Adopi
. In Gedanken habe ich dem Baby gesagt, es wird alles gut. "Du wirst geliebt, ich hab dich lieb. Ich hab dich immer geliebt."
Das ist jetzt noch unsere gemeinsame Zeit,
bevor du in andere Hände kommst.
Als ich das Krankenhaus am nächsten Tag verlassen habe,
hab ich mich noch von ihm verabschiedet.
Und das war das letzte Mal, als ich mein Baby gesehen habe.
"Sicher frägst du dich schon dein ganzes Leben, wo du herkommst
und wo deine Wurzeln liegen."
Und wie würdest du den Brief unterschreiben?
Trotzdem: "Deine Mama". - Ja?
Es ist so, ja.
Neun Monate ein Kind im Bauch zu haben,
es zur Welt zu bringen und dann abzugeben.
Eine krasse Entscheidung und darüber zu sprechen, auch ein Riesentabu.
Bei den Recherchen zur Reihe "Bin ich bereit für ein Kind?"
haben sich viel junge Mütter gemeldet, die nicht bereit waren
oder die es vielleicht bereuen, Mutter geworden zu sein.
Keine von denen wollte offen vor der Kamera mit mir sprechen,
bis sich Carina gemeldet hat.
Die hat vor wenigen Monaten ihr Baby zur Adoption freigegeben.
Ich bin jetzt in Österreich auf dem Weg zu ihr.
Hi. - Hallo.
Ich bin Frank. - Carina, hallo.
Hallo. Und du bist? - Ich bin die Mia.
Nicht wundern, wir sind gerade erst eingezogen.
Als du mir geschrieben hast, fand ich besonders spannend,
dass du schon eine Tochter hast. - Die ist jetzt 5.
Ich stelle derzeit die Frage "Bin ich bereit für ein Kind?".
Würdest du sagen, du warst damals bereit? - Nee, auf gar keinen Fall.
Warst du zu dem Zeitpunkt alleinerziehend?
Ich bin von Anfang an alleinerziehend.
Ich hab Gott sei Dank sehr viel Unterstützung von meiner Familie.
Und wie kam es dann zu dieser 2. Schwangerschaft?
In welcher Situation war das? - Das war letztes Jahr.
Ich war in einer sehr toxischen Beziehung.
Näher will ich darauf nicht eingehen.
Ich ... bin seit ein paar Jahren depressiv.
Ich hab Depressionen.
Letztes Jahr war es ganz schlimm.
Es ging die letzten drei Jahre immer weiter bergab,
und letztes Jahr war der Tiefpunkt. - Okay.
Ich hatte meinen Job verloren aufgrund meiner Depressionen.
Ich musste ausziehen. - Also viele Baustellen auf einmal.
Ja, finanziell ein komplettes Fragezeichen.
Komplett.
Ich wusste nicht ganz, wie es weitergehen soll.
Wie war denn der Moment? Wie hast du das gemerkt mit der Schwangerschaft?
Genau zu der Zeit hatte ich Antidepressiva genommen.
Der Arzt hat mir gesagt:
Nebenwirkungen wie das Ausbleiben der Periode
oder Sonstiges wären ganz normal.
Als sie dann im 3. Monat ausblieb, habe ich mir einen Test gekauft.
Ich habe mir gedacht, ich krieg nicht noch ein Kind.
Wenn ich jetzt schwanger sein sollte,
weiß ich überhaupt nicht, wie es weitergehen soll.
Dann machte ich den Test, der war sofort positiv.
Dann habe ich zurückgerechnet,
wann, wie lange ich schon schwanger sein musste zu dem Zeitpunkt,
wie lange ich schon schwanger war.
Da war ich bereits Anfang der 15. Schwangerschaftswoche,
Ende 14., Anfang 15. Schwangerschaftswoche.
Also auch zu spät für einen Abbruch. - Ganz genau.
Dadurch dass ich es zu spät erfahren habe,
ist damals schon der Gedanke: anonyme Geburt,
gebe ich das Kind zur Adoption frei? Das war gleich am Anfang da.
Ja, komm her. - Magst du dich zu uns setzen?
Klar hätte ich das Kind gerne selbst großgezogen,
aber ich hätte dem Kind nie das Leben ermöglichen können,
dass es jetzt wahrscheinlich hat.
Wenn es anders gegangen wäre,
würde ich jetzt mit zwei Kindern hier sitzen.
