Bist du links? Oder rechts? | Politische Einstellungen erklärt
Jeden Tag bekomme ich von euch Dutzende Fragen gestellt. Was isst du am liebsten, wer wird Bundeskanzler, wie gewinne ich im Lotto, und so weiter. Aber die mit Abstand am häufigsten auftauchenden Fragen sind andere. Nämlich: Wen wählst du eigentlich? Oder auch: Wo würdest du dich politisch einordnen? Bist du links, bist du rechts? Abgesehen davon, dass ich euch nicht beeinflussen will und mich deshalb da zurückhalte und nicht antworte, muss ich zugeben, was sich auf die letzte Frage antworten sollte, wüsste ich gar nicht so genau. Im Prinzip hat man da in einer Demokratie drei Richtungen parat. Dazu dann noch diverse Unterformen. Aber was bedeutet das überhaupt, links zu sein oder rechts, und woher kommen die Begriffe? Lassen sie sich heute überhaupt noch anwenden? Genau darum geht's jetzt. (Dynamische Musik) Zum Start müssen wir mal eine kleine Zeitreise machen. Und zwar ungefähr 200 Jahre zurück, in das Jahr 1789. Wir befinden uns mitten in der Französischen Revolution. Das Volk hat genug, was der Adel treibt, und bläst zum Angriff. Und der symbolische Beginn für den Angriff ist der Sturm auf die Bastille in Paris. Über dieses Ereignis und alles, was damit zusammenhängt, könnte man Tausende Videos machen, aber ich habe schon mal sehr viel dazu gesagt. Das Video findet ihr auf dem Kanal "MrWissen2go - Geschichte". Für uns ist in diesem Zusammenhang etwas anderes wichtig: Um die Verhältnisse in Frankreich neu zu ordnen, bildet sich eine sogenannte Nationalversammlung. Und die soll eine Verfassung ausarbeiten. Eine Verfassung, die den Idealen der französischen Revolution entspricht. Auf diesem Bild könnt ihr sehen, wie es damals zugegangen ist. Wie früher im Alten Rom im Senat ordnen sich die Mitglieder der Nationalversammlung um das Präsidium herum an. Am Anfang zufällig, schon nach kurzer Zeit aber nach einem festen Muster. Und da wird es für uns besonders interessant. Links vom Präsidenten sitzen Leute, die eine große Veränderung wollen. Also die Vollendung der Revolution. Rechts dagegen das komplette Gegenteil. Die alte Ordnung so weit wie möglich beibehalten. Als "le côté droite" wird das auf Französisch bezeichnet. Übersetzt: die rechte Seite. Und links dann "le côté gauche". Dazwischen gibt es eine Mitte, die weder das eine noch das andere will. Irgendwie ja auch logisch. So sind die Lager klar, und so wird auch diskutiert. Zumindest eine Weile lang. Dann bricht wieder Gewalt aus und Frankreich versinkt in blutigen Unruhe. Erst 1814 gibt es ein Revival der Nationalversammlung. Aber, und das wisst ihr wohl, Frankreich ist damals nicht irgendein Land, Frankreich ist in dieser Zeit das, was die USA für den Westen heute oft sind, das Land mit dem größten politischen und gesellschaftlichen Einfluss. Nachdem es Anfang der 1840er-Jahre in Frankreich mal wieder brodelt, schwappt die Revolution schließlich nach Deutschland über. Und auch hier bildet sich eine Nationalversammlung, um eine Verfassung auszuarbeiten. Der Treffpunkt der Nationalversammlung, die übrigens gewählt wurde, ist die Paulskirche in Frankfurt. Auch hier gibt es die bekannte Sitzordnung: ein Halbkreis um das Präsidium herum. Links die, die alles umkrempeln wollen, rechts die, die das meiste bewahren wollen. Aber in Deutschland geht es erst mal schief. Die Revolution scheitert 1849. Einen deutschen Nationalstaat mit einer einheitlichen Verfassung gibt es erst 20 Jahre später unter