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2021 ZDF Sendung, Frontal 21 vom 23.02.2021 - Zu wenig Tests, Kaum Ökostrom, Lukaschenkos Autragsmorde, Zwangsarbeit in DDR

Frontal 21 vom 23.02.2021 - Zu wenig Tests, Kaum Ökostrom, Lukaschenkos Autragsmorde, Zwangsarbeit in DDR

Guten Abend bei Frontal 21.

Die Mutanten kommen - oder im Epidemiologen-Deutsch gesagt:

Es droht eine dritte Welle, weil der Anteil der Virusvarianten

bei den positiv Getesteten exponentiell ansteigt.

Die Bundesregierung macht deswegen Grenzen dicht,

aber reichlich spät und auch nicht überall.

Außerdem sollen Schnelltests her.

Jens Spahn hatte sie vollmundig für Anfang März versprochen,

kostenlos für alle.

Aber auch da klemmt es.

Armin Coerper und Anna Feist mit einem Lage-

nein, mit einem Lückenbericht.

Hilf dir selbst, wenn es sonst keiner tut,

haben sie sich in Bad Kreuznach gesagt:

Schnelltests in ersten Schulen und Kindergärten.

Weil die Bundesregierung nicht handelt,

übernimmt eine Kreisverwaltung in Rheinland-Pfalz.

Man kann nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag warten.

Wir müssen jetzt handeln.

Wir müssen jetzt was tun.

Weil noch ein Lockdown, denke ich, können wir nicht mehr verkraften.

In drei Wochen ist Zwischenprüfung

für die Elektroniker im zweiten Ausbildungsjahr.

Neun Schüler sind es heute hier im Wechselunterricht,

frisch getestet im Klassenzimmer.

Es geht um ihre Zukunft und ihre Sicherheit.

Ich finde es auf jeden Fall sehr gut, dass wir momentan wenigstens

jetzt vor der Prüfungsvorbereitung in die Schule gehen können.

Man kann die Infektionskette ein bisschen unterbrechen

und dadurch auch wieder ein bisschen Normalität reinbekommen.

10.000 Tests hat der Landkreis erstmal bezahlt.

Zweimal die Woche sollen sich hier nun 1000 Erzieher, Lehrer

und Schüler selbst testen.

Ein Modell für ganz Deutschland?

Ich wünsche mir für alle anderen Schulen, dass das auch der Fall ist,

weil das momentan angesichts der Mutationen dringend notwendig ist,

hier Initiative zu ergreifen, tätig zu werden.

Initiative hat die Bundesregierung woanders ergriffen,

die Grenzen zu Tschechien und Österreich vor allem nach Tirol

werden streng kontrolliert.

Wegen der Mutanten, die allerdings längst in Deutschland sind.

Auch im französischen Departement Moselle die Zahlen alarmierend:

Mutationen aus Brasilien und Südafrika

sollen 40 % der Infektionen ausmachen.

Noch ist die Grenze offen.

Noch baut die Firma Kettler täglich an der Grenze Fahrräder und E-Bikes.

Mehr als die Hälfte der 160 Mitarbeiter

pendeln täglich zwischen Frankreich und Deutschland.

Wir haben im Moment noch Glück,

wir hatten auch in den letzten zwölf Monaten Glück gehabt.

Wir haben es immer geschafft, unsere Produktion aufrechtzuerhalten,

auch nur in Teilen.

Aber wenn das so wäre wie in Tschechien oder Tirol,

habe ich da wirklich Angst vor,

dass wir das hier nicht aufrechterhalten könnten.

In der Belegschaft trifft die Angst vor wirtschaftlichen Folgen

auf die vor der Pandemie.

Der Franzose Michel Adamovic wünscht sich mehr Konsequenz.

Ich denke,

man hätte die Grenze schon im letzten Jahr schließen müssen.

Wirklich dicht machen, jedes Land für sich.

Das wäre besser, als es jetzt ist mit den Mutationen.

Jetzt kommt der Frühling, die Sonne,

die Leute werden nicht drinnen bleiben.

Bienvenue – Willkommen, steht da geschrieben.

Die Brücke der Freundschaft zwischen dem Saarland

und dem Departement Moselle verbindet Völker.

Jetzt könnte die Politik die Brücke einnehmen,

Mutantenausschluss durch Schließung.

Wenn wir über Grenzschließungen reden, müssen wir eins feststellen:

Deutschland hat es in sechs Monaten EU-Ratspräsidentschaft

nicht geschafft, ein einziges Mal das Thema Maßnahmenharmonisierung

in Europa auf die Tagesordnung zu setzen und dafür zu sorgen,

dass Europa gemeinsam mit einem Plan handelt.

Janosch Dahmen ist erst seit November im deutschen Bundestag.

Bis dahin hat er als Notarzt täglich das Leid gesehen,

das Corona anrichtet.

Dass die Bundesregierung dem Virus nach einem Jahr Pandemie

noch immer hinterherhinkt, das kann er als Arzt kaum aushalten.

In den letzten zwölf Wochen sind über 30.000 Menschen gestorben

und jeder von diesen Menschen hätte weiterleben wollen.

Und hinter dem stehen Familien, die gewollt hätten,

dass diese Menschen weiterleben.

Und wer dieses Leid erlebt hat und erlebt hat, was es bedeutet,

wenn so ein Leben verlorengeht, der will und kann nicht akzeptieren,

dass wir so viele Fehler machen, dass wir so zögerlich sind,

dass wir den Dingen so hinterherlaufen.

Auch den Mutationen.

Die sollen laut Bundesregierung bereits fast 30 % ausmachen,

doch erst vier Monate nach Auftreten der "Britischen Mutante"

hat man in Deutschland begonnen, die Proben genauer zu untersuchen.

Wir hängen drastisch hinterher beim Sequenzieren

im Vergleich zu Ländern wie Dänemark oder Großbritannien.

Und es ist praktisch ein Blindflug und wir wissen nicht, was passiert.

Derweil geht den Deutschen nach sechzehn Wochen Shutdown

die Puste aus.

Mit den Mutanten droht die dritte Welle, doch die Wirtschaft ächzt,

viele Menschen sehnen sich nach Lockerungen.

Und der Bundesgesundheitsminister setzt auf ein Mittel,

das kein neues ist.

Schon im Juni 2020, als die Infektionszahlen niedrig sind,

will Spahn das Virus mit Tests aufhalten.

Die sind damals rar.

Als die Zahlen steigen, vom Minister: trotzdem Erfolgsmeldungen.

Wir haben eine funktionierende und sehr erfolgreiche Teststrategie.

Im Herbst beginnt die zweite Welle, und der Minister hat eine neue Idee.

Jetzt sollen Schnelltests die Pandemie zurückdrängen.

Ziel ist, dass Anfang Oktober das Rahmenwerk steht für Testen,

für die Teststrategie, welche Tests bei wem, wann, wo, wie

angezeigt sind.

Doch damit kann Spahn die zweite Welle nicht aufhalten.

Tests bleiben Mangelware.

Trotzdem wieder große Ankündigungen:

ab März Schnelltests für alle.

Diese Tests können uns helfen, einen sichereren Weg zu gehen,

gerade auch bei Schulen und Kitas.

Doch Mitte Februar sieht die Bilanz dürftig aus:

Europaweit wird in Zypern und Österreich am meisten getestet,

auch Frankreich liegt im vorderen Drittel.

Deutschland auf Platz 22, zwischen der Slowakei und Ungarn.

Nachfrage bei Jens Spahn in der Bundespressekonferenz.

Herr Minister, Sie haben Ihre Teststrategie

immer wieder angepasst.

Das Ergebnis ist, dass es so schlecht läuft,

dass wir Anfang Februar im europäischen Vergleich

auf Platz 22 von 27 liegen.

Wie erklären Sie das?

Also, zum Ersten: Da müssen wir uns miteinander dran gewöhnen,

wir werden immer wieder Dinge anpassen müssen,

weil sich die Lage verändert.

Wenn wir diesen Schritt, den wir jetzt gehen wollen,

im November gegangen wären, dann wäre nach zwei Tagen spätestens

breite Enttäuschung da, weil nirgends mehr ein Test verfügbar.

Wenn überhaupt zwei Tage durchgehalten worden wäre.

Deswegen geht das nur Schritt für Schritt nach der Verfügbarkeit.

Wieder hat Spahn angekündigt, was er nicht halten kann.

Tests für alle sind weiter nicht verfügbar.

Und so kassiert das Kanzleramt Spahns Teststrategie:

der Regierungssprecher mit Erklärungsversuchen.

Es stellen sich da eine ganze Reihe von wichtigen Fragen,

deswegen ist dieses Thema auch am 3. März auf der Tagesordnung,

wenn Bundesregierung und Länder wieder miteinander beraten.

Wer jetzt Hoffnung weckt, um sie sodann bitterlich zu enttäuschen,

verspielt das Vertrauen der Menschen.

Und das Vertrauen zerrinnt der Bundesregierung im Moment ohnehin

wie Sand zwischen den gespreizten Fingern.

Zurück in die Schule.

In Bad Kreuznach stehen getestete Lehrkräfte vor getesteten Schülern,

eine Seltenheit.

Warum Tests nicht im wochenlangen Lockdown

für ganz Deutschland organisiert wurden,

das bleibt eine von vielen Fragen.

So wie die, warum die Bundesregierung dem Virus

seit einem Jahr hinterher hinkt.

Raus in die Natur:

Die Sehnsucht der Menschen, sich von frischer Luft

den pandemiemüden Kopf durchpusten zu lassen, ist groß.

So groß, dass auch an diesem Wochenende

Massen draußen unterwegs waren und dabei erlebten,

wie eng die Natur geworden ist.

Ihr mehr Raum zu geben und sie zu schützen,

das hatte sich die Bundesregierung bereits 2007 vorgenommen.

Zwei Prozent der Fläche Deutschlands

sollten unberührte Wildnis bleiben oder werden.

Natur pur, ohne menschliche Bewirtschaftung.

Nur zwei Prozent - und was ist daraus geworden?

Jörg Göbel und Güven Purtul über ein politisches Versprechen

und seine wahre Natur.

Unberührte Natur, sich selbst überlassen.

Ohne dass die Forstwirtschaft stört.

Wildnis.

Davon braucht Deutschland mehr.

So will es die Bundesregierung.

Wir müssen Schutzgebiete ausweiten, wir müssen Ökosysteme renaturieren.

Mit wir meine ich alle Staaten.

Ein Appell an die Welt, doch was gilt für Deutschland?

Mecklenburg-Vorpommern. In den Wäldern bei Feldberg.

Unterwegs mit Förster und Buchautor Peter Wohlleben.

Gemeinsam mit dem Biologen Pierre Ibisch

inspiziert er einen Wald mit alten Buchen. Wirtschaft statt Wildnis.

Das macht überhaupt keinen Sinn.

Alte Buchenwälder gibt's in dieser Qualität, wie die mal waren,

nur noch im Promillebereich.

Holz ist ein toller Rohstoff, gar keine Frage,

aber wir nutzen zu viel

und wir verramschen unser ökologisches Tafelsilber.

Das liegt jetzt hier am Weg kleingeschnitten

und offensichtlich mag's keiner haben,

hier wachsen nämlich schon die Pilze.

Der Wald hier ein Schutzgebiet, ein sog. Fauna-Flora-Habitat.

Lebensraum für streng geschützte Arten.