Hast du noch Erinnerungen an die Zeit? - Ja.
Das war genau am Tag der Geburt.
Guckst du dir diese Fotos manchmal noch an? - Ja. Ja, klar.
Dann vermisse ich mich schon sogar.
Ich denke auch jeden Tag daran.
Es ist nicht, dass es jetzt einfach so ... - Weg ist.
Du hast ja im Vorfeld mir schon erzählt,
dass du diese Anonymität aufgeben willst.
Es gibt für mich die Möglichkeit, Briefe zu hinterlegen,
Plüschtiere zu hinterlegen,
Erinnerungen, Fotos.
Und zu seinem 14. Geburtstag bekommt er dann die Briefe.
Ich denke, jeder will wissen, wo er herkommt, die Hintergründe.
Ich hab schon oft in meinem Kopf angefangen:
Aber wie schreibt man das? Was schreibt man?
Aber ... Ja.
Das war mein Plan.
Lass uns das später auf jeden Fall machen. - Genau. Ja.
Wo gehen wir jetzt hin, Carina? - Wir bringen Mia zu meiner Oma.
Da ist sie so gerne, sie hat schon gefragt, ob sie heute hin kann.
Tschüß. - Mach's gut, Mia, ich wünsch dir viel Spaß.
Diese Geburt ist immer näher gerückt. Wie ging es dir damit?
Ab der 32. Woche war ich so:
Okay, eigentlich könnte es jederzeit losgehen.
Und ich wusste, es wird ein Löwe.
Misst du dem Sternzeichen eine besondere Bedeutung zu? - Ja.
Ich bin im Aszendent Löwe. Der Löwe begleitet mich ein Leben lang.
Ja, jetzt habe ich meinen eigenen Herz-Löwen immer an meiner Seite.
Was ist an dem Tag der Geburt passiert? - Ich ...
Es war ein ganz normaler Tag.
Und irgendwann dachte ich mir, irgendwie geht es mir nicht gut.
Ich wollte meine letzten Sachen noch zusammenpacken.
Und zu Hause habe ich gemerkt: Okay, ich komme nicht mehr weit.
Ich kann weder meine Tochter zu meiner Mama bringen,
noch kann ich sonst irgendwo hinfahren.
Da habe ich gemerkt, jetzt geht's los.
Ich habe mir gedacht, ich ruf mal meine Mama an,
sie soll Mia ganz schnell holen.
Kaum hatte ich aufgelegt, habe ich die Rettung angerufen und gesagt:
"Ich brauche einen Notarzt. Ich glaube, ich bekomme mein Kind."
Der Herr am Telefon hat mir gesagt, was ich machen muss.
Wie ich mich verhalten soll,
ob ich Decken dahabe, Handtücher, eine Schere,
eine Büroklammer wegen der Nabelschnur usw.
Du hast quasi alles vorbereitet für die Geburt?
Nein, ich konnte nicht mehr.
Ich hatte schon Wehen in 1 Minute Abstand oder 2 Minuten Abstand.
Das waren wirklich schon Geburtswehen.
Und der hat nur gesagt, dann soll meine Tochter das holen.
"Meine Tochter ist 5. Wie stellen Sie sich das vor?"
Das war eine sehr stressige Situation. - Eine Ausnahmesituation.
Und dann ...
Ja, meine Tochter hat dann einen Großteil geholt.
Sie hat das super gemacht. - Ach, krass.
Ja, meine Mama kann zur Tür rein.
Sie hat das Gespräch mit dem Sanitäter am Telefon beendet
weil die Rettung in dem Moment auch kam.
Und die haben noch das Bett geholt und die Arzttasche usw.
Auf einmal hatte meine Mama schon meinen Sohn in der Hand. - Wow.
Ja, das war ...
In der Wohnung, auf dem Boden. - In der Wohnung im Eingang.
Nur so auf einem Schuhregal bin ich gesessen. - Eine krasse Erfahrung.
Ja.
Ja, das war sehr krass. Ja.
Aber in dem Moment, in dem du ...
in dem dieses Kind vor dir ist ...
Wie war das?
Unbeschreiblich.
Wenn die Geburt im Krankenhaus normal stattgefunden hätte,
wären die Kinderärzte gekommen, hätten das Kind mitgenommen.
Dann wäre keine Möglichkeit mehr,
sich von dem Kind zu verabschieden.
Doch, aber nicht so intensiv, wie ich es Gott sei Dank konnte.
