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Ted Talks, Konsensdemokratie in Unternehmen | Uwe Lübbermann | TEDxLeuphanaUniversityLüneburg

Konsensdemokratie in Unternehmen | Uwe Lübbermann | TEDxLeuphanaUniversityLüneburg

Transkribierer: Nadine Hennig Lektorat: Jo Pi Ich bin heute hier, um euch etwas über eine Idee zu erzählen, die ich vor ein paar Jahren hatte, und zwar Geschäftsführungen abzuschaffen, alles mit allen gemeinsam zu entscheiden und Unternehmen im Konsens zu führen, dass alle mit allen Entscheidungen einverstanden sind. Das klingt erstmal utopisch, die erste Reaktion ist in der Regel: Das geht ja gar nicht.

Das kann ich aber widerlegen,

da wir das schon seit 13 ½ Jahren im Premium Getränkenetzwerk so machen. Wir produzieren und verkaufen Cola, Bier und Limonaden, und das machen wir in Konsensdemokratie.

Jetzt erzähle ich euch, wie es dazu kam

und was man dabei [im Konsens] alles so machen kann. Angefangen hat das Ganze in einer Badewanne vor mittlerweile 15 ½ Jahren. Ich trank meine damalige Lieblings-Cola und stellte fest, dass der Geschmack anders war und ich nicht wach wurde. Das Koffein war reduziert, aber auf der Flasche stand nichts. Neues Rezept, geänderte Formel --

meine Cola wurde heimlich geändert. Das hat mich geärgert. Ich finde, wenn ich die Cola kaufe, bin ich ein Teil des Netzwerkes, nicht der Chef oder der König als Kunde,

aber doch ein Teil davon

und als solcher möchte ich auch auf Augenhöhe behandelt werden. Um das zu erreichen, bin ich zur Hersteller-AG hingefahren -- ich war Azubi -- und habe verlangt, dass ich bei der Rezeptur und allen Entscheidungen mitreden darf,

und dass die Änderung wieder zurück genommen wird. Wir haben zwei Jahre lang miteinander geredet, aber letztlich haben sie es nicht geändert

und haben sogar noch die Cola in einer Light-Version in einer Plastikflasche rausgebracht, ohne vorher ein Wort zu sagen. Sie haben nicht verstanden, warum oder dass ich da mitreden wollte. Dahinter steckt das Glück, das ich dann hatte. Ich habe einen Tipp bekommen, wo das echte Rezept noch zu haben ist, weil das in der Getränkewelt oft getrennt ist. Es gibt einen Sirup-Hersteller,

einen Abfüller und einen In-Verkehr-Bringer der Marke. Wir konnten an denen vorbei und das Rezept direkt beim Abfüller kaufen. Dann habe ich 1 000 Flaschen produzieren lassen und an Leute verschickt, die ich in dem Netzwerk hatte.

Dann habe ich noch 1000, noch 2000 gemacht, da noch mehr Nachfrage kam.

Dann hatte ich aus Versehen eine Getränkemarke gegründet. Das war nicht geplant.

Dann hatte ich ein Problem, denn dann musste ich alles machen: Produktion organisieren, Logistik, Recht, Finanzplanung. Ich sollte auch entscheiden, da ich der Gründer, der offizielle Inhaber war. Das fand ich nicht sinnvoll, da mir ein grundsätzlicher Wert wichtig ist. Ich möchte, dass alle Menschen

so gleichwertig wie möglich behandelt werden -- nach Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft, sexueller Orientierung usw., aber auch der Geschäftsführer

sollte nicht automatisch mehr Rechte als der Mitarbeiter haben. Interner Partner und externer Partner sollten gleich wichtig sein, genau wie großer Partner und kleiner Partner. Eine grundsätzliche Gleichwertigkeit zwischen Menschen, und das macht Wirtschaft anders.

Der Geschäftsführer hat das Sagen,

der große Kunde ist wichtiger als der kleine, und das gefällt mir nicht.

Es ging nicht ums Rezept, sondern um Gleichwertigkeit, darum mitreden zu können.

Dann habe ich jeden Sonntagabend in einen Club in Hamburg eingeladen und gebeten, dass alle kommen, die damit zu tun haben. Der erste Spediteur, der erste Händler, die Endkunden, alle die daran hingen, sollten kommen und mir sagen, was sie brauchen, was ihre Wünsche, Gedanken und Bedürfnisse sind und dann reden wir so lange, bis alle einverstanden sind, damit keiner unter die Räder gerät. Das ist das ganze Geheimnis: Konsensfindung. Das machen wir jetzt immer noch so nach 13 ½ Jahren. "Dauert das nicht ewig?", ist die zweite Frage, die kommt. Ja schon, aber nur zu Anfang,

weil man einmal wirklich alle mit ins Boot holen muss. Aber dann hat man alle im Boot, also eine schlauere Entscheidung, als wenn ich allein entscheide.

