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Deutschlandfunk - Interview, "Wir leben in einem System, das sich nur durch Steigerung erhält"

"Wir leben in einem System, das sich nur durch Steigerung erhält"

Sandra Schulz: Am Abend die Zeitung des nächsten Tages lesen, dann noch eben in die Mails gucken, und dann eben auch noch schnell antworten, dann ist es gemacht.

Für viele Arbeitnehmer löst sich ja die Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit auf, seitdem digitale Endgeräte, Smartphones und Tablets klein und auch schick genug sind, überallhin mitgenommen zu werden. Ist das gut oder schlecht? Bis auf Weiteres ist die Antwort auf diese Frage nicht gefunden, vor allem die Gewerkschaften drängen darauf, die Arbeitnehmer vor ständiger Erreichbarkeit und der dazugehörigen Erwartungshaltungen mancher Chefs zu schützen. Ende des Jahres hatte der Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück die Diskussion mit der Forderung gewürzt, dienstliche Mails nach Feierabend, am Wochenende oder im Urlaub löschen zu lassen. Über Gefahren, aber auch Verheißungen dieser jetzt neueren Arbeitswelt wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist Professor Hartmut Rosa – Zeitdiagnose und Moderneanalyse, Zeitsoziologie und Beschleunigungstheorie nennt er unter anderem auf seiner Webseite der Friedrich-Schiller-Universität in Jena als Arbeitsschwerpunkte und ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen! Hartmut Rosa: Hallo, guten Morgen!

Schulz: Wenn wir konkret starten vielleicht mit diesem Vorschlag von Uwe Hück, nach Feierabend oder im Urlaub, am Wochenende werden die Arbeitnehmer auf Mail-Zwangsdiät gesetzt.

Ist das eine gute Idee? Rosa: Ich glaube, nicht unbedingt und nicht in allen Hinsichten, weil das natürlich an manchen Orten dann auch wieder massiv den Druck erhöht, weil gelegentlich hat man es einfach mit Arbeitsabläufen oder -zusammenhängen zu tun, wo man nur eine kleine Auskunft, eine ganz kleine Information oder so bräuchte, und dann sich selbst da zu beschränken und zu sagen, das mache ich auf gar keinen Fall, schafft neue Irrationalitäten, über die sich dann ganz bestimmt, wenn die umgesetzt werden, Menschen auch ärgern, und manchmal eben nicht nur die Chefs.

Ich glaube, der Druck geht gar nicht immer von den Chefs aus, sondern häufig einfach von den lang verketteten Arbeitsabläufen per se, wo man dann auch selbst das Gefühl hat als Arbeitnehmer, man würde gern eine Sache zu Ende bringen oder man sieht ein, dass man sie zu Ende bringen muss, weil die sonst anderswo Probleme verursachen. Deshalb fürchte ich, dass so was unter Umständen durchaus helfen kann und Sinn machen kann, aber es wird nicht alle Probleme lösen. Zu einfach gedacht

Schulz: Also das ist aus Ihrer Sicht gar nicht schlimm, jetzt vielleicht mal in Anführungszeichen gesprochen, sich abends auf der Couch noch mal in ein Portal einzudaddeln und da dann noch eine Mail zu schreiben?

Rosa: Doch, es ist – ich will überhaupt nicht leugnen, weil es scheint ja offensichtlich, dass da ein Problem besteht, dass wir uns Strukturen geschaffen haben, auch Arbeitsstrukturen, in denen einfach alle Lebensbereiche sozusagen ununterbrochen auf uns eindringen.

Also zu jeder Zeit hat man potenziell eben eine Anruf oder eine Bitte oder eine Anforderung, aus der Arbeitswelt und auch aus der Familienwelt, aus der Freizeitwelt. Da haben wir tatsächlich ein Problem geschaffen, für das wir auch insgesamt doch mal eine Lösung suchen müssen. Ich will nur sagen, dass es mir zu einfach scheint, zu denken, der Druck wird immer nur von den Chefs per se ausgelöst, weil man wirklich ganz häufig sieht, wenn man sich das genau anguckt in Arbeitszusammenhängen. Also, es gilt vielleicht tatsächlich nicht so sehr für Großbetriebe wie Porsche, wo das eine gute Idee sein kann. Aber in vielen Zusammenhängen haben wirklich Arbeitnehmer das Gefühl, ich muss da jetzt ins Geschäft und eine Arbeit zu Ende bringen. Das kann zum Beispiel im Pflegedienst sein: Wenn da jemand ausfällt, haben natürlich Menschen das Gefühl, ich muss das jetzt aber machen. Und so geht es in ganz vielen Zusammenhängen. Manchmal auch an der Supermarktkasse zum Beispiel, dass jemand eigentlich frei hat, aber er weiß, oh Mann, die alte Kollegin ist frei geworden, und bei der anderen steht gerade eine Hochzeit oder eine Reise an, und wenn ich die jetzt hängen lasse, kriegen die große Probleme, sodass man sehen muss, die Probleme, die wir haben, die sind überhaupt nicht klein zu reden. Die haben wir sozusagen in der Gesamtstruktur geschaffen. Schulz: Herr Rosa, ist es denn neu, oder ist es eine neue Qualität, denn das Leben hat ja auch vor zehn oder 20 oder 30 Jahren nie stillgestanden.

