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Die Abenteuer Tom Sawyers, Die Abenteuer Tom Sawyers (19)(20)

Die Abenteuer Tom Sawyers (19)(20)

Neunzehntes Kapitel. Das war Toms großes Geheimnis — der Gedanke, nach Hause zurückzukehren und mit seinen Piratenbrüdern ihre eigene Grabrede anzuhören. Sie waren in der Nacht auf den Sonntag auf einem Baumstamm ans Missouriufer hinübergeschwommen, wo sie fünf oder sechs Meilen unterhalb des Dorfes landeten; hatten darauf dicht beim Orte im Walde geschlafen bis beinahe zum hellen Tage, waren durch mehrere abgelegene Gäßchen zur Kirche geschlichen und hatten ihren Schlaf auf dem Chor zwischen einem Chaos von zerbrochenen Bänken beendet.

Beim Frühstück am Montag morgen waren Tante Polly und Mary sehr zärtlich mit Tom und sehr aufmerksam auf seine Wünsche.

Die Unterhaltung war ungewöhnlich lebhaft. Im Verlaufe derselben sagte Tante Polly: „Na, Tom, ich will nicht grad‘ sagen, daß es ‘ne besonders nette Sache war, alle Leute in Trübsal zu halten, fast ‘ne Woche lang, während ihr Jungen euch ‘ne gute Zeit machtet; aber traurig ist‘s, Tom, daß du so verstockt sein konntest, mich leiden zu lassen! Wenn du auf ‘nem Baumstamme zu deiner Leichenrede rüberkommen konntest, hättst du wohl auch kommen können, um mir ‘n Zeichen zu geben, daß du nicht tot seiest, sondern einfach davongelaufen.“

„Ja, Tom,“ sagte Mary, „das hättst du tun können. Und ich glaube, du hätt‘st es getan, wenn du dran gedacht hättest.“

„Hättst du, Tom?“ fragte Tante Polly, während ihr Gesicht sich erwartungsvoll aufhellte. „Na — sag‘, hättst du‘s getan, wenn du dran gedacht hättest?“

„Ich — na — ich weiß doch nicht! ‘s hätt‘ ja alles verraten!“

„Tom, ich hätt‘ doch gedacht, du hättst mich zu lieb für so was,“ seufzte Tante Polly traurig, in einem Ton, bei dem Tom sehr ungemütlich wurde. „‘s wär‘ doch etwas gewesen, wenn du dir die Mühe genommen hättst, dran zu denken — wenn du‘s schon nicht tatst.“

„Na, Tantchen, gräm, dich nur nicht darüber,“ beruhigte Mary. „‘s ist mal so Toms flüchtige Art — er ist ja immer so zerstreut, daß er nie an was denkt.“

„Um so schlimmer. Sid hätt‘ dran gedacht. Und Sid würd‘ auch gekommen und ‘s getan haben. Tom, du wirst eines Tages noch mal zurückdenken, wenn‘s zu spät ist, und wünschen, daß du dich ‘n bißchen mehr um mich gekümmert hättst, wo‘s dir doch so leicht gewesen wär‘.“

„Na, Tantchen, du weißt doch, ich hab‘ dich lieb,“ schmeichelte Tom.

„Ich würd‘s besser wissen, wenn du‘s mehr zeigtest.“

„Wollt‘, ich hätt‘ dran gedacht,“ sagte Tom in reuevollem Ton. „aber — ich hab‘ wenigstens geträumt von dir. ‘s ist doch was, nicht?“

„‘s ist nicht viel — ‘s ist für ‘ne Katze viel — aber ‘s ist mehr als nichts. Was hast du denn geträumt?“

„Na, in der Mittwochnacht träumte mir, ihr säßet zusammen, dicht beim Bett, Sid saß auf der Holzkiste und Mary dicht bei ihm.“

„So war‘s — so war‘s ganz genau! Bin doch froh, daß du wenigstens von uns zu träumen dich bequemt hast.“

„Und ich träumte, Joe Harpers Mutter wär‘ hier.“

„Na — sie war hier! Träumtest du noch mehr?“

„O — ‘nen Haufen! Aber ‘s ist jetzt alles verschwommen.“

„Na, versuch‘s nur — besinn‘ dich — geht‘s nicht?“

„‘s scheint mir so was, als wenn der Wind — der Wind ausgeblasen hätt‘ — —“

„Denk‘ besser nach, Tom! Der Wind hat nichts ausgeblasen — na!“

Tom preßte während eines Augenblicks gespannten Nachdenkens die Finger gegen die Stirn und sagte dann: „Na — jetzt weiß ich‘s! Jetzt hab‘ ich‘s wieder! Er ließ das Licht flackern —“

„Gott erbarm‘ dich! Weiter. Tom, weiter!“

„Und mir kam‘s vor, als hättst du gesagt: ‚Na — ich glaub‘ gar, die Tür —‘“

„Weiter, Tom!“

„Laß mich ‘nen Augenblick nachdenken! Nur ‘nen Augenblick. — Richtig, ja, — du sagtest, du meintest, die Tür wär‘ offen.“

„So wahr ich hier sitz‘ — ich sagte so! Sagt‘ ich‘s nicht, Mary? Weiter!“

„Und dann — und dann — — ja, ich weiß nicht ganz gewiß, aber ‘s ist mir doch, als hättst du Sid hingehen lassen und — und — —“

„Na, na? Wohin ließ ich ihn gehen? Was ließ ich ihn tun, Tom?“

„Du ließest ihn — du, — ach, du ließest, ihn die Tür zumachen!“

„Beim Himmel, ‘s ist so! So was hab‘ ich doch mein‘ Tag‘ noch nicht gehört! Sag‘ mir keiner mehr, Träume bedeuten nichts! Die überkluge Harper soll davon zu wissen bekommen, eh ich ‘ne Stunde älter bin. Möcht‘ doch sehen, wie sie mit ihrem Geschwätz von Aberglauben um das ‘rum kommt! Weiter, Tom!“

„O, jetzt ist mir alles so klar wie der Tag! Dann sagtest du, ich wär‘ nicht schlecht, nur leichtsinnig und gedankenlos, und dächte nie an irgend was — wie — wie — glaub‘, ‘s war ‘n Füllen — oder so.“

„Na, so war‘s, ja! Na — Gottes Wunder! Weiter, Tom!“

„Und dann fingst du an zu weinen.“

„Ja, ich tat‘s ich tat‘s! Und wahrhaftig nicht zum erstenmal. — Und dann —“

„Dann begann Mrs. Harper zu weinen und sagte, Joe wär‘ grad‘ so einer, und sie wollte, sie hätt‘ ihn nicht gehaun deswegen, daß er den Rahm genommen haben sollte, den sie doch selbst weggeschüttet gehabt hätt‘ —“

„Tom! Der Geist war über dir! Du hattst Sehergabe — ja, gewiß, das hattst du! Herrgott! Weiter, Tom!“

„Dann sagte Sid — — er sagte —“

„Glaub‘, ich sagte gar nichts,“ warf Sid schnell ein.

„Doch, du tatst es Sid,“ entgegnete Mary.

„Laßt das Zanken und laßt Tom sprechen. Was sagte er, Tom?“

„Er sagte — ich denk‘, er sagte, er hoffe, ich wär besser dran, wo ich setzt sei, aber wenn ich manchmal besser gewesen wär‘ —“

„Da — hört ihr‘s? ‘s waren seine eigenen Worte!“

„Und du leuchtetest ihm ordentlich heim.“

„Ich denke wohl, daß ich‘s tat! ‘s muß ein Engel hier gewesen sein! Ein Engel war hier, ‘s ist zweifellos!“

„Und Mrs. Harper erzählte von Joe, wie er ihr durch ‘nen Schwärmer ‘nen Schrecken eingejagt hätte, und du erzähltest von Peter und dem ‚Schmerzenstöter‘ —“

„So wahr ich leb‘!“

„Und dann schwatztet ihr alle durcheinander, daß der Fluß nach uns durchsucht worden sei und daß am Sonntag unsere Leichenfeier sein sollt‘, und dann fielst du und die alte Mrs. Harper euch in die Arme und weintet, und dann ging sie fort.“

„‘s war ganz genau so! ‘s war genau so, so gewiß, wie ich hier aus dem Stuhl sitz‘. Tom, hättst es nicht besser erzählen können, wenn du hier gewesen wärst! Und was dann? Weiter, Tom!“

„Dann träumte ich, daß du für mich betetest — und ich konnt dich sehen und jedes Wort hören, das du sagtest. Und dann gingst du zu Bett, und ich war so traurig, daß ich auf ‘n Stück Sykomorenrinde schrieb: ‚Wir sind nicht tot — wir sind nur fort, um Piraten zu werden,‘ und legte das auf den Tisch neben den Leuchter. Und dann sahst du so lieb aus, wie du dalagst und schliefst, daß ich träumte, ich beugte mich über dich und küßte dich.“

„Tatst du‘s, Tom? Tatst du‘s? Dafür vergeb‘ ich dir wahrhaftig alles!“

Und sie schloß den Jungen mit solcher Inbrunst in ihre Arme, daß er sich wie der schwärzeste der Verräter erschien.

„‘s war sehr nett — ‘s war aber doch nur ein — Traum,“ brummte Sid für sich halblaut, aber hörbar.

