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yazovs stuff, Amerigo Vespucci: Darum heißt Amerika heute so

Amerigo Vespucci: Darum heißt Amerika heute so

* Titelmusik *

(Sprecher) Er ist der berühmteste Entdecker seiner Epoche.

Süd- und Nordamerika werden nach ihm benannt.

Er ist die zentrale Figur,

der große Unbekannte im Zeitalter der Entdeckungen.

Sein Bericht über eine "Neue Welt" ist ein Bestseller in ganz Europa.

Auf der Suche nach den Gewürzländern Asiens entdeckt er eine neue Welt.

Er erkennt, dass er etwas Neues entdeckt hat,

was noch nie auf einer Weltkarte dargestellt wurde.

Inspiriert von seinem Vornamen, Amerigo,

nennt ein deutscher Kartograf den neuen Kontinent Amerika.

Von der Geschichte wird er so gut wie vergessen.

Wieso trägt Amerika dann seinen Namen?

Florenz, Hochburg der Renaissance in Italien.

Hier kommt Amerigo Vespucci 1451 zur Welt.

Damals erlebt die Stadt ihre Blütezeit als Zentrum von Handel,

Wissenschaft und Kunst.

Die ungekrönten Herrscher der Stadt sind die Medici,

eine florentinische Familie,

die durch internationale Bankgeschäfte reich geworden ist.

Die Medici finanzieren auch Expeditionen,

um neue Handelsrouten zu erkunden.

Viele Familien sind daran beteiligt, auch die Vespuccis.

In Florenz gehören sie

zur einflussreichen Schicht der Patrizier.

Ein Fresko in der Ognissanti-Kirche zeigt einige Familien-Mitglieder:

Unter dem Schutzmantel der Madonna: der junge Vespucci.

Links neben ihm: sein Onkel Giorgio Antonio.

Dieser angesehene Gelehrte gehört zum Dominikanerkloster San Marco,

einem Zentrum humanistischer Studien.

Durch ihn erhält Amerigo Zugang

zu den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft.

Amerigo lernt Latein von seinem Onkel

und liest Werke antiker Philosophen, sowie Reiseberichte von Marco Polo.

Er wird in die Studien der Geografie und Astronomie eingeführt,

die in Florenz sehr beliebt sind. Die Humanisten versuchen,

antike Vorstellungen der Welt mit modernen Informationen zu vereinen,

die portugiesische Entdecker und Handelsreisende mitbringen.

Dennoch tritt Amerigo im Palazzo Medici Riccardi seinen Dienst

als Buchhalter und Kaufmann an.

Lorenzo di Pierfrancesco de Medici

überwacht die weitverzweigten Investitionen der Familie.

Doch die Geschäfte in Spanien laufen nicht gut.

Es scheint Unregelmäßigkeiten zu geben.

Ein vertrauenswürdiger Mitarbeiter muss nach dem Rechten sehen.

Nur einer kommt da in Frage:

Amerigo Vespucci. Er bekommt den Auftrag,

das nächste Großprojekt des Bankhauses zu überwachen.

Die spanische Medici-Filiale liegt in Sevilla.

Dorthin wird Vespucci geschickt.

Eine willkommene Herausforderung für den fast 40-jährigen.

Für Amerigo ist es ein Abschied von Florenz auf unbestimmte Zeit.

Dass er die Stadt am Arno niemals wiedersehen wird, ahnt er nicht.

Lange hat er über Büchern und Karten davon geträumt, zu reisen.

Jetzt endlich kann er die Orte kennenlernen,

die er nur aus Geschäftsberichten kennt.

Sevilla als spanischer Binnenhafen, am Fluss Guadalquivir,

wird immer wichtiger. Hier laufen die Schiffe der Entdecker,

der Händler von Seidenstoffen und Gewürzen aus und ein.

Und von überall her bringen die Seefahrer Neuigkeiten mit:

von fernen Ländern und großartigen Entdeckungen.