Es ist ja da auch schon immer 24 Stunden am Tag weitergegangen. Rosa: Ja, es war tatsächlich so, und die Soziologen haben lange Zeit gedacht, moderne Gesellschaft funktioniert nur so, dass die Dinge feste Zeitfenster hatten.

Man musste, sagen wir mal, zwischen acht und 17 Uhr arbeiten, und in der Zeit konnte man gar nichts anderes machen. Ich konnte mich da nicht um eine Tante oder ein Kind oder einen Einkauf kümmern. Aber nach 17 Uhr war die Berufswelt komplett abgeschaltet. Da hatte die gar nichts mehr mit meinem Leben zu tun. Und heute ist es eben tatsächlich so, dass wir praktisch alle Sphären zu jeder Zeit bedienen können. Das hat manchmal auch Vorteile, dass ich auch während des Berufsalltags schnell einen Telefonanruf erledigen kann für die Familie oder eben was surfen oder eine WhatsApp schreiben oder sonst etwas tun. Aber es hat eben auch den Nachteil, dass wir eben immer erreichbar sind und dass damit die technischen Möglichkeiten bestehen, auch die Arbeitswelt am Wochenende, am Feierabend, überall hin mitzunehmen. Entschleunigung und Entspannung

Schulz: Und das geht aber, das haben Sie ja eben schon gesagt, gar nicht unbedingt von den Chefinnen und Chefs aus, sondern den Stress machen sich viele Arbeitnehmer auch selbst und sind da ja auch ganz stark widersprüchlich.

Ich habe jetzt noch mal geschaut: Zum Jahresanfang steht der Vorsatz "Weniger Stress im neuen Jahr" auf Platz eins der guten Vorsätze. Woran hapert es dann? Rosa: Das ist genau das Paradoxon, mit dem ich beschäftigt bin oder das mich interessiert, dass die zeitliche Strukturlogik unseres Lebens sich offensichtlich unseren guten Vorsätzen und unserem Willen völlig entzieht, weil Sie haben ganz recht.

Dieser Vorsatz, nächstes Jahr mache ich ein bisschen langsamer, lasse ich es ein bisschen langsamer angehen oder entschleunige ich oder entspanne ich mehr oder lade ich mir weniger auf, der scheint komplett immun zu sein, oder unsere Praxis scheint komplett immun zu sein gegenüber diesem Vorsatz. Und deshalb meine ich, das Problem liegt tiefer. Da kann es helfen, so eine einfach Zeitregelung wie "Nach Feierabend gibt es keinen Kontakt mehr" einzuführen. Aber die Grundlogik ist die, die ich Steigerungslogik der Gesellschaft nenne. Wir leben da in einem System, das sich nur durch Steigerung erhalten kann. Wenn wir nicht jedes Jahr schneller, effizienter arbeiten und leben und auch mehr produzieren, besser produzieren, mehr konsumieren, mehr verteilen, können wir das, was wir haben, nicht erhalten. Unsere Arbeitsplätze, unsere Firmen, unseren Sozialstaat und so weiter. Schulz: Haben wir da aber nicht, Herr Rosa, Entschuldigung, dass ich da einhake, aber haben wir da nicht auch, zumindest auch den gegenläufigen Trend, dass jetzt eine IG Metall sich stark macht für eine 28-Stunde-Woche, was ja nahe dran ist an einer Teilzeitstelle, dann mit besserer Bezahlung.

Aber gibt es da nicht auch beide Trends? Es wird ja auch immer gesagt, die Generation, die jetzt als Berufstätige neu an den Start geht, die lege viel größeren Wert drauf, sich das auch selbst und souverän zu gestalten. Rosa: Das ist ganz interessant zu beobachten.