Trotzdem ist Forstwirtschaft erlaubt.

Die Folge hier: kein geschlossenes Kronendach mehr,

weil alte Bäume gefällt wurden.

Ja, man hat hier 'ne alte Buche abgeschlagen, was sieht man hier?

Wie Sie sehen, sehen Sie nichts,

außer eben hier so 'ne kaputte Douglasie.

Und dieser Boden hier, man sieht ja das Dunkle, das ist Humus,

der verbrät jetzt in der Sonne,

da gasen gigantische Mengen an Kohlenstoff aus, also Kohlendioxid.

Wenn das hier veratmet wird von Bakterien und Pilzen,

also das hier ist ein Beitrag zum Klimawandel,

aber leider ein negativer.

Auf Nachfrage attestiert das Umweltministerium

von Mecklenburg-Vorpommern

dem Schutzgebiet einen “günstigen Erhaltungszustand“.

Der Wald sei durch das Fällen von Bäumen nicht zerstört,

sondern verjüngt worden.

Auch die Holzstapel seien inzwischen weitgehend abtransportiert.

Wohlleben und Ibisch gehen nur rund 100 m weiter

in die "Heiligen Hallen", ein Totalreservat, Wildnis.

Hier ruht die Forstwirtschaft seit 150 Jahren.

Die Buchen bis zu 300 Jahre alt.

Das Kronendach dicht und geschlossen.

Stürme haben hier nicht so viel Schaden angerichtet

wie außerhalb im forstwirtschaftlich genutzten Schutzgebiet.

Im Rahmen unserer Forschung haben wir dann natürlich auch festgestellt

just in diesen extremen Jahren, 2018, 2019, wie sehr die Buchen

außerhalb anfangen zu leiden und absterben durch die Hitze

und durch die Trockenheit.

Da erkennen wir genau die Wirkung, die das ausmacht,

wenn ein Wald sich selbst überlassen bleibt, sich selbst regulieren kann,

sich selbst ein Mikroklima schafft.

Eine Infotafel zeigt es: Innerhalb des Schutzgebiets macht die Wildnis

der "Heiligen Hallen" gerade mal 66 Hektar aus.

Für die Waldexperten zu wenig.

Größe ist deshalb so wichtig,

weil ökologische Systeme Platz brauchen, um sich auszuregulieren.

Einfaches Beispiel: So 'ne pisselige Wildkatze

braucht schon bis zu zehn Quadratkilometer.

Ein Tier und für 'ne lebensfähige Population brauchen Sie 400 Tiere.

Wo sollen die leben?

Und so geht es ganz, ganz vielen Arten,

die brauchen große zusammenhängende Räume, die geben wir denen nicht,

das sind eigentlich nur die Krümel, die übrig bleiben.

Die EU will mehr als Krümel:

10 % Schutzgebiete ohne wirtschaftliche Nutzung.

Die Bundesregierung ist bescheidener:

Bis 2020 sollten 2 % des Landes zu Wildnis werden.

Gemeint sind damit laut Bundesamt für Naturschutz:

Wildnisgebiete sollen in der Regel mindestens 1.000 Hektar groß sein.

Frontal 21 fragte bei den Bundesländern nach. Ergebnis:

Vom Ziel 2 % Wildnis ist Deutschland weit entfernt.

Bis heute sind es insgesamt gerade mal 0,6 %.

Das größte Flächenland Bayern wollte keine Angaben machen,

also haben wir selbst nachgerechnet.

Mit den Kernzonen der Nationalparks Bayerischer Wald und Berchtesgaden

kommt der Freistaat nur auf 0,45 %.

Kürzlich hat das Land

den Schutz für einige weitere große Waldgebiete beschlossen.

Damit kommt Bayern auf 0,63 % Wildnis.

Zu wenig, meinen Naturschützer.

Einen weiteren Nationalpark im Steigerwald

fordert Ralf Straußberger.

Vor allem wegen der wertvollen Wildnis alter Buchenwälder.

Es kommen auch viele Leute zu Besuch, die sich diese Naturwunder

anschauen, wenn eben Wälder, Bäume mal alt werden dürfen.

200-300 Jahre, also ein Baum nicht nur so dünn,

sondern richtig mal 1,50 m dick,

solche Buchen hat man in normalen Wirtschaftswäldern nicht.

Auch die grüne Opposition in Bayern fordert einen dritten Nationalpark.

Doch wie sieht es dort aus, wo die Grünen mitregieren?

Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg

schneiden bei Wildnisgebieten schlechter ab als Bayern.

Schlusslicht ist mit Nordrhein-Westfalen

das Flächenland mit der höchsten Bevölkerungsdichte.

Doch kein einziges Bundesland erreicht das Minimalziel von 2 %.

Nicht mal Mecklenburg-Vorpommern mit seinen großen Nationalparks.

Viel bessere Zahlen meldet Schleswig-Holstein:

Das Land bescheinigt sich 1,9 % Wildnis.

Zurecht?

Die Hahnheide.

Eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete in Schleswig-Holstein.

Naturschützer kritisieren, dass die Landesregierung

schon Flächen ab 50 Hektar als Wildnisgebiete bezeichnet.

Und so seine Statistik schönrechnet.

Das ist mehr oder weniger abstrus,

weil der ganze Sinn von Wildnis- gebieten wird damit ja verkehrt.

Wildnisgebiete sind ja nur dann wertvoll,

wenn sie 'ne gewisse Größe haben,

damit die Dynamiken auch darin stattfinden können.

Die 1,9 % von Schleswig-Holstein schrumpfen auf nur noch 0,49,

legt man die gleichen Maßstäbe an wie bei den anderen Bundesländern.

Der grüne Umweltminister Jan Philipp Albrecht bei einer Baumpflanzaktion.

Schriftlich lässt er mitteilen, es gebe in Schleswig-Holstein

keine ausreichend großen Waldgebiete für Wildnis.

Deshalb fühlt sich das Land

nicht an die Mindestgröße von 1.000 Hektar gebunden.

Dabei würde das Schutzgebiet Hahnheide

alle Anforderungen an eine Wildnis erfüllen:

Es ist 1.400 Hektar groß und gehört der Allgemeinheit.

Doch offenbar sind der Landesregierung

die Einnahmen aus der Forstwirtschaft

wichtiger als die eigenen Ziele in Sachen Biodiversität.

Auf Anfrage teilt das Umweltministerium mit:

Es gibt ein Verfassungsgerichtsurteil, das sagt,

öffentliche Wälder dürfen den erwerbswirtschaftlichen Charakter

nicht an erste Stelle stellen, sondern müssen immer die Erhaltung

der Natur und die Daseinsvorsorge an erste Stelle stellen.

D.h. die wissen im Ministerium nicht, wie die Gesetzeslage ist.

Wir müssen Schutzgebiete ausweiten, wir müssen Ökosysteme renaturieren.

Mit wir meine ich alle Staaten.

Fakt ist: Deutschland ist an seinen eigenen Ansprüchen bei der Umsetzung

der Nationalen Biodiversitäts- strategie krachend gescheitert.

Denn im Zweifel gilt: Wirtschaft statt Wildnis.

Nochmal zum Nachhalten:

Bundesländer, in denen Grün mitregiert, sehen bei Urwald

und Wildnis mitnichten grüner aus.

Winfried Kretschmann hat noch ein anderes Problem

mit grüner Glaubwürdigkeit.

Der grüne Ministerpräsident steht kurz vor der Landtagswahl.

Er regiert in Baden-Württemberg seit zehn Jahren

und wollte die Erneuerbaren Energien kräftig ausbauen.

Aber ausgerechnet das "Musterländle", immerhin ein Hochtechnologiestandort,

humpelt den hehren Zielen hinterher.

Hans Koberstein und Jörg Moll

über Anspruch und Wirklichkeit grüner Regierungspolitik.

Seit mehr als 100 Jahren wird hier Metall geschmolzen.

Die Fondium-Gießerei im baden-württembergischen Singen

ist einer der größten Zulieferer für Gussteile in der Autoindustrie,

fertigt für Daimler und Volkswagen.

Die Gießerei benötigt so viel Strom wie eine Kleinstadt

und dieser Strom muss grün werden, sagt der Chef.

Unsere Zielkunden in der Automobilindustrie fordern von uns,

dass wir natürlich auch so schnell wie möglich klimaneutral werden.

Klimaneutral bedeutet: Die Gießerei braucht erneuerbare Energie

in großen Mengen und das schon bald,

um den Standort mit seinen rund 800 Arbeitsplätzen zu sichern.

Doch grüner Strom ist knapp im grün-regierten Baden-Württemberg.

Die Bilanz der grünen Regierung in Baden-Württemberg

ist diesbezüglich verheerend.

Wir haben bis jetzt in der ganzen Gegend hier

nur ein paar zusätzliche Windräder bekommen.

Der Zubau an erneuerbaren Energien lässt zu wünschen übrig.

Da wäre viel, viel mehr möglich.

Dabei hatte der erste grüne Ministerpräsident Deutschlands,

Winfried Kretschmann, viel versprochen.

Im Mai 2011 bei seiner Antrittsrede im Landtag:

Herr Präsident, meine Damen und Herren.

Unser Ziel ist es deshalb, die erneuerbaren Energien

bis zum Jahr 2020 zu einer zentralen Säule der Stromerzeugung zu machen.

Deshalb werden wir die Blockaden bei der Windkraft beseitigen.

Kretschmann und seine Landesregierung setzten sich

ein klares Ziel, festgeschrieben im Koalitionsvertrag 2011 mit der SPD:

Das Ziel wird klar verfehlt.

Statt 10 % stammen 2019 nur 4,4 % des verbrauchten Stroms

aus Windkraft.

Dabei ist der Wille für mehr erneuerbare Energie

vor Ort häufig da, wie im Kleinen Wiesental im Schwarzwald.

Vor rund zehn Jahren

nahmen hier Bürger die Energiewende selbst in die Hand.

Heute werden rund 60 Haushalte über Nahwärmenetze versorgt.

Die Energie dafür liefern Holzhackschnitzel aus der Umgebung.

Und im ersten Ortsteil in Tegernau war ich einfach überwältigt,

wie hoch die Bereitschaft war,

mit dem Gebäude ans Nahwärmenetz zu gehen.

Da haben wir mittlerweile eine Anschlussrate von über 90 %.

Die Leute machen mit?

Die Leute ziehen voll mit.

Viele Bürger vor Ort wollen mehr:

Windräder sollen auf einem nahegelegenen Bergrücken

aufgestellt werden.

Der Gemeinderat hat bereits vor sieben Jahren zugestimmt.

Doch ein Baubeginn ist immer noch nicht absehbar.

Die Bürger vermissen den Rückenwind durch die Landesregierung.

Ich denke, hätten wir von Anfang an mehr Unterstützung gekriegt

von der Landespolitik hier bei diesem Projekt, bei der Umsetzung,

wären sicher schon einen Schritt weiter.

Ich schätze den Herrn Kretschmann grundsätzlich sehr,

aber wenn er sich mit demselben Engagement für die Windenergie

einsetzen würde, wie er sich für den Dieselmotor einsetzt,

dann wären wir in Baden-Württemberg und auch hier im Kleinen Wiesental

weiter mit der Entwicklung.

Der Zubau der Windkraft stockt in Baden-Württemberg.

Unter dem grünen Ministerpräsidenten Kretschmann wurden seit 2011

im Schnitt gerade einmal 113 Mega- watt Windkraft pro Jahr zugebaut.