Man hat eine sozialere Entscheidung, da jemand, der ausgebeutet werden würde, jetzt sein Veto einlegen könnte und dadurch hat man eine stabilere, effizientere und angenehmere Unternehmens- , Partner- und Kundenkultur. Deswegen machen wir das immer noch so.

Das Verfahren ist so einfach, dass es auf eine Folie passt. Wir einigen uns auf ein Oberziel:

"Gleichwertigkeit in der Wirtschaft herstellen." Ab da gibt es keine Filter mehr,

d. h. jeder kann jedes Thema eingeben

und jeder kann auch zu jedem Thema etwas sagen, egal ob es fachlich in sein Gebiet fällt oder nicht. Das heißt, dass wir die Fachleute drin haben, die ihre Perspektive einbringen, aber auch die Laien, die ganz frisch und frei an die Themen ran gehen. Dann wird diskutiert und irgendwann ebbt das ab und dann macht ein Mensch darauf einen Beschlussvorschlag. Wenn es dagegen kein Veto gibt, sondern eine von den ersten vier Reaktionen, dann ist der Beschluss vorläufig getroffen. So einfach. Da braucht man nur zwei Vorkehrungen für den Fall, dass es schief geht. Die erste ist, wenn wir uns nicht einigen können, aber produzieren müssen, dann darf ich ausnahmsweise mal entscheiden. So eine Art Notstandsregelung.

Das haben wir in 13 ½ Jahren zweimal gebraucht, beim einen Mal ging es um ein Kunstbild auf der Vorderseite der Flaschen, beim anderen Mal um eine Textzeile auf der anderen Seite. Strategie, Kalkulation, das hat alles im Konsens geklappt. Das 2. Mal bezieht sich darauf, wenn jemand sich daneben benimmt, dann muss man den auch rauswerfen können.

Wenn z. B. jemand klaut, das hatten wir zwei Mal. Und dann ist es so, dass jede Person

in diesem Kollektiv jeden anderen nominieren kann, ausgeschlossen zu werden. Nur dieser eine hat dann kein Vetorecht, aber alle anderen, d. h. wenn der Grund sehr eindeutig ist, dann kann man jemanden rauswerfen, wenn das nicht eindeutig ist, dann kann man jemanden nicht rauswerfen. Das ist das Verfahren, mit dem wir seit 13 ½ Jahren das Unternehmen steuern. Es ist wichtig, dass man mit Beschlüssen anders umgeht, als normale Unternehmen es machen.

Die machen das auch, besprechen und beschließen sie. Dann wird es aufgeschrieben, mit einer Laufzeit, und unterschrieben, damit sich das nicht ändert in dieser Laufzeit -- Vertrag. Das hat den Nachteil, dass man es dann nicht ändern kann in der Laufzeit. Wandelt sich aber eine Rahmenbedingung

tritt ein anderer Bedarf oder hat jemand eine bessere Idee, muss man es sofort ändern können.

Damit das geht, habe ich mich von Anfang an davor gedrückt, schriftliche Verträge zu machen und habe das bis heute durchgezogen mit 1680 gewerblichen Partnern.

Das klingt erstmal unsicher. Da kann jeder jederzeit gehen. Das führt dazu, dass ich die Leute so behandeln muss, dass sie freiwillig bleiben und die mich so behandeln müssen, dass ich freiwillig bleibe und sie sich untereinander ebenso. D. h. dieser Grundwert der Gleichwertigkeit wird langsam auf die Beteiligten übertragen.

Dadurch wird es im Endeffekt sogar stabiler, als wenn ich es in Verträgen festgebunden hätte. Skalierbar ist das auch.

Letztes Jahr haben wir 1,2 Mio. Flaschen verkauft, 1680 gewerbliche Partner, 680 Verkaufsstellen, nur 3 Leute organisieren das -- sehr effizient -- und am Ende bin ich immer noch

der "zentraler Moderator", so heißt meine Rolle, und ich muss das alles auf der Spur halten, die Interessen ausgleichen und sehen,

dass wir eine bessere Lösung finden.

Das geht, das produziert, das liefert, das rechnet ab, das ist schuldenfrei, das ist ein funktionierendes Unternehmen in der realen Wirtschaft. Das ist das Hauptprodukt, es gibt noch Bier und Limonaden. Wenn man die Flasche aufschneidet und in die Finanzen guckt, dann sieht man, dass wir mit einzelnen Cents rechnen, anstatt Prozentmarken zu haben. Anstelle von prozentualen Anteilen

für unterschiedliche teure Produkte oder Hektoliter, wie in der Getränkebranche,

machen wir das, dass wir es präsent und verständlich haben, daher haben wir einzelne Cent-Anteile gemacht. Diese Anteile sind mit allen Beteiligten im Konsens, regelmäßig, ca. einmal im Jahr gemeinsam neu besprochen, beschlossen und verabschiedet.