Würdest du sagen: "Gott sei Dank"? Also, es war gut, dass ...
Es war gut. Genau. Diese Zeit, bis wir dann im Krankenhaus waren.
Als wir im Krankenhaus waren,
hat es locker 1 Stunde gedauert, bis die Kinderärzte gekommen sind.
Diese Zeit hatte ich,
mich intensiv mit dem Kind und allem zu beschäftigen,
dass es für mich jetzt "Abschied nehmen" ist.
Was hast du in dieser Stunde mit dem Baby gemacht?
Gekuschelt, gestreichelt, es angeschaut.
Mich in Gedanken verabschiedet davon.
Ich habe es die ganze Zeit gehalten, auch im Krankenwagen.
Ich habe die Fahrt nicht mitbekommen.
In Gedanken habe ich dem Baby gesagt: "Es wird alles gut,
du wirst geliebt, ich habe dich geliebt.
Ich habe dich immer geliebt.
Das ist noch unsere gemeinsame Zeit,
bevor du in andere Hände kommst,
bevor unser Leben getrennt weitergeht, nach den neun Monaten."
Im Kreißsaal wurde das Kind noch untersucht,
da wurde nach dem Namen gefragt.
Und das war für mich damals zu dem Zeitpunkt:
"Was? Hä? Ich darf dem Kind einen Namen geben?
Das ist doch dann gar nicht mein Kind.
Wieso darf ich diesen Namen doch bestimmen?"
Die Hebamme sagte: "Es ist ein Kind, das auf die Welt gekommen ist."
Das hat es verdient, einen Namen zu haben."
Dann war es Luca.
Den hattest du dir vorher ausgesucht? - Nee.
Das war eine spontane Idee von dir? - Ja.
Mein Sohn war dann noch eine Woche auf der Frühgeburten-Station,
da er klein und zart war.
Und als ich das Krankenhaus am nächsten Tag verlassen habe,
bin ich noch mal zu ihm gegangen.
Ich hab noch mal nach ihm geschaut, ob alles gut ist.
Ich hab mich dann verabschiedet,
das war das letzte Mal, als ich mein Baby gesehen habe. Ja.
Hätte es die Möglichkeit gegeben,
sich nach der Geburt umzuentscheiden? - Ja.
Seine Entscheidung, das Kind zur Adoption freizugeben,
kann man sechs Monate zurücknehmen.
Die Zeit ist ja auch jetzt vorbei. Ich habe keine Rechte mehr als Mama.
Laut meinen Informationen ist mein Sohn bereits adoptiert.
Fällt dir das schwer, das so zu erzählen?
Nein.
Ich habe emotional mit mir selbst ein gutes Level gefunden,
damit klarzukommen.
Klar gibt es Tage,
an denen man mehr darüber nachdenkt oder weniger.
Dann gibt es Tage wie Weihnachten, an denen es ganz extrem ist.
Aber sonst fällt es mir
tatsächlich nicht so schwer wie ich dachte.
Es gehört zu meinem Leben jetzt dazu,
es ist mein Paket, das ich jetzt mittrage.
Du hast mir vorhin verraten,
dass du Luca etwas hinterlegen willst beim Jugendamt.
Das bekommt das Kind wann? - Wenn es 14 Jahre alt ist.
Ich wollte einen Brief hinterlegen.
Und das sind jetzt die Sachen, die du da reinpacken willst? - Ja.
Den Löwen habe ich gekauft.
Wie schon gesagt habe, der Löwe hat eine besondere Bedeutung.
Das Sternzeichen. - Genau.
Den Monchichi hat meine Tochter gekauft. - Okay.
Den hat sie gesehen und gesagt:
"Mama, den will ich für Luca kaufen."
Dann habe ich hier noch von der Geburt ein Foto.
Das Geburtsdatum. Die Fußabdrücke. - Genau.
Weißt du denn irgendetwas über die Familie, wo Luca jetzt ist?
Nein, gar nichts. Gar nichts.
Keine Ahnung.
Denkst du manchmal darüber nach, was das für eine Familie ist?
Klar, denke ich oft. Klar.
Ich denke oft dran.
Eben auch, wo ist er?
Wie sieht er aus?
Wie weit ist er entwickelt?
Was kann er schon? Was macht er?
Eigentlich ist mir nur wichtig, dass es ihm gut geht,
dass alle glücklich sind, so wie es jetzt ist.