Um die Klimaschutzziele von Paris bis 2030 zu erreichen,

müsste viel mehr zugebaut werden:

690 Megawatt pro Jahr, das ist das Sechsfache.

Schönau im Schwarzwald.

Vor 27 Jahren gründeten Bürger hier die Elektrizitätswerke Schönau

und zeigen, was möglich ist:

Sie produzieren heute mehr grünen Strom, als der Ort selbst verbraucht

Als vor zehn Jahren der Grüne, Winfried Kretschmann,

Ministerpräsident wurde, war die Hoffnung groß.

Ja, das hat natürlich für die Energiewende-Bewegten

in Baden-Württemberg natürlich eine Art von Aufbruchstimmung gegeben:

der erste grüne Ministerpräsident in Baden-Württemberg

nach jahrzehntelanger CDU-Regierung.

Da haben wir schon alle erwartet, dass es jetzt richtig vorangeht.

Doch die Erwartungen wurden enttäuscht.

Sebastian Sladek führt uns in ein Industriegebiet in Lahr.

Hier in der Rheinebene liefert die Sonne übers Jahr gesehen

besonders viel Energie,

eigentlich ideal für die Erzeugung von Solarstrom.

Es ist völlig unverständlich, warum diese Dächer

nicht voll mit Solarzellen sind, ja, die gehören da zwingend drauf.

Hier sitzt der Verbraucher ja unterm Dach.

Ja, also das wäre,

das wäre wirklich verbrauchsnahe Erzeugung "at it's best".

Auf diesen Gewerbehallen

könnten Solarzellen jedes Jahr Strom für tausende Haushalte produzieren.

Seit zehn Jahren hinkt Baden-Württemberg hinterher,

hat pro Einwohner rund 20 % weniger Solarzellen installiert

als im Bundesschnitt,

und das trotz grünem Regierungschef und viel Sonne im Süden.

Wir bilden uns wahnsinnig viel ein auf unsere klugen Köpfe

und auf die viele Industrie, die wir haben.

Stand heute lassen wir uns den ganzen regenerativen Strom

aber in Norddeutschland produzieren.

Das geht so nicht.

Völlig klar, dass wir den Strom, den wir hier brauchen,

auch hier erzeugen sollten.

In Baden-Württemberg?

In Baden-Württemberg.

Und weil seit 2011, dem Regierungsantritt von Kretschmann,

so wenig Solarstromanlagen zugebaut wurden,

müsste jetzt umso mehr passieren.

Für die Klimaschutzziele 2030 braucht es 1.170 Megawatt pro Jahr,

dreimal so viel wie bisher.

Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist im Wahlkampf.

Sein Klimaziel: klimaneutral.

Im März will er wiedergewählt werden.

Wir wollen wissen, warum er seine eigenen Ziele verfehlt hat.

Kretschmann verweist an seinen Umweltminister, Franz Untersteller.

Der teilt mit,

die Landesregierung habe die selbst gesteckten Ziele erreicht.

Und am schleppenden Ausbau sei die Bundesregierung schuld:

Dabei zeigen Nachbarländer, dass es besser geht, trotz Bundesregierung:

2019 hatte Rheinland-Pfalz 51,7 % Grünstromanteil,

Hessen 51 % und das schwarze Bayern 51,2 %.

Ausgerechnet das grüne Baden-Württemberg belegt mit 31,5 %

einen der letzten Plätze bundesweit.

Wenn der Ausbau erneuerbarer Energien nicht so erfolgt,

wie er erfolgen muss, dann werden natürlich konventionelle Kraftwerke

und Gaskraftwerke, Kohlekraftwerke auch in 2030 stark betrieben werden

und die Klimaziele in Baden- Württemberg nicht erreicht werden.

Das heißt, trotz grüner Landesregierung

werden dann im Jahr 2030 die Pariser Klimaschutzziele verfehlt werden?

Das kann passieren.

Der erste grüne Ministerpräsident Deutschlands hatte zehn Jahre Zeit

und er hat nicht geliefert.

Sie wurden ausgebeutet für Westdevisen vom Klassenfeind.

In DDR-Gefängnissen mussten zehntausende

politische Häftlinge Waren für den westdeutschen Markt produzieren.

Viele von ihnen leiden bis heute

unter den körperlichen und psychischen Folgen.

Ungefähr 6.000 Westfirmen profitierten von der Zwangsarbeit.

Zu diesem Ergebnis kam eine Studie bereits 2014.

Aber bis heute haben die Opfer keine Entschädigung erhalten.

Tom Fugmann berichtet.

Mit 18 war Holger Rossmann verliebt.

Doch sie kam aus dem Westen, er lebte in der DDR.

Die Staatsmacht kam ihnen auf die Spur und verurteilte Holger Rossmann

1975 wegen angeblicher Propaganda für den Klassenfeind:

zwei Jahre Gefängnis.

Rossmann musste im Haftarbeitslager

im Chemiekombinat Bitterfeld schuften, in veralteten Anlagen,

aus denen ständig giftige Chlor- und Quecksilberdämpfe austraten.

Es waren hohe Temperaturen dort,

sodass unweigerlich Quecksilber verdampfen musste.

Das war einem auch klar und da hatte ich schon Angstschweiß,

wenn ich da unten war.

Ich wusste, dass Quecksilber giftig ist, aber zu dem Zeitpunkt,

da wusste ich bestimmte Dinge nicht: Wie gefährlich das ist.

Wir wurden auch nicht aufgeklärt.

Dazu kam noch, dass aus diesen Rohren Lauge lief,

die sehr hoch ätzend war.

Nach dem Mauerfall fuhr Rossmann nach Bitterfeld

und filmte das ehemalige Haftarbeitslager, den Ort,

der sein Leben veränderte.

Bis heute leidet er unter den Folgen

der gefährlichen und gesundheitsschädlichen Arbeit.

Immer noch weist sein Blut erhöhte Quecksilberwerte auf.

Ich habe massiv Schlafstörungen, dann Depressionen in jeder Phase,

also in den tiefsten sogar, da war ich auch in Behandlung.

Und ich habe sehr viel Hautprobleme.

Das sieht man jetzt nicht, aber überall Hautprobleme.

Die Chlorlauge verätzte seine Haut,

jeden Tag muss der 69-Jährige seine Beine verbinden.

Die Zwangsarbeit hat seine Gesundheit ruiniert,

wie auch die von Zehntausenden ehemaligen Häftlingen.

Profitiert von dieser Zwangsarbeit haben auch Unternehmen im Westen.

Denn die Gefangenen in der DDR produzierten auch Waren,

die in der Bundesrepublik verkauft wurden,

beispielsweise Strumpfhosen aus dem Zuchthaus Hoheneck,

die bei Aldi

unter den Namen "Sayonara" und "Iris" verkauft worden sind.

Auch Woolworth, Karstadt, Hertie und Kaufhof

verkauften die Strumpfhosen aus dem DDR-Knast.

Der Historiker Tobias Wunschik von der Stasi-Unterlagenbehörde

hat das recherchiert.

Man kann aus vorliegenden Zahlen hochrechnen,

dass DDR-Häftlingsarbeiter einen Anteil von wahrscheinlich

sicherlich 200, vielleicht sogar 500 Mio. D-Mark jährlich

am Export von DDR-Produkten hatten.

Für West-Konzerne war es natürlich vorteilhaft,

zu niedrigeren DDR-Lohnstückkosten produzieren zu lassen

und im Westen zur wesentlich stabileren, härteren Währung

in D-Mark verkaufen zu können.

Bis heute haben Häftlinge, die Opfer der DDR-Willkürjustiz wurden,

im Gefängnis für den Klassenfeind schuften mussten,

für diese Zwangsarbeit keine Entschädigung erhalten.

Es geht darum, dass wir sagen, wir haben ein Problem,

wir waren unschuldig in die Lage gekommen und wir erwarten,

dass wir nicht nur zur Kenntnis genommen werden,

sondern dass uns geholfen wird.

Ich denke hier an eine Fondslösung, wo den Betroffenen,

die in Nöten sind, sei es gesundheitlich oder materiell,

geholfen werden kann.

Vor Kurzem hat die Union der Opferverbände

Kommunistischer Gewaltherrschaft 14 Unternehmen angeschrieben,

Modefirmen, Warenhäuser, Versandhändler.

Sie wurden gebeten,

einen Härtefallfonds für ehemalige politische Häftlinge

finanziell zu unterstützen.

Bis auf Ikea lehnten alle ab.

Begründung: Von Zwangsarbeit habe man nichts gewusst.

Die westdeutschen Unternehmen, die mit Produkten aus der DDR

gehandelt haben, haben alle aus- nahmslos gewusst, wo sie herkommen.

Und dass vielleicht jetzige Manager oder auch Beschäftigte

des Unternehmens sagen, sie wissen nichts davon, das kann durchaus sein

Es sind ja paar Jahrzehnte her.

Aber zur Firmengeschichte gehört das natürlich.

Im Westen hat jeder gewusst, auch jede Bundesregierung,

weil alle Häftlinge, die ja entlassen wurden,

darüber berichtet haben.

Viele Firmen behaupten heute, es sei nicht nachweisbar,

ob wirklich Häftlinge an der Produktion beteiligt waren.

Die Gefangen wussten oft nicht, dass sie für den Westen arbeiteten.

Im Haftarbeitslager Dessau-Wolfen allerdings

wurden auf einer Telefunken-Maschine Kassetten gewickelt.

Silvia Krause, die 1988 dort eingesperrt war, erinnert sich:

Jetzt speziell von den Kassetten haben wir es nur vermutet,

weil diese Einrichtungen, wo quasi diese Umspulung stattfand,

das waren ausrangierte Telefunken-Geräte.

Und da haben wir vermutet, dass wir auch für den Westen arbeiten.

Silvia Krause kämpft noch immer mit den Folgen ihrer Haft

und der Zwangsarbeit. Ihr Vergehen damals:

ein Ausreiseantrag und die Kritik an den politischen Verhältnissen.

Ihren Beruf als Physiotherapeutin musste die 63-Jährige aufgeben,

weil sie unter posttraumatischen Belastungsstörungen leidet.

Sie musste im Knast hart arbeiten, auch unter Schikanen.

Mit austreten war da nichts.

Ja, da wurden wir angebrüllt.

Und wir hatten auch keine Möglichkeit einer Pause.

Also, wer schon mal acht Stunden gestanden hat, der weiß,

wie sich das anfühlt.

Ja, also es war einfach sehr, sehr schwer.

Frontal 21 hat bei zehn Firmen nachgefragt,

ob sie sich in der Verantwortung

für die Zwangsarbeit in DDR-Gefängnissen sehen.

Manche antworten gar nicht.

Andere schreiben, man lehne Zwangsarbeit grundsätzlich ab.

Interviews will keiner geben.

Ich finde, man soll über Zwangsarbeit,

wo die ganze Welt über Fairtrade redet, wir in Deutschland besonders,

nicht so tun, als hätte es das nicht gegeben.

Und das ist auch ein Stück moralische Wiedergutmachung.

Es geht nicht zuallererst ums Geld, ja, sondern es geht darum,

dass auch die Betroffenen sehen:

Ja, hier bekennen sich Unternehmen auch zu ihrer Mitverantwortung.

Meine persönliche Meinung ist die, dass Firmen,

die damals doch recht gut davon profitiert haben, von diesem System,

dass die eine, ich sag mal, eine gewisse moralische Verantwortung

haben, da einen Beitrag zu leisten.