Es ändert sehr viel, wenn man so mit den Finanzen umgeht. Was sich zuerst ändert, dass es transparent gemacht ist. Die normale Wirtschaft macht das als Blackbox, da erfahren wir nicht, wer welche Anteile bekommt. Das trägt zu einer Vertrauenskultur bei.

Der zweite Punkt ist, dass die Leute genau wissen, was ihre Anteile sein werden,

wenn sie nächste Woche das Produkt verkaufen. Es ist eine berechenbare Einkommensgrundlage und nicht dauernd Schwankungen unterworfen.

Dritter Punkt, wir haben eine sehr geringe Fluktuation, unter 2 % auf 13 ½ Jahre, der gewerblichen Partner, das macht es wiederum sehr effizient und menschlich sehr angenehm, wenn man lange mit den gleichen Leuten arbeiten kann. Der vierte Punkt, der hier nicht steht, ist Werbung. Wir finden, dass wir von euch als Kunden

nicht mehr Geld nehmen wollen als eigentlich nötig, um damit Werbung zu bezahlen,

die euch in der Regel nur belästigt.

Wer möchte Werbung haben? Möchte man eigentlich nicht. Wenn ihr Informationen haben wollt, dann darf ich reden, aber wenn wir rausgehen, dann habe ich euch nicht zu belästigen. Das fünfte, was hier auch nicht steht, ist Gewinn. Gewinn im Sinne, dass ich als offizieller Inhaber am Jahresende alle Ausgaben und Einnahmen verrechnen könnte und die Differenz wäre meins.

Dadurch könnte ich mehr verdienen, wenn es mir gelingt, auf die Lieferanten zu treten

oder von euch mehr Geld zu nehmen als erforderlich ist -- beides Anreize, die mir eine Sonderrolle geben würden und die ich nicht haben will.

Also haben wir gesagt: Wir wollen keine Gewinne, sondern eine schwarze Null am Jahresende. Wir müssen natürlich Löhne bezahlen, wir zahlen Einheitslöhne, 16 Euro brutto, auch für mich.

Für Kinder und bei Behinderung gibt es Zuschläge, aber das war's. Nicht: Wer ist wie wichtig?

Wir wollen alle gleichberechtigt behandeln. Das kann man so machen, aber das ändert natürlich etwas, wenn der Unternehmenszweck nicht mehr das Erzielen von Gewinnen ist. Das muss man nicht machen.

Der Unternehmenszweck ist diese Folie.

Das ist grob aufgemalt unser Partnernetzwerk. Auf der linken Seite sind unsere Vorlieferanten, vorne sind die Abfüller,

dann verkaufen sie die Flaschen an uns in der Mitte, wir liefern an Getränkegroßhändler, dann geht es an Händler und Gastronomen, dann kauft ihr (oben rechts) die Flaschen, einige werden Hobbyaußendienstler, es gibt einen Programmierer für die Homepage, es gibt eine Zollagentur, andere Hersteller, 1680 gewerbliche Partner, die mit uns verbunden sind und auf die wir uns auswirken, wenn wir Dinge tun. Es wäre Blödsinn, die als extern zu betrachten, da wir ja verbunden sind.

Tun sie Dinge, dann wirkt sich das auf uns aus. Also müssen wir eigentlich das Unternehmen auflösen und alle die davon betroffen sind als Beteiligte betrachten und einladen zu gemeinsamen Diskussionen und Fragen, die sich ergeben. Dabei bessere Lösungen finden als die normale Wirtschaft es macht, damit die Leute freiwillig bleiben.

Davon kann man leben, das ist total irre.

Ich koste auch etwas, ich koste 3 Cent pro Flasche, für diese Tätigkeit.

Es hat noch nie jemand vorgeschlagen, mich einzusparen, weil es offensichtlich gewünscht ist, dass sich das jemand auf den Radar holt und besser löst, als es die Wirtschaft macht. Das ist der Unternehmenszweck.

Das ist großartig.

Das habe ich erst sehr spät verstanden -- erst nach 10 Jahren. Das eigentliche Produkt ist diese Dienstleistung, "das Reparieren des Kapitalismus", könnte man sagen. Es ist extrem toll, so zu leben und zu arbeiten. Rede ich von Unternehmen, muss ich noch sagen, was es eigentlich ist, wo man das anfassen kann.

Ein Büro oder eine Produktionsanlage besuchen -- es ist tatsächlich so, dass ich keine eigenen Produktionsmittel habe und damit auch keine Machtmittel.

