Leben ohne Zucker: Gut für die Gesundheit? | Doku | NDR | 45 Min (1)
Berkenthin – mitten in Schleswig-Holstein.
Ort unseres Experiments, das überall so stattfinden könnte.
Die Dorfgemeinschaft sollte drei Monate auf Zucker verzichten.
Diesen Janker zu überlisten - das ist richtig schlimm.
Ein Selbstversuch mit Tücken.
Der halbe Supermarkt ist tabu.
Wir hatten sonst den Keksteller - jetzt haben wir Blumen.
Ich hab nachts in der Wohnung nach was Süßem gesucht.
Ich konnt nicht schlafen.
Sie leiden – aber wenigstens nicht allein.
Unser Experiment wird von einer Ärztin begleitet.
Wenn Sie Ihren Lebensstil ändern,
müssen Sie nicht ein Leben lang Medikamente nehmen.
Man kann was machen.
Leben wir gesünder ohne Zucker?
Untertitel: Norddeutscher Rundfunk 2019
In der Landgemeinde Berkenthin leben 2000 Menschen -
verstreut über kleine Dörfer.
Wir haben sie ins Gemeindehaus eingeladen -
zum Auftakt des Zuckerverzichts.
Das Interesse scheint schon mal groß.
Aber werden alle mitmachen?
Ernährungsmedizinerin Dr. Songül Gräfendorf versucht,
die Dorfgemeinschaft zu motivieren.
Sie wissen sicherlich selber:
In den letzten Jahrzehnten ist der Konsum des Zuckers angestiegen.
Mit dem Zuckerkonsum ist auch das Übergewicht gestiegen.
Und mit dem Übergewicht auch der Diabetes Typ 2.
Und mit dem Diabetes Typ 2 die ganzen Folgeerkrankungen.
Das muss nicht sein!
Kommen Sie bitte mal nach vorne zu mir.
Mal raten:
Wie viel Zucker isst jeder von uns im Schnitt pro Jahr?
Die passen aber nicht rein.
* Stimmengewirr *
Hat sie gesagt.
Das sind 10 kg.
Da muss doppelt so viel rauf.
Was denn, alle rauf?
Fällt alles runter hier.
Das sind 25 kg.
Immer noch nicht genug.
Das ist die Zuckermenge, die jeder Deutsche im Jahr verzehrt –
statistisch gesehen.
Insgesamt 34 kg Haushaltszucker.
Nicht nur in Würfelform.
Zucker steckt in vielen Lebensmitteln und Getränken.
Dazu kommen 9 kg Glukose und Isoglukose.
Und:
1 kg Honig.
Alles Zucker!
Insgesamt pro Kopf und Jahr:
44 kg.
Geht es ohne?
Und dann gleich drei Monate lang?
Wir bitten alle zum Messen und Wiegen.
65 Leute machen mit.
Jetzt bitte draufstellen.
Wir gucken, wie schwer Sie sind.
Die Füße an die Wand, so gerade, wie es geht.
Mal gucken, ob ich da oben rankomme.
1,60 ...
Echt?
Ich war 1,62 ...
Oh, nein!
81,7 ...
In Deutschland ist die Hälfte der Bürger übergewichtig -
und jeder Sechste adipös.
Sie dürfen sich raufstellen. Okay.
Das hab ich länger nicht gemacht, weil ich was geahnt hab.
Mit der bösen Neun davor.
Jens Hitscher ist gerade Vater geworden.
Er hat sich wenig um sich selbst gekümmert.
Wenn man in den drei Monaten 5 kg schafft, wär das okay.
Es soll keine Diät sein, wir wollen nur den Zucker weglassen.
Dann kann man nicht so viel abnehmen.
Glaube ich. 11,1 kg zu viel.
Aber ich denke, man kann einiges machen.
Wir werden mal gucken.
Und ob sich der Verzicht lohnt.
Viele hier wollen abnehmen.
Aber vor allem wollen sie etwas für ihre Gesundheit tun.
So wie Antje Raphael.
Sie ist 57 und hat schon länger gesundheitliche Probleme.
Ich hab viele Entzündungen im Körper.
Es könnte am Zucker liegen.
Die Ärzte haben's nicht rausgefunden.
Ich bin so 'n Zuckerjunkie.
Ich geb's ganz ehrlich zu.
Zucker ist was ganz Tolles für mich.