Eines konnte die DDR ihm nicht nehmen: seine Liebe.

Denn mit der Frau, die Holger Rossmann 1970 kennengelernt hatte,

ist er immer noch verheiratet.

Diese Bilder wurden gestern öffentlich:

Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin beim Skiausflug in Sotschi.

Die Botschaft an die Welt:

Was scheren uns Sanktionen und Proteste?

So kann der belarussische Machthaber, unterstützt von Putin,

auch weiter den Gewinner geben.

Und tatsächlich klingt nach Niederlage,

was die belarussische Oppositionsführerin

Svetlana Tichanowskaja kürzlich aus dem Exil sagte:

“Wir haben nicht die Mittel, um der Gewalt des Regimes

gegen die Demonstranten etwas entgegenzusetzen“.

Wie gewalttätig das Regime seine Kritiker lange schon bekämpft,

zeigt der brisante Mitschnitt eines KGB-Komplotts aus dem Jahr 2012.

Demnach plante der belarussische Geheimdienst konkret

und bis ins Detail, Dissidenten im Exil zu töten.

Mordgrüße aus Minsk:

Joachim Bartz und Ulrich Stoll berichten.

Minsk, 11. April 2012,

in der Zentrale des belarussischen Geheimdienstes KGB.

Dessen Chef Wadim Sajzew und zwei seiner Offiziere planen,

Regimekritiker im Ausland zu ermorden.

Sie ahnen nicht, dass ihr Gespräch mitgeschnitten wird.

Im Visier des Geheimdienstes - ein regimekritischer Journalist:

Pawel Scheremet.

Wir sollten uns mit Scheremet beschäftigen, dieser Nervensäge.

Wir zünden eine Bombe, und diese verfluchte Ratte

wird in Stücke gerissen, die Arme in die eine Richtung,

die Beine in die andere.

Eine Bombe zu zünden, ist überhaupt kein Problem.

Kiew, 20. Juli 2016, 7.39 Uhr.

Vier Jahre nach dem Mordauftrag

explodiert in der Hauptstadt der Ukraine eine Autobombe.

Sie tötet den Journalisten Pawel Scheremet.

Er wird 45 Jahre alt.

Berlin, im Januar 2021.

Auch dieser Mann soll ermordet werden: Oleg Alkajew.

Der ehemalige belarussische Offizier und Gefängnisdirektor

lebt seit 20 Jahren im deutschen Exil.

Als ich im Fernsehen sah, wie das Auto in die Luft flog

und wie sie nach seinen Leichenteilen suchten,

wurde mir klar: Die Sache ist sehr ernst.

Ich empfand unermessliche Trauer und Zorn.

Denn ich war mit Scheremet befreundet,

er hat meine Bücher verlegt,

zum Beispiel das Buch "Das Erschießungskommando"

mit harten Vorwürfen gegen die Sicherheitsbehörden von Belarus.

Deshalb sind wir ihr Ziel.

Aber ich habe keine Angst, du wirst ja verrückt,

wenn du überall Attentäter vermutest.

Das abgehörte Gespräch von 2012 belegt:

Der in Deutschland lebende Dissident Alkajew

galt dem Geheimdienst als leichte Beute.

Um Alkajew musst du dich nicht kümmern, das ist eher was

für einen Lehrling, das soll jemand anderes machen.

Eine Idee: Geheimdienstoffiziere einschleusen

in die Dissidentenszene im Exil.

Ich fahre hin als Opfer des Regimes.

Das ist ziemlich leicht.

Ich besorge mir eine Einladung, bekomme ein Visum und fahre los.

Präsident Alexander Lukaschenko herrscht wie ein Diktator.

Demonstranten werden niedergeknüppelt,

eingesperrt, gefoltert.

Lukaschenko lässt auf Demonstranten schießen,

wie dieses Video vom 10. August 2020 belegt.

Und wer ins Ausland flieht, ist vor dem Regime nicht sicher.

Auch das wird aus dem Geheimdienstmitschnitt klar:

Der Präsident erwartet klare Maßnahmen,

die der KGB ausführen soll.

Die Methoden sind klar: Wer soll wo ertränkt oder erschossen werden?

Wie kann man eine Explosion oder ein Feuer als Unfall tarnen,

um jemanden umzubringen?

Dafür gibt es mehr als 1,5 Mio. Dollar auf einem Spezialkonto.

Gerade ein System im Todeskampf und Diktatoren im Endkampf,

wenn man das so will, sind hochbrisant, hochgefährlich.

Und Lukaschenko zeigt ja auch, dass er mit den letzten Vertrauten

einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt.

Und die Gefahr eben auch ist, dass er im Ausland versucht,

mit langem Arm gezielt zu töten.

Es ist eine Gefahr für diese Menschen.

Die müssen wir ernst nehmen.

Oleg Alkajew wird von deutschen Sicherheitsbehörden beschützt.

Dafür hat dieser Mann gesorgt: Igor Makar.

Makar war Offizier einer belarussischen Antiterroreinheit.

2006 hat er die Seiten gewechselt, seitdem lebt er im Exil in Litauen.

2012 wurde ihm der Audiomitschnitt zugespielt,

der die Mordpläne des weißrussischen KGB belegt.

Ich hörte, dass sie über meinen Freund Oleg Alkajew sprachen,

dass sie seine Ermordung planten

und jemand deshalb nach Deutschland fahren sollte.

Ich wusste, ich muss irgendetwas tun,

um das Leben von Alkajew zu retten.

Ich wandte mich an einen US-Diplomaten mit der Bitte,

dieses Verbrechen zu verhindern.

Nach einer Weile erfuhr ich,

dass die deutsche Polizei Oleg Alkajew gewarnt hat,

dass er in Lebensgefahr schwebt - und dass sie ihn beschützte.

Neben Oleg Alkajew will der belarussische Geheimdienst

noch mindestens zwei weitere Dissidenten

in Deutschland umbringen, belegt das abgehörte Gespräch.

Wo ist die Garantie, dass das Thema Auftragsmorde ad acta gelegt wurde?

Im Gegenteil, die Lage in Belarus hat sich total verschärft.

Deshalb halte ich mich an einige Sicherheitsregeln.

So treffen wir uns hier in meinem Büro

und nicht in der Öffentlichkeit.

Das Risiko ist da.

Es gibt so viele Möglichkeiten, jemanden umzubringen.

Tatsächlich belegen die heimlichen Tonaufnahmen,

dass der belarussische KGB auch Giftmorde plante:

In Witebsk gibt einen Amateur-Chemiker, der behauptet,

jede Chemikalie herstellen zu können.

Und wenn man ihm Größe und Gewicht einer Person nennt,

dann kann er die passende Substanz liefern.

Dann los, finde den Mann und bereite alles vor.

Meine Aufgabe ist es,

Geld für all diese verrückten Ideen aufzutreiben.

Es ist natürlich eine Bedrohung von Menschen,

die in Deutschland Schutz gesucht haben.

Und das können wir politisch natürlich nicht hinnehmen.

Der Schlüssel für das Ganze liegt allerdings in Russland.

Der weißrussische Geheimdienst ist, KGB heißt er ja dort,

quasi sehr eng verknüpft mit dem FSB in Russland.

Auch mit militärischer Hilfe Russlands

hält sich der letzte Diktator Europas an der Macht.

Lukaschenko werde mit allen Mitteln versuchen,

seinen Sturz zu verhindern, warnen Überläufer

und verweisen auf den Mitschnitt im KGB.

Diese Audiodatei beweist, dass Alexander Lukaschenko als Präsident

der Republik Belarus nichts anderes ist als ein Verbrecher.

Der Mord in Kiew zeigt:

Das Lukaschenko-Regime bleibt gefährlich für Dissidenten,

in ganz Europa.

Gestern berieten die EU-Außenminister über Sanktionen gegen Russland.

Es ging darum, das Missachten von Menschenrechten zu bestrafen.

Heraus kamen Sanktiönchen.

Unsere Satiriker Werner Doye und Andreas Wiemers horchen nach,

was Staatschef Putin zu dem Thema einfällt.

Toll!

Liebe Freunde, Gott sei Dank, dass heutzutage in Europa

Russland nicht nur im Zusammenhang mit Oligarchen, Korruption und Mafia

erwähnt wird.

Gott sei Dank!

Nicht nur Oligarchen, Korruption und Mafia aus Russland,

sondern auch: Pipelines!

Nord Stream 2 heißt die fantastische Röhre,

die unsere russischen Freunde durch die Ostsee zu uns rüber legen.

Jetzt fragen sich natürlich viele: Ist es richtig,

dem Präsidenten eines Staats Geschäfte zu genehmigen,

der, wie beim Regierungskritiker Nawalny,

Menschenrechte mit Füßen tritt?

Die Antwort ist eigentlich einfach:

Und zwar: Verletzungen von Menschenrechten

sind für unsere Regierung schon seit langem kein Hinderungsgrund.

Besetzung der Krim,

Anschlag mit Nervengift auf den Ex-Agenten Sergej Skripal,

Mord im Berliner Tiergarten.

Da kommt's auf einen Nawalny mehr oder weniger auch nicht an.

Die Haltung:

...die Haltung zu Nord Stream 2 ist davon erst mal unberührt.

So eine Pipeline ist für alles Mögliche gut.

Und unser Minister für alles Mögliche, Peter Altmaier, weiß,

Gas dient als:

...als Brückentechnologie.

Die Brücke brauchen wir, um drüber hinwegzugehen,

dass wir unsere künftigen Klimaziele nicht erreichen.

Was blöd ist weil, unser:

Unser Schwerpunkt liegt auf der Förderung

der Klima- und Umweltprojekte.

Gut, eine Gaspipeline hat mit Umweltschutz so viel zu tun

wie 'n Raketenwerfer mit Rentenvorsorge.

Aber, dass die Amerikaner die Pipeline mit Sanktionen

verhindern wollen, um uns ihr eigenes Gas zu verkaufen,

das geht natürlich auch nicht.

Darum hat Manuela Schwesig mit dem Parlament

in Mecklenburg Vorpommern eine “Stiftung zum Austricksen

der amerikanischen Sanktionen MV“ beschlossen.

Und weil es irgendwie besser klingt,

haben sie die “Stiftung Klima- und Umweltschutz MV“ genannt.

Das ist verwirrend, aber die Welt:

Die Welt, meine Damen und Herren, ist viel komplizierter geworden.

Das gilt ganz aktuell auch für Regierungskritiker Alexej Nawalny.

Der geht jetzt für zweieinhalb Jahre ins Straflager.

Und Wladimir Putin gestern erstmal zum Skifahren nach Sotschi.

Das war Frontal 21 für heute.

Hier folgt jetzt das heute journal.

Wir gehen es in zwei Wochen wieder Frontal an.

Bis dahin, bleiben Sie zuversichtlich.