Ich kann nicht die Werkstür verschließen, wenn mir die Leute nicht gefallen. Was ich aber habe, das sind ein Laptop und ein Telefon, das sind die einzigen Anlagevermögensgegenstände, und das Markenrecht.

Das ist nicht anfassbar und damit kann ich letztlich doch bestimmen, wer das Produkt verkauft, an wen und wie es aussieht usw. Ich könnte meinen Anteil verdreifachen, auf 9 Cent pro Flasche und ich könnte die Etiketten grün färben.

Das Problem ist aber, dass ich diesen ganzen Beteiligten vorher, seit 13 ½ Jahren Konsens versprochen habe, und das die alle keine Verträge haben. Dann laufen sie mit Sicherheit weg, wenn ich durchdrehe. Das heißt, den Kern des Eigentums, dass ich alleine bestimmen kann, habe ich abgegeben aus Versehen, das habe ich auch erst später verstanden. Dann habe ich überlegt, wenn mir das gar nicht mehr gehört, dann kann ich es auch verschenken.

Da habe ich alles aufgeschrieben, was wir so machen mit Konsensdemokratie und Antimengenrabatte, Zahlungsausfallgarantie usw.

Ich habe es kostenlos auf die Homepage getan, damit es andere Unternehmen auch benutzen können. Damit sich das verbreitet.

Das tun auch einige, insgesamt 16, die helfen bei der Verbreitung. Irgendwie loslassen, Kontrolle abgeben und freigeben, da kann man ganz viel machen.

Damit haben wir sozusagen im Prinzip einen Beweis erbracht, weil wir im Rahmen des Kapitalismus arbeiten. Wir haben das BGB und HGB, das Steuerrecht, was oben drüber ist. Wir hatten übrigens eine Prüfung ohne Beanstandung. Da bewegen wir uns drin und machen trotzdem alles anders. Und es geht trotzdem.

Argumentiert jemand: Wir seien im gegebenen Rahmen, und müssten deswegen wachsen, wir müssten mit Druck arbeiten, wir müssten werben.

Das stimmt vielleicht nicht. Das geht vielleicht doch anders. Was habe ich davon?

Ich ganz persönlich für mich habe fünf Löhne. Ich kann davon leben.

16 Euro brutto sind 2.600 Euro im Monat,

das reicht für einen Einzelmenschen vollkommen. Millionär werde ich nicht, aber es reicht.

Ich habe diesen Lebensunterhalt nicht mit einem einzigen Arbeitgeber, wo ich weisungsgebunden abhängig beschäftigt bin und jeden Tag am selben Ort sein und einen Anzug anziehen muss, sondern ich habe viele Partner, 1680,

d. h. wenn da einer wegfällt, ist das nicht gleich existenzbedrohend. Das ist viel sicherer, viel stabiler.

Dann habe ich die Freiheit, hier mit grünen Socken zu stehen und vorzutragen, zu sagen,

was ich denke und gefällt mir das nicht,

dann gehe ich wieder oder ich fahre woanders hin -- Freiheiten, die ich nicht überall habe.

Der vierte Punkt ist,

ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Ich mache eine Dienstleistung, die die Leute wollen, da noch nie jemand vorgeschlagen hat, dass man mich einspart. Ich könnte auch

eine Zigarettenwerbekampagne entwickeln und dafür Geld nehmen, aber das hier ist etwas, was die Leute wollen. Das Fünfte ist, ich darf hier unter anderem erzählen, was ich über faire Wirtschaft denke.

Das ist großartig.

Wenn ich mir überlege, man würde nur den ersten Punkt lassen und die anderen vier streichen, und dafür mein Gehalt verdreifachen, das mache ich nicht.

Verfünffachen, mache ich nicht. Verzehnfachen mache ich auch nicht. Es gibt nicht nur den finanziellen Lohn, es gibt auch viele andere Faktoren, die eine Rolle spielen für mich.

Das habe ich euch erzählt, um euch einen kleinen Einblick zu geben, dass man die Dinge auch ganz anders anfassen kann. Um euch auch zu ermuntern loszulassen, Kontrolle abzugeben, vielleicht sogar Konsensdemokratie einmal auszuprobieren in euren Arbeitszusammenhängen,

weil man dafür wesentlich mehr zurückbekommt, als man reinsteckt. Wenn dann jemand sagt, das kann gar nicht funktionieren, könnt ihr antworten, doch das geht.

Wir kennen da ein Beispiel.

Lass das mal ausprobieren.

Das wäre mein Wunsch an euch, mit dem ich hergefahren bin. Danke fürs Zuhören.

(Applaus)


Konsensdemokratie in Unternehmen | Uwe Lübbermann | TEDxLeuphanaUniversityLüneburg Consensus democracy in companies | Uwe Lübbermann | TEDxLeuphanaUniversityLüneburg Democracia de consenso en las empresas | Uwe Lübbermann | TEDxLeuphanaUniversityLüneburg Democracia de consenso nas empresas | Uwe Lübbermann | TEDxLeuphanaUniversityLüneburg Демократия консенсуса в компаниях | Уве Любберманн | TEDxLeuphanaUniversityLüneburg Консенсусна демократія в компаніях | Уве Любберманн | TEDxLeuphanaUniversityLüneburg 公司中的共识民主 | Uwe Lübbermann | TEDxLeuphanaUniversityLüneburg

Transkribierer: Nadine Hennig Lektorat: Jo Pi Ich bin heute hier, um euch etwas über eine Idee zu erzählen, die ich vor ein paar Jahren hatte, und zwar Geschäftsführungen abzuschaffen, alles mit allen gemeinsam zu entscheiden und Unternehmen im Konsens zu führen, dass alle mit allen Entscheidungen einverstanden sind. Das klingt erstmal utopisch, die erste Reaktion ist in der Regel: Das geht ja gar nicht.

Das kann ich aber widerlegen,

da wir das schon seit 13 ½ Jahren im Premium Getränkenetzwerk so machen. Wir produzieren und verkaufen Cola, Bier und Limonaden, und das machen wir in Konsensdemokratie.

Jetzt erzähle ich euch, wie es dazu kam

und was man dabei [im Konsens] alles so machen kann. Angefangen hat das Ganze in einer Badewanne vor mittlerweile 15 ½ Jahren. Ich trank meine damalige Lieblings-Cola und stellte fest, dass der Geschmack anders war und ich nicht wach wurde. Das Koffein war reduziert, aber auf der Flasche stand nichts. Neues Rezept, geänderte Formel --

meine Cola wurde heimlich geändert. Das hat mich geärgert. Ich finde, wenn ich die Cola kaufe, bin ich ein Teil des Netzwerkes, nicht der Chef oder der König als Kunde,

aber doch ein Teil davon

und als solcher möchte ich auch auf Augenhöhe behandelt werden. Um das zu erreichen, bin ich zur Hersteller-AG hingefahren -- ich war Azubi -- und habe verlangt, dass ich bei der Rezeptur und allen Entscheidungen mitreden darf,

und dass die Änderung wieder zurück genommen wird. Wir haben zwei Jahre lang miteinander geredet, aber letztlich haben sie es nicht geändert

und haben sogar noch die Cola in einer Light-Version in einer Plastikflasche rausgebracht, ohne vorher ein Wort zu sagen. Sie haben nicht verstanden, warum oder dass ich da mitreden wollte. Dahinter steckt das Glück, das ich dann hatte. Behind it is the luck that I had then. Ich habe einen Tipp bekommen, wo das echte Rezept noch zu haben ist, weil das in der Getränkewelt oft getrennt ist. Es gibt einen Sirup-Hersteller,

einen Abfüller und einen In-Verkehr-Bringer der Marke. Wir konnten an denen vorbei und das Rezept direkt beim Abfüller kaufen. Dann habe ich 1 000 Flaschen produzieren lassen und an Leute verschickt, die ich in dem Netzwerk hatte.

Dann habe ich noch 1000, noch 2000 gemacht, da noch mehr Nachfrage kam.

Dann hatte ich aus Versehen eine Getränkemarke gegründet. Das war nicht geplant.

Dann hatte ich ein Problem, denn dann musste ich alles machen: Produktion organisieren, Logistik, Recht, Finanzplanung. Ich sollte auch entscheiden, da ich der Gründer, der offizielle Inhaber war. Das fand ich nicht sinnvoll, da mir ein grundsätzlicher Wert wichtig ist. Ich möchte, dass alle Menschen

so gleichwertig wie möglich behandelt werden -- nach Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft, sexueller Orientierung usw., aber auch der Geschäftsführer

sollte nicht automatisch mehr Rechte als der Mitarbeiter haben. Interner Partner und externer Partner sollten gleich wichtig sein, genau wie großer Partner und kleiner Partner. Eine grundsätzliche Gleichwertigkeit zwischen Menschen, und das macht Wirtschaft anders.

Der Geschäftsführer hat das Sagen,

der große Kunde ist wichtiger als der kleine, und das gefällt mir nicht.

Es ging nicht ums Rezept, sondern um Gleichwertigkeit, darum mitreden zu können.

Dann habe ich jeden Sonntagabend in einen Club in Hamburg eingeladen und gebeten, dass alle kommen, die damit zu tun haben. Der erste Spediteur, der erste Händler, die Endkunden, alle die daran hingen, sollten kommen und mir sagen, was sie brauchen, was ihre Wünsche, Gedanken und Bedürfnisse sind und dann reden wir so lange, bis alle einverstanden sind, damit keiner unter die Räder gerät. Das ist das ganze Geheimnis: Konsensfindung. Das machen wir jetzt immer noch so nach 13 ½ Jahren. "Dauert das nicht ewig?", ist die zweite Frage, die kommt. Ja schon, aber nur zu Anfang,

weil man einmal wirklich alle mit ins Boot holen muss. Aber dann hat man alle im Boot, also eine schlauere Entscheidung, als wenn ich allein entscheide.