Eine Flotte auszurüsten, ist, wegen der Gefahren einer Seereise,

ein enormer logistischer Aufwand und ein großes finanzielles Risiko.

Schiffe müssen angemietet, Mannschaften angeheuert,

und Vorräte für Monate beschafft werden.

Wie lange eine Reise dauert, lässt sich meist nicht schätzen.

Vespucci arbeitet in Sevilla mit Giannotto Berardi zusammen,

einem schwerreichen Florentiner Kaufmann und Sklavenhändler.

Gemeinsam statten sie Expeditionen aus.

Sie finanzieren auch die erste Reise von Christoph Kolumbus,

der lange vergeblich nach Geldgebern gesucht hat.

Diese Entdeckungsreisen verfolgen immer wirtschaftliche Interessen.

Darüber forscht die Historikerin Consuelo Varela.

Berardi ist ein sehr wohlhabender Kaufmann,

der durch eine Reihe von Umständen

zum Partner von Christoph Kolumbus wird.

Und Vespucci ist ein Mitarbeiter von Berardi.

So entsteht die Geschäftsbeziehung zwischen den Dreien.

Berardi handelt mit Sklaven und verwendete sein gesamtes Geld,

um die erste und einen Teil der zweiten Reise

von Kolumbus zu finanzieren.

Keiner der Beteiligten ahnt, dass die erste Reise des Kolumbus

die berühmteste Entdeckungsfahrt der Weltgeschichte werden sollte.

Vespucci ist fasziniert von Kolumbus Projekt

und wird zum enthusiastischen Anhänger von dessen Idee,

über die westliche Route Asien zu erreichen.

Die damals bekannte Welt ist überschaubar.

Nur drei Kontinente sind bekannt:

Europa, Afrika und Asien.

Weder von Australien noch vom riesigen Inselreich im Pazifik

hat man im Abendland gehört.

Und schon gar nicht von einem gigantischen Kontinent

irgendwo im Westen.

Deshalb ist Kolumbus überzeugt:

Wenn er Richtung Westen fährt, wird er den Osten Asiens erreichen.

Sehr weit kann es nicht sein.

Der Astronom Toscanelli berechnete die Entfernung. Heute wissen wir,

dass die Reise über die Westroute mehr als doppelt so weit ist.

Toscanellis Berechnungen der Erde liegen sicher so weit daneben,

weil sie auf den äußerst vagen Informationen Marco Polos beruhen.

Um Ost-West-Entfernungen zu berechnen,

bestimmt man die Längengrade.

Aber das ist damals nur in der Theorie möglich.

Sich auf solch vage Ost-West-Berechnungen zu verlassen,

ist also äußerst riskant.

Am 3. August 1492 sticht Kolumbus in See,

in der Hoffnung, mit Reichtümern in die Heimat zurückzukehren

und Ruhm zu erlangen.

Nach einem längeren Zwischenstopp auf den Kanaren

erreicht er am 12. Oktober eine der Bahamas-Inseln.

Wenig später Kuba und am 6. Dezember dann das heutige Haiti.

Dort gründet er die Niederlassung "Hispaniola".

Kolumbus ist überzeugt, den Seeweg nach Indien gefunden zu haben.

Für seine epochale Entdeckung wird er nach der Rückkehr gefeiert.

Auf der Plaza de Espana in Sevilla gibt es eine Darstellung,

die diesen Moment verewigt.

Ein Kachelgemälde zeigt,

wie Kolumbus auf einem Empfang der spanischen Krone zum Vizekönig

von Indien ernannt wird.

Er bringt Indigene, Perlen und exotische Früchte mit.

Aber die versprochenen Schätze hat er nicht entdeckt.

So bricht er im September 1493 zu seiner zweiten Reise auf,

von der er erst drei Jahre später zurückkehren wird.

Die Erwartungen der spanischen Machthaber sind hoch.