„Halt den Mund, Sid! Jedermann tut im Traum ganz genau dasselbe, was er tun würde, wenn er wach wär‘! Hier, Tom, ist ein schöner Apfel, den ich für dich aufgehoben hab‘, wenn du mal wiedergefunden würdst — nun fort zur Schule! Ich dank dem lieben Gott und Vater für uns alle, daß ich dich wiederbekommen hab‘, er ist langmütig und barmherzig gegen die, so an ihn glauben und sein Wort halten; obwohl ich weiß, daß ich seine Güte nicht verdiene; aber wenn nur die Guten seinen Segen hätten und seine Hand, ihnen auf den rauhen Pfaden des Lebens beizustehen, würd‘ hier wenig Fröhlichkeit sein, und wenige würden, wenn die lange Nacht kommt, zu seiner Herrlichkeit eingehen dürfen. — Na, macht fort, Sid, Mary, Tom — macht fort, packt euch, habt mich lange genug aufgehalten.“

Die Kinder gingen zur Schule und die alte Dame zu Mrs. Harper, um ihren Unglauben durch Toms wundervollen Traum zu vernichten. Sid hütete sich wohl, den Gedanken auszusprechen, der ihn beherrschte, als er das Haus verließ: „Ein bißchen durchsichtig — ‘s ist doch zu lang für ‘nen Traum, — und nicht ein Irrtum.“

Welch ein Held war Tom geworden! Er sprang und tollte nicht mehr herum, sondern bewegte sich mit würdevollem Ernst, wie es sich für einen Piraten geziemt, der fühlt, daß er der Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit ist. Und er war es in der Tat; er suchte sich so zu stellen, als sehe er die Blicke nicht und höre nicht die Bemerkungen, wie er so dahinschlenderte, aber sie waren wahrer Balsam für ihn. Kleinere Jungen als er hefteten sich an seine Fersen, stolz, mit ihm gesehen zu werden und von ihm geduldet, als wäre er der Trommler an der Spitze einer Prozession gewesen oder der Elefant, der eine Menagerie in die Stadt führt. Gleichalterige Jungen wollten gar nicht wissen, daß er überhaupt fortgewesen sei, aber sie verzehrten sich nichtsdestoweniger vor Neid. Sie hätten alles dafür gegeben, seine dunkle, sonnenverbrannte Haut zu besitzen und seinen glänzenden Ruf; und Tom hätte beides nicht einmal für einen Zirkus fortgegeben.

In der Schule machten die Kinder so viel aus ihm und Joe, und zeigten ihnen so wortreiche Bewunderung, daß es gar nicht lange dauerte, bis die beiden Helden ganz unleidlich aufgeblasen wurden. Sie fingen an, ihre Abenteuer ihren hungrigen Zuhörern zu erzählen — aber sie fingen immer nur an; die Geschichten konnten auch kein Ende haben bei einer an ausschmückenden Abschweifungen so fruchtbaren Phantasie als die ihrige war. Und schließlich, als sie ihre Pfeifen herauszogen und nachlässig anfingen, zu rauchen, war der höchste Gipfel des Ruhmes erreicht.

Tom nahm sich vor, in Zukunft sich nicht mehr um Becky Thatcher zu kümmern. Ruhm war ihm genug. Er wollte nur für den Ruhm leben. Nun er eine hervorragende Persönlichkeit war, würde sie wohl versuchen, wieder „anzubinden“. Na, mochte sie — sie sollte sehen, daß er ebenso unempfänglich sein konnte wie andere Leute. Grade kam sie daher. Tom stellte sich, als sehe er sie nicht. Er ging fort und gesellte sich zu einer anderen Gruppe Buben und Mädchen und begann zu erzählen. Bald merkte er, daß sie aufgeregt, mit glühenden Backen und glänzenden Augen, umhertrippelte und sich stellte, als denke sie an gar nicht anderes, als sich mit anderen Schulmädchen herumzuschubsen und ein lautes Gelächter auszustoßen, wenn sie eine erwischt hatte; aber er merkte auch, daß sie ihre Gefangenen immer in seiner Nähe machte, und daß sie dann stets verstohlen zu ihm hinüberschielte. Das schmeichelte der lasterhaften Eitelkeit in ihm, und statt daß es ihn getrieben hätte, wieder einzulenken, machte es ihn nur noch arroganter und ließ ihn noch geflissentlicher eine Miene aufsetzen, als wisse er gar nichts von ihrer Anwesenheit. Plötzlich gab sie ihr Umhertollen auf, strich unentschlossen herum, seufzte ein paarmal und suchte Tom verstohlen und sehnsuchtsvoll mit den Augen. Dann entdeckte sie, wie angelegentlich Tom mit Amy Lawrence plauderte. Sie empfand einen stechenden Schmerz und wurde auf einmal zerstreut und unsicher. Sie nahm sich vor, davonzugehen, aber ihre Füße trugen sie, ihrem Vorsatz zum Trotz, wieder zu der Gruppe hin. Sie sagte zu einem Mädchen, unmittelbar neben Tom — mit erzwungener Ausgelassenheit: „Du, Mary Austin! Du böses Mädel, warum kamst du gestern nicht zur Sonntagsschule?“

„Ich war doch da — hast du mich denn nicht gesehen?“

„Aber, nein! Warst du da? Wo saßest du denn?“

„In Miß Peters ihrer Klasse, wo ich immer sitze. Ich hab‘ dich gesehen.“

„So, wirklich? Na, ‘s ist doch närrisch, daß ich dich nicht gesehen hab‘. Ich wollt‘ dir doch von dem Picknick sagen.“

„O, das ist famos! Wer will eins geben?“

„Meine Mama läßt mich eins geben.“

„Ach, wie reizend! Hoff doch, daß ich auch kommen darf?“

„Na, natürlich, ‘s ist doch mein Picknick. ‘s kann jeder kommen, den ich will — und dich will ich.“

„Das ist mal nett. Wann ist‘s denn?“

„Na — bald. So um die Ferien ‘rum.“

„Das wird mal ‘n Spaß! Hast du alle Knaben und Mädchen eingeladen?“

„Ja, alle, die meine Freunde sind — oder sein wollen,“ und sie schielte wieder so verstohlen nach Tom; aber er erzählte grade Amy Lawrence von dem schrecklichen Sturm auf der Insel und wie der Blitz die große Sykomore traf, „ganz dicht bei mir, keine drei Schritt davon.“

„Du, darf ich auch kommen?“ fragte Gracie Miller.

„Und ich?“ Sally Rogers.

„Und ich auch?“ Susy Harper. „Und Joe?“

„Ja.“

Und so immer weiter mit freudigem Händeklatschen, bis alle in der Gruppe sich ihre Einladung geholt hatten bis auf Tom und Amy. Dann wandte sich Tom kalt ab, immer noch erzählend, und zog Amy mit sich fort. Beckys Lippen zitterten, und die Tränen traten ihr in die Augen. Sie unterdrückte diese verräterischen Zeichen mit forzierter Heiterkeit und fing an zu plappern, aber das Vergnügen am Picknick war zu Ende, und auch aus allem anderen machte sie sich nun nichts mehr. Sobald es ging, lief sie davon, versteckte sich und befreite sich nach der Art ihres Geschlechts durch Tränen von ihrem Kummer. Dann saß sie verdrießlich, mit beleidigter Miene da, bis die Glocke erklang. Mit rachsüchtigem Ausdruck in den Augen sprang sie auf, gab ihren dicken Zöpfen einen tüchtigen Schubs und dachte, sie wisse jetzt schon, was sie zu tun habe.

In der Ecke setzte Tom seine Schäkerei mit Amy mit jubelnder Selbstzufriedenheit fort. Und er brannte darauf, Becky zu finden und sie mit seiner Überlegenheit zu foltern. Schließlich entdeckte er sie, aber das Herz fiel ihm plötzlich in die Hosen. Sie saß auf einem Bänkchen hinterm Schulhaus ganz gemütlich, mit Alfred Temple, in ein Bilderbuch schauend. Und so vertieft waren beide, und ihre Köpfe steckten über dem Buch so dicht zusammen, daß sie gar nichts um sich her wahrzunehmen schienen. Eifersucht rann glühend heiß durch Toms Adern. Er begann, sich selbst zu hassen, weil er die Gelegenheit zur Versöhnung, die ihm Becky geboten, nicht benützt hatte. Er nannte sich selbst einen Narren und gab sich alle Ehrentitel, die ihm gerade einfallen wollten. Er hätte schreien mögen vor Wut. Amy schwatzte ganz vergnügt weiter, indem sie auf und ab gingen, denn ihr Herz war voll Seligkeit, aber Toms Zunge schien gelähmt zu sein. Er hörte gar nicht, was Amy sagte, und so oft sie eine Pause machte, um seine Antwort abzuwarten, konnte er nur irgend eine tölpelhafte Bemerkung hervorstammeln, die möglichst oft ganz falsch angebracht war. Immer wieder suchte er nach der Hinterseite des Schulhauses zu gelangen, um sich an dem verhaßten Anblick zu weiden. Er konnte nicht anders. Und es folterte ihn, zu sehen, wie Becky Thatcher gar nicht zu wissen schien, daß er auch noch im Lande oder überhaupt unter den Lebenden weile. Indessen sah sie ihn sehr wohl; und sie war sich ihres Sieges sehr wohl bewußt und sah ihn mit Wollust ebenso leiden, wie sie vorher gelitten hatte.

Amys Glück fing an, unerträglich zu werden. Tom schützte allerlei Angelegenheiten, die er zu erledigen hatte, vor. Er mußte fort, und die Zeit verrann. Aber vergeblich — das Mädel ließ nicht locker. Tom dachte: O, hol sie der Teufel — soll ich sie nie los werden? Schließlich mußte er aber wirklich seine Angelegenheiten besorgen; sie gab ihm arglos das Versprechen, nach der Schule ihm „auflauern“ zu wollen. Und er rannte davon, sie dafür verwünschend.

„Jeder andere Junge!“ dachte Tom, mit den Zähnen knirschend, „jeder andere im ganzen Dorf, nur nicht dieser Heilige, der denkt, weil er sich fein anzieht, ist er ‘n Vornehmer. Na, wart‘ nur! Hab‘ ich dich am ersten Tag, wo du hier warst, geprügelt, mein Kerlchen, werd‘ ich‘s jetzt ja wohl auch noch können! Wart‘ nur, bis ich dich mal tüchtig beim Kragen nehm‘! Möcht‘s gleich tun am liebsten, und —“

Und mit wahrer Wonne prügelte er ‘nen imaginären Jungen durch — in der Luft herumfuchtelnd, stoßend und puffend.

„Na, wird‘s — wird‘s? Wirst du bald ‚genug‘ sagen? So, nu merk‘s dir für ‘n andermal!“

So war der Kampf bald zu seiner Zufriedenheit beendigt.

Tom rannte mittags heim. Sein Gewissen ertrug‘s nicht, nochmals Amys dankbare Glückseligkeit anzusehen, und seine Eifersucht erlaubte keine andere Zerstreuung. Becky setzte ihr Bilder-Besehen mit Alfred fort, aber als sich Minute an Minute reihte und kein Tom kam, um sich quälen zu lassen, begann ihr Triumphgefühl sich abzukühlen, und sie verlor das Interesse; Unaufmerksamkeit und Geistesabwesenheit folgten, und dann Melancholie. Ein paarmal fing sie mit dem Gehör Fußtritte auf, aber es war jedesmal vergebliches Hoffen; kein Tom kam. Schließlich wurde ihr ganz elend zumute, und sie wünschte, sie hätte die Sache nicht so weit getrieben. Als der arme Alfred bemerkte, daß sie ihm entschlüpfte, nicht wußte, wie, und fortwährend krampfhaft schrie: „O, hier ist ‘n famoses! Schau dies mal an!“ verlor sie schließlich die Geduld und sagte: „Ach was, quäl‘ mich nicht! Hab‘ keine Lust mehr dazu!“ brach in Tränen aus, sprang auf und rannte davon.

Alfred trottete nebenher und wollte sie trösten und beruhigen, aber sie sagte:

„Mach, daß du dich fortscherst und laß mich allein, willst du? Ich mag dich gar nicht!“

So blieb der Junge denn zurück, sich wundernd, was er verbrochen haben könne — denn sie hatte ihm doch versprochen, den ganzen Nachmittag Bilder zu besehen — und sie rannte heulend davon. Dann kehrte Alfred betrübt ins Schulhaus zurück. Er fühlte sich gedemütigt und beleidigt. Er fand aber sehr leicht die Wahrheit heraus — das Mädel hatte ganz einfach ihr Spiel mit ihm getrieben, nur um ihren Zorn an Tom Sawyer auszulassen. Er haßte Tom durchaus nicht weniger, als dieser Gedanke in ihm aufstieg. Nichts wünschte er mehr, als auf irgend eine Weise diesem Jungen was einzubrocken, ohne selbst was zu riskieren. Toms Rechtschreibebuch fiel ihm in die Augen. Die Gelegenheit war günstig. Dankbar öffnete er es bei der Lektion für den Nachmittag und goß Tinte über die Seite. Becky, einen Augenblick hinter ihm durchs Fenster schauend, sah es und drückte sich davon, ohne sich zu verraten.

Sie lief nach Haus, in der Absicht, Tom zu suchen und ihm alles zu sagen. Tom würde ihr dankbar sein und aller Zank wäre damit zu Ende. Bevor sie aber den halben Weg zurückgelegt hatte, war sie anderen Sinnes geworden. Der Gedanke daran, wie sie Tom behandelt hatte, als sie von ihrem Picknick sprach, kam wieder brennend über sie und erfüllte sie mit Scham.

Sie beschloß, ihn in der Sache mit dem beschmutzten Buch ruhig in der Patsche stecken zu lassen und ihn obendrein für immer und ewig zu hassen.

Zwanzigstes Kapitel. Tom langte in verdrießlichster Laune zu Hause an, und das erste Wort, das Tante Polly an ihn richtete, zeigte ihm, daß er seinen Kummer an einen sehr wenig versprechenden Ort getragen habe.

„Tom, ich möchte dir doch gleich die Haut über die Ohren ziehn!“

„Tantchen, was hab‘ ich denn getan?“

„Na, du hast genug getan. Da geh‘ ich altes, einfältiges Weib zur Harper hinüber und denk‘, ich will sie an all den Unsinn vom Träumen glauben machen, und siehe da — sie hat von Joe herausbekommen, daß du ‘rüber gekommen bist und hast alles gehört, was wir in der Nacht gesprochen haben. Tom, ich weiß nicht, was aus ‘nem Jungen werden soll, der sich so benimmt. ‘s macht mich so traurig, zu denken, daß du mich ruhig zur Harper gehen ließt und so ‘ne Närrin aus mir machen konntest — ohne ‘n Wort zu sagen.“

Das war nun ‘ne neue Ansicht von der Sache. Seine Gerissenheit von heut morgen war Tom als famoser Witz und äußerst genial erschienen. Jetzt erschien sie ihm höchst mittelmäßig und schäbig. Er ließ den Kopf hängen und wußte in diesem Augenblick nicht, was sagen. Dann sagte er schüchtern:

„Tantchen, ich wollt‘, ich hätt‘s nicht getan — aber ich dachte nicht dran.“

„Ach, Kind, du denkst eben nie. Du denkst an nichts als dein eigenes Pläsier. Daran hast du gedacht, den weiten Weg von Jacksons Insel herüber bei Nacht und Nebel zu machen, um über unsern Kummer zu lachen, und hast dran gedacht, mich mit ‘ner Lüge von dem Traum zu betrügen, aber daran hast du nicht gedacht, Mitleid zu haben und uns vor Sorge zu bewahren.“

„Tantchen, ich weiß jetzt, ‘s war gemein, aber ‘s war ja nicht meine Absicht, gemein zu sein; auf Ehre, das war‘s nicht! Und dann — ich bin nicht rüber gekommen, um über euch zu lachen!“

„Warum also bist du gekommen?“

„‘s war, um dir zu sagen, daß du dir keine Sorge zu machen brauchst, weil wir davongelaufen waren.“

„Tom, Tom, ich wäre die dankbarste alte Frau auf der Welt, wenn ich dran glauben könnte, daß du daran gedacht hast, aber du weißt, du tatst es nicht, und ich weiß es auch, Tom.“

„Aber, gewiß — ganz gewiß, ‘s war so, Tantchen — ich will mich nicht mehr rühren können, wenn‘s nicht so ist!“

„Ach, Tom, lüg‘ nicht — tu‘s nicht! Das macht die Sache nur hundertmal schlimmer.“

„Ich hab‘ aber nicht gelogen, Tante. ‘s ist die Wahrheit! Ich wollt‘ dir den Kummer ersparen — das allein war‘s, was mich nach Hause trieb.“

„Die ganze Welt würd‘ ich drum geben, könnt‘ ich‘s glauben! ‘nen ganzen Haufen Dummheiten würd‘ ich dir dafür vergessen, Tom. ‘s war schlimm genug, daß du fortliefst und so schlecht handeltest. Aber, ‘s ist begreiflich. Aber warum sagtest du mir‘s nicht, Tom?“

„Warum? Na — sieh, Tante, als ihr anfingt, vom Trauergottesdienst zu sprechen, kam mir auf einmal die Idee, ‘rüber zu kommen und mich in der Kirche zu verstecken und da bracht‘ ich‘s nicht fertig, mir das selbst zu verderben. So steckt‘ ich die Rinde wieder in die Tasche und hielt den Mund.“

„Was für ‘ne Rinde?“

„Die Rinde, worauf ich geschrieben hatte, daß wir Piraten geworden seien. Jetzt wollt‘ ich nur, du wärst aufgewacht, als ich dich küßte — auf Ehre, ich wollt‘s!“

Das strenge Gesicht Tante Pollys hellte sich auf und Zärtlichkeit zitterte in ihrer Stimme: „Hast du mich geküsst, Tom?“

„Freilich hab‘ ich‘s getan.“

„Weißt du‘s gewiß, daß du‘s tatst?“

„Aber ja, ich tat‘s, Tantchen — ganz gewiß!“

„Warum küßtest du mich, Tom?“

„Weil ich dich lieb hab‘, und du im Schlafen seufztest und ich so traurig war.“

Die Worte klangen wahr. Die alte Dame konnte das Zittern in ihrer Stimme nicht verbergen, als sie sagte: „Küß mich noch mal, Tom! — Und jetzt fort mit dir zur Schule, und ärgere mich nicht wieder.“

Sobald er fort war, rannte sie zum Wandschrank und riß die Ruine der Jacke heraus, in der Tom unter die Piraten gegangen war. Dann hielt sie wieder inne und sagte zu sich: „Nein, ich tu‘s nicht. Armer Junge — ich denke, du hast‘s gelogen — aber ‘s ist ‘ne gesegnete, gesegnete Lüge, ‘s ist was Treuherziges drin. Ich hoffe, der Herr — ich weiß, der Herr wird ihm vergeben, denn ‘s war doch gutherzig von ihm, das zu sagen. Aber, ich will gar nicht wissen, daß es ‘ne Lüge ist. Ich will nicht nachsehn.“

Sie tat die Jacke wieder fort und stand eine Minute unentschlossen. Zum zweitenmal streckte sie die Hand aus nach dem Kleidungsstück, und zum zweitenmal zog sie sie zurück. Und nochmals griff sie danach, und diesmal ermutigte sie sich selbst mit dem Gedanken: „‘s ist ‘ne gute Lüge — ‘s ist ‘ne gute Lüge — ich will mich nicht dadurch kränken lassen.“ So griff sie in die Tasche der Jacke. Einen Moment später las sie unter Tränen Toms Schriftstück und schluchzte: „Jetzt könnt‘ ich dem Jungen vergeben, und wenn er ‘ne Million dummer Streiche gemacht hätte.“


Die Abenteuer Tom Sawyers (19)(20) The Adventures of Tom Sawyer (19)(20) Приключения Тома Сойера (19)(20) Tom Sawyer'ın Maceraları (19)(20) Пригоди Тома Сойєра (19)(20)

Neunzehntes Kapitel. Das war Toms großes Geheimnis — der Gedanke, nach Hause zurückzukehren und mit seinen Piratenbrüdern ihre eigene Grabrede anzuhören. That was Tom's big secret - the thought of returning home and listening to their own eulogy with his pirate brothers. Sie waren in der Nacht auf den Sonntag auf einem Baumstamm ans Missouriufer hinübergeschwommen, wo sie fünf oder sechs Meilen unterhalb des Dorfes landeten; hatten darauf dicht beim Orte im Walde geschlafen bis beinahe zum hellen Tage, waren durch mehrere abgelegene Gäßchen zur Kirche geschlichen und hatten ihren Schlaf auf dem Chor zwischen einem Chaos von zerbrochenen Bänken beendet. They had swum up a log to the Missouri bank on Sunday night, where they landed five or six miles below the village; had then slept close to the village in the forest until almost daylight, had crept through several secluded lanes to the church, and had finished their sleep on the choir between a chaos of broken pews.

Beim Frühstück am Montag morgen waren Tante Polly und Mary sehr zärtlich mit Tom und sehr aufmerksam auf seine Wünsche. At breakfast on Monday morning, Aunt Polly and Mary were very gentle with Tom and very attentive to his wishes.

Die Unterhaltung war ungewöhnlich lebhaft. The conversation was unusually lively. Im Verlaufe derselben sagte Tante Polly: „Na, Tom, ich will nicht grad‘ sagen, daß es ‘ne besonders nette Sache war, alle Leute in Trübsal zu halten, fast ‘ne Woche lang, während ihr Jungen euch ‘ne gute Zeit machtet; aber traurig ist‘s, Tom, daß du so verstockt sein konntest, mich leiden zu lassen! At the same time, Aunt Polly said, "Well, Tom, I do not mean to say that it was a very nice thing to keep everyone in trouble for almost a week while your boy made you a good time ; but it is sad, Tom, that you could be so obdurate to let me suffer! Wenn du auf ‘nem Baumstamme zu deiner Leichenrede rüberkommen konntest, hättst du wohl auch kommen können, um mir ‘n Zeichen zu geben, daß du nicht tot seiest, sondern einfach davongelaufen.“ If you could come over to your funeral oration on a log, I suppose you could have come over and given me a sign that you weren't dead, that you just ran away."

„Ja, Tom,“ sagte Mary, „das hättst du tun können. "Yes, Tom," Mary said, "you could have. Und ich glaube, du hätt‘st es getan, wenn du dran gedacht hättest.“ And I think you would have if you had thought of it."

„Hättst du, Tom?“ fragte Tante Polly, während ihr Gesicht sich erwartungsvoll aufhellte. "You would, Tom?" asked Aunt Polly, her face brightening with anticipation. „Na — sag‘, hättst du‘s getan, wenn du dran gedacht hättest?“ "Well - say, would you have done it if you had thought of it?"

„Ich — na — ich weiß doch nicht! "I - well - I don't know! ‘s hätt‘ ja alles verraten!“ It would have given everything away!"

„Tom, ich hätt‘ doch gedacht, du hättst mich zu lieb für so was,“ seufzte Tante Polly traurig, in einem Ton, bei dem Tom sehr ungemütlich wurde. "Tom, I would have thought you were too fond of me for that," sighed Aunt Polly sadly, in a tone that made Tom very uncomfortable. „‘s wär‘ doch etwas gewesen, wenn du dir die Mühe genommen hättst, dran zu denken — wenn du‘s schon nicht tatst.“ "'twould have been something if you'd bothered to think of it - if you didn't."

„Na, Tantchen, gräm, dich nur nicht darüber,“ beruhigte Mary. "Well, Aunty, don't worry about it," reassured Mary. „‘s ist mal so Toms flüchtige Art — er ist ja immer so zerstreut, daß er nie an was denkt.“ "'Tis sometimes Tom's elusive way - he's always so absent-minded that he never thinks of anything."

„Um so schlimmer. "So much the worse. Sid hätt‘ dran gedacht. Sid would have thought of it. Und Sid würd‘ auch gekommen und ‘s getan haben. And Sid would' have come and 'done it too. Tom, du wirst eines Tages noch mal zurückdenken, wenn‘s zu spät ist, und wünschen, daß du dich ‘n bißchen mehr um mich gekümmert hättst, wo‘s dir doch so leicht gewesen wär‘.“ Tom, you'll think back one day, when it's too late, and wish you'd taken a little more care of me, when it would have been so easy for you."

„Na, Tantchen, du weißt doch, ich hab‘ dich lieb,“ schmeichelte Tom. "Well, Auntie, you know I love you," Tom cajoled.

„Ich würd‘s besser wissen, wenn du‘s mehr zeigtest.“ "I'd know better if you showed it more."

„Wollt‘, ich hätt‘ dran gedacht,“ sagte Tom in reuevollem Ton. "Would I'd thought of that," said Tom in a rueful tone. „aber — ich hab‘ wenigstens geträumt von dir. "but - at least I dreamed about you. ‘s ist doch was, nicht?“ 'tis something, isn't it?"

„‘s ist nicht viel — ‘s ist für ‘ne Katze viel — aber ‘s ist mehr als nichts. "'Tis not much - 'tis much for a cat - but 'tis more than nothing. Was hast du denn geträumt?“ What did you dream?"

„Na, in der Mittwochnacht träumte mir, ihr säßet zusammen, dicht beim Bett, Sid saß auf der Holzkiste und Mary dicht bei ihm.“ "Well, on Wednesday night I dreamed you were sitting together, close to the bed, Sid sitting on the wooden box and Mary close to him."

„So war‘s — so war‘s ganz genau! "That's how it was - that's exactly how it was! Bin doch froh, daß du wenigstens von uns zu träumen dich bequemt hast.“ I'm glad that at least you've dreamed of dreaming of us. "

„Und ich träumte, Joe Harpers Mutter wär‘ hier.“ "And I dreamed Joe Harper's mother was here."

„Na — sie war hier! "Well - she was here! Träumtest du noch mehr?“ Did you dream more?"

„O — ‘nen Haufen! "O - 'heaps! Aber ‘s ist jetzt alles verschwommen.“ But 'tis all a blur now."

„Na, versuch‘s nur — besinn‘ dich — geht‘s nicht?“ "Well, just try it - think it over - can't you?"

„‘s scheint mir so was, als wenn der Wind — der Wind ausgeblasen hätt‘ — —“ "It seems to me as if the wind - the wind had blown out - -"

„Denk‘ besser nach, Tom! "You better think, Tom! Der Wind hat nichts ausgeblasen — na!“ The wind has blown nothing - well! "

Tom preßte während eines Augenblicks gespannten Nachdenkens die Finger gegen die Stirn und sagte dann: „Na — jetzt weiß ich‘s! Tom pressed his fingers to his forehead during a moment's rapt thought, and then said, "Well — now I know! Jetzt hab‘ ich‘s wieder! Now I have it again! Er ließ das Licht flackern —“ He made the light flicker -"

„Gott erbarm‘ dich! "God have mercy! Weiter. Next. Tom, weiter!“ Tom, go on!"

„Und mir kam‘s vor, als hättst du gesagt: ‚Na — ich glaub‘ gar, die Tür —‘“ "And I felt like you said, 'Well - I even think the door -'"

„Weiter, Tom!“ "Go on, Tom!"

„Laß mich ‘nen Augenblick nachdenken! "Let me think 'bout it for a minute! Nur ‘nen Augenblick. Just a moment. — Richtig, ja, — du sagtest, du meintest, die Tür wär‘ offen.“ - Right, yeah, - you said you thought the door was open."

„So wahr ich hier sitz‘ — ich sagte so! "As I sit here - I said so! Sagt‘ ich‘s nicht, Mary? Didn't I tell you, Mary? Weiter!“ Go on!"

„Und dann — und dann — — ja, ich weiß nicht ganz gewiß, aber ‘s ist mir doch, als hättst du Sid hingehen lassen und — und — —“ "And then - and then - - yeah, I don't know for sure, but 'tis like you let Sid go there and - and -"

„Na, na? Wohin ließ ich ihn gehen? Where did I let him go? Was ließ ich ihn tun, Tom?“ What did I make him do, Tom?"

„Du ließest ihn — du, — ach, du ließest, ihn die Tür zumachen!“ "You left him - you - oh, you let him close the door!"

„Beim Himmel, ‘s ist so! "By heaven, 'tis so! So was hab‘ ich doch mein‘ Tag‘ noch nicht gehört! I've never heard anything like it in my life! Sag‘ mir keiner mehr, Träume bedeuten nichts! Don't tell me anymore that dreams don't mean anything! Die überkluge Harper soll davon zu wissen bekommen, eh ich ‘ne Stunde älter bin. The clever Harper is supposed to know about it before I'm an hour older. Möcht‘ doch sehen, wie sie mit ihrem Geschwätz von Aberglauben um das ‘rum kommt! I'd like to see how she gets around that with her talk of superstition! Weiter, Tom!“ Go on, Tom!"

„O, jetzt ist mir alles so klar wie der Tag! "O, now everything is as clear to me as day! Dann sagtest du, ich wär‘ nicht schlecht, nur leichtsinnig und gedankenlos, und dächte nie an irgend was — wie — wie — glaub‘, ‘s war ‘n Füllen — oder so.“ Then you said I wasn't bad, just reckless and thoughtless and never thought of anything - like - like - think it was a colt - or something.'

„Na, so war‘s, ja! "Well, that's how it was, yeah! Na — Gottes Wunder! Well - God's miracle! Weiter, Tom!“ Go on, Tom!"

„Und dann fingst du an zu weinen.“ "And then you started crying."

„Ja, ich tat‘s ich tat‘s! "Yes, I did I did! Und wahrhaftig nicht zum erstenmal. And certainly not for the first time. — Und dann —“

„Dann begann Mrs. Harper zu weinen und sagte, Joe wär‘ grad‘ so einer, und sie wollte, sie hätt‘ ihn nicht gehaun deswegen, daß er den Rahm genommen haben sollte, den sie doch selbst weggeschüttet gehabt hätt‘ —“ "Then Mrs. Harper began to cry and said that Joe was just that, and wished she hadn't hit him for taking the cream, which she herself spilled—"

„Tom! Der Geist war über dir! Du hattst Sehergabe — ja, gewiß, das hattst du! You had seership—yes, certainly you did! Herrgott! Weiter, Tom!“

„Dann sagte Sid — — er sagte —“

„Glaub‘, ich sagte gar nichts,“ warf Sid schnell ein.

„Doch, du tatst es Sid,“ entgegnete Mary.

„Laßt das Zanken und laßt Tom sprechen. Was sagte er, Tom?“

„Er sagte — ich denk‘, er sagte, er hoffe, ich wär besser dran, wo ich setzt sei, aber wenn ich manchmal besser gewesen wär‘ —“

„Da — hört ihr‘s? ‘s waren seine eigenen Worte!“ 'Twas his own words!'

„Und du leuchtetest ihm ordentlich heim.“ "And you're shining home to him."

„Ich denke wohl, daß ich‘s tat! "I think I did! ‘s muß ein Engel hier gewesen sein! Ein Engel war hier, ‘s ist zweifellos!“

„Und Mrs. Harper erzählte von Joe, wie er ihr durch ‘nen Schwärmer ‘nen Schrecken eingejagt hätte, und du erzähltest von Peter und dem ‚Schmerzenstöter‘ —“ "And Mrs. Harper talked about Joe scaring her with a crush, and you talked about Peter and the 'Pain Killer'—"

„So wahr ich leb‘!“ "As true as I live!"

„Und dann schwatztet ihr alle durcheinander, daß der Fluß nach uns durchsucht worden sei und daß am Sonntag unsere Leichenfeier sein sollt‘, und dann fielst du und die alte Mrs. Harper euch in die Arme und weintet, und dann ging sie fort.“ "And then you all babbled on about how the river had been searched for us and that Sunday is our funeral service,' and then you and old Mrs. Harper fell into each other's arms and cried, and then she went away."

„‘s war ganz genau so! "'twas exactly the same! ‘s war genau so, so gewiß, wie ich hier aus dem Stuhl sitz‘. It was just like that, just as sure as I'm sitting here out of this chair. Tom, hättst es nicht besser erzählen können, wenn du hier gewesen wärst! Tom, couldn't have told it better if you were here! Und was dann? And then what? Weiter, Tom!“

„Dann träumte ich, daß du für mich betetest — und ich konnt dich sehen und jedes Wort hören, das du sagtest. "Then I dreamed that you were praying for me - and I could see you and hear every word you said. Und dann gingst du zu Bett, und ich war so traurig, daß ich auf ‘n Stück Sykomorenrinde schrieb: ‚Wir sind nicht tot — wir sind nur fort, um Piraten zu werden,‘ und legte das auf den Tisch neben den Leuchter. And then you went to bed, and I was so sad that I wrote on a piece of sycamore bark, 'We're not dead-we're just gone to be pirates,' and put that on the table next to the candlestick. Und dann sahst du so lieb aus, wie du dalagst und schliefst, daß ich träumte, ich beugte mich über dich und küßte dich.“ And then you looked so sweet as you lay there and slept that I dreamed I bent over you and kissed you."

„Tatst du‘s, Tom? "Did you do it, Tom? Tatst du‘s? Did you? Dafür vergeb‘ ich dir wahrhaftig alles!“ For this I truly forgive you everything!"

Und sie schloß den Jungen mit solcher Inbrunst in ihre Arme, daß er sich wie der schwärzeste der Verräter erschien. And she took the boy in her arms with such fervor that he seemed the blackest of traitors.

„‘s war sehr nett — ‘s war aber doch nur ein — Traum,“ brummte Sid für sich halblaut, aber hörbar. "'twas very nice - 'twas but a - dream," Sid grumbled to himself half aloud, but audibly.

„Halt den Mund, Sid! "Shut up, Sid! Jedermann tut im Traum ganz genau dasselbe, was er tun würde, wenn er wach wär‘! Everybody does exactly the same in a dream what he would do if he were awake! Hier, Tom, ist ein schöner Apfel, den ich für dich aufgehoben hab‘, wenn du mal wiedergefunden würdst — nun fort zur Schule! Here, Tom, is a nice apple, which I saved for you if you were ever found again - off to school now! Ich dank dem lieben Gott und Vater für uns alle, daß ich dich wiederbekommen hab‘, er ist langmütig und barmherzig gegen die, so an ihn glauben und sein Wort halten; obwohl ich weiß, daß ich seine Güte nicht verdiene; aber wenn nur die Guten seinen Segen hätten und seine Hand, ihnen auf den rauhen Pfaden des Lebens beizustehen, würd‘ hier wenig Fröhlichkeit sein, und wenige würden, wenn die lange Nacht kommt, zu seiner Herrlichkeit eingehen dürfen. I thank the dear God and Father for all of us that I got you back, he is long-suffering and merciful towards those who believe in him and keep his word; even though I know I don't deserve his kindness; but if only the good had his blessing, and his hand to succor them in life's rough paths, there would be little gaiety here, and few, when the long night cometh, would be permitted to enter into his glory. — Na, macht fort, Sid, Mary, Tom — macht fort, packt euch, habt mich lange genug aufgehalten.“ - Well, go on, Sid, Mary, Tom - go on, pack up, you've kept me long enough."

Die Kinder gingen zur Schule und die alte Dame zu Mrs. Harper, um ihren Unglauben durch Toms wundervollen Traum zu vernichten. The children went to school and the old lady to Mrs. Harper to destroy her disbelief with Tom's wonderful dream. Sid hütete sich wohl, den Gedanken auszusprechen, der ihn beherrschte, als er das Haus verließ: „Ein bißchen durchsichtig — ‘s ist doch zu lang für ‘nen Traum, — und nicht ein Irrtum.“ Sid was careful not to utter the thought that dominated him as he left the house: "A little transparent - it's too long for a dream, and not a mistake."

Welch ein Held war Tom geworden! What a hero Tom had become! Er sprang und tollte nicht mehr herum, sondern bewegte sich mit würdevollem Ernst, wie es sich für einen Piraten geziemt, der fühlt, daß er der Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit ist. He no longer jumped and frolic, but moved with the dignified seriousness befitting a pirate who feels he is the center of public attention. Und er war es in der Tat; er suchte sich so zu stellen, als sehe er die Blicke nicht und höre nicht die Bemerkungen, wie er so dahinschlenderte, aber sie waren wahrer Balsam für ihn. And he was indeed; He tried to pretend that he did not see his eyes and did not hear the remarks as he strolled, but they were true balm for him. Kleinere Jungen als er hefteten sich an seine Fersen, stolz, mit ihm gesehen zu werden und von ihm geduldet, als wäre er der Trommler an der Spitze einer Prozession gewesen oder der Elefant, der eine Menagerie in die Stadt führt. Boys smaller than him followed at his heels, proud to be seen with him and tolerated by him as if he had been the drummer at the head of a procession or the elephant leading a menagerie into town. Gleichalterige Jungen wollten gar nicht wissen, daß er überhaupt fortgewesen sei, aber sie verzehrten sich nichtsdestoweniger vor Neid. Boys of the same age did not want to know that he had ever been away, but they were nevertheless envious of their envy. Sie hätten alles dafür gegeben, seine dunkle, sonnenverbrannte Haut zu besitzen und seinen glänzenden Ruf; und Tom hätte beides nicht einmal für einen Zirkus fortgegeben. They would have given anything to have his dark, sunburnt skin and glittering reputation; and Tom wouldn't have given both away even for a circus.