Man soll nicht 100 Prozent verzichten.
Diese drei Monate sind 'ne Umstellungsphase.
Und danach mit 'ner geringeren Dosis.
Das wünsch ich mir auch. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Wie viel Zucker man essen kann, ohne krank zu werden, ist umstritten.
Unser Experiment folgt der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation:
Idealerweise pro Tag nur acht Würfel oder sechs Teelöffel.
Also weniger als 25 Gramm täglich.
In den kommenden drei Monaten werden wir Berkenthiner begleiten -
in ihrem neuen Leben, fast ohne Zucker.
Im Friseursalon von Petra Elsing ist der Verzicht Gesprächsthema.
Du weißt ja:
Die Kunden bringen uns immer so viele nette Süßigkeiten mit.
Wenn wir zwischendurch Hunger haben:
Was machen wir? Automatisch! Bisschen Süßigkeiten essen.
Das wird schlimm.
Zu Beginn und zum Ende des Experiments
wird einigen Teilnehmern Blut abgenommen - auch Petra Elsing.
Um zu sehen, wie sich der Zuckerverzicht auswirkt.
Warum willst du's machen?
Zum Abnehmen oder Entschlacken oder einfach ausprobieren?
Ich bin Diabetikerin geworden.
Diabetes 2 ...
Und ich hab davon gehört,
dass hier ohne Zucker drei Monate Experiment ist.
Dann hab ich so gedacht, das wär's für mich zu sehen:
Komme ich vielleicht von meinem Metformin weg?
Was ist das?
Das ist 'n Medikament für deinen Diabetes? Genau.
Das ist die Vorstufe, bevor man Insulin spritzt.
Ich kann Metformin nehmen, eine Tablette.
Dann wird Zucker besser abgebaut und in die Zellen aufgenommen.
Durch Metformin.
In zweiter Linie natürlich:
Zwei, drei Kilo verlieren ist nie schlecht.
So sind wir Frauen ja immer.
Dann einmal bitte rüber.
Petra hat schon mehrmals versucht, die Ernährung umzustellen.
Sie hofft, dass es in der Gruppe besser klappt.
Drei Monate!
Und dann mal sehen: Wie komm ich selber damit klar?
Rein körperlich ...
Bin ich anders, wenn ich keinen Zucker habe?
Gereizt, weil du auf Entzug bist ... Ja, vielleicht.
Oder wenn man so 'nen Jieper hat und man darf nicht.
Manchmal hat man genau Bock auf das, was man nicht darf: Richtig!
Lohnt sich der Verzicht?
Um das herauszufinden,
haben wir eine improvisierte Arztpraxis eingerichtet.
Hier nimmt Dr. Songül Gräfendorf das Blut ab.
Friseurin Petra Elsing durfte deshalb noch nichts essen.
Ich guck mir mal Ihren Bogen an.
Sie hatten geschrieben: "Ich bin Typ 2 Diabetikerin."
Ja.
Mehr als 1000 Menschen bekommen in Deutschland täglich die Diagnose:
Diabetes Typ 2.
Insgesamt leiden siebeneinhalb Millionen daran.
Die Krankheit trifft immer mehr jüngere Menschen.
Zucker kann zur Entstehung von Diabetes Typ 2 beitragen.
Der ganz normale Haushaltszucker besteht aus zwei Bausteinen.
Wenn wir ihn essen, wird er in Trauben- und Fruchtzucker zerlegt.
Traubenzucker geht schnell ins Blut.
Darauf reagiert die Bauchspeicheldrüse
und produziert Insulin.
Das soll den Zucker raus aus dem Blut schaffen.
Insulin wirkt wie ein Schlüssel.
Es öffnet die Zellen für den Traubenzucker.
Drinnen wird er verbrannt und liefert Energie.
Wenn wir ständig zu viel Zucker aufnehmen,
kann es zu einem Zuckerstau kommen.
Dann wird zwar Insulin produziert, aber es wirkt kaum noch.
Wie bei einem ausgeleierten Schloss,
öffnen sich die Zellen nicht richtig.
Wenn der Zucker dauerhaft im Blut bleibt,
werden Gefäße und Organe geschädigt.
Petra Elsing bekommt seit zwei Jahren ihre Diabetesmedikamente.
Es ist keine Krankheit,
mit der man ein Leben lang leben muss.