Es gibt tatsächlich diese beiden Seiten, einerseits, dass gerade auch Spitzenleute, Nachwuchskräfte gar nicht in die Toppositionen wollen, weil sie sagen, wir wollen auch leben, und nicht nur arbeiten. Da klagen tatsächlich ganz viele Unternehmen drüber. Und, Sie haben recht, auch bei den Gewerkschaften gibt es da jetzt wieder eine Bewegung hin, die dann nicht mehr unbedingt sagt, "wir für mehr", was auch mal ein Slogan war, sondern tatsächlich unter Umständen "wir für weniger", weniger Arbeitszeit. Momentan bewegt sich das allerdings noch auf der Ebene der Neujahrsvorsätze, also der Wünsche, die wir zwar an das Leben haben, aber noch nicht unbedingt der Praxis, die wir leben. Weil diese Wettbewerbslogik ja eine globale ist, und die setzt sich um in unser Leben im Sinne von permanenten Optimierungszwängen, dass wir überall versuchen, fitter, besser, attraktiver zu sein. Und dann haben wir natürlich auch selbst Erwartungen ans Leben, die unsere To-do-Liste füllen. Explodierende To-do-Listen

Schulz: Das muss ich jetzt natürlich am 3.1.2018 noch mal fragen: Was ist Ihre konkrete Empfehlung, sich da jetzt 2018 gegenzustemmen?

Rosa: Also ich glaube, wenn man sich genau anguckt, durch was komme ich eigentlich immer in Stress, dann stellt man fest, dass wir es fast alle in dieser Gesellschaft mit explodierenden To-do-Listen zu tun haben.

Es steht einfach mehr drauf pro Tag oder pro Woche, als man vernünftigerweise erledigen kann. Also nicht unbedingt das Tempo unseres Lebens ist der Verursacher, sondern die Tatsache, dass die To-do-Liste explodiert. Und da könnte man jetzt sagen, die einfache Lösung lautet, schreib halt weniger drauf. Aber diese To-do-Liste wird gefüllt durch Erwartungen, die wir selbst, aber auch andere an uns haben und die wir als legitim empfinden. Man kommt zum Beispiel in den Job, und dann sagen die, wieso hast du denn das noch nicht gemacht? Und man hat das Gefühl, es war eine legitime Erwartung. Und dann kommt man nach Hause, und dann sagt die Frau vielleicht, warum hast du dich nicht um den Sohn gekümmert oder die Eltern. Schulz: Könnte sein.

Rosa: Und da kann man nur die To-do-Liste noch mal durchgehen und gucken, welche dieser Erwartungen man wirklich einfach abschreiben und loswerden will.

Schulz: Der Zeitsoziologe Hartmut Rosa heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk.

Ganz herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen und natürlich auch für Ihre Zeit! Rosa: Gern!


"Wir leben in einem System, das sich nur durch Steigerung erhält" "We live in a system that only survives through increase" "Vivimos en un sistema que solo sobrevive a través del aumento" "Nous vivons dans un système qui ne se maintient que par l'augmentation". "Viviamo in un sistema che si sostiene solo aumentando". "Żyjemy w systemie, który utrzymuje się tylko dzięki wzrostowi". "Vivemos num sistema que só se sustenta aumentando". "Мы живем в системе, которая поддерживает себя только за счет роста". "Žijeme v systéme, ktorý sa udržiava len tým, že rastie." "Vi lever i ett system som bara upprätthåller sig självt genom att öka". "Sadece artarak kendini sürdüren bir sistemde yaşıyoruz". «Ми живемо в системі, яка виживає лише завдяки зростанню» “我們生活在一個只有透過改進才能生存的系統中”

Sandra Schulz: Am Abend die Zeitung des nächsten Tages lesen, dann noch eben in die Mails gucken, und dann eben auch noch schnell antworten, dann ist es gemacht. Sandra Schulz: Read the newspaper of the next day in the evening, then just look at the e-mails, and then quickly answer, then it's done. Sandra Schulz: Leia o jornal do dia seguinte à noite, depois olhe os e-mails e responda rapidamente, e pronto. Sandra Schulzová: Večer si prečítam noviny na ďalší deň, potom skontrolujem e-maily, rýchlo odpoviem a je to hotové. Сандра Шульц: Увечері я читаю газету наступного дня, потім просто перевіряю електронну пошту і швидко відповідаю, і все.