In der Schule machten die Kinder so viel aus ihm und Joe, und zeigten ihnen so wortreiche Bewunderung, daß es gar nicht lange dauerte, bis die beiden Helden ganz unleidlich aufgeblasen wurden. At school the children made so much of him and Joe, and showed them such eloquent admiration, that it was not long before the two heroes became insufferably inflated. Sie fingen an, ihre Abenteuer ihren hungrigen Zuhörern zu erzählen — aber sie fingen immer nur an; die Geschichten konnten auch kein Ende haben bei einer an ausschmückenden Abschweifungen so fruchtbaren Phantasie als die ihrige war. They began to tell their adventures to their hungry listeners—but they only ever began; nor could the stories have an end with an imagination so fertile in embellishing digressions as hers was. Und schließlich, als sie ihre Pfeifen herauszogen und nachlässig anfingen, zu rauchen, war der höchste Gipfel des Ruhmes erreicht. And finally, when they drew out their pipes and began to smoke carelessly, the pinnacle of glory was reached.

Tom nahm sich vor, in Zukunft sich nicht mehr um Becky Thatcher zu kümmern. Tom took it upon himself to stop worrying about Becky Thatcher in the future. Ruhm war ihm genug. Fame was enough for him. Er wollte nur für den Ruhm leben. He wanted to live only for fame. Nun er eine hervorragende Persönlichkeit war, würde sie wohl versuchen, wieder „anzubinden“. Now he was an outstanding personality, she would probably try to "tie up" again. Na, mochte sie — sie sollte sehen, daß er ebenso unempfänglich sein konnte wie andere Leute. Well, she liked - she should see that he could be as unresponsive as other people. Grade kam sie daher. She came very well. Tom stellte sich, als sehe er sie nicht. Tom pretended not to see them. Er ging fort und gesellte sich zu einer anderen Gruppe Buben und Mädchen und begann zu erzählen. He went away and joined another group of boys and girls and began to tell. Bald merkte er, daß sie aufgeregt, mit glühenden Backen und glänzenden Augen, umhertrippelte und sich stellte, als denke sie an gar nicht anderes, als sich mit anderen Schulmädchen herumzuschubsen und ein lautes Gelächter auszustoßen, wenn sie eine erwischt hatte; aber er merkte auch, daß sie ihre Gefangenen immer in seiner Nähe machte, und daß sie dann stets verstohlen zu ihm hinüberschielte. He soon realized that excitedly, with glowing cheeks and gleaming eyes, she was tripping around and pretending that she had no other thought than pushing around with other schoolgirls and uttering a loud laugh when she caught one; but he also noticed that she always kept her prisoners near him, and that she always stole a glance at him. Das schmeichelte der lasterhaften Eitelkeit in ihm, und statt daß es ihn getrieben hätte, wieder einzulenken, machte es ihn nur noch arroganter und ließ ihn noch geflissentlicher eine Miene aufsetzen, als wisse er gar nichts von ihrer Anwesenheit. This flattered the vicious vanity in him, and instead of compelling him to back down, it only made him more arrogant and more studious in his expression as if he knew nothing of her presence. Plötzlich gab sie ihr Umhertollen auf, strich unentschlossen herum, seufzte ein paarmal und suchte Tom verstohlen und sehnsuchtsvoll mit den Augen. Suddenly she gave up her frolicking, roamed about irresolutely, sighed a few times, and surreptitiously and longingly sought Tom with her eyes. Dann entdeckte sie, wie angelegentlich Tom mit Amy Lawrence plauderte. Then she discovered how intently Tom was chatting with Amy Lawrence. Sie empfand einen stechenden Schmerz und wurde auf einmal zerstreut und unsicher. She felt a sharp pain and suddenly became distracted and uncertain. Sie nahm sich vor, davonzugehen, aber ihre Füße trugen sie, ihrem Vorsatz zum Trotz, wieder zu der Gruppe hin. She made up her mind to walk away, but her feet, despite her resolve, carried her back to the group. Sie sagte zu einem Mädchen, unmittelbar neben Tom — mit erzwungener Ausgelassenheit: „Du, Mary Austin! She said to a girl right next to Tom—with forced exuberance, “You, Mary Austin! Du böses Mädel, warum kamst du gestern nicht zur Sonntagsschule?“ You bad girl, why didn't you come to Sunday school yesterday?"

„Ich war doch da — hast du mich denn nicht gesehen?“ "I was there - didn't you see me?"

„Aber, nein! Warst du da? Wo saßest du denn?“ Where were you sitting?"

„In Miß Peters ihrer Klasse, wo ich immer sitze. "In Miss Peters in her class, where I always sit. Ich hab‘ dich gesehen.“ I saw you."

„So, wirklich? "Like that, really? Na, ‘s ist doch närrisch, daß ich dich nicht gesehen hab‘. Well, it's foolish that I didn't see you. Ich wollt‘ dir doch von dem Picknick sagen.“ I wanted to tell you about the picnic."

„O, das ist famos! "O, that's fabulous! Wer will eins geben?“ Who wants to give one?"

„Meine Mama läßt mich eins geben.“ "My mom lets me give one."

„Ach, wie reizend! "Oh, how lovely! Hoff doch, daß ich auch kommen darf?“ Hope you'll let me come, too?"

„Na, natürlich, ‘s ist doch mein Picknick. "Well, of course, 'tis my picnic. ‘s kann jeder kommen, den ich will — und dich will ich.“ 't can be anyone I want - and you I want."

„Das ist mal nett. "That's nice for a change. Wann ist‘s denn?“ When is it?"

„Na — bald. So um die Ferien ‘rum.“ Around the vacations 'round."

„Das wird mal ‘n Spaß! "This is going to be fun! Hast du alle Knaben und Mädchen eingeladen?“ Did you invite all the boys and girls?"

„Ja, alle, die meine Freunde sind — oder sein wollen,“ und sie schielte wieder so verstohlen nach Tom; aber er erzählte grade Amy Lawrence von dem schrecklichen Sturm auf der Insel und wie der Blitz die große Sykomore traf, „ganz dicht bei mir, keine drei Schritt davon.“ "Yes, all who are my friends-or want to be," and she squinted so furtively at Tom again; but he was just telling Amy Lawrence about the terrible storm on the island, and how the lightning struck the great sycamore, "very close to me, not three steps from it."

„Du, darf ich auch kommen?“ fragte Gracie Miller. "You, can I come too?" asked Gracie Miller.

„Und ich?“ Sally Rogers. "What about me?" Sally Rogers.

„Und ich auch?“ Susy Harper. "And me too?" Susy Harper. „Und Joe?“ "And Joe?"

„Ja.“

Und so immer weiter mit freudigem Händeklatschen, bis alle in der Gruppe sich ihre Einladung geholt hatten bis auf Tom und Amy. And so on and on with happily clapping hands until everyone in the group had gotten their invitation except for Tom and Amy. Dann wandte sich Tom kalt ab, immer noch erzählend, und zog Amy mit sich fort. Then Tom turned away coldly, still talking, and dragged Amy away with him. Beckys Lippen zitterten, und die Tränen traten ihr in die Augen. Becky's lips trembled and tears came to her eyes. Sie unterdrückte diese verräterischen Zeichen mit forzierter Heiterkeit und fing an zu plappern, aber das Vergnügen am Picknick war zu Ende, und auch aus allem anderen machte sie sich nun nichts mehr. She suppressed these telltale signs with forced hilarity and began to babble, but the fun at the picnic was over and she didn't care for anything else now. Sobald es ging, lief sie davon, versteckte sich und befreite sich nach der Art ihres Geschlechts durch Tränen von ihrem Kummer. As soon as she could, she ran away, hid herself, and, after the manner of her sex, freed herself from her grief by tears. Dann saß sie verdrießlich, mit beleidigter Miene da, bis die Glocke erklang. Then she sat morosely, looking offended, until the bell rang. Mit rachsüchtigem Ausdruck in den Augen sprang sie auf, gab ihren dicken Zöpfen einen tüchtigen Schubs und dachte, sie wisse jetzt schon, was sie zu tun habe. With a vengeful look in her eyes, she jumped up and gave her thick braids a good nudge, thinking she already knew what to do.