Bei Kolumbus' Rückkehr nimmt Bischof Fonseca,

der höchste geistliche Würdenträger, den Seefahrer in Empfang.

An seiner Seite: Vespucci als Vertreter Berardis.

Beide inspizieren die Ladung. Ein Fünftel steht der Krone zu.

Die Enttäuschung ist groß.

Erneut hat Kolumbus kaum etwas Wertvolles mitgebracht.

Berardi ahnt es: Er ist ruiniert.

Kurz vor seinem Tod macht er sein Testament.

Es ist nicht erhalten, aber wir haben eine Notiz,

in der er darlegt,

dass Kolumbus ihm noch 180.000 Maravedis schuldet.

Berardi überlässt das Eintreiben dieser gigantischen Summe

seinen Testamentsvollstreckern,

allen voran dem Florentiner Buchhalter Vespucci.

Doch der ist an einer Freundschaft mit Christoph Kolumbus interessiert.

Noch immer träumt Amerigo davon, selbst nach Westen zu segeln.

Schon bald ergibt sich eine Gelegenheit zu reisen.

Allerdings nicht mit Kolumbus, der ist in Ungnade gefallen.

Sondern mit einem ehrgeizigen Adligen: Alonso de Hojeda,

einem der Kapitäne, die mit Kolumbus gesegelt sind.

Bischof Fonseca erteilt Hojeda den Auftrag,

endlich das sagenhafte "Perlenland" zu finden,

von dem Kolumbus erzählt hat,

und über den Atlantik mit Asien Handelsbeziehungen zu etablieren.

Vespucci und die anderen Expeditionsteilnehmer

werden zunächst von kommerziellen Interessen angetrieben.

Es geht um die Suche nach Gold und Silber und natürlich auch darum,

Zugang zu wertvollen Gewürzen zu finden.

Aber dann gewinnt bei Vespucci ein anderes Motiv die Oberhand.

Er will sich als Kartograph, Kosmograph,

Entdecker und Navigator profilieren.

Im Mai 1499 verlässt eine spanische Flotte mit vier Schiffen

den Hafen von Cadiz, wie Kolumbus auf der Suche nach den Gewürzländern

über die Westroute Richtung Asien.

Zwei Jahre früher ist Vasco da Gama,

im Auftrag der Portugiesischen Krone, über die Ostroute, um Afrika herum,

nach Indien aufgebrochen.

Der Wettlauf zu den Handelszentren von Zimt, Ingwer und Pfeffer

ist in vollem Gange.

Hojeda hat den Oberbefehl über die spanische Flotte.

Aber warum reist Amerigo Vespucci mit?

Ein Mann in den späten Vierzigern, ohne jede seemännische Erfahrung.

Da ist ihm zum Vorteil geworden, dass er natürlich mit Gelddingen

als Mathematiker rechnen gewohnt gewesen ist.

Damals war die Navigation vorwiegend das Fahren nach den Sternen,

und da half einem die Karte mit,

da halfen einem die Sterne und das Berechnen der Konstellationen.

Zur Orientierung auf dem Meer ist damals die wichtigste Methode

die Koppelnavigation. Mit dem Log wird die Geschwindigkeit bestimmt:

ein schweres Brett wird an einem Seil ins Wasser gelassen,

das in regelmäßigen Abständen mit Knoten markiert ist. Man zählt,

wie viele Knoten in einem Zeitintervall von der Spule gehen.

Mithilfe einer Sanduhr werden Anfang und Ende des Intervalls ermittelt.

Die Geschwindigkeit errechnet sich somit in Knoten.

Vespucci führt Buch über die Messdaten für die Navigation.

Jahrhundertelang hat man Küsten-Navigation betrieben.

Die Küstenlinie, Vögel, Riffe, Pflanzen

und Wassertiere helfen Seeleuten, sich zu orientieren.

Doch bei der Fahrt über den offenen Ozean ist das nicht möglich.

Da nutzt man Quadranten oder das Astrolab,

um die Position des Polarsterns zu bestimmen.