Wie beim Herzinfarkt.
Aber beim Diabetes mellitus Typ 2 ist es revidierbar.
Wenn wir unseren Zuckerkonsum reduzieren,
unser Gewicht abbauen, uns mehr bewegen ...
Wenn wir lernen, unser Normalgewicht erreichen:
Dann muss man nicht Diabetes Typ 2 haben.
Diabetes Typ 2 ist heilbar.
Ich kann mit Ernährung wirklich vieles verändern.
Das kann ich in dieser Gruppe auf jeden Fall.
Das ist meine Chance, dass das vielleicht klappt.
Das wär schön.
Alleine steht man doch schon davor.
Keine Medikamente mehr - das ist ihr Ziel.
Auch bei anderen Teilnehmern nimmt die Ärztin Blut ab,
um zu sehen, ob jemand Diabetes hat oder kurz davor steht.
Guten Morgen.
Hallo, Sandra Reimann. Holger Reimann.
Sie dürfen mitkommen. Danke.
Mit Mitte 30 gehören die Reimanns zu den Jüngeren in der Fastengruppe.
Beide arbeiten im Management und sind beruflich eingespannt.
Hat Ihre Freundin oder Frau gesagt: "Wir machen das zusammen?"
Nee, es war so, dass ich den Zettel im Briefkasten gefunden hatte.
Dann hab ich den hingelegt und gesagt:
"Guck dir das an, das hört sich interessant an."
Wir wollten schon oft versuchen, den Süßigkeitenkonsum zu reduzieren.
Das wär 'ne gute Motivation.
Dann hattest du das durchgelesen und gesagt: "Das wär klasse."
Es schleicht sich ein als Gewohnheit.
Ich bin viel unterwegs.
Da ist es doch immer schnell, sich einfach 'n Snickers zu kaufen
und unterwegs zu essen.
Und das wird zu viel.
Wir haben schon oft gesagt: "Wir müssten mal."
Es gibt immer mehr Übergewicht - bei Männern mehr als bei Frauen.
Pro Jahr nimmt man 1, 2 Kilo zu.
Dann sind das nach 20 Jahren
doch 20, 30 oder 40 kg mehr als es sein soll.
So weit wollen es die beiden nicht kommen lassen.
Außerdem hoffen die Reimanns, dass sie sich fitter fühler.
Sie beide sind im Idealgewicht.
In den drei Monaten wird sich am Gewicht nicht viel zeigen.
Aber es geht um Langfristigkeit, um Lebensqualität im Alter.
Was wir essen, spielt eine zentrale Rolle.
Nur ein paar hundert Meter vom Gemeindehaus entfernt:
Am Behlendorfer See betreibt Thorsten Ortmann einen Kiosk.
Vielleicht der schwierigste Arbeitsplatz für Zuckerverzicht,
bei den ganzen Versuchungen hier.
Thorsten Ortmann will trotzdem mitmachen.
Auch er hat einen Termin zur Blutabnahme.
Er macht sich Sorgen um seine Gesundheit.
Kommen Sie gerne mit.
Dass er etwas tun muss, weiß er.
Übergewicht, Bluthochdruck.
Das sind Sachen, wo man langsam ran muss.
Dass man einfach ...
... fit ins Alter kommt.
Dass man langsam zusieht,
dass man die Sachen voreinander kriegt.
Sie sind 54 Jahre alt.
Sie sagen, Sie haben schon Bluthochdruck.
Sie haben Übergewicht.
Sie stehen in der Mitte des Lebens.
Nein, ich geh jetzt ins letzte Drittel rein.
Kommen Sie mal rüber.
Sie haben was Interessantes gesagt.
Für Sie ist zwei Drittel des Lebens mit 54 um.
Und wir sind fast gleich alt.
Ich habe auch in meiner Praxis die einen Patienten.
Aber ich habe auch die anderen, die 10, 20 Jahre jünger ausschauen.
Die fit sind, mit 80 noch Marathon laufen.
Die mit 100 noch zu Hause leben.
Die geistig und körperlich fit sind. 75 ist für mich realistisch.
Wenn's dann weitergeht - da freut man sich drauf.
Mein Ziel ist es einfach ...
... sagen wir:
Moderates Übergewicht wär in Ordnung.
Vielleicht auch leicht moderat bisschen drüber.
Aber es geht drum, auch fit im Alter zu sein.