Gab es schon Menschen, die dir gesagt haben:
"Du hast nicht genug gekämpft. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg."
"Du hättest es einfach nur wollen müssen."
Klar: hätte, würde, könnte.
Aber im Endeffekt weiß niemand,
warum ich diese Entscheidung wirklich getroffen habe.
Aufgrund meiner Depressionen, meiner psychischen Lage
war es davor schon mit meiner Tochter auch ein bisschen kritisch.
Meine größte Angst war damals, ohne irgendein Kind dazustehen.
Dass mir beide Kinder weggenommen werden würden.
Gott sei Dank ist diese Situation ...
jetzt wieder vorbei.
Ich kann wieder durchatmen. Aber wer weiß?
Ist es dir leichter gefallen, dadurch dass du schon Mia hast?
Oder ist es schwerer geworden, dadurch dass du schon ein Kind hast?
Teils, teils.
Ich wusste, was es heißt, ein Kind zu haben.
Aber ich wusste nicht, was es heißt, ein Kind wegzugeben.
Das ...
Ja, jetzt weiß ich beide Seiten.
Noch mal schwanger werden tue ich nicht.
Das hast du für dich komplett ausgeschlossen? - Ja. Ja.
Ja. Absolut. Absolut.
Demnächst werde ich einen Termin machen wegen einer Unterbindung.
Da muss ich nur noch einen Arzt finden.
Was heißt "Unterbindung"? - Sterilisation quasi. Also ... Ja.
Und dann ...
Ist das Thema ... kann das gar nicht mehr passieren.
Mhm.
So.
Ich glaube, das ist schwierig jetzt.
Dass dein 14-jähriger Sohn diesen Brief liest,
sich in diese Situation so hineinzuversetzen. - Das ist ...
Und zu denken: was möchte er denn eigentlich lesen?
Ganz genau.
Im Kopf fange ich meistens an mit meinem "Herzlöwen".
"Sicher frägst du dich schon dein ganzes Leben,
wo du herkommst
und wo deine Wurzeln liegen."
Wenn du jetzt schreibst, dass er sich
sein ganzes Leben gefragt hat, wo er herkommt, wo er seine Wurzeln hat,
dann gehst du ja davon aus, dass er auf jeden Fall weißt,
dass die Eltern, die ihn großziehen, nicht seine biologischen sind.
Ich hoffe stark auf diese Familie, dass sie mit offenen Karten spielt.
Meine größte Befürchtung ist einfach nur:
Er bekommt diesen Brief, und er wird ihn nie lesen wollen.
Einerseits wäre es sehr schön,
dann fühlt er sich mit seiner Familie wohl und auch zu Hause.
Andererseits für mich wäre es dann nicht so schön.
Aber ich kann ihm und würde es ihm auch nicht übelnehmen können.
Es ist ja ungewiss, ob ich ihn jemals kennenlerne, aber ...
Wäre das dein Wunsch? - Ich hoffe. Ich hoffe.
Ich hoffe, dass ich ihm dann erklären kann, warum, weshalb.
Ihm aber auch zeigen kann, dass ich etwas daraus gemacht hab.
Dass ich nicht irgendwo unter der Brücke schlafen muss,
sondern wirklich etwas daraus gemacht habe.
"Ich hoffe, dir hiermit ein paar deiner Fragen beantworten zu können.
Zum Zeitpunkt deiner Geburt war ich gerade 25 Jahre alt
und in einer Situation, in der ich dich nicht hätte großziehen können.
Gerne würde ich dir meine Geschichte
oder auch meine Sicht der Dinge einmal persönlich erzählen.
Ich weiß aber leider nicht,
ob sich diese Möglichkeit jemals ergeben wird."
Und wie würdest du den Brief unterschreiben?
Trotzdem: "Deine Mama". - Ja?
Es ist so, ja.
Es ist mein Fleisch und Blut. - Stimmt ja auch.
Ich bin seine Mama. - Mhm.
Wie fandet ihr "Bin ich bereit für ein Kind?"?
Haben euch Aspekte gefehlt? Schreibt mir das in die Kommentare.
Hier drüben gibt es alle Folgen zur Reihe.
Wenn ihr wissen wollt, wie es ist, als Adoptivkind aufzuwachsen,
habe ich euch hier einen Film von TRUE DOKU verlinkt.
Da unten ist der Abo-Button.
Ich würde mich freuen, wenn ihr draufklickt.
Untertitel: ARD Text im Auftrag von Funk (2020)