Man hat eine sozialere Entscheidung, da jemand, der ausgebeutet werden würde, jetzt sein Veto einlegen könnte und dadurch hat man eine stabilere, effizientere und angenehmere Unternehmens- , Partner- und Kundenkultur. Deswegen machen wir das immer noch so.

Das Verfahren ist so einfach, dass es auf eine Folie passt. Wir einigen uns auf ein Oberziel:

"Gleichwertigkeit in der Wirtschaft herstellen." Ab da gibt es keine Filter mehr,

d. h. jeder kann jedes Thema eingeben

und jeder kann auch zu jedem Thema etwas sagen, egal ob es fachlich in sein Gebiet fällt oder nicht. Das heißt, dass wir die Fachleute drin haben, die ihre Perspektive einbringen, aber auch die Laien, die ganz frisch und frei an die Themen ran gehen. Dann wird diskutiert und irgendwann ebbt das ab und dann macht ein Mensch darauf einen Beschlussvorschlag. Wenn es dagegen kein Veto gibt, sondern eine von den ersten vier Reaktionen, dann ist der Beschluss vorläufig getroffen. So einfach. Da braucht man nur zwei Vorkehrungen für den Fall, dass es schief geht. Die erste ist, wenn wir uns nicht einigen können, aber produzieren müssen, dann darf ich ausnahmsweise mal entscheiden. So eine Art Notstandsregelung.

Das haben wir in 13 ½ Jahren zweimal gebraucht, beim einen Mal ging es um ein Kunstbild auf der Vorderseite der Flaschen, beim anderen Mal um eine Textzeile auf der anderen Seite. Strategie, Kalkulation, das hat alles im Konsens geklappt. Das 2. Mal bezieht sich darauf, wenn jemand sich daneben benimmt, dann muss man den auch rauswerfen können.

Wenn z. B. jemand klaut, das hatten wir zwei Mal. Und dann ist es so, dass jede Person

in diesem Kollektiv jeden anderen nominieren kann, ausgeschlossen zu werden. Nur dieser eine hat dann kein Vetorecht, aber alle anderen, d. h. wenn der Grund sehr eindeutig ist, dann kann man jemanden rauswerfen, wenn das nicht eindeutig ist, dann kann man jemanden nicht rauswerfen. Das ist das Verfahren, mit dem wir seit 13 ½ Jahren das Unternehmen steuern. Es ist wichtig, dass man mit Beschlüssen anders umgeht, als normale Unternehmen es machen.

Die machen das auch, besprechen und beschließen sie. Dann wird es aufgeschrieben, mit einer Laufzeit, und unterschrieben, damit sich das nicht ändert in dieser Laufzeit -- Vertrag. Das hat den Nachteil, dass man es dann nicht ändern kann in der Laufzeit. Wandelt sich aber eine Rahmenbedingung

tritt ein anderer Bedarf oder hat jemand eine bessere Idee, muss man es sofort ändern können.

Damit das geht, habe ich mich von Anfang an davor gedrückt, schriftliche Verträge zu machen und habe das bis heute durchgezogen mit 1680 gewerblichen Partnern.

Das klingt erstmal unsicher. Da kann jeder jederzeit gehen. Das führt dazu, dass ich die Leute so behandeln muss, dass sie freiwillig bleiben und die mich so behandeln müssen, dass ich freiwillig bleibe und sie sich untereinander ebenso. D. h. dieser Grundwert der Gleichwertigkeit wird langsam auf die Beteiligten übertragen.

Dadurch wird es im Endeffekt sogar stabiler, als wenn ich es in Verträgen festgebunden hätte. Skalierbar ist das auch.

Letztes Jahr haben wir 1,2 Mio. Flaschen verkauft, 1680 gewerbliche Partner, 680 Verkaufsstellen, nur 3 Leute organisieren das -- sehr effizient -- und am Ende bin ich immer noch

der "zentraler Moderator", so heißt meine Rolle, und ich muss das alles auf der Spur halten, die Interessen ausgleichen und sehen,

dass wir eine bessere Lösung finden.