Frontal 21 vom 23.02.2021 - Zu wenig Tests, Kaum Ökostrom, Lukaschenkos Autragsmorde, Zwangsarbeit in DDR Frontal 21 from 23.02.2021 - Too few tests, Hardly any green electricity, Lukashenko's car murders, Forced labor in GDR 2021 年 2 月 23 日からの Frontal 21 - テストが少なすぎる、グリーン電力がほとんどない、ルカシェンコの契約殺人、東ドイツでの強制労働

Guten Abend bei Frontal 21. こんばんはフロンタル21です。

Die Mutanten kommen - oder im Epidemiologen-Deutsch gesagt: ミュータントがやってくる - 疫学的に言えば:

Es droht eine dritte Welle, weil der Anteil der Virusvarianten

bei den positiv Getesteten exponentiell ansteigt. 陽性者では指数関数的に増加します。

Die Bundesregierung macht deswegen Grenzen dicht, したがって、連邦政府は国境を閉鎖しています

aber reichlich spät und auch nicht überall. しかし、かなり遅く、どこでもではありません。

Außerdem sollen Schnelltests her. さらに、迅速なテストが実行されます。

Jens Spahn hatte sie vollmundig für Anfang März versprochen, イェンス・スパーンは、3月の初めにフルボディで彼らに約束した.

kostenlos für alle. 誰でも無料。

Aber auch da klemmt es. しかし、そこでも行き詰まっています。

Armin Coerper und Anna Feist mit einem Lage- アーミン・クーパーとアンナ・ファイストとロケ地

nein, mit einem Lückenbericht. いいえ、ギャップレポートで。

Hilf dir selbst, wenn es sonst keiner tut, 誰も助けてくれないときに自分を助けてください

haben sie sich in Bad Kreuznach gesagt: 彼らはバート・クロイツナッハでお互いに言った:

Schnelltests in ersten Schulen und Kindergärten. 最初の学校と幼稚園での迅速なテスト。

Weil die Bundesregierung nicht handelt, 連邦政府は動かないので、

übernimmt eine Kreisverwaltung in Rheinland-Pfalz. ラインラント=プファルツ州の地方行政を引き継ぐ。

Man kann nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag warten. 終わりのない日まで待つことはできません。

Wir müssen jetzt handeln. 私たちは今行動しなければなりません。

Wir müssen jetzt was tun. 私たちは今何かをしなければなりません。

Weil noch ein Lockdown, denke ich, können wir nicht mehr verkraften.

In drei Wochen ist Zwischenprüfung

für die Elektroniker im zweiten Ausbildungsjahr.

Neun Schüler sind es heute hier im Wechselunterricht,

frisch getestet im Klassenzimmer.

Es geht um ihre Zukunft und ihre Sicherheit.

Ich finde es auf jeden Fall sehr gut, dass wir momentan wenigstens

jetzt vor der Prüfungsvorbereitung in die Schule gehen können.

Man kann die Infektionskette ein bisschen unterbrechen

und dadurch auch wieder ein bisschen Normalität reinbekommen.

10.000 Tests hat der Landkreis erstmal bezahlt.

Zweimal die Woche sollen sich hier nun 1000 Erzieher, Lehrer

und Schüler selbst testen.

Ein Modell für ganz Deutschland?

Ich wünsche mir für alle anderen Schulen, dass das auch der Fall ist,

weil das momentan angesichts der Mutationen dringend notwendig ist,

hier Initiative zu ergreifen, tätig zu werden.

Initiative hat die Bundesregierung woanders ergriffen,

die Grenzen zu Tschechien und Österreich vor allem nach Tirol

werden streng kontrolliert.

Wegen der Mutanten, die allerdings längst in Deutschland sind.

Auch im französischen Departement Moselle die Zahlen alarmierend:

Mutationen aus Brasilien und Südafrika

sollen 40 % der Infektionen ausmachen.

Noch ist die Grenze offen.

Noch baut die Firma Kettler täglich an der Grenze Fahrräder und E-Bikes.

Mehr als die Hälfte der 160 Mitarbeiter

pendeln täglich zwischen Frankreich und Deutschland.

Wir haben im Moment noch Glück,

wir hatten auch in den letzten zwölf Monaten Glück gehabt.

Wir haben es immer geschafft, unsere Produktion aufrechtzuerhalten,

auch nur in Teilen.

Aber wenn das so wäre wie in Tschechien oder Tirol,

habe ich da wirklich Angst vor,

dass wir das hier nicht aufrechterhalten könnten.

In der Belegschaft trifft die Angst vor wirtschaftlichen Folgen

auf die vor der Pandemie.

Der Franzose Michel Adamovic wünscht sich mehr Konsequenz.

Ich denke,

man hätte die Grenze schon im letzten Jahr schließen müssen.

Wirklich dicht machen, jedes Land für sich.

Das wäre besser, als es jetzt ist mit den Mutationen.

Jetzt kommt der Frühling, die Sonne,

die Leute werden nicht drinnen bleiben.

Bienvenue – Willkommen, steht da geschrieben.

Die Brücke der Freundschaft zwischen dem Saarland

und dem Departement Moselle verbindet Völker.

Jetzt könnte die Politik die Brücke einnehmen,

Mutantenausschluss durch Schließung.

Wenn wir über Grenzschließungen reden, müssen wir eins feststellen:

Deutschland hat es in sechs Monaten EU-Ratspräsidentschaft

nicht geschafft, ein einziges Mal das Thema Maßnahmenharmonisierung

in Europa auf die Tagesordnung zu setzen und dafür zu sorgen,

dass Europa gemeinsam mit einem Plan handelt.

Janosch Dahmen ist erst seit November im deutschen Bundestag.

Bis dahin hat er als Notarzt täglich das Leid gesehen,

das Corona anrichtet.

Dass die Bundesregierung dem Virus nach einem Jahr Pandemie

noch immer hinterherhinkt, das kann er als Arzt kaum aushalten.

In den letzten zwölf Wochen sind über 30.000 Menschen gestorben

und jeder von diesen Menschen hätte weiterleben wollen.

Und hinter dem stehen Familien, die gewollt hätten,

dass diese Menschen weiterleben.

Und wer dieses Leid erlebt hat und erlebt hat, was es bedeutet,

wenn so ein Leben verlorengeht, der will und kann nicht akzeptieren,

dass wir so viele Fehler machen, dass wir so zögerlich sind,

dass wir den Dingen so hinterherlaufen.

Auch den Mutationen.

Die sollen laut Bundesregierung bereits fast 30 % ausmachen,

doch erst vier Monate nach Auftreten der "Britischen Mutante"

hat man in Deutschland begonnen, die Proben genauer zu untersuchen.

Wir hängen drastisch hinterher beim Sequenzieren

im Vergleich zu Ländern wie Dänemark oder Großbritannien.

Und es ist praktisch ein Blindflug und wir wissen nicht, was passiert.

Derweil geht den Deutschen nach sechzehn Wochen Shutdown

die Puste aus.

Mit den Mutanten droht die dritte Welle, doch die Wirtschaft ächzt,

viele Menschen sehnen sich nach Lockerungen.

Und der Bundesgesundheitsminister setzt auf ein Mittel,

das kein neues ist.

Schon im Juni 2020, als die Infektionszahlen niedrig sind,

will Spahn das Virus mit Tests aufhalten.

Die sind damals rar.

Als die Zahlen steigen, vom Minister: trotzdem Erfolgsmeldungen.

Wir haben eine funktionierende und sehr erfolgreiche Teststrategie.

Im Herbst beginnt die zweite Welle, und der Minister hat eine neue Idee.

Jetzt sollen Schnelltests die Pandemie zurückdrängen.

Ziel ist, dass Anfang Oktober das Rahmenwerk steht für Testen,

für die Teststrategie, welche Tests bei wem, wann, wo, wie

angezeigt sind.

Doch damit kann Spahn die zweite Welle nicht aufhalten.

Tests bleiben Mangelware.

Trotzdem wieder große Ankündigungen:

ab März Schnelltests für alle.

Diese Tests können uns helfen, einen sichereren Weg zu gehen,

gerade auch bei Schulen und Kitas.

Doch Mitte Februar sieht die Bilanz dürftig aus:

Europaweit wird in Zypern und Österreich am meisten getestet,

auch Frankreich liegt im vorderen Drittel.

Deutschland auf Platz 22, zwischen der Slowakei und Ungarn.

Nachfrage bei Jens Spahn in der Bundespressekonferenz.

Herr Minister, Sie haben Ihre Teststrategie

immer wieder angepasst.

Das Ergebnis ist, dass es so schlecht läuft,

dass wir Anfang Februar im europäischen Vergleich

auf Platz 22 von 27 liegen.

Wie erklären Sie das?

Also, zum Ersten: Da müssen wir uns miteinander dran gewöhnen,

wir werden immer wieder Dinge anpassen müssen,

weil sich die Lage verändert.

Wenn wir diesen Schritt, den wir jetzt gehen wollen,

im November gegangen wären, dann wäre nach zwei Tagen spätestens

breite Enttäuschung da, weil nirgends mehr ein Test verfügbar.

Wenn überhaupt zwei Tage durchgehalten worden wäre.

Deswegen geht das nur Schritt für Schritt nach der Verfügbarkeit.

Wieder hat Spahn angekündigt, was er nicht halten kann.

Tests für alle sind weiter nicht verfügbar.

Und so kassiert das Kanzleramt Spahns Teststrategie:

der Regierungssprecher mit Erklärungsversuchen.

Es stellen sich da eine ganze Reihe von wichtigen Fragen,

deswegen ist dieses Thema auch am 3. März auf der Tagesordnung,

wenn Bundesregierung und Länder wieder miteinander beraten.

Wer jetzt Hoffnung weckt, um sie sodann bitterlich zu enttäuschen,

verspielt das Vertrauen der Menschen.

Und das Vertrauen zerrinnt der Bundesregierung im Moment ohnehin

wie Sand zwischen den gespreizten Fingern.

Zurück in die Schule.

In Bad Kreuznach stehen getestete Lehrkräfte vor getesteten Schülern,

eine Seltenheit.

Warum Tests nicht im wochenlangen Lockdown

für ganz Deutschland organisiert wurden,

das bleibt eine von vielen Fragen.

So wie die, warum die Bundesregierung dem Virus

seit einem Jahr hinterher hinkt.

Raus in die Natur:

Die Sehnsucht der Menschen, sich von frischer Luft

den pandemiemüden Kopf durchpusten zu lassen, ist groß.

So groß, dass auch an diesem Wochenende

Massen draußen unterwegs waren und dabei erlebten,

wie eng die Natur geworden ist.

Ihr mehr Raum zu geben und sie zu schützen,

das hatte sich die Bundesregierung bereits 2007 vorgenommen.

Zwei Prozent der Fläche Deutschlands

sollten unberührte Wildnis bleiben oder werden.

Natur pur, ohne menschliche Bewirtschaftung.

Nur zwei Prozent - und was ist daraus geworden?

Jörg Göbel und Güven Purtul über ein politisches Versprechen

und seine wahre Natur.

Unberührte Natur, sich selbst überlassen.

Ohne dass die Forstwirtschaft stört.

Wildnis.

Davon braucht Deutschland mehr.

So will es die Bundesregierung.

Wir müssen Schutzgebiete ausweiten, wir müssen Ökosysteme renaturieren.

Mit wir meine ich alle Staaten.

Ein Appell an die Welt, doch was gilt für Deutschland?

Mecklenburg-Vorpommern. In den Wäldern bei Feldberg.

Unterwegs mit Förster und Buchautor Peter Wohlleben.

Gemeinsam mit dem Biologen Pierre Ibisch

inspiziert er einen Wald mit alten Buchen. Wirtschaft statt Wildnis.

Das macht überhaupt keinen Sinn.

Alte Buchenwälder gibt's in dieser Qualität, wie die mal waren,

nur noch im Promillebereich.