Für viele Arbeitnehmer löst sich ja die Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit auf, seitdem digitale Endgeräte, Smartphones und Tablets klein und auch schick genug sind, überallhin mitgenommen zu werden. For many employees, the separation between working hours and leisure time has been disappearing since digital devices, smartphones and tablets are small and chic enough to be taken anywhere. Para muitos funcionários, a separação entre horas de trabalho e tempo livre está desaparecendo, já que dispositivos digitais finais, smartphones e tablets são pequenos e inteligentes o suficiente para serem levados para qualquer lugar. Pre mnohých pracovníkov sa rozdiel medzi pracovným a voľným časom stráca, pretože digitálne zariadenia, smartfóny a tablety sa stali dostatočne malými a elegantnými na to, aby sa dali vziať všade so sebou. Ist das gut oder schlecht? Is that good or bad? Isso é bom ou ruim? Bis auf Weiteres ist die Antwort auf diese Frage nicht gefunden, vor allem die Gewerkschaften drängen darauf, die Arbeitnehmer vor ständiger Erreichbarkeit und der dazugehörigen Erwartungshaltungen mancher Chefs zu schützen. For the time being, the answer to this question has not been found. The trade unions in particular are urging to protect employees from constant availability and the associated expectations of some bosses. Por enquanto, a resposta a esta pergunta não foi encontrada.Os sindicatos, em particular, estão pressionando para proteger os funcionários da disponibilidade constante e das expectativas associadas de alguns patrões. Odpoveď na túto otázku sa zatiaľ nenašla; najmä odbory presadzujú ochranu pracovníkov pred neustálou dostupnosťou a s tým spojenými očakávaniami niektorých šéfov. Ende des Jahres hatte der Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück die Diskussion mit der Forderung gewürzt, dienstliche Mails nach Feierabend, am Wochenende oder im Urlaub löschen zu lassen. At the end of the year, the head of the Porsche works council, Uwe Hück, spiced up the discussion by demanding that business emails be deleted after work, on the weekend or on vacation. No final do ano, o chefe do conselho de trabalhadores da Porsche, Uwe Hück, apimentou a discussão exigindo que os e-mails oficiais fossem apagados após o trabalho, no fim de semana ou nas férias. Koncom roka šéf podnikovej rady Porsche Uwe Hück spestril diskusiu požiadavkou, aby sa úradné e-maily po práci, cez víkend alebo počas dovolenky vymazávali. Наприкінці року голова виробничої ради Porsche Уве Хюк (Uwe Hück) додав гостроти дискусії, закликавши видаляти робочі електронні листи після роботи, у вихідні та під час відпустки. Über Gefahren, aber auch Verheißungen dieser jetzt neueren Arbeitswelt wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. In the coming minutes we want to talk about the dangers, but also the promises of this newer world of work. V nasledujúcich minútach chceme hovoriť o nebezpečenstvách, ale aj o prísľuboch tohto nového sveta práce. Am Telefon ist Professor Hartmut Rosa – Zeitdiagnose und Moderneanalyse, Zeitsoziologie und Beschleunigungstheorie nennt er unter anderem auf seiner Webseite der Friedrich-Schiller-Universität in Jena als Arbeitsschwerpunkte und ist jetzt am Telefon. Professor Hartmut Rosa is on the phone - he mentions time diagnosis and modern analysis, time sociology and acceleration theory, among other things, on his website of the Friedrich Schiller University in Jena as work focuses and is now on the phone. Na telefóne je profesor Hartmut Rosa - na svojej webovej stránke na Univerzite Friedricha Schillera v Jene uvádza ako svoje hlavné oblasti práce okrem iného diagnostiku času a analýzu moderny, sociológiu času a teóriu zrýchlenia. Schönen guten Morgen! Hartmut Rosa: Hallo, guten Morgen! Hartmut Rosa: Hello, good morning!

Schulz: Wenn wir konkret starten vielleicht mit diesem Vorschlag von Uwe Hück, nach Feierabend oder im Urlaub, am Wochenende werden die Arbeitnehmer auf Mail-Zwangsdiät gesetzt. Schulz: If we start specifically with this suggestion from Uwe Hück, after work or on vacation, at the weekend, employees will be put on a forced mail diet. Schulz: Ak začneme konkrétne, možno s týmto návrhom Uweho Hücka, po práci alebo počas dovolenky, cez víkend sú zamestnanci nútení držať poštovú diétu.

Ist das eine gute Idee? Rosa: Ich glaube, nicht unbedingt und nicht in allen Hinsichten, weil das natürlich an manchen Orten dann auch wieder massiv den Druck erhöht, weil gelegentlich hat man es einfach mit Arbeitsabläufen oder -zusammenhängen zu tun, wo man nur eine kleine Auskunft, eine ganz kleine Information oder so bräuchte, und dann sich selbst da zu beschränken und zu sagen, das mache ich auf gar keinen Fall, schafft neue Irrationalitäten, über die sich dann ganz bestimmt, wenn die umgesetzt werden, Menschen auch ärgern, und manchmal eben nicht nur die Chefs. Rosa: I think not necessarily and not in all respects, because of course that increases the pressure massively in some places, because occasionally you just have to deal with work processes or contexts where you only need a small piece of information, a whole would need a little bit of information or something, and then limit yourself there and say, I definitely won't do that, creates new irrationalities that will definitely annoy people when they are implemented, and sometimes not only the leaders. Rosa: Nemyslím si, že nevyhnutne a nie vo všetkých ohľadoch, pretože, samozrejme, na niektorých miestach to tiež masívne zvyšuje tlak, pretože niekedy sa jednoducho musíte zaoberať pracovnými procesmi alebo kontextmi, kde potrebujete len malú informáciu, veľmi malú informáciu alebo tak, a potom obmedziť sa a povedať, toto nebudem robiť za žiadnych okolností, vytvára nové iracionality, ktoré, keď sa implementujú, určite naštvú ľudí, a niekedy nielen šéfov. Роза: Я так не думаю, не обов'язково і не у всіх відношеннях, тому що, звичайно, в деяких місцях це знову ж таки збільшує тиск, тому що іноді вам просто доводиться мати справу з робочими процесами або контекстами, де вам потрібна лише невелика кількість інформації, дуже маленький шматочок інформації або щось подібне, і тоді обмежувати себе і говорити, що я не буду цього робити за жодних обставин, створює нові ірраціональні дії, які, коли вони будуть реалізовані, безумовно, будуть дратувати людей, а іноді не тільки начальство.

Ich glaube, der Druck geht gar nicht immer von den Chefs aus, sondern häufig einfach von den lang verketteten Arbeitsabläufen per se, wo man dann auch selbst das Gefühl hat als Arbeitnehmer, man würde gern eine Sache zu Ende bringen oder man sieht ein, dass man sie zu Ende bringen muss, weil die sonst anderswo Probleme verursachen. I think that the pressure does not always come from the boss, but often simply from the long-chained work processes per se, where as an employee you then have the feeling that you would like to finish something or you can see that you have to finish them because they will cause problems elsewhere. Nemyslím si, že tlak vždy prichádza od šéfov, ale často jednoducho z dlhých vzájomne prepojených pracovných procesov ako takých, kde máte potom aj ako zamestnanec pocit, že by ste niečo chceli dokončiť alebo si uvedomujete, že to musíte dokončiť, pretože inak to spôsobí problémy inde. Я не думаю, що тиск не завжди походить від начальства, а часто просто від довгих, взаємопов'язаних робочих процесів як таких, де ви, як працівник, відчуваєте, що хотіли б щось закінчити, або розумієте, що мусите це зробити, бо інакше це спричинить проблеми в іншому місці. Deshalb fürchte ich, dass so was unter Umständen durchaus helfen kann und Sinn machen kann, aber es wird nicht alle Probleme lösen. So I'm afraid that something like this can help and make sense, but it won't solve all problems. Preto sa obávam, že niečo také môže za určitých okolností pomôcť a mať zmysel, ale nevyrieši to všetky problémy. Тому я боюся, що щось подібне може допомогти за певних обставин і може мати сенс, але не вирішить усіх проблем. Zu einfach gedacht Too simple thought Príliš jednoduchá myšlienka

Schulz: Also das ist aus Ihrer Sicht gar nicht schlimm, jetzt vielleicht mal in Anführungszeichen gesprochen, sich abends auf der Couch noch mal in ein Portal einzudaddeln und da dann noch eine Mail zu schreiben? Schulz: Well, from your point of view, that's not bad at all, now perhaps in quotation marks, to paddle into a portal on the couch in the evening and then write an email? Schulz: Takže z tvojho pohľadu to vôbec nie je zlé, možno hovoriť v úvodzovkách, večer na gauči opäť pádlovať do portálu a potom napísať ďalší e-mail? Шульц: Тобто, з Вашої точки зору, це не так вже й погано, можливо, якщо говорити в перевернутих комах, зайти ввечері на портал, лежачи на дивані, а потім написати ще одного листа?

Rosa: Doch, es ist – ich will überhaupt nicht leugnen, weil es scheint ja offensichtlich, dass da ein Problem besteht, dass wir uns Strukturen geschaffen haben, auch Arbeitsstrukturen, in denen einfach alle Lebensbereiche sozusagen ununterbrochen auf uns eindringen. Rosa: Yes, it is - I don't want to deny it at all, because it seems obvious that there is a problem, that we have created structures for ourselves, including work structures in which all areas of life invade us continuously, so to speak. Rosa: Áno, je to tak - vôbec to nechcem popierať, pretože sa zdá byť zrejmé, že je tu problém, že sme si vytvorili štruktúry, vrátane pracovných štruktúr, v ktorých nám jednoducho všetky oblasti života, takpovediac, neustále zasahujú do života. Роза: Так, це так - я зовсім не хочу цього заперечувати, тому що здається очевидним, що існує проблема, що ми створили для себе структури, в тому числі і робочі, в яких всі сфери життя просто вторгаються в нас без перерви, так би мовити.