Das geht, das produziert, das liefert, das rechnet ab, das ist schuldenfrei, das ist ein funktionierendes Unternehmen in der realen Wirtschaft. Das ist das Hauptprodukt, es gibt noch Bier und Limonaden. Wenn man die Flasche aufschneidet und in die Finanzen guckt, dann sieht man, dass wir mit einzelnen Cents rechnen, anstatt Prozentmarken zu haben. Anstelle von prozentualen Anteilen

für unterschiedliche teure Produkte oder Hektoliter, wie in der Getränkebranche,

machen wir das, dass wir es präsent und verständlich haben, daher haben wir einzelne Cent-Anteile gemacht. Diese Anteile sind mit allen Beteiligten im Konsens, regelmäßig, ca. einmal im Jahr gemeinsam neu besprochen, beschlossen und verabschiedet.

Es ändert sehr viel, wenn man so mit den Finanzen umgeht. Was sich zuerst ändert, dass es transparent gemacht ist. Die normale Wirtschaft macht das als Blackbox, da erfahren wir nicht, wer welche Anteile bekommt. Das trägt zu einer Vertrauenskultur bei.

Der zweite Punkt ist, dass die Leute genau wissen, was ihre Anteile sein werden,

wenn sie nächste Woche das Produkt verkaufen. Es ist eine berechenbare Einkommensgrundlage und nicht dauernd Schwankungen unterworfen.

Dritter Punkt, wir haben eine sehr geringe Fluktuation, unter 2 % auf 13 ½ Jahre, der gewerblichen Partner, das macht es wiederum sehr effizient und menschlich sehr angenehm, wenn man lange mit den gleichen Leuten arbeiten kann. Der vierte Punkt, der hier nicht steht, ist Werbung. Wir finden, dass wir von euch als Kunden

nicht mehr Geld nehmen wollen als eigentlich nötig, um damit Werbung zu bezahlen,

die euch in der Regel nur belästigt.

Wer möchte Werbung haben? Möchte man eigentlich nicht. Wenn ihr Informationen haben wollt, dann darf ich reden, aber wenn wir rausgehen, dann habe ich euch nicht zu belästigen. Das fünfte, was hier auch nicht steht, ist Gewinn. Gewinn im Sinne, dass ich als offizieller Inhaber am Jahresende alle Ausgaben und Einnahmen verrechnen könnte und die Differenz wäre meins.

Dadurch könnte ich mehr verdienen, wenn es mir gelingt, auf die Lieferanten zu treten

oder von euch mehr Geld zu nehmen als erforderlich ist -- beides Anreize, die mir eine Sonderrolle geben würden und die ich nicht haben will.

Also haben wir gesagt: Wir wollen keine Gewinne, sondern eine schwarze Null am Jahresende. Wir müssen natürlich Löhne bezahlen, wir zahlen Einheitslöhne, 16 Euro brutto, auch für mich.

Für Kinder und bei Behinderung gibt es Zuschläge, aber das war's. Nicht: Wer ist wie wichtig?

Wir wollen alle gleichberechtigt behandeln. Das kann man so machen, aber das ändert natürlich etwas, wenn der Unternehmenszweck nicht mehr das Erzielen von Gewinnen ist. Das muss man nicht machen.

Der Unternehmenszweck ist diese Folie.

Das ist grob aufgemalt unser Partnernetzwerk. Auf der linken Seite sind unsere Vorlieferanten, vorne sind die Abfüller,

dann verkaufen sie die Flaschen an uns in der Mitte, wir liefern an Getränkegroßhändler, dann geht es an Händler und Gastronomen, dann kauft ihr (oben rechts) die Flaschen, einige werden Hobbyaußendienstler, es gibt einen Programmierer für die Homepage, es gibt eine Zollagentur, andere Hersteller, 1680 gewerbliche Partner, die mit uns verbunden sind und auf die wir uns auswirken, wenn wir Dinge tun. Es wäre Blödsinn, die als extern zu betrachten, da wir ja verbunden sind.

Tun sie Dinge, dann wirkt sich das auf uns aus. Also müssen wir eigentlich das Unternehmen auflösen und alle die davon betroffen sind als Beteiligte betrachten und einladen zu gemeinsamen Diskussionen und Fragen, die sich ergeben. Dabei bessere Lösungen finden als die normale Wirtschaft es macht, damit die Leute freiwillig bleiben.

Davon kann man leben, das ist total irre.

Ich koste auch etwas, ich koste 3 Cent pro Flasche, für diese Tätigkeit.

Es hat noch nie jemand vorgeschlagen, mich einzusparen, weil es offensichtlich gewünscht ist, dass sich das jemand auf den Radar holt und besser löst, als es die Wirtschaft macht. Das ist der Unternehmenszweck.

Das ist großartig.

Das habe ich erst sehr spät verstanden -- erst nach 10 Jahren. Das eigentliche Produkt ist diese Dienstleistung, "das Reparieren des Kapitalismus", könnte man sagen. Es ist extrem toll, so zu leben und zu arbeiten. Rede ich von Unternehmen, muss ich noch sagen, was es eigentlich ist, wo man das anfassen kann.