Holz ist ein toller Rohstoff, gar keine Frage,

aber wir nutzen zu viel

und wir verramschen unser ökologisches Tafelsilber.

Das liegt jetzt hier am Weg kleingeschnitten

und offensichtlich mag's keiner haben,

hier wachsen nämlich schon die Pilze.

Der Wald hier ein Schutzgebiet, ein sog. Fauna-Flora-Habitat.

Lebensraum für streng geschützte Arten.

Trotzdem ist Forstwirtschaft erlaubt.

Die Folge hier: kein geschlossenes Kronendach mehr,

weil alte Bäume gefällt wurden.

Ja, man hat hier 'ne alte Buche abgeschlagen, was sieht man hier?

Wie Sie sehen, sehen Sie nichts,

außer eben hier so 'ne kaputte Douglasie.

Und dieser Boden hier, man sieht ja das Dunkle, das ist Humus,

der verbrät jetzt in der Sonne,

da gasen gigantische Mengen an Kohlenstoff aus, also Kohlendioxid.

Wenn das hier veratmet wird von Bakterien und Pilzen,

also das hier ist ein Beitrag zum Klimawandel,

aber leider ein negativer.

Auf Nachfrage attestiert das Umweltministerium

von Mecklenburg-Vorpommern

dem Schutzgebiet einen “günstigen Erhaltungszustand“.

Der Wald sei durch das Fällen von Bäumen nicht zerstört,

sondern verjüngt worden.

Auch die Holzstapel seien inzwischen weitgehend abtransportiert.

Wohlleben und Ibisch gehen nur rund 100 m weiter

in die "Heiligen Hallen", ein Totalreservat, Wildnis.

Hier ruht die Forstwirtschaft seit 150 Jahren.

Die Buchen bis zu 300 Jahre alt.

Das Kronendach dicht und geschlossen.

Stürme haben hier nicht so viel Schaden angerichtet

wie außerhalb im forstwirtschaftlich genutzten Schutzgebiet.

Im Rahmen unserer Forschung haben wir dann natürlich auch festgestellt

just in diesen extremen Jahren, 2018, 2019, wie sehr die Buchen

außerhalb anfangen zu leiden und absterben durch die Hitze

und durch die Trockenheit.

Da erkennen wir genau die Wirkung, die das ausmacht,

wenn ein Wald sich selbst überlassen bleibt, sich selbst regulieren kann,

sich selbst ein Mikroklima schafft.

Eine Infotafel zeigt es: Innerhalb des Schutzgebiets macht die Wildnis

der "Heiligen Hallen" gerade mal 66 Hektar aus.

Für die Waldexperten zu wenig.

Größe ist deshalb so wichtig,

weil ökologische Systeme Platz brauchen, um sich auszuregulieren.

Einfaches Beispiel: So 'ne pisselige Wildkatze Simple example: Such a pissy wild cat

braucht schon bis zu zehn Quadratkilometer.

Ein Tier und für 'ne lebensfähige Population brauchen Sie 400 Tiere.

Wo sollen die leben?

Und so geht es ganz, ganz vielen Arten,

die brauchen große zusammenhängende Räume, die geben wir denen nicht,

das sind eigentlich nur die Krümel, die übrig bleiben.

Die EU will mehr als Krümel:

10 % Schutzgebiete ohne wirtschaftliche Nutzung.

Die Bundesregierung ist bescheidener:

Bis 2020 sollten 2 % des Landes zu Wildnis werden.

Gemeint sind damit laut Bundesamt für Naturschutz:

Wildnisgebiete sollen in der Regel mindestens 1.000 Hektar groß sein.

Frontal 21 fragte bei den Bundesländern nach. Ergebnis:

Vom Ziel 2 % Wildnis ist Deutschland weit entfernt.

Bis heute sind es insgesamt gerade mal 0,6 %.

Das größte Flächenland Bayern wollte keine Angaben machen,

also haben wir selbst nachgerechnet.

Mit den Kernzonen der Nationalparks Bayerischer Wald und Berchtesgaden

kommt der Freistaat nur auf 0,45 %.

Kürzlich hat das Land

den Schutz für einige weitere große Waldgebiete beschlossen.

Damit kommt Bayern auf 0,63 % Wildnis.

Zu wenig, meinen Naturschützer.

Einen weiteren Nationalpark im Steigerwald

fordert Ralf Straußberger.

Vor allem wegen der wertvollen Wildnis alter Buchenwälder.

Es kommen auch viele Leute zu Besuch, die sich diese Naturwunder

anschauen, wenn eben Wälder, Bäume mal alt werden dürfen.

200-300 Jahre, also ein Baum nicht nur so dünn,

sondern richtig mal 1,50 m dick,

solche Buchen hat man in normalen Wirtschaftswäldern nicht.

Auch die grüne Opposition in Bayern fordert einen dritten Nationalpark.

Doch wie sieht es dort aus, wo die Grünen mitregieren?

Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg

schneiden bei Wildnisgebieten schlechter ab als Bayern.

Schlusslicht ist mit Nordrhein-Westfalen

das Flächenland mit der höchsten Bevölkerungsdichte.

Doch kein einziges Bundesland erreicht das Minimalziel von 2 %.

Nicht mal Mecklenburg-Vorpommern mit seinen großen Nationalparks.

Viel bessere Zahlen meldet Schleswig-Holstein:

Das Land bescheinigt sich 1,9 % Wildnis.

Zurecht?

Die Hahnheide.

Eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete in Schleswig-Holstein.

Naturschützer kritisieren, dass die Landesregierung

schon Flächen ab 50 Hektar als Wildnisgebiete bezeichnet.

Und so seine Statistik schönrechnet.

Das ist mehr oder weniger abstrus,

weil der ganze Sinn von Wildnis- gebieten wird damit ja verkehrt.

Wildnisgebiete sind ja nur dann wertvoll,

wenn sie 'ne gewisse Größe haben,

damit die Dynamiken auch darin stattfinden können.

Die 1,9 % von Schleswig-Holstein schrumpfen auf nur noch 0,49,

legt man die gleichen Maßstäbe an wie bei den anderen Bundesländern.

Der grüne Umweltminister Jan Philipp Albrecht bei einer Baumpflanzaktion.

Schriftlich lässt er mitteilen, es gebe in Schleswig-Holstein

keine ausreichend großen Waldgebiete für Wildnis.

Deshalb fühlt sich das Land

nicht an die Mindestgröße von 1.000 Hektar gebunden.

Dabei würde das Schutzgebiet Hahnheide

alle Anforderungen an eine Wildnis erfüllen:

Es ist 1.400 Hektar groß und gehört der Allgemeinheit.

Doch offenbar sind der Landesregierung

die Einnahmen aus der Forstwirtschaft

wichtiger als die eigenen Ziele in Sachen Biodiversität.

Auf Anfrage teilt das Umweltministerium mit:

Es gibt ein Verfassungsgerichtsurteil, das sagt,

öffentliche Wälder dürfen den erwerbswirtschaftlichen Charakter

nicht an erste Stelle stellen, sondern müssen immer die Erhaltung

der Natur und die Daseinsvorsorge an erste Stelle stellen.

D.h. die wissen im Ministerium nicht, wie die Gesetzeslage ist.

Wir müssen Schutzgebiete ausweiten, wir müssen Ökosysteme renaturieren.

Mit wir meine ich alle Staaten.

Fakt ist: Deutschland ist an seinen eigenen Ansprüchen bei der Umsetzung

der Nationalen Biodiversitäts- strategie krachend gescheitert.

Denn im Zweifel gilt: Wirtschaft statt Wildnis.

Nochmal zum Nachhalten:

Bundesländer, in denen Grün mitregiert, sehen bei Urwald

und Wildnis mitnichten grüner aus.

Winfried Kretschmann hat noch ein anderes Problem

mit grüner Glaubwürdigkeit.

Der grüne Ministerpräsident steht kurz vor der Landtagswahl.

Er regiert in Baden-Württemberg seit zehn Jahren

und wollte die Erneuerbaren Energien kräftig ausbauen.

Aber ausgerechnet das "Musterländle", immerhin ein Hochtechnologiestandort,

humpelt den hehren Zielen hinterher.

Hans Koberstein und Jörg Moll

über Anspruch und Wirklichkeit grüner Regierungspolitik.

Seit mehr als 100 Jahren wird hier Metall geschmolzen.

Die Fondium-Gießerei im baden-württembergischen Singen

ist einer der größten Zulieferer für Gussteile in der Autoindustrie,

fertigt für Daimler und Volkswagen.

Die Gießerei benötigt so viel Strom wie eine Kleinstadt

und dieser Strom muss grün werden, sagt der Chef.

Unsere Zielkunden in der Automobilindustrie fordern von uns,

dass wir natürlich auch so schnell wie möglich klimaneutral werden.

Klimaneutral bedeutet: Die Gießerei braucht erneuerbare Energie

in großen Mengen und das schon bald,

um den Standort mit seinen rund 800 Arbeitsplätzen zu sichern.

Doch grüner Strom ist knapp im grün-regierten Baden-Württemberg.

Die Bilanz der grünen Regierung in Baden-Württemberg

ist diesbezüglich verheerend.

Wir haben bis jetzt in der ganzen Gegend hier

nur ein paar zusätzliche Windräder bekommen.

Der Zubau an erneuerbaren Energien lässt zu wünschen übrig.

Da wäre viel, viel mehr möglich.

Dabei hatte der erste grüne Ministerpräsident Deutschlands,

Winfried Kretschmann, viel versprochen.

Im Mai 2011 bei seiner Antrittsrede im Landtag:

Herr Präsident, meine Damen und Herren.

Unser Ziel ist es deshalb, die erneuerbaren Energien

bis zum Jahr 2020 zu einer zentralen Säule der Stromerzeugung zu machen.

Deshalb werden wir die Blockaden bei der Windkraft beseitigen.

Kretschmann und seine Landesregierung setzten sich

ein klares Ziel, festgeschrieben im Koalitionsvertrag 2011 mit der SPD:

Das Ziel wird klar verfehlt.

Statt 10 % stammen 2019 nur 4,4 % des verbrauchten Stroms

aus Windkraft.

Dabei ist der Wille für mehr erneuerbare Energie

vor Ort häufig da, wie im Kleinen Wiesental im Schwarzwald.

Vor rund zehn Jahren

nahmen hier Bürger die Energiewende selbst in die Hand.

Heute werden rund 60 Haushalte über Nahwärmenetze versorgt.

Die Energie dafür liefern Holzhackschnitzel aus der Umgebung.

Und im ersten Ortsteil in Tegernau war ich einfach überwältigt,

wie hoch die Bereitschaft war,

mit dem Gebäude ans Nahwärmenetz zu gehen.

Da haben wir mittlerweile eine Anschlussrate von über 90 %.

Die Leute machen mit?

Die Leute ziehen voll mit.

Viele Bürger vor Ort wollen mehr:

Windräder sollen auf einem nahegelegenen Bergrücken

aufgestellt werden.

Der Gemeinderat hat bereits vor sieben Jahren zugestimmt.

Doch ein Baubeginn ist immer noch nicht absehbar.

Die Bürger vermissen den Rückenwind durch die Landesregierung.

Ich denke, hätten wir von Anfang an mehr Unterstützung gekriegt

von der Landespolitik hier bei diesem Projekt, bei der Umsetzung,

wären sicher schon einen Schritt weiter.