Der Polarstern steht immer genau über dem Nordpol.

Auf den Messgeräten kann man seinen Winkel über dem Horizont ablesen.

Steht der Stern genau über dem Schiff,

bildet er mit dem Horizont einen Winkel von 90 Grad.

Steht der Polarstern auf der Höhe des Horizontes,

bildet er einen Winkel von 0 Grad.

So lässt sich, nördlich des Äquators, exakt bestimmen,

auf welchem Breitengrad man sich befindet.

Bleibt dieser Winkel unverändert,

segelt man auf demselben Breitengrad, auf geradem Kurs nach Westen.

Nach der Rückkehr schreibt Vespucci an seinen Florentiner Dienstherrn:

"Ich setzte meinen Kurs hinüber zu den Inseln der Seligen,

die nun Kanarische Inseln genannt werden

und richtete unseren Bug nach Südwesten."

Vespucci schreibt, als sei er der Chef der Expedition.

Kapitän Hojeda und andere Expeditionsteilnehmer nennt er nicht.

Spätere Autoren, die seine Berichte als unzuverlässig kritisieren,

prangern das als Hochstapelei an,

denn er war schließlich nur als Navigator an Bord.

Doch das lässt sich erklären:

In der österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien

befindet sich eine der bedeutendsten Sammlungen

zur Geschichte der Entdeckungen.

Kurator Robert Wallisch hat es sich zur Aufgabe gemacht,

anhand der philologischen Überprüfung von Vespuccis Texten,

ihre Zuverlässigkeit als Quelle zu verifizieren.

Vermeintliche Unstimmigkeiten kann er erklären:

Vespucci erwähnt auch nicht die Namen der Piloten.

Er schreibt diesen Brief in der Tradition eines antiken...

Essay-Briefes. Alle Sprach-Akte in diesem Brief

sind dafür designed, mit dem Adressaten zu kommunizieren.

Und diesen Adressaten interessiert in keinster Weise,

welche spanischen oder portugiesischen Adelsgeschlechter

hier einen Kapitäns-Posten abgestaubt haben,

sondern ausschließlich die spektakulären

und exotischen Informationen.

Nach 44 Tagen erreicht die Flotte Festland.

Heute wissen wir, es ist die Nordostküste Südamerikas.

* unverständliche Rufe *

Jetzt stellt sich die Frage: Segelt man nach Norden oder nach Süden?

Hojeda und Vespucci entscheiden: In beide Richtungen.

Hojeda hat sich vertraglich verpflichtet,

so schnell wie möglich Gold, Silber, Edelsteine, Perlen aufzutreiben.

Er segelt mit zwei Schiffen nach Norden,

wo er das "Perlenland" des Kolumbus vermutet.

Vespucci dagegen wird die beiden anderen Schiffe

auf einer noch unbekannten Route Richtung Süden führen.

Er will in den Indischen Ozean.

Auf den damaligen Karten ist dieser im Westen durch Afrika begrenzt,

im Osten durch den "Drachenschwanz", eine "Phantom-Halbinsel",

die damals weitgehend unbekannte Länder umfasste.

Heute entspricht das in etwa Thailand und Malaysia.

Vespucci glaubt, an der Spitze dieses Drachenschwanzes zu sein.

Bald würde er die Passage zu den legendären Gewürzländern finden.

Vier Tage und Nächte folgt er der Küste nach Südosten.

Amerigo ist fasziniert von der exotischen Natur,

von einer völlig unbekannten Flora und Fauna.

* harmonische Musik *

Auch so einen Nachthimmel hat er in Europa noch nie gesehen.

Fremde Sternbilder. Das Kreuz des Südens.

Der Polarstern, an dem er sich bisher orientiert hat,

ist längst nicht mehr zu sehen.

Er befindet sich jetzt in der südlichen Hemisphäre.

Er weiß nicht, dass er an einer gigantischen Landmasse vorbeisegelt,

der viertgrößten der Welt.