Ein Büro oder eine Produktionsanlage besuchen -- es ist tatsächlich so, dass ich keine eigenen Produktionsmittel habe und damit auch keine Machtmittel.

Ich kann nicht die Werkstür verschließen, wenn mir die Leute nicht gefallen. Was ich aber habe, das sind ein Laptop und ein Telefon, das sind die einzigen Anlagevermögensgegenstände, und das Markenrecht.

Das ist nicht anfassbar und damit kann ich letztlich doch bestimmen, wer das Produkt verkauft, an wen und wie es aussieht usw. Ich könnte meinen Anteil verdreifachen, auf 9 Cent pro Flasche und ich könnte die Etiketten grün färben.

Das Problem ist aber, dass ich diesen ganzen Beteiligten vorher, seit 13 ½ Jahren Konsens versprochen habe, und das die alle keine Verträge haben. Dann laufen sie mit Sicherheit weg, wenn ich durchdrehe. Das heißt, den Kern des Eigentums, dass ich alleine bestimmen kann, habe ich abgegeben aus Versehen, das habe ich auch erst später verstanden. Dann habe ich überlegt, wenn mir das gar nicht mehr gehört, dann kann ich es auch verschenken.

Da habe ich alles aufgeschrieben, was wir so machen mit Konsensdemokratie und Antimengenrabatte, Zahlungsausfallgarantie usw.

Ich habe es kostenlos auf die Homepage getan, damit es andere Unternehmen auch benutzen können. Damit sich das verbreitet.

Das tun auch einige, insgesamt 16, die helfen bei der Verbreitung. Irgendwie loslassen, Kontrolle abgeben und freigeben, da kann man ganz viel machen.

Damit haben wir sozusagen im Prinzip einen Beweis erbracht, weil wir im Rahmen des Kapitalismus arbeiten. Wir haben das BGB und HGB, das Steuerrecht, was oben drüber ist. Wir hatten übrigens eine Prüfung ohne Beanstandung. Da bewegen wir uns drin und machen trotzdem alles anders. Und es geht trotzdem.

Argumentiert jemand: Wir seien im gegebenen Rahmen, und müssten deswegen wachsen, wir müssten mit Druck arbeiten, wir müssten werben.

Das stimmt vielleicht nicht. Das geht vielleicht doch anders. Was habe ich davon?

Ich ganz persönlich für mich habe fünf Löhne. Ich kann davon leben.

16 Euro brutto sind 2.600 Euro im Monat,

das reicht für einen Einzelmenschen vollkommen. Millionär werde ich nicht, aber es reicht.

Ich habe diesen Lebensunterhalt nicht mit einem einzigen Arbeitgeber, wo ich weisungsgebunden abhängig beschäftigt bin und jeden Tag am selben Ort sein und einen Anzug anziehen muss, sondern ich habe viele Partner, 1680,

d. h. wenn da einer wegfällt, ist das nicht gleich existenzbedrohend. Das ist viel sicherer, viel stabiler.

Dann habe ich die Freiheit, hier mit grünen Socken zu stehen und vorzutragen, zu sagen,

was ich denke und gefällt mir das nicht,

dann gehe ich wieder oder ich fahre woanders hin -- Freiheiten, die ich nicht überall habe.

Der vierte Punkt ist,

ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Ich mache eine Dienstleistung, die die Leute wollen, da noch nie jemand vorgeschlagen hat, dass man mich einspart. Ich könnte auch

eine Zigarettenwerbekampagne entwickeln und dafür Geld nehmen, aber das hier ist etwas, was die Leute wollen. Das Fünfte ist, ich darf hier unter anderem erzählen, was ich über faire Wirtschaft denke.

Das ist großartig.

Wenn ich mir überlege, man würde nur den ersten Punkt lassen und die anderen vier streichen, und dafür mein Gehalt verdreifachen, das mache ich nicht.

Verfünffachen, mache ich nicht. Verzehnfachen mache ich auch nicht. Es gibt nicht nur den finanziellen Lohn, es gibt auch viele andere Faktoren, die eine Rolle spielen für mich.

Das habe ich euch erzählt, um euch einen kleinen Einblick zu geben, dass man die Dinge auch ganz anders anfassen kann. Um euch auch zu ermuntern loszulassen, Kontrolle abzugeben, vielleicht sogar Konsensdemokratie einmal auszuprobieren in euren Arbeitszusammenhängen,

weil man dafür wesentlich mehr zurückbekommt, als man reinsteckt. Wenn dann jemand sagt, das kann gar nicht funktionieren, könnt ihr antworten, doch das geht.

Wir kennen da ein Beispiel.

Lass das mal ausprobieren.

Das wäre mein Wunsch an euch, mit dem ich hergefahren bin. Danke fürs Zuhören.

(Applaus)