Ich schätze den Herrn Kretschmann grundsätzlich sehr,

aber wenn er sich mit demselben Engagement für die Windenergie

einsetzen würde, wie er sich für den Dieselmotor einsetzt,

dann wären wir in Baden-Württemberg und auch hier im Kleinen Wiesental

weiter mit der Entwicklung.

Der Zubau der Windkraft stockt in Baden-Württemberg.

Unter dem grünen Ministerpräsidenten Kretschmann wurden seit 2011

im Schnitt gerade einmal 113 Mega- watt Windkraft pro Jahr zugebaut.

Um die Klimaschutzziele von Paris bis 2030 zu erreichen,

müsste viel mehr zugebaut werden:

690 Megawatt pro Jahr, das ist das Sechsfache.

Schönau im Schwarzwald.

Vor 27 Jahren gründeten Bürger hier die Elektrizitätswerke Schönau

und zeigen, was möglich ist:

Sie produzieren heute mehr grünen Strom, als der Ort selbst verbraucht

Als vor zehn Jahren der Grüne, Winfried Kretschmann,

Ministerpräsident wurde, war die Hoffnung groß.

Ja, das hat natürlich für die Energiewende-Bewegten

in Baden-Württemberg natürlich eine Art von Aufbruchstimmung gegeben:

der erste grüne Ministerpräsident in Baden-Württemberg

nach jahrzehntelanger CDU-Regierung.

Da haben wir schon alle erwartet, dass es jetzt richtig vorangeht.

Doch die Erwartungen wurden enttäuscht.

Sebastian Sladek führt uns in ein Industriegebiet in Lahr.

Hier in der Rheinebene liefert die Sonne übers Jahr gesehen

besonders viel Energie,

eigentlich ideal für die Erzeugung von Solarstrom.

Es ist völlig unverständlich, warum diese Dächer

nicht voll mit Solarzellen sind, ja, die gehören da zwingend drauf.

Hier sitzt der Verbraucher ja unterm Dach.

Ja, also das wäre,

das wäre wirklich verbrauchsnahe Erzeugung "at it's best". that would really be consumption-based generation "at its best".

Auf diesen Gewerbehallen

könnten Solarzellen jedes Jahr Strom für tausende Haushalte produzieren.

Seit zehn Jahren hinkt Baden-Württemberg hinterher,

hat pro Einwohner rund 20 % weniger Solarzellen installiert

als im Bundesschnitt,

und das trotz grünem Regierungschef und viel Sonne im Süden.

Wir bilden uns wahnsinnig viel ein auf unsere klugen Köpfe

und auf die viele Industrie, die wir haben.

Stand heute lassen wir uns den ganzen regenerativen Strom

aber in Norddeutschland produzieren.

Das geht so nicht.

Völlig klar, dass wir den Strom, den wir hier brauchen,

auch hier erzeugen sollten.

In Baden-Württemberg?

In Baden-Württemberg.

Und weil seit 2011, dem Regierungsantritt von Kretschmann,

so wenig Solarstromanlagen zugebaut wurden,

müsste jetzt umso mehr passieren.

Für die Klimaschutzziele 2030 braucht es 1.170 Megawatt pro Jahr,

dreimal so viel wie bisher.

Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist im Wahlkampf.

Sein Klimaziel: klimaneutral.

Im März will er wiedergewählt werden.

Wir wollen wissen, warum er seine eigenen Ziele verfehlt hat.

Kretschmann verweist an seinen Umweltminister, Franz Untersteller.

Der teilt mit,

die Landesregierung habe die selbst gesteckten Ziele erreicht.

Und am schleppenden Ausbau sei die Bundesregierung schuld:

Dabei zeigen Nachbarländer, dass es besser geht, trotz Bundesregierung:

2019 hatte Rheinland-Pfalz 51,7 % Grünstromanteil,

Hessen 51 % und das schwarze Bayern 51,2 %.

Ausgerechnet das grüne Baden-Württemberg belegt mit 31,5 %

einen der letzten Plätze bundesweit.

Wenn der Ausbau erneuerbarer Energien nicht so erfolgt,

wie er erfolgen muss, dann werden natürlich konventionelle Kraftwerke

und Gaskraftwerke, Kohlekraftwerke auch in 2030 stark betrieben werden

und die Klimaziele in Baden- Württemberg nicht erreicht werden.

Das heißt, trotz grüner Landesregierung

werden dann im Jahr 2030 die Pariser Klimaschutzziele verfehlt werden?

Das kann passieren.

Der erste grüne Ministerpräsident Deutschlands hatte zehn Jahre Zeit

und er hat nicht geliefert.

Sie wurden ausgebeutet für Westdevisen vom Klassenfeind.

In DDR-Gefängnissen mussten zehntausende

politische Häftlinge Waren für den westdeutschen Markt produzieren.

Viele von ihnen leiden bis heute

unter den körperlichen und psychischen Folgen.

Ungefähr 6.000 Westfirmen profitierten von der Zwangsarbeit.

Zu diesem Ergebnis kam eine Studie bereits 2014.

Aber bis heute haben die Opfer keine Entschädigung erhalten.

Tom Fugmann berichtet.

Mit 18 war Holger Rossmann verliebt.

Doch sie kam aus dem Westen, er lebte in der DDR.

Die Staatsmacht kam ihnen auf die Spur und verurteilte Holger Rossmann

1975 wegen angeblicher Propaganda für den Klassenfeind:

zwei Jahre Gefängnis.

Rossmann musste im Haftarbeitslager

im Chemiekombinat Bitterfeld schuften, in veralteten Anlagen,

aus denen ständig giftige Chlor- und Quecksilberdämpfe austraten.

Es waren hohe Temperaturen dort,

sodass unweigerlich Quecksilber verdampfen musste.

Das war einem auch klar und da hatte ich schon Angstschweiß,

wenn ich da unten war.

Ich wusste, dass Quecksilber giftig ist, aber zu dem Zeitpunkt,

da wusste ich bestimmte Dinge nicht: Wie gefährlich das ist.

Wir wurden auch nicht aufgeklärt.

Dazu kam noch, dass aus diesen Rohren Lauge lief,

die sehr hoch ätzend war.

Nach dem Mauerfall fuhr Rossmann nach Bitterfeld

und filmte das ehemalige Haftarbeitslager, den Ort,

der sein Leben veränderte.

Bis heute leidet er unter den Folgen

der gefährlichen und gesundheitsschädlichen Arbeit.

Immer noch weist sein Blut erhöhte Quecksilberwerte auf.

Ich habe massiv Schlafstörungen, dann Depressionen in jeder Phase,

also in den tiefsten sogar, da war ich auch in Behandlung.

Und ich habe sehr viel Hautprobleme.

Das sieht man jetzt nicht, aber überall Hautprobleme.

Die Chlorlauge verätzte seine Haut,

jeden Tag muss der 69-Jährige seine Beine verbinden.

Die Zwangsarbeit hat seine Gesundheit ruiniert,

wie auch die von Zehntausenden ehemaligen Häftlingen.

Profitiert von dieser Zwangsarbeit haben auch Unternehmen im Westen.

Denn die Gefangenen in der DDR produzierten auch Waren,

die in der Bundesrepublik verkauft wurden,

beispielsweise Strumpfhosen aus dem Zuchthaus Hoheneck,

die bei Aldi

unter den Namen "Sayonara" und "Iris" verkauft worden sind.

Auch Woolworth, Karstadt, Hertie und Kaufhof

verkauften die Strumpfhosen aus dem DDR-Knast.

Der Historiker Tobias Wunschik von der Stasi-Unterlagenbehörde

hat das recherchiert.

Man kann aus vorliegenden Zahlen hochrechnen,

dass DDR-Häftlingsarbeiter einen Anteil von wahrscheinlich

sicherlich 200, vielleicht sogar 500 Mio. D-Mark jährlich

am Export von DDR-Produkten hatten.

Für West-Konzerne war es natürlich vorteilhaft,

zu niedrigeren DDR-Lohnstückkosten produzieren zu lassen

und im Westen zur wesentlich stabileren, härteren Währung

in D-Mark verkaufen zu können.

Bis heute haben Häftlinge, die Opfer der DDR-Willkürjustiz wurden,

im Gefängnis für den Klassenfeind schuften mussten,

für diese Zwangsarbeit keine Entschädigung erhalten.

Es geht darum, dass wir sagen, wir haben ein Problem,

wir waren unschuldig in die Lage gekommen und wir erwarten,

dass wir nicht nur zur Kenntnis genommen werden,

sondern dass uns geholfen wird.

Ich denke hier an eine Fondslösung, wo den Betroffenen,

die in Nöten sind, sei es gesundheitlich oder materiell,

geholfen werden kann.

Vor Kurzem hat die Union der Opferverbände

Kommunistischer Gewaltherrschaft 14 Unternehmen angeschrieben,

Modefirmen, Warenhäuser, Versandhändler.

Sie wurden gebeten,

einen Härtefallfonds für ehemalige politische Häftlinge

finanziell zu unterstützen.

Bis auf Ikea lehnten alle ab.

Begründung: Von Zwangsarbeit habe man nichts gewusst.

Die westdeutschen Unternehmen, die mit Produkten aus der DDR

gehandelt haben, haben alle aus- nahmslos gewusst, wo sie herkommen.

Und dass vielleicht jetzige Manager oder auch Beschäftigte

des Unternehmens sagen, sie wissen nichts davon, das kann durchaus sein

Es sind ja paar Jahrzehnte her.

Aber zur Firmengeschichte gehört das natürlich.

Im Westen hat jeder gewusst, auch jede Bundesregierung,

weil alle Häftlinge, die ja entlassen wurden,

darüber berichtet haben.

Viele Firmen behaupten heute, es sei nicht nachweisbar,

ob wirklich Häftlinge an der Produktion beteiligt waren.

Die Gefangen wussten oft nicht, dass sie für den Westen arbeiteten.

Im Haftarbeitslager Dessau-Wolfen allerdings

wurden auf einer Telefunken-Maschine Kassetten gewickelt.

Silvia Krause, die 1988 dort eingesperrt war, erinnert sich:

Jetzt speziell von den Kassetten haben wir es nur vermutet,

weil diese Einrichtungen, wo quasi diese Umspulung stattfand, because these facilities, where this rewinding took place,

das waren ausrangierte Telefunken-Geräte.

Und da haben wir vermutet, dass wir auch für den Westen arbeiten.

Silvia Krause kämpft noch immer mit den Folgen ihrer Haft

und der Zwangsarbeit. Ihr Vergehen damals:

ein Ausreiseantrag und die Kritik an den politischen Verhältnissen.

Ihren Beruf als Physiotherapeutin musste die 63-Jährige aufgeben,

weil sie unter posttraumatischen Belastungsstörungen leidet.

Sie musste im Knast hart arbeiten, auch unter Schikanen.

Mit austreten war da nichts.

Ja, da wurden wir angebrüllt.

Und wir hatten auch keine Möglichkeit einer Pause.

Also, wer schon mal acht Stunden gestanden hat, der weiß,

wie sich das anfühlt.

Ja, also es war einfach sehr, sehr schwer.

Frontal 21 hat bei zehn Firmen nachgefragt,

ob sie sich in der Verantwortung

für die Zwangsarbeit in DDR-Gefängnissen sehen.

Manche antworten gar nicht.

Andere schreiben, man lehne Zwangsarbeit grundsätzlich ab.

Interviews will keiner geben.