Wilhelm I. und Otto von Bismarck mit dem deutschen Kaiserreich. Was bleibt, ist die Sitzordnung in den Parlamenten. Links: Wandel, rechts: Alles bleibt, wie es ist. Ein Muster, bei dem sich die Menschen schnell einordnen konnten. Je nachdem, wie man gedacht hat, war man eher links oder eher rechts. Ziemlich einfach, könnte man meinen. Aber natürlich ist es schon Mitte des 19. Jahrhunderts nicht so entspannt gewesen, dass man Politiker in eine Schublade stecken konnte, sondern es gab fließende Grenzen. Der Historiker und ehemalige Bundesminister Gerhard Stoltenberg schreibt dazu, schon ein paar Jahre her, aber interessant: Genau hier sieht man zum ersten Mal, wie schwierig es ist, in solchen groben Kategorien zu denken. Wir kommen dazu gleich noch genauer. Links waren bis zum Aufkommen der Arbeiterbewegung vor allem die Liberalen. Menschen, die einen deutschen Nationalstaat wollten und gleiche Rechte für alle. Dann kamen aber plötzlich die Arbeiter. Denen war der Nationalstaat eher egal, die gleichen Rechte für alle aber umso wichtiger. Waren die jetzt eher links? Oder waren die rechts? Aus heutiger Sicht würde man sagen, ganz klar links, aber damals war das nicht eindeutig und musste sich erst etablieren. Damit das funktionieren konnte, brauchte man Definitionen. Definitionen, die ein bisschen weiter gehen als das, worüber wir bisher gesprochen haben. Genau die schauen wir uns jetzt genauer an. Wir starten mit der Definition des Wortes "Links". Historisch gesehen, wollen Menschen, die links orientiert sind, große gesellschaftliche Veränderung. Diese Idee gibt's bei Linken auch heute noch, allerdings stehen andere Dinge im Mittelpunkt. Der zentrale Begriff dabei ist Gleichheit. Oder, angelehnt an den französischen Begriff "egalité", Egalität. Die Idee dahinter ist, eine Gesellschaft kann nur dann gerecht sein, wenn alle gleich sind. Wenn es keine Unterschiede mehr zwischen den Klassen gibt. Geht's um das Thema Migration, ist die linke Haltung dazu: Wir müssen anderen helfen und sie bei uns aufnehmen. Schließlich sind wir alle gleich. Solidarität spielt dabei eine wichtige Rolle. Ähnlich sieht es bei Steuern aus. Die, die mehr haben, müssen aus linker Sicht auch mehr bezahlen, damit es im Verhältnis fair bleibt. Wichtig dabei ist, die Gleichheit steht für Linke im Zweifelsfall vor individueller Freiheit. Zum Beispiel wenn es um Wohnraum geht. Da ist 'ne linke Position: Wo Wohnraum knapp ist, muss es möglich sein, Vermieter, also Eigentümer, zu enteignen, damit sich alle 'ne Wohnung leisten können. Damit wieder alle gleich sind. Wenn es sein muss, soll der Staat eingreifen und für Gleichheit oder Gleichbehandlung sorgen. Zur Gleichheit gehört auch die, wie schon gesagt, Gleichbehandlung. Minderheiten oder andere gesellschaftliche Gruppen dürfen wir Linke nicht diskriminiert werden. Im Gegenteil, Staat und Gesellschaft müssen dazu beitragen, dass Diskriminierung definitiv verhindert wird. Dazu gehören neben gesellschaftlicher Gleichstellung auch Sprachregelungen. Wie etwa, da habt ihr bestimmt gleich daran gedacht, das Gendersternchen, bei dem Frauen besonders mitberücksichtigt werden sollen. Also etwa Lehrer*innen. Das Ziel für Linke ist eine Gesellschaft, in der alle gleiche Chancen haben und niemand vor dem anderen steht. Das klingt ein bisschen nach Kommunismus, also dem Zustand, in dem alle Menschen komplett gleich sind. Das stimmt und stimmt auch nicht, denn Kommunismus ist eine extreme Form linker Politik. Dazu