Also zu jeder Zeit hat man potenziell eben eine Anruf oder eine Bitte oder eine Anforderung, aus der Arbeitswelt und auch aus der Familienwelt, aus der Freizeitwelt. So at any time you potentially have a call or a request or a request, from the world of work and also from the family world, from the world of leisure. Takže kedykoľvek môžete mať telefonát, žiadosť alebo požiadavku, a to zo sveta práce, ale aj zo sveta rodiny, zo sveta voľného času. Da haben wir tatsächlich ein Problem geschaffen, für das wir auch insgesamt doch mal eine Lösung suchen müssen. We actually created a problem for which we have to look for a solution overall. Skutočne sme vytvorili problém, na ktorý musíme hľadať riešenie. Ми фактично створили проблему, для якої потрібно знайти рішення. Ich will nur sagen, dass es mir zu einfach scheint, zu denken, der Druck wird immer nur von den Chefs per se ausgelöst, weil man wirklich ganz häufig sieht, wenn man sich das genau anguckt in Arbeitszusammenhängen. I just want to say that it seems too easy for me to think that the pressure is always only triggered by the bosses per se, because you really see it quite often when you look at it closely in work contexts. Я просто хочу сказати, що мені здається занадто легкою думка про те, що тиск завжди спричиняється лише начальством як таким, тому що ви дійсно можете побачити це досить часто, якщо уважно подивитеся на робочі контексти. Also, es gilt vielleicht tatsächlich nicht so sehr für Großbetriebe wie Porsche, wo das eine gute Idee sein kann. Aber in vielen Zusammenhängen haben wirklich Arbeitnehmer das Gefühl, ich muss da jetzt ins Geschäft und eine Arbeit zu Ende bringen. Das kann zum Beispiel im Pflegedienst sein: Wenn da jemand ausfällt, haben natürlich Menschen das Gefühl, ich muss das jetzt aber machen. This can be in the nursing service, for example: If someone is absent, of course people have the feeling that I have to do it now. Це може бути, наприклад, у службі догляду: Коли хтось відсутній, у людей природно виникає відчуття, що я маю зробити це зараз. Und so geht es in ganz vielen Zusammenhängen. And this is how it works in many different contexts. Manchmal auch an der Supermarktkasse zum Beispiel, dass jemand eigentlich frei hat, aber er weiß, oh Mann, die alte Kollegin ist frei geworden, und bei der anderen steht gerade eine Hochzeit oder eine Reise an, und wenn ich die jetzt hängen lasse, kriegen die große Probleme, sodass man sehen muss, die Probleme, die wir haben, die sind überhaupt nicht klein zu reden. Sometimes at the supermarket checkout, for example, that someone is actually free, but he knows, oh man, the old colleague has become free, and the other one is about to have a wedding or a trip, and if I let them down now, I'll get them the big problems, so you have to see the problems that we have, they are not at all small. Іноді на касі в супермаркеті, наприклад, хтось насправді вільний, але він знає, що старий колега звільнився, а в іншого скоро весілля або поїздка, і якщо я залишу їх у підвішеному стані, у них будуть великі проблеми, тому ви повинні розуміти, що проблеми, які у нас є, не можна применшувати. Die haben wir sozusagen in der Gesamtstruktur geschaffen. Schulz: Herr Rosa, ist es denn neu, oder ist es eine neue Qualität, denn das Leben hat ja auch vor zehn oder 20 oder 30 Jahren nie stillgestanden. Schulz: Mr. Rosa, is it new, or is it a new quality, because life never stood still ten or 20 or 30 years ago.

Es ist ja da auch schon immer 24 Stunden am Tag weitergegangen. It has always been going on 24 hours a day. Rosa: Ja, es war tatsächlich so, und die Soziologen haben lange Zeit gedacht, moderne Gesellschaft funktioniert nur so, dass die Dinge feste Zeitfenster hatten. Роза: Так, це дійсно так, і довгий час соціологи вважали, що сучасне суспільство працює лише таким чином, що речі мають фіксовані часові вікна.