Ich finde, man soll über Zwangsarbeit,

wo die ganze Welt über Fairtrade redet, wir in Deutschland besonders,

nicht so tun, als hätte es das nicht gegeben.

Und das ist auch ein Stück moralische Wiedergutmachung.

Es geht nicht zuallererst ums Geld, ja, sondern es geht darum,

dass auch die Betroffenen sehen:

Ja, hier bekennen sich Unternehmen auch zu ihrer Mitverantwortung.

Meine persönliche Meinung ist die, dass Firmen,

die damals doch recht gut davon profitiert haben, von diesem System,

dass die eine, ich sag mal, eine gewisse moralische Verantwortung

haben, da einen Beitrag zu leisten.

Eines konnte die DDR ihm nicht nehmen: seine Liebe.

Denn mit der Frau, die Holger Rossmann 1970 kennengelernt hatte,

ist er immer noch verheiratet.

Diese Bilder wurden gestern öffentlich:

Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin beim Skiausflug in Sotschi.

Die Botschaft an die Welt:

Was scheren uns Sanktionen und Proteste?

So kann der belarussische Machthaber, unterstützt von Putin,

auch weiter den Gewinner geben.

Und tatsächlich klingt nach Niederlage,

was die belarussische Oppositionsführerin

Svetlana Tichanowskaja kürzlich aus dem Exil sagte:

“Wir haben nicht die Mittel, um der Gewalt des Regimes

gegen die Demonstranten etwas entgegenzusetzen“.

Wie gewalttätig das Regime seine Kritiker lange schon bekämpft,

zeigt der brisante Mitschnitt eines KGB-Komplotts aus dem Jahr 2012.

Demnach plante der belarussische Geheimdienst konkret

und bis ins Detail, Dissidenten im Exil zu töten.

Mordgrüße aus Minsk:

Joachim Bartz und Ulrich Stoll berichten.

Minsk, 11. April 2012,

in der Zentrale des belarussischen Geheimdienstes KGB.

Dessen Chef Wadim Sajzew und zwei seiner Offiziere planen,

Regimekritiker im Ausland zu ermorden.

Sie ahnen nicht, dass ihr Gespräch mitgeschnitten wird.

Im Visier des Geheimdienstes - ein regimekritischer Journalist:

Pawel Scheremet.

Wir sollten uns mit Scheremet beschäftigen, dieser Nervensäge.

Wir zünden eine Bombe, und diese verfluchte Ratte

wird in Stücke gerissen, die Arme in die eine Richtung,

die Beine in die andere.

Eine Bombe zu zünden, ist überhaupt kein Problem.

Kiew, 20. Juli 2016, 7.39 Uhr.

Vier Jahre nach dem Mordauftrag

explodiert in der Hauptstadt der Ukraine eine Autobombe.

Sie tötet den Journalisten Pawel Scheremet.

Er wird 45 Jahre alt.

Berlin, im Januar 2021.

Auch dieser Mann soll ermordet werden: Oleg Alkajew.

Der ehemalige belarussische Offizier und Gefängnisdirektor

lebt seit 20 Jahren im deutschen Exil.

Als ich im Fernsehen sah, wie das Auto in die Luft flog

und wie sie nach seinen Leichenteilen suchten,

wurde mir klar: Die Sache ist sehr ernst.

Ich empfand unermessliche Trauer und Zorn.

Denn ich war mit Scheremet befreundet,

er hat meine Bücher verlegt,

zum Beispiel das Buch "Das Erschießungskommando"

mit harten Vorwürfen gegen die Sicherheitsbehörden von Belarus.

Deshalb sind wir ihr Ziel.

Aber ich habe keine Angst, du wirst ja verrückt,

wenn du überall Attentäter vermutest.

Das abgehörte Gespräch von 2012 belegt:

Der in Deutschland lebende Dissident Alkajew

galt dem Geheimdienst als leichte Beute.

Um Alkajew musst du dich nicht kümmern, das ist eher was

für einen Lehrling, das soll jemand anderes machen.

Eine Idee: Geheimdienstoffiziere einschleusen

in die Dissidentenszene im Exil.

Ich fahre hin als Opfer des Regimes.

Das ist ziemlich leicht.

Ich besorge mir eine Einladung, bekomme ein Visum und fahre los.

Präsident Alexander Lukaschenko herrscht wie ein Diktator.

Demonstranten werden niedergeknüppelt,

eingesperrt, gefoltert.

Lukaschenko lässt auf Demonstranten schießen,

wie dieses Video vom 10. August 2020 belegt.

Und wer ins Ausland flieht, ist vor dem Regime nicht sicher.

Auch das wird aus dem Geheimdienstmitschnitt klar:

Der Präsident erwartet klare Maßnahmen,

die der KGB ausführen soll.

Die Methoden sind klar: Wer soll wo ertränkt oder erschossen werden?

Wie kann man eine Explosion oder ein Feuer als Unfall tarnen,

um jemanden umzubringen?

Dafür gibt es mehr als 1,5 Mio. Dollar auf einem Spezialkonto.

Gerade ein System im Todeskampf und Diktatoren im Endkampf,

wenn man das so will, sind hochbrisant, hochgefährlich.

Und Lukaschenko zeigt ja auch, dass er mit den letzten Vertrauten

einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt.

Und die Gefahr eben auch ist, dass er im Ausland versucht,

mit langem Arm gezielt zu töten.

Es ist eine Gefahr für diese Menschen.

Die müssen wir ernst nehmen.

Oleg Alkajew wird von deutschen Sicherheitsbehörden beschützt.

Dafür hat dieser Mann gesorgt: Igor Makar.

Makar war Offizier einer belarussischen Antiterroreinheit.

2006 hat er die Seiten gewechselt, seitdem lebt er im Exil in Litauen.

2012 wurde ihm der Audiomitschnitt zugespielt,

der die Mordpläne des weißrussischen KGB belegt.

Ich hörte, dass sie über meinen Freund Oleg Alkajew sprachen,

dass sie seine Ermordung planten

und jemand deshalb nach Deutschland fahren sollte.

Ich wusste, ich muss irgendetwas tun,

um das Leben von Alkajew zu retten.

Ich wandte mich an einen US-Diplomaten mit der Bitte,

dieses Verbrechen zu verhindern.

Nach einer Weile erfuhr ich,

dass die deutsche Polizei Oleg Alkajew gewarnt hat,

dass er in Lebensgefahr schwebt - und dass sie ihn beschützte.

Neben Oleg Alkajew will der belarussische Geheimdienst

noch mindestens zwei weitere Dissidenten

in Deutschland umbringen, belegt das abgehörte Gespräch.

Wo ist die Garantie, dass das Thema Auftragsmorde ad acta gelegt wurde?

Im Gegenteil, die Lage in Belarus hat sich total verschärft.

Deshalb halte ich mich an einige Sicherheitsregeln.

So treffen wir uns hier in meinem Büro

und nicht in der Öffentlichkeit.

Das Risiko ist da.

Es gibt so viele Möglichkeiten, jemanden umzubringen.

Tatsächlich belegen die heimlichen Tonaufnahmen,

dass der belarussische KGB auch Giftmorde plante:

In Witebsk gibt einen Amateur-Chemiker, der behauptet,

jede Chemikalie herstellen zu können.

Und wenn man ihm Größe und Gewicht einer Person nennt,

dann kann er die passende Substanz liefern.

Dann los, finde den Mann und bereite alles vor.

Meine Aufgabe ist es,

Geld für all diese verrückten Ideen aufzutreiben.

Es ist natürlich eine Bedrohung von Menschen,

die in Deutschland Schutz gesucht haben.

Und das können wir politisch natürlich nicht hinnehmen.

Der Schlüssel für das Ganze liegt allerdings in Russland.

Der weißrussische Geheimdienst ist, KGB heißt er ja dort,

quasi sehr eng verknüpft mit dem FSB in Russland.

Auch mit militärischer Hilfe Russlands

hält sich der letzte Diktator Europas an der Macht.

Lukaschenko werde mit allen Mitteln versuchen,

seinen Sturz zu verhindern, warnen Überläufer

und verweisen auf den Mitschnitt im KGB.

Diese Audiodatei beweist, dass Alexander Lukaschenko als Präsident

der Republik Belarus nichts anderes ist als ein Verbrecher.

Der Mord in Kiew zeigt:

Das Lukaschenko-Regime bleibt gefährlich für Dissidenten,

in ganz Europa.

Gestern berieten die EU-Außenminister über Sanktionen gegen Russland.

Es ging darum, das Missachten von Menschenrechten zu bestrafen.

Heraus kamen Sanktiönchen.

Unsere Satiriker Werner Doye und Andreas Wiemers horchen nach,

was Staatschef Putin zu dem Thema einfällt.

Toll!

Liebe Freunde, Gott sei Dank, dass heutzutage in Europa

Russland nicht nur im Zusammenhang mit Oligarchen, Korruption und Mafia

erwähnt wird.

Gott sei Dank!

Nicht nur Oligarchen, Korruption und Mafia aus Russland,

sondern auch: Pipelines!

Nord Stream 2 heißt die fantastische Röhre,

die unsere russischen Freunde durch die Ostsee zu uns rüber legen.

Jetzt fragen sich natürlich viele: Ist es richtig,

dem Präsidenten eines Staats Geschäfte zu genehmigen,

der, wie beim Regierungskritiker Nawalny,

Menschenrechte mit Füßen tritt?

Die Antwort ist eigentlich einfach:

Und zwar: Verletzungen von Menschenrechten

sind für unsere Regierung schon seit langem kein Hinderungsgrund.

Besetzung der Krim,

Anschlag mit Nervengift auf den Ex-Agenten Sergej Skripal,

Mord im Berliner Tiergarten.

Da kommt's auf einen Nawalny mehr oder weniger auch nicht an.

Die Haltung:

...die Haltung zu Nord Stream 2 ist davon erst mal unberührt.

So eine Pipeline ist für alles Mögliche gut.

Und unser Minister für alles Mögliche, Peter Altmaier, weiß,

Gas dient als:

...als Brückentechnologie.

Die Brücke brauchen wir, um drüber hinwegzugehen,

dass wir unsere künftigen Klimaziele nicht erreichen.

Was blöd ist weil, unser:

Unser Schwerpunkt liegt auf der Förderung

der Klima- und Umweltprojekte.

Gut, eine Gaspipeline hat mit Umweltschutz so viel zu tun

wie 'n Raketenwerfer mit Rentenvorsorge.

Aber, dass die Amerikaner die Pipeline mit Sanktionen

verhindern wollen, um uns ihr eigenes Gas zu verkaufen,

das geht natürlich auch nicht.

Darum hat Manuela Schwesig mit dem Parlament

in Mecklenburg Vorpommern eine “Stiftung zum Austricksen

der amerikanischen Sanktionen MV“ beschlossen.

Und weil es irgendwie besser klingt,

haben sie die “Stiftung Klima- und Umweltschutz MV“ genannt.

Das ist verwirrend, aber die Welt:

Die Welt, meine Damen und Herren, ist viel komplizierter geworden.

Das gilt ganz aktuell auch für Regierungskritiker Alexej Nawalny.

Der geht jetzt für zweieinhalb Jahre ins Straflager.

Und Wladimir Putin gestern erstmal zum Skifahren nach Sotschi.

Das war Frontal 21 für heute.

Hier folgt jetzt das heute journal.

Wir gehen es in zwei Wochen wieder Frontal an.

Bis dahin, bleiben Sie zuversichtlich.