Und sein Schiff befindet sich noch im oberen Drittel des Kontinents.

Er entscheidet, die Mündung eines besonders breiten Flusses

zu erkunden.

Es ist der Amazonas.

Vespucci und seine Mannschaft sind die ersten Europäer,

die den gewaltigen Fluss zu Gesicht bekommen.

Noch bevor sie an Land gehen, haben Einheimische sie entdeckt.

Die Indigenen beobachten verborgen

und aus sicherem Abstand die weißen Männer, die den Strand betreten.

* spannende Musik *

Geschenke sollen die Einheimischen herauslocken, hoffen die Seefahrer.

Die kamen tatsächlich in eine komplett neue Welt.

Vespucci schreibt selber in seinen Aufzeichnungen

nicht nur über die Menschen, die dort lebten,

er berichtet darüber, dass dort mehr Menschen gelebt haben

und mehr Tiere; dass sie viel artenreicher gewesen ist,

diese "Neue Welt", als er das damals schon aus Europa kannte.

Erstaunt ist Vespucci, dass die Menschen wenig am Leib tragen,

ganz im Gegensatz zu den zugeknöpften Europäern.

Er schreibt: "Sie laufen herum, wie sie geboren wurden".

Wenn Vespucci von einer "Neuen Welt" spricht,

bezieht er sich auf die Sprachen, die die Ureinwohner hatten,

die kulturelle Vielfalt,

die unterschiedlichen Bräuche und Traditionen.

Eine vielseitige, lebendige Kultur, die man primitiv nennen könnte.

Das versucht Vespucci in seinem Bericht hervorzuheben

und setzt damit Maßstäbe für zukünftige Reiseliteratur.

In der es vor allem darum geht, das Exotische, Fremdartige

des amerikanischen Kontinents und seiner Bewohner hervorzuheben.

Vespucci beobachtet noch etwas:

Die Flüsse spülen Süßwasser in solchen Mengen ins Meer,

sie können nicht auf einer Insel, sie müssen auf einem Kontinent sein.

Doch damals kennt man nur drei Kontinente:

Europa, Afrika und Asien.

Also wähnt er sich wie Kolumbus an der Ostküste Asiens.

Die Passage zu den Gewürzländern findet er allerdings nicht.

Auch keine Reichtümer.

"Angesichts des geringen Fortschritts, den wir machten,

entschlossen wir uns, den Bug wieder nach Nordwesten zu drehen

und nordwärts zu segeln."

Vermutlich gab es noch einen weiteren Grund, warum Vespucci umkehrte.

Ihm muss klar geworden sein,

dass er sich mit seinen beiden Schiffen unter Spaniens Flagge

bereits in portugiesischen Hoheits-Gewässern befand,

was Probleme mit sich bringen konnte.

Um den Konflikt zwischen den zwei Seefahrer-Mächten

auf der iberischen Halbinsel zu schlichten,

hatte der Papst 1494 die Welt in zwei Hälften geteilt:

Eine spanische im Westen und eine portugiesische im Osten.

Das ist schon eine verrückte Situation. Auch die Portugiesen

und Spanier konnten damals weder ihre genaue Position bestimmen,

noch kannten sie ja einen Großteil der Erde, wussten nicht,

was auf der anderen Erdhälfte zu finden ist.

Und deswegen waren sie bei ihren Entdeckungsfahrten immer unsicher.

Sie wussten nicht genau, wo sie sind und deswegen auch nicht,

ob sie sich an der Küste Südamerikas in feindlichem Territorium befanden.

Vespucci und seine Mannschaft segeln zurück über den Äquator.

Dabei gehen sie immer wieder an Land.

Und bei diesen Landgängen treffen sie auf Einheimische.

"Jeden Tag," schreibt Vespucci,

"entdeckten wir eine unendliche Zahl von Menschen".

Schließlich erreichen sie die Küste des heutigen Venezuelas.