Man musste, sagen wir mal, zwischen acht und 17 Uhr arbeiten, und in der Zeit konnte man gar nichts anderes machen. Let's say you had to work between eight and five o'clock, and during that time you couldn't do anything else. Ich konnte mich da nicht um eine Tante oder ein Kind oder einen Einkauf kümmern. I couldn't take care of an aunt or a child or a purchase. Aber nach 17 Uhr war die Berufswelt komplett abgeschaltet. Da hatte die gar nichts mehr mit meinem Leben zu tun. Und heute ist es eben tatsächlich so, dass wir praktisch alle Sphären zu jeder Zeit bedienen können. And today it is actually the case that we can serve practically all spheres at any time. Das hat manchmal auch Vorteile, dass ich auch während des Berufsalltags schnell einen Telefonanruf erledigen kann für die Familie oder eben was surfen oder eine WhatsApp schreiben oder sonst etwas tun. This sometimes also has the advantage that I can quickly make a phone call during my day-to-day work for the family or surf the web or write a WhatsApp or do something else. Aber es hat eben auch den Nachteil, dass wir eben immer erreichbar sind und dass damit die technischen Möglichkeiten bestehen, auch die Arbeitswelt am Wochenende, am Feierabend, überall hin mitzunehmen. But it also has the disadvantage that we can always be reached and that the technical possibilities exist to take the world of work with us everywhere at the weekend, at the end of the day. Entschleunigung und Entspannung

Schulz: Und das geht aber, das haben Sie ja eben schon gesagt, gar nicht unbedingt von den Chefinnen und Chefs aus, sondern den Stress machen sich viele Arbeitnehmer auch selbst und sind da ja auch ganz stark widersprüchlich.

Ich habe jetzt noch mal geschaut: Zum Jahresanfang steht der Vorsatz "Weniger Stress im neuen Jahr" auf Platz eins der guten Vorsätze. Я щойно подивився ще раз: На початку року резолюція "Менше стресу в новому році" посідає перше місце в списку хороших резолюцій. Woran hapert es dann? What is the problem then? То в чому ж проблема? Rosa: Das ist genau das Paradoxon, mit dem ich beschäftigt bin oder das mich interessiert, dass die zeitliche Strukturlogik unseres Lebens sich offensichtlich unseren guten Vorsätzen und unserem Willen völlig entzieht, weil Sie haben ganz recht. Rosa: That is exactly the paradox that I am concerned with or that interests me, that the temporal structural logic of our life evidently completely eludes our good intentions and our will, because you are quite right.

Dieser Vorsatz, nächstes Jahr mache ich ein bisschen langsamer, lasse ich es ein bisschen langsamer angehen oder entschleunige ich oder entspanne ich mehr oder lade ich mir weniger auf, der scheint komplett immun zu sein, oder unsere Praxis scheint komplett immun zu sein gegenüber diesem Vorsatz. This resolution, next year I'll slow down a little, take it a little slower, or slow down, or relax more or recharge myself less, it seems to be completely immune, or our practice seems to be completely immune to this resolution . Це рішення, наступного року я збираюся трохи сповільнитися, я збираюся робити все трохи повільніше, або сповільнитися, або більше розслабитися, або менше брати на себе, здається, що воно повністю несприйнятливе, або наша практика здається повністю несприйнятливою до цього рішення. Und deshalb meine ich, das Problem liegt tiefer. And so I think the problem lies deeper. Da kann es helfen, so eine einfach Zeitregelung wie "Nach Feierabend gibt es keinen Kontakt mehr" einzuführen. It can help to introduce a simple time regulation like "After work there is no more contact". Це може допомогти запровадити просте правило щодо часу, наприклад, "Більше ніяких контактів після роботи". Aber die Grundlogik ist die, die ich Steigerungslogik der Gesellschaft nenne. Wir leben da in einem System, das sich nur durch Steigerung erhalten kann. We live in a system that can only be maintained by increasing it. Wenn wir nicht jedes Jahr schneller, effizienter arbeiten und leben und auch mehr produzieren, besser produzieren, mehr konsumieren, mehr verteilen, können wir das, was wir haben, nicht erhalten. If we don't work and live faster, more efficiently every year and also produce more, produce better, consume more, distribute more, we cannot get what we have. Unsere Arbeitsplätze, unsere Firmen, unseren Sozialstaat und so weiter. Schulz: Haben wir da aber nicht, Herr Rosa, Entschuldigung, dass ich da einhake, aber haben wir da nicht auch, zumindest auch den gegenläufigen Trend, dass jetzt eine IG Metall sich stark macht für eine 28-Stunde-Woche, was ja nahe dran ist an einer Teilzeitstelle, dann mit besserer Bezahlung. Schulz: But we don't have that, Mr Rosa, sorry for hooking up, but we don't have that too, at least also the opposite trend that IG Metall is now working hard for a 28-hour week, which is close turn to a part-time position, then with better pay. Шульц: Але хіба ми не маємо, пане Роза, вибачте за втручання, принаймні протилежної тенденції, що профспілка IG Metall зараз проводить кампанію за 28-годинний тиждень, що майже дорівнює неповному робочому дню, з кращою оплатою праці.