Ob das klappt?
Tag vier des Zuckerverzichts.
Wir treffen Sandra und Holger Reimann beim Einkaufen.
Und Jens Hitscher ...
Hallo. Hi.
Sandra, hallo.
Ich bin Jens. Ich bin Holger.
Meine Frau hat mich losgeschickt.
Mit der App kann man gucken, was man noch braucht.
Wir sind handschriftlicher unterwegs.
Mit Zettel.
Auf Obst und Gemüse sollen sie nicht verzichten.
Der natürliche Zucker darin zählt bei den 25 Gramm nicht mit.
Aber praktische Fertiggerichte sind jetzt tabu.
Da waren wir erschrocken, als wir in die Schränke guckten.
An dritter Stelle Zucker, an zweiter Stelle Zucker.
Da müssen wir mal mehr selber ran.
Jens Hitscher liest sonst keine Etiketten.
Das wäre so 'n Joghurt,
den wir sonst essen würden, Sahnejoghurt - lecker.
Zucker? Das geht doch.
Ohne Brille ist das schwer.
Vier Prozent Zucker. Das ist wenig, oder?
Verlesen!
Vier Prozent bezieht sich auf die Mandarinen.
Wenn ich den jetzt drehe, sehe ich die echten Werte auf 100 Gramm.
Da steht 13,6 Gramm Zucker.
13,6 auf 100?
Das sind 150 - das sind fast 20 Gramm Zucker.
Dann ist mit dem Becher diese Höchstmenge ja schon erreicht.
Na gut ...
Der kommt zurück.
Idealerweise nicht mehr als 25 Gramm Zucker pro Tag:
Das ist die Empfehlung der WHO.
Lebensmittelhersteller müssen sich daran nicht orientieren.
Unter mehr als 60 verschiedenen Bezeichnungen wird Zucker angegeben.
Zucker.
Karamellisierte aromatisierte Mandelstückchen - auch mit Zucker.
Karamellzucker wieder mit drin.
Genau.
Glukosesirup. Ja.
Gerstenmalzextrakt - da ist es auch.
Karamellzucker am Ende sogar noch mal extra.
Ein Viertel nur Zucker - Wahnsinn.
Würde man das so sehen als Zuckerwürfel,
ich würd's nicht essen.
Jens Hitscher hat gerade per SMS neue Order bekommen.
Von seiner Frau.
Die ist nämlich nicht auf Zuckerdiät.
Twix.
Gefunden.
Normalerweise kann sie sich ja mal zusammenreißen, oder?
Aber wenn sie Twix aufschreibt, bringe ich's mit.
Weil ich ein artiger Mann bin.
Zucker ist für die Industrie ein billiger Füllstoff.
Und: ein Geschmacksverstärker.
Hast du den Farmersalat gefunden? Noch nicht.
Aber Heringssalat. Kann man den essen?
Leider nein.
Zu viel Zucker.
Notgedrungen mal was ganz Neues:
Auberginencreme.
Dann würde ich, dass man die mal probiert.
0,8 Gramm ist echt wenig.
Wir testen das aus. Ja.
Wenn man sparsam am Tag ist, kann man abends Haribo essen.
Wir sehen uns.
Mach's gut. Schönes Wochenende.
Gutes Durchhalten. Tschüss.
Ich würde gern noch mal beim Saft gucken.
Meine Saftschorle, die ich so gerne trinke.
Da habe ich noch nicht draufgeguckt.
9,7 Gramm.
Wahnsinn! Zehn Prozent Zucker.
Was ist mit Maracuja?
Sogar noch mehr.
11,9 Gramm.
Okay. Ja, dann ... Keine Saftschorlen mehr.
Werden wir schön Limetten in die Brause drücken.
In das Wasser reinmachen. Genau.
Jetzt sind sie schlauer.
Der nächste Einkauf dürfte schneller gehen.
Tag fünf des Zuckerverzichts.
Ohne Kekse. Ohne. Leider Gottes.
Den roten? Natürlich.
Antje Raphael und ihr Mann Torsten verzichten gemeinsam.
Er will sie unterstützen.
Mit den Keksen wird's schwierig. Die hab ich gerne gegessen.
Das fehlt mir 'n bisschen.
Ich knabbere gerne beim Tee oder Kaffee.
Das ist immer ...
Ich gestehe auch: