.

Das ist ja auch von Beginn an meine Kritik, dieses Controlling System, das ist ein Zahlenfetischismus.

Im Grunde genommen waren 50 Prozent tatsächlich Zahlen abarbeiten in Form von Excel Listen.

Die beinhalteten, der und der war zu wenig in den sogenannten Kundengesprächen,

der hat keine Eingliederungsvereinbarung, hier gibt's zu wenig Vermittlungsvorschläge.

Da gibt's ja immer vorgegebene Quoten. Also man kann fast pauschal sagen,

immer um die 80 Prozent, was man erreichen muss

und dann muss ich natürlich diese Eingliederungsvereinbarungin Massen rausschicken,

ob ich die Person gesehen haben oder nicht.

Dann muss ich Vermittlungsvorschläge in Massen raushauen, ob ich die Person kenne

oder nicht und davon müssen wir natürlich weg. Ich kann niemals eine Sozialarbeit,

das ist ja Sozialarbeit oder die Arbeit mit den Menschen an Zahlen ausrichten.

Das kann nur schief gehen.

Was hat Sie denn am meisten geärgert?

Diese Hilflosigkeit der Betroffenen und die Machtwillkür von Kolleginnen und Kollegen,

die ich einfach live erlebt habe und dieses zum Teil sehr, sehr negative Sprechen.

Also unwahrscheinlich herabwürdigend hinter den Türen.

Häufig würden Quereinsteiger im Jobcenter arbeiten. Als ersten bekämen die eine Schulung

wie man richtig sanktioniert.

Ich hab natürlich die Menschen gehabt, die

sagen 'es ist wunderbar zu hartzen.' Ja, so nennen die das ja häufig.

Aber, wenn ich dann mit denen so ein Viertel Jahr gesprochen habe,

dann steckten dahinter Blockierungen. Also Blockierungen: 'Ich habe Angst im Arbeitsmarkt

nicht mehr zu genügen. Ich habe Angst zu versagen.'

Und die die ich hatte, diese wirklich Totalverweigerer, das waren – ich schätze – drei Prozent.

Ja, was interessieren die mich. Das muss eine Gesellschaft aushalten.

Und Menschen mit Alkohol- und Drogensucht, die bisher auch vom Jobcenter versorgt würden,

bräuchten erstmal eine Betreuung durch Suchtmediziner und Psychologen.

Aus Ihrer eigenen Erfahrung, bringen die Sanktionen was? Kommen die bei den Leuten an?

Motivieren die die?

Nein.

Also sie motivieren in dem Sinne, dass es natürlich in Arbeit bringen kann,

weil sie keine weiteren Sanktionen haben wollen. Aber was bringt das, wenn ich sie kurzfristig

in Arbeit hab und die schaffen die Arbeit gar nicht. Ziel muss doch sein, dass ich im

Grunde genommen erarbeite, was ist möglich, was will ich, was bring ich mit, was bring

ich nicht mit und was muss ich mir noch erarbeiten.

Ralph Boes hat unter anderem Philosophie studiert. Er war Manager, Ergotherapeut und Sterbebegleiter.

War danach nicht wieder vorstellbar für Sie so einen "normalen"Job zu machen?

Ich bin vollbeschäftigt seitdem.

Wenn Sie sagen Sie sind vollbeschäftigt, das kann man glaube ich ganz schwer greifen.

Können Sie mir da ein bisschen was erzählen?

Wir haben viele parallele Projekte.

Also es sind so Sachen, das ist einem gar nicht so klar. Ralph steht morgens auf,

meistens schon um fünf.

Diana Aman arbeitet mit Boes zusammen, gemeinsam gegen Hartz 4.

Sie hat das Interview bisher im Hintergrund verfolgt.

Und dann werden die Webseiten gepflegt, dann muss Öffentlichkeitsarbeit gemacht werden,

dann müssen Briefe geschrieben werden, weil irgendwer wieder irgendwas wissen muss.

Dann werden Artikel geschrieben. Oder jemand kommt rein und hat wieder ein Problem mit dem Hartz 4 -Amt.

Diese Klagen schreiben, das ist ja ein riesen Act.

Ärgert Sie das, dass das so nach außen nie so richtig durch kommt?

Weil das fragt man sich natürlich, was macht er denn da?

Nein, ärgern nicht. Ich find es nur wahnsinnig schade.

Weil genau diejenigen, die am meisten unter Hartz 4 leiden,

sich dessen gar nicht bewusst sind.

Das sind diejenigen, die selber im Niedriglohnsektor sind.

Und dann aber auf Menschen schimpfen, also Hartz 4ler schimpfen,

weil sie sagen 'Oh Gott, ich muss hier ständig arbeiten.

Ich verdien ja nur so wenig und ich muss jeden Tag aufstehen, damit die faulen Säcke

da irgendwie auch noch was zu fressen haben.' Da ist das ne wahnsinnige Frustration da,

weil die Leute sind so überfordert.

Also aber in Hartz geht's nicht darum die Menschen in die Arbeit zu bringen.

Sondern es geht darum sie in den Niedriglohnsektor zu bringen

und das ist eine völlig andere Nummer.

Und da geht es gegen die Interessen der Menschen und dafür sind die Sanktionen da.

Wenn du nicht mitmachst, kriegst du alles entzogen.

Naja, eine neue Art von Lohnsklaverei. Und das ist verfassungswidrig.

Verfassungsgemäß wäre eine Umwelt zu schaffen, in der die Leute gern arbeiten gehen,

weil die Löhne stimmen.

Hartz 4-Empfänger, die kein soziales Netz wie Ralph Boes haben,

Menschen die psychisch krank werden oder aus anderen Gründen

keine Leistungen mehr vom Amt beziehen, haben ein hohes Risiko ganz aus dem System zu fallen

und auf der Straße zu landen.

In Berlin sind diese Bilder alltäglich. Und es macht mich jeden Tag auf neue fertig das zu sehen.

Lasse Petersdotter treffe ich nochmal in Berlin wieder, im Bundestag.

Wir gehen ne Runde an die Luft.

Hinter uns steht's: Dem Deutschen Volke. Nur werden die Anliegen armer und reicher

Menschen gleichermaßen gehört?

Wenn es so wäre, dass man die Entscheidungen nach den Ärmeren ausgerichtet hätte,

dann würde es denen heute besser gehen. Und das ist nicht der Fall.

Arme Menschen haben auch vermutlich einfach zu wenig Geld um sich eine Lobby zu leisten?

Ja, und haben auch nicht die Kraft unbedingt

um sich eine Lobby aufzubauen, selbstorganisiert aufzubauen, weil man eben ganz viele andere

Probleme hat, die einen daran hindern.

Profitieren arme Menschen denn eigentlich von der aktuellen Politik?

Während des letzten Booms, vor der Finanzkrise, hieß es auch immer 'jetzt sind bald die fetten Jahre vorbei.'

Und die meisten haben sich gedacht: 'welche fetten Jahre denn eigentlich?'

Jetzt ist das genau die gleiche Situation. Das sind fette Jahre nicht für die ärmeren Menschen.

Die Löhne sind zwar gestiegen, meinetwegen, aber marginal im Verhältnis z.B. dazu

was man am Kapitalmarkt verdienen kann.

Damit ich aber in Aktien investieren kann, brauch ich erstmal Geld,

das ich da reinstecken kann. Das fehlt ja schon. Das ist wahnsinnig frustrierend,

weil man merkt, da läuft irgendwie eine Entwicklung,

die an der Lebensrealität der allermeisten Menschen vorbei geht

und die profitieren von dieser wirtschaftlichen Entwicklung null.

Kein finanzielles Polster für sich und ihre Kinder zu haben ist für Kerstin normal.

Daran etwas zu ändern scheint in ihrem Leben unmöglich.

Fast 60 Prozent der Geringverdiener bleiben bleiben für immer arm.

Gehst du eigentlich wählen, Kerstin?

Nein.

Nein?

Nein.

Was ist das?

Sich für Politik interessieren und mitentscheiden.

Es wird doch aber nicht so wie ich es gerne haben möchte, das funktioniert doch nicht.

Die sollten sich mal in den kleinen Mann versetzen, der arbeiten geht,

sich dafür Steuern buckelig arbeitet, Steuern zahlt,

keinen Chauffeur hat, keine Luxuslimousine hat, nicht von A nach B gefahren wird und nicht

25.000 pro Tag kriegt.

Zurück dahin, wo der Film begann. Neujahr.

Für Kerstin ist es ein Morgen wie jeder andere – kein Neubeginn. Auch am nächsten Neujahrsmorgen

wird sie wohl wieder Flaschen sammeln.

Eins ist mir bei den Dreharbeiten nochmal klargeworden. Ich hab' Glück gehabt im Leben.

Da wo ich heute bin, dafür kann ich nur bedingt etwas.

In meine Familie bin ich reingeboren. Was bringt die Zukunft in Sachen Arbeit, Lohn

und Chancengleichheit? Vielleicht sollten wir in Deutschland mehr

über Ideen wie das bedingungslose Grundeinkommen oder zumindest eine neue Umverteilung von

Sozialleistungen diskutieren.

Und einen Mindestlohn anbieten, für den es sich auch lohnt zu arbeiten.

Denn die meisten Menschen wollen arbeiten.