In der Ecke setzte Tom seine Schäkerei mit Amy mit jubelnder Selbstzufriedenheit fort. In the corner, Tom continued his flirtation with Amy with jubilant complacency. Und er brannte darauf, Becky zu finden und sie mit seiner Überlegenheit zu foltern. And he was burning to find Becky and torture her with his superiority. Schließlich entdeckte er sie, aber das Herz fiel ihm plötzlich in die Hosen. Finally, he spotted her, but his heart suddenly dropped into his pants. Sie saß auf einem Bänkchen hinterm Schulhaus ganz gemütlich, mit Alfred Temple, in ein Bilderbuch schauend. She sat comfortably on a bench behind the school building with Alfred Temple, looking at a picture book. Und so vertieft waren beide, und ihre Köpfe steckten über dem Buch so dicht zusammen, daß sie gar nichts um sich her wahrzunehmen schienen. And so engrossed were they both, and their heads were so close together over the book that they seemed to perceive nothing at all around them. Eifersucht rann glühend heiß durch Toms Adern. Jealousy ran red-hot through Tom's veins. Er begann, sich selbst zu hassen, weil er die Gelegenheit zur Versöhnung, die ihm Becky geboten, nicht benützt hatte. He began to hate himself for not taking the opportunity for reconciliation Becky offered him. Er nannte sich selbst einen Narren und gab sich alle Ehrentitel, die ihm gerade einfallen wollten. He called himself a fool and gave himself all the honorific titles he could think of. Er hätte schreien mögen vor Wut. He might have screamed with rage. Amy schwatzte ganz vergnügt weiter, indem sie auf und ab gingen, denn ihr Herz war voll Seligkeit, aber Toms Zunge schien gelähmt zu sein. Amy chatted on quite happily, walking up and down, for her heart was full of bliss, but Tom's tongue seemed paralyzed. Er hörte gar nicht, was Amy sagte, und so oft sie eine Pause machte, um seine Antwort abzuwarten, konnte er nur irgend eine tölpelhafte Bemerkung hervorstammeln, die möglichst oft ganz falsch angebracht war. He didn't even hear what Amy was saying, and whenever she paused to wait for his reply, all he could do was babble out some clumsy remark, most often misplaced. Immer wieder suchte er nach der Hinterseite des Schulhauses zu gelangen, um sich an dem verhaßten Anblick zu weiden. Again and again he tried to get to the back of the schoolhouse to gloat over the hated sight. Er konnte nicht anders. He could not help himself. Und es folterte ihn, zu sehen, wie Becky Thatcher gar nicht zu wissen schien, daß er auch noch im Lande oder überhaupt unter den Lebenden weile. And it tortured him to see how Becky Thatcher didn't even seem to know that he was still in the country, or even among the living. Indessen sah sie ihn sehr wohl; und sie war sich ihres Sieges sehr wohl bewußt und sah ihn mit Wollust ebenso leiden, wie sie vorher gelitten hatte. Meanwhile she saw him very well; and she was well aware of her victory, and watched him suffer with lust as she had suffered before.

Amys Glück fing an, unerträglich zu werden. Amy's happiness began to become unbearable. Tom schützte allerlei Angelegenheiten, die er zu erledigen hatte, vor. Tom pleaded all sorts of things he had to do. Er mußte fort, und die Zeit verrann. He had to go, and time was running out. Aber vergeblich — das Mädel ließ nicht locker. But in vain - the girl did not let go. Tom dachte: O, hol sie der Teufel — soll ich sie nie los werden? Tom thought: O, get rid of them - shall I never get rid of them? Schließlich mußte er aber wirklich seine Angelegenheiten besorgen; sie gab ihm arglos das Versprechen, nach der Schule ihm „auflauern“ zu wollen. Finally, however, he really had to go about his business; she guilelessly made him a promise to "ambush" him after school. Und er rannte davon, sie dafür verwünschend. And he ran away, cursing her for it.

„Jeder andere Junge!“ dachte Tom, mit den Zähnen knirschend, „jeder andere im ganzen Dorf, nur nicht dieser Heilige, der denkt, weil er sich fein anzieht, ist er ‘n Vornehmer. 'Every other boy!' thought Tom, gritting his teeth, 'every other boy in the whole village except that saint who thinks because he dresses up he's a gentleman. Na, wart‘ nur! Just you wait! Hab‘ ich dich am ersten Tag, wo du hier warst, geprügelt, mein Kerlchen, werd‘ ich‘s jetzt ja wohl auch noch können! If I beat you the first day you were here, my boy, I'll be able to do it now! Wart‘ nur, bis ich dich mal tüchtig beim Kragen nehm‘! Just wait until I take you by the collar! Möcht‘s gleich tun am liebsten, und —“ I'd like to do it right now, and -"

Und mit wahrer Wonne prügelte er ‘nen imaginären Jungen durch — in der Luft herumfuchtelnd, stoßend und puffend. And with real bliss he beat through an imaginary boy - waving in the air, thrusting and puffing.

„Na, wird‘s — wird‘s? "Well, will it - will it? Wirst du bald ‚genug‘ sagen? Will you say 'enough' soon? So, nu merk‘s dir für ‘n andermal!“ So, now remember it for another time!"

So war der Kampf bald zu seiner Zufriedenheit beendigt. So the fight was soon over to his satisfaction.

Tom rannte mittags heim. Tom ran home at noon. Sein Gewissen ertrug‘s nicht, nochmals Amys dankbare Glückseligkeit anzusehen, und seine Eifersucht erlaubte keine andere Zerstreuung. His conscience could not endure another look at Amy's grateful happiness, and his jealousy allowed no other distraction. Becky setzte ihr Bilder-Besehen mit Alfred fort, aber als sich Minute an Minute reihte und kein Tom kam, um sich quälen zu lassen, begann ihr Triumphgefühl sich abzukühlen, und sie verlor das Interesse; Unaufmerksamkeit und Geistesabwesenheit folgten, und dann Melancholie. Becky continued her picture-gazing with Alfred, but as minute after minute passed and no Tom came to be tormented, her sense of triumph began to cool and she lost interest; Inattention and absent-mindedness followed, and then melancholy. Ein paarmal fing sie mit dem Gehör Fußtritte auf, aber es war jedesmal vergebliches Hoffen; kein Tom kam. A couple of times she caught a footstep with her ears, but it was always a vain hope; no Tom came. Schließlich wurde ihr ganz elend zumute, und sie wünschte, sie hätte die Sache nicht so weit getrieben. Eventually she felt miserable and wished she hadn't taken it so far. Als der arme Alfred bemerkte, daß sie ihm entschlüpfte, nicht wußte, wie, und fortwährend krampfhaft schrie: „O, hier ist ‘n famoses! When poor Alfred noticed that she was slipping away from him, didn't know how, and kept screaming convulsively: "Oh, here's a splendid one! Schau dies mal an!“ verlor sie schließlich die Geduld und sagte: „Ach was, quäl‘ mich nicht! Look at this!" she finally lost her patience and said, "Oh, don't torture me! Hab‘ keine Lust mehr dazu!“ brach in Tränen aus, sprang auf und rannte davon. Don't feel like it anymore!" burst into tears, jumped up and ran away.

Alfred trottete nebenher und wollte sie trösten und beruhigen, aber sie sagte: Alfred trotted along, wanting to comfort and reassure her, but she said:

„Mach, daß du dich fortscherst und laß mich allein, willst du? "Go away and leave me alone, will you? Ich mag dich gar nicht!“ I don't like you at all!"

So blieb der Junge denn zurück, sich wundernd, was er verbrochen haben könne — denn sie hatte ihm doch versprochen, den ganzen Nachmittag Bilder zu besehen — und sie rannte heulend davon. So the boy stayed behind, wondering what he could have done wrong - for she had promised him to look at pictures all afternoon - and she ran away crying. Dann kehrte Alfred betrübt ins Schulhaus zurück. Then Alfred returned to the schoolhouse, saddened. Er fühlte sich gedemütigt und beleidigt. He felt humiliated and insulted. Er fand aber sehr leicht die Wahrheit heraus — das Mädel hatte ganz einfach ihr Spiel mit ihm getrieben, nur um ihren Zorn an Tom Sawyer auszulassen. But he found out the truth very easily - the girl had simply played her game with him, only to take out her anger on Tom Sawyer. Er haßte Tom durchaus nicht weniger, als dieser Gedanke in ihm aufstieg. He did not hate Tom any less when this thought rose in him. Nichts wünschte er mehr, als auf irgend eine Weise diesem Jungen was einzubrocken, ohne selbst was zu riskieren. He wanted nothing more than to get this boy into trouble in some way without risking anything himself. Toms Rechtschreibebuch fiel ihm in die Augen. Tom's spelling book caught his eye. Die Gelegenheit war günstig. The opportunity was favorable. Dankbar öffnete er es bei der Lektion für den Nachmittag und goß Tinte über die Seite. Gratefully, he opened it at the lesson for the afternoon and poured ink over the page. Becky, einen Augenblick hinter ihm durchs Fenster schauend, sah es und drückte sich davon, ohne sich zu verraten. Becky, peering through the window behind him for a moment, saw it and pushed away without giving herself away.

Sie lief nach Haus, in der Absicht, Tom zu suchen und ihm alles zu sagen. She ran home, intending to find Tom and tell him everything. Tom würde ihr dankbar sein und aller Zank wäre damit zu Ende. Tom would be grateful to her and all bickering would end. Bevor sie aber den halben Weg zurückgelegt hatte, war sie anderen Sinnes geworden. But before she was halfway there, she had changed her mind. Der Gedanke daran, wie sie Tom behandelt hatte, als sie von ihrem Picknick sprach, kam wieder brennend über sie und erfüllte sie mit Scham. The thought of how she had treated Tom when she spoke of their picnic came burning over her again, filling her with shame.

Sie beschloß, ihn in der Sache mit dem beschmutzten Buch ruhig in der Patsche stecken zu lassen und ihn obendrein für immer und ewig zu hassen. She decided to leave him in trouble about the soiled book and to hate him forever and ever.

Zwanzigstes Kapitel. Twentieth Chapter. Tom langte in verdrießlichster Laune zu Hause an, und das erste Wort, das Tante Polly an ihn richtete, zeigte ihm, daß er seinen Kummer an einen sehr wenig versprechenden Ort getragen habe. Tom arrived home in the most sour mood, and the first word Aunt Polly addressed to him showed him that he had taken his grief to a very unpromising place.

„Tom, ich möchte dir doch gleich die Haut über die Ohren ziehn!“ "Tom, I would like to pull the skin over your ears!"

„Tantchen, was hab‘ ich denn getan?“ "Auntie, what did I do?"