kommen wir noch genauer. Jetzt erst mal zur zweiten Definition. Nummer zwei wäre "Rechts". Wer oder was ist rechts? Erst mal die Bitte: Vergesst das, was euch direkt einfällt, wenn ihr an rechte Politik oder Politiker denkt, und erinnert euch daran, was wir besprochen hatten. Rechts saßen damals in den Nationalversammlung diejenigen, die die alte Ordnung bewahren wollten, also keine großen Veränderungen, und denen das Prinzip der Freiheit besonders wichtig war. Genau das sind die beiden zentralen Motive bei Rechten. Während für Linke die Freiheit des Einzelnen im Zweifel zurücktreten muss, steht sie für Rechte über allem anderen. Der Staat soll auf gar keinen Fall versuchen, in die Gesellschaft einzugreifen, sondern die Ordnung findet sich irgendwie von allein. Menschen, die mehr haben, einflussreich sind, muss es geben. Also eine erzwungene Gleichheit lehnen Rechte ab. Eliten, die sind eine logische Folge. Sie sagen, es ist von Natur aus so, dass manche mehr haben als andere, und wer sich richtig anstrengt, kann weiter nach oben steigen. Mehr Steuern für Reiche: nee. Unbegrenzt Menschen aus anderen Ländern aufnehmen: nein. Nur wenn sie dem Staat was bringen. Da soll sich der Staat also aushalten. Bei einem anderen Punkt musste er aus rechter Sicht umso aktiver sein. Wenn es um die Sicherheit geht, die innere und äußere Sicherheit. Dabei spielt noch eine Sache eine wichtige Rolle: die Grenzen. Rechte Politik ist vor allem nationale Politik. Und dann natürlich noch die alte Ordnung. Wer rechts ist, ist nicht gleich gegen Progressivität, also Fortschritt, aber sie oder er ist zurückhaltender, was neue Entwicklungen angeht. Da bewahrt man lieber das, was man hat. Man ist konservativ, kann man dazu auch sagen. Beispiele können das klassische Familienbild sein von Frau und Mann, die Wehrpflicht oder auch neue Antriebsformen beim Auto. Da merkt ihr schon, das sind bei beiden politischen Richtungen nicht nur Dinge, die man gut finden muss, aber sie sind absolut vereinbar mit unserer Verfassung. Und nicht nur das, sowohl linke als auch rechte Politik gehören zu unserer Demokratie dazu. Ansonsten wären alle in der Mitte, und es würde keinen Wettkampf um die besten Ideen geben, alles wäre ein Einheitsbrei. Allerdings muss man sagen, gerade in den vergangenen Jahren haben sich die Wörter "links" und "rechts" zum Kampfbegriff verändert. Links gerne noch verbunden mit "grün versifft". Links-grün versifft ist eine Beleidigung für Menschen, die sich für Migranten einsetzen oder dafür, eine Maske zu tragen. Und rechts wird als Synonym für Menschen benutzt, die sich demokratie- oder fremdenfeindlich äußern. Kaum ein im eigentlichen Wortsinn rechter Politiker würde sich deshalb noch als rechts bezeichnen. Die meisten verwenden Begriffe wie bürgerlich oder konservativ. Genau das ist das Problem bei dem Schema von vor 200 Jahren. Es passt einfach nicht in unserer Zeit. Es gibt keine mächtigen Könige mehr und keine Grundsatzdiskussionen über neue Verfassungen. Oder eher selten. Wir haben Dutzende Parteien mit ganz unterschiedlichen Ausrichtungen, und oft kann man die alte Schablone nicht mehr anlegen. Nehmen wir mal, und das wird euch vielleicht überraschen, die Grünen. In vielen Punkten eine klassisch linke Partei. Aber eben nicht nur. Die Grünen wollen die Natur erhalten. Also etwas bewahren. Strenggenommen ist das konservativ, also recht. Außerdem kritisieren Grüne immer wieder die Globalisierung und wollen mehr nationales