Aber gibt es da nicht auch beide Trends? Es wird ja auch immer gesagt, die Generation, die jetzt als Berufstätige neu an den Start geht, die lege viel größeren Wert drauf, sich das auch selbst und souverän zu gestalten. It is also always said that the generation that is now starting up as professionals attach much greater importance to shaping it themselves and confidently. Також завжди кажуть, що покоління, яке зараз починає свою професійну діяльність, надає набагато більшого значення тому, щоб організувати власне життя з упевненістю. Rosa: Das ist ganz interessant zu beobachten.

Es gibt tatsächlich diese beiden Seiten, einerseits, dass gerade auch Spitzenleute, Nachwuchskräfte gar nicht in die Toppositionen wollen, weil sie sagen, wir wollen auch leben, und nicht nur arbeiten. There are actually these two sides, on the one hand that top people and young professionals do not even want to be in the top positions because they say we want to live too, and not just work. Насправді є дві сторони, з одного боку, топ-менеджери, особливо молодший персонал, не хочуть бути на керівних посадах, тому що вони кажуть, що ми також хочемо жити, а не тільки працювати. Da klagen tatsächlich ganz viele Unternehmen drüber. Many companies actually complain about it. Багато компаній дійсно скаржаться на це. Und, Sie haben recht, auch bei den Gewerkschaften gibt es da jetzt wieder eine Bewegung hin, die dann nicht mehr unbedingt sagt, "wir für mehr", was auch mal ein Slogan war, sondern tatsächlich unter Umständen "wir für weniger", weniger Arbeitszeit. And, you are right, there is now another movement in the trade unions that no longer necessarily says, "We for more", which was once a slogan, but actually under certain circumstances "we for less", less Working time. Momentan bewegt sich das allerdings noch auf der Ebene der Neujahrsvorsätze, also der Wünsche, die wir zwar an das Leben haben, aber noch nicht unbedingt der Praxis, die wir leben. Weil diese Wettbewerbslogik ja eine globale ist, und die setzt sich um in unser Leben im Sinne von permanenten Optimierungszwängen, dass wir überall versuchen, fitter, besser, attraktiver zu sein. Тому що ця логіка конкуренції є глобальною, і вона втілюється в наше життя в сенсі постійного тиску на оптимізацію, в тому, що ми намагаємося бути скрізь більш придатними, кращими, привабливішими. Und dann haben wir natürlich auch selbst Erwartungen ans Leben, die unsere To-do-Liste füllen. Explodierende To-do-Listen

Schulz: Das muss ich jetzt natürlich am 3.1.2018 noch mal fragen: Was ist Ihre konkrete Empfehlung, sich da jetzt 2018 gegenzustemmen? Шульц: Звісно, мені доведеться поставити це питання ще раз 3 січня 2018 року: яка ваша конкретна рекомендація щодо того, як протистояти цьому у 2018 році?

Rosa: Also ich glaube, wenn man sich genau anguckt, durch was komme ich eigentlich immer in Stress, dann stellt man fest, dass wir es fast alle in dieser Gesellschaft mit explodierenden To-do-Listen zu tun haben.

Es steht einfach mehr drauf pro Tag oder pro Woche, als man vernünftigerweise erledigen kann. Also nicht unbedingt das Tempo unseres Lebens ist der Verursacher, sondern die Tatsache, dass die To-do-Liste explodiert. Und da könnte man jetzt sagen, die einfache Lösung lautet, schreib halt weniger drauf. And now you could say that the simple solution is just write less on it. Aber diese To-do-Liste wird gefüllt durch Erwartungen, die wir selbst, aber auch andere an uns haben und die wir als legitim empfinden. But this to-do list is filled by expectations that we, but also others, have of ourselves and which we perceive to be legitimate. Man kommt zum Beispiel in den Job, und dann sagen die, wieso hast du denn das noch nicht gemacht? For example, you get into the job and then they say, why haven't you done that yet? Und man hat das Gefühl, es war eine legitime Erwartung. Und dann kommt man nach Hause, und dann sagt die Frau vielleicht, warum hast du dich nicht um den Sohn gekümmert oder die Eltern. And then you come home, and then maybe the woman says, why didn't you take care of the son or the parents. Schulz: Könnte sein. Schulz: Could be.

Rosa: Und da kann man nur die To-do-Liste noch mal durchgehen und gucken, welche dieser Erwartungen man wirklich einfach abschreiben und loswerden will. Rosa: And then you can just go through the to-do list again and see which of these expectations you really want to write off and get rid of.

Schulz: Der Zeitsoziologe Hartmut Rosa heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk.

Ganz herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen und natürlich auch für Ihre Zeit! Thank you very much for your assessments and of course for your time! Rosa: Gern!