„Na, du hast genug getan. "Well, you've done enough. Da geh‘ ich altes, einfältiges Weib zur Harper hinüber und denk‘, ich will sie an all den Unsinn vom Träumen glauben machen, und siehe da — sie hat von Joe herausbekommen, daß du ‘rüber gekommen bist und hast alles gehört, was wir in der Nacht gesprochen haben. So me old, simple-minded woman goes over to Harper thinking I'm going to make her believe all that nonsense about dreaming, and lo and behold - she's found out from Joe that you 've come over and heard everything we've talked about that night. Tom, ich weiß nicht, was aus ‘nem Jungen werden soll, der sich so benimmt. Tom, I don't know what's going to happen to a boy who acts like that. ‘s macht mich so traurig, zu denken, daß du mich ruhig zur Harper gehen ließt und so ‘ne Närrin aus mir machen konntest — ohne ‘n Wort zu sagen.“ 't makes me so sad to think that you could let me go quietly to the Harper and make such a 'fool of me-without saying a word."

Das war nun ‘ne neue Ansicht von der Sache. That was a new view of the matter. Seine Gerissenheit von heut morgen war Tom als famoser Witz und äußerst genial erschienen. His cunning of this morning had struck Tom as a splendid joke and utterly brilliant. Jetzt erschien sie ihm höchst mittelmäßig und schäbig. Now it seemed most mediocre and shabby to him. Er ließ den Kopf hängen und wußte in diesem Augenblick nicht, was sagen. He hung his head and did not know what to say at that moment. Dann sagte er schüchtern: Then he said shyly:

„Tantchen, ich wollt‘, ich hätt‘s nicht getan — aber ich dachte nicht dran.“ "Auntie, I wish I hadn't - but I didn't think of it."

„Ach, Kind, du denkst eben nie. "Oh, child, you just never think. Du denkst an nichts als dein eigenes Pläsier. You think of nothing but your own pleasure. Daran hast du gedacht, den weiten Weg von Jacksons Insel herüber bei Nacht und Nebel zu machen, um über unsern Kummer zu lachen, und hast dran gedacht, mich mit ‘ner Lüge von dem Traum zu betrügen, aber daran hast du nicht gedacht, Mitleid zu haben und uns vor Sorge zu bewahren.“ That's what you thought of doing, coming all the way over from Jackson's Island in the night and fog to laugh at our sorrow, and you thought of deceiving me with a lie about the dream, but you didn't think of having pity and keeping us from worry."

„Tantchen, ich weiß jetzt, ‘s war gemein, aber ‘s war ja nicht meine Absicht, gemein zu sein; auf Ehre, das war‘s nicht! "Auntie, I know now 'twas mean, but 'twas not my intention to be mean; on honor, it was not! Und dann — ich bin nicht rüber gekommen, um über euch zu lachen!“ And then - I didn't come over here to laugh at you guys!"

„Warum also bist du gekommen?“ "So why did you come?"

„‘s war, um dir zu sagen, daß du dir keine Sorge zu machen brauchst, weil wir davongelaufen waren.“ "'Twas to tell you not to worry because we had run away."

„Tom, Tom, ich wäre die dankbarste alte Frau auf der Welt, wenn ich dran glauben könnte, daß du daran gedacht hast, aber du weißt, du tatst es nicht, und ich weiß es auch, Tom.“ "Tom, Tom, I'd be the most grateful old woman in the world if I could believe you thought of it, but you know you didn't, and so do I, Tom."

„Aber, gewiß — ganz gewiß, ‘s war so, Tantchen — ich will mich nicht mehr rühren können, wenn‘s nicht so ist!“ "But, certainly - most certainly, 'twas so, auntie - I don't want to be able to move if it isn't so!"

„Ach, Tom, lüg‘ nicht — tu‘s nicht! "Oh, Tom, don't lie - don't do it! Das macht die Sache nur hundertmal schlimmer.“ It just makes things a hundred times worse."

„Ich hab‘ aber nicht gelogen, Tante. "I wasn't lying, though, auntie. ‘s ist die Wahrheit! 'tis the truth! Ich wollt‘ dir den Kummer ersparen — das allein war‘s, was mich nach Hause trieb.“ I wanted to spare you the grief - that alone was what drove me home."

„Die ganze Welt würd‘ ich drum geben, könnt‘ ich‘s glauben! "I would give the whole world for it if I could believe it! ‘nen ganzen Haufen Dummheiten würd‘ ich dir dafür vergessen, Tom. I'd forget a whole bunch of stupidities for that, Tom. ‘s war schlimm genug, daß du fortliefst und so schlecht handeltest. It was bad enough that you went away and acted so badly. Aber, ‘s ist begreiflich. But, 'tis understandable. Aber warum sagtest du mir‘s nicht, Tom?“ But why didn't you tell me, Tom?"

„Warum? "Why? Na — sieh, Tante, als ihr anfingt, vom Trauergottesdienst zu sprechen, kam mir auf einmal die Idee, ‘rüber zu kommen und mich in der Kirche zu verstecken und da bracht‘ ich‘s nicht fertig, mir das selbst zu verderben. Well - look, aunt, when you started talking about the funeral service, it suddenly occurred to me to 'come over and hide in the church and I couldn't bring myself to spoil it. So steckt‘ ich die Rinde wieder in die Tasche und hielt den Mund.“ So I put the bark back in my pocket and kept my mouth shut.”

„Was für ‘ne Rinde?“ "What kind of bark?"

„Die Rinde, worauf ich geschrieben hatte, daß wir Piraten geworden seien. "The bark on which I had written that we had become pirates. Jetzt wollt‘ ich nur, du wärst aufgewacht, als ich dich küßte — auf Ehre, ich wollt‘s!“ Now I only wish you had woken up when I kissed you - on honor, I do!"

Das strenge Gesicht Tante Pollys hellte sich auf und Zärtlichkeit zitterte in ihrer Stimme: „Hast du mich geküsst, Tom?“ Aunt Polly's stern face brightened and tenderness trembled in her voice, "Did you kiss me, Tom?" Суровое лицо тети Полли просветлело, а в голосе задрожала нежность: "Ты поцеловал меня, Том?"

„Freilich hab‘ ich‘s getan.“ "Sure enough, I did it."

„Weißt du‘s gewiß, daß du‘s tatst?“ "Do you know for sure that you did?"

„Aber ja, ich tat‘s, Tantchen — ganz gewiß!“ "Why yes, I did, Auntie - most certainly!"

„Warum küßtest du mich, Tom?“ "Why did you kiss me, Tom?"

„Weil ich dich lieb hab‘, und du im Schlafen seufztest und ich so traurig war.“ "Because I love you, and you sighed in your sleep and I was so sad."

Die Worte klangen wahr. The words sounded true. Die alte Dame konnte das Zittern in ihrer Stimme nicht verbergen, als sie sagte: „Küß mich noch mal, Tom! The old lady could not hide the trembling in her voice as she said, "Kiss me again, Tom! — Und jetzt fort mit dir zur Schule, und ärgere mich nicht wieder.“ - Now off to school with you, and don't annoy me again."

Sobald er fort war, rannte sie zum Wandschrank und riß die Ruine der Jacke heraus, in der Tom unter die Piraten gegangen war. As soon as he was gone she ran to the closet and pulled out the ruin of the jacket Tom had taken under the pirates. Dann hielt sie wieder inne und sagte zu sich: „Nein, ich tu‘s nicht. Then she paused again and said to herself, "No, I won't do it. Armer Junge — ich denke, du hast‘s gelogen — aber ‘s ist ‘ne gesegnete, gesegnete Lüge, ‘s ist was Treuherziges drin. Poor boy - I think you lied - but it's a blessed, blessed lie, there's something innocent in it. Ich hoffe, der Herr — ich weiß, der Herr wird ihm vergeben, denn ‘s war doch gutherzig von ihm, das zu sagen. I hope the Lord - I know the Lord will forgive him, because it was kind of him to say that. Aber, ich will gar nicht wissen, daß es ‘ne Lüge ist. But, I don't even want to know that it's a lie. Ich will nicht nachsehn.“ I don't want to check."

Sie tat die Jacke wieder fort und stand eine Minute unentschlossen. She put the jacket away again and stood indecisively for a minute. Zum zweitenmal streckte sie die Hand aus nach dem Kleidungsstück, und zum zweitenmal zog sie sie zurück. For the second time she stretched out her hand for the garment, and for the second time she withdrew it. Und nochmals griff sie danach, und diesmal ermutigte sie sich selbst mit dem Gedanken: „‘s ist ‘ne gute Lüge — ‘s ist ‘ne gute Lüge — ich will mich nicht dadurch kränken lassen.“ So griff sie in die Tasche der Jacke. And she reached for it again, and this time she encouraged herself with the thought, "It's a good lie — it's a good lie — I don't want to be offended by it." So she reached into the pocket of her jacket . И она снова потянулась за ним, на этот раз подбадривая себя мыслью: "Это хорошая ложь - хорошая ложь - я не хочу на нее обижаться". И она потянулась в карман пиджака. Einen Moment später las sie unter Tränen Toms Schriftstück und schluchzte: „Jetzt könnt‘ ich dem Jungen vergeben, und wenn er ‘ne Million dummer Streiche gemacht hätte.“ A moment later, she was tearfully reading Tom's paper and sobbing, "Now I could forgive that boy if he'd pulled a million stupid pranks." Через минуту она читала газету Тома в слезах и рыдала: "Теперь я могу простить мальчика, даже если он совершил миллион глупых шалостей".