Wirtschaften. Auch das rechts. Winfried Kretschmann etwa ist eher ein rechter Politiker. Ähnlich sieht es bei der CDU aus. Von der Definition her eine rechte Partei, aber unter Angela Merkel hat Deutschland den Atomausstieg beschlossen, die Wehrpflicht ausgesetzt, die Ehe für alle eingeführt. Alles linke Themen. Also, die Grenzen zwischen den Parteien werden immer fließender. Klassisch linke und rechte Parteien gibt es kaum noch. Klar, Die Linke hat das schon im Namen, wobei es auch hier rechte Tendenzen gibt, Stichwort Sahra Wagenknecht. Mehr dazu in der Infobox. Die AfD auf der anderen Seite. Insgesamt ist alles heterogener als vor einigen Jahrzehnten. Aber auch schon Anfang der 1960er-Jahre war das alles absehbar. Damals hat der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt für die Zeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte" geschrieben: Interessanterweise gelten einige Positionen von Helmut Schmidt damals heute als rechts, obwohl er für die eher linke SPD unterwegs war. Ganz klar ist aber auch: Egal ob sich alles immer mehr vermischt, es gibt Grenzen. Da sind wir bei einem kleinen Wort, das viel verändern kann: das Wort "Extrem". Wer linksextrem ist, will nicht nur Gleichheit für alle, er will eine Umwälzung des Systems, wenn nötig mit Gewalt. Ziel ist eine herrschaftsfreie Gesellschaft, in der das Individuum nichts und das Kollektiv alles ist. Im Gegensatz zum Rechtsextremismus. Gleichheit soll abgeschafft werden, zählen tut das Volk. Demokratie und ihre Werte sind überflüssig, stattdessen soll eine starke Gruppe oder Person anschaffen. Das war beides nur verkürzt dargestellt, aber ich denke, die Richtung ist klar. Mehr dazu findet ihr in der Infobox. Für linke oder rechte Politiker ist es ganz wichtig, sich von Extremisten abzugrenzen und ihre Forderungen und Ideen nicht zu unterstützen. Das schadet den Begriffen "links" und "rechts", wie man sieht. Darüber haben wir schon gesprochen. Und wenn es um rechte Politik geht, gibt's eine historische Vorbelastung. Die Nazis haben sich zwar so gut wie nie als rechts bezeichnet, aber nach der politischen Definition waren sie es, ganz klar. Genauer gesagt waren sie rechtsextrem. Daran ändert auch der Begriff "sozialistisch" im Parteinamen der NSDAP nix. Die Nazis wollten Gleichheit, allerdings nur für alle, die sie zur sogenannten Volksgemeinschaft gezählt haben. Und das waren eben nicht alle in der Gesellschaft. Das heißt, die Begriffe "links" und "rechts" haben eine lange Geschichte und sind zu veraltet, um sie noch anzuwenden. Das Problem ist nur, es gibt kaum Alternativen. Stattdessen helfen vielleicht Modelle wie das von Bryson und McDill. Ich hab in der Infobox etwas verlinkt. Aber auch da gibt es Schwächen. So richtig kann man nicht sagen, was die beste Lösung ist. Vielleicht habt ihr eine Idee. Brauchen wir einen Neuanfang? Wie konnte der aussehen? Schreibt's gerne in die Kommentare und auch, was ihr verbindet mit links und rechts. Da hat ja jeder auch irgendwie sein eigenes Bild. Hier findet ihr ein Video zum Thema Kommunismus, Sozialismus. Hab ich ja schon ganz kurz angedeutet. Eben dann, wenn alle gleich sind und es keine Herrschaft mehr gibt. Zumindest theoretisch. Darunter ein Video über den Nationalsozialismus. Damit hätten wir die extremen Formen von linker und rechter Politik. In der Infobox ist etwas zum Thema Liberalismus, der kam gar nicht zur Sprache, aber vielleicht ein andermal. Danke fürs Zuschauen, bis zum nächsten Mal.