"Wir landeten in einem natürlichen Hafen, wo wir ein Dorf fanden,

das wie Venedig auf dem Wasser gebaut ist".

Beobachtungen,

die die Herausgeber von Vespuccis Reisebericht später in Szene setzen.

Durch Vespuccis Beschreibung bekommt Venezuela, "Klein-Venedig",

seinen Namen.

Gegen die fremden Ankömmlinge wehren sich die Indigenen manchmal.

Aber diese Gefechte sind von Anfang an ungleich.

Pfeile und Speere gegen Feuerwaffen.

Die Einheimischen haben keine Chance.

"Wir schlugen sie in die Flucht, töteten viele von ihnen

und plünderten ihre Häuser", schreibt Vespucci.

Gewalt wird als selbstverständlich angesehen.

Die Entdecker haben ein verzerrtes Ehrgefühl:

Einerseits ist es eine Schande, im Kampf zu versagen.

Aber es wird nicht als unmenschlich angesehen, Hütten niederzubrennen,

Geiseln zu töten und Frauen zu vergewaltigen.

Die Brutalität wird durch den christlichen Glauben gerechtfertigt,

da die Indigenen als minderwertig aufgrund des Götzendienstes gelten.

Die Schiffe von Vespucci und Hojeda treffen wieder aufeinander

und kehren gemeinsam nach Spanien zurück,

mit mehr als 200 Sklaven, aber wenig Reichtümern an Bord.

Für Vespucci ist diese Reise trotzdem ein Triumph.

Eine neue Landmasse hat er entdeckt. Und er ist sich sicher:

Er steht kurz davor, den Westweg zu den Schätzen Asiens zu finden.

Am liebsten würde er sofort zur nächsten Expedition aufbrechen.

Tatsächlich: nur 9 Monate später

ist der nächste Brief an seinen Dienstherren in Florenz datiert.

"Ihr werdet gehört haben, dass ich, während ich in Sevilla weilte,

zum König von Portugal gerufen wurde und dass er mich aufforderte,

mich auf eine Reise in seinen Diensten vorzubereiten."

Wieder soll es auf Erkundungsreise Richtung Westen gehen.

Wie kommt Vespucci zu den Portugiesen,

nachdem er zunächst alle seine Erfahrungen auf der spanischen Seite

in Allianz mit Kolumbus gemeinsam gemacht hat? Nun,

die Portugiesen haben in ihm, als einen hochgebildeten Mann,

der sich mit Astronomie beschäftigt und...

die Informationen der Spanier aus privater Quelle zur Verfügung hat,

einen idealen Wissenschafts-Spion, einen Informationsträger, gesehen.

Und wollten für diese Mission, nämlich die Entdeckung Brasiliens,

mit der Frage: ist das ein Kontinent oder eine Insel?

Was eine hochpolitische, brisante Frage war,

wollten Sie Vespucci als...

Informanten mit an Bord haben.

Einerseits, weil er astronomisch gebildet war

und andererseits, noch wichtiger,

weil er dieses politische Wissen um die spanischen Informationen hatte.

Vermutlich im Januar 1502,

nach acht Monaten auf dem Atlantik,

treffen sie auf eine große Meeresbucht.

Sie halten sie fälschlicherweise für das Delta eines großen Flusses.

Und nennen es "Rio de Janeiro", übersetzt: Januarfluss.

Üppige Natur prägt diesen Ort.

Unzählige Pflanzenarten, Baumriesen,

wohlriechende Blumen und ein gemäßigtes Klima.

All das beeindruckt Vespucci zutiefst.

Überwältigt notiert er:

"Wenn in der Welt ein irdisches Paradies zu finden ist,

dann muss es, ohne Zweifel, nicht weit von dieser Gegend sein."

Er hat angesichts der Fülle von Tieren,

aber auch der Vielfalt der Menschen, die er beobachtet hat,

die ja im Einklang, wie es schien, mit der Natur lebten,

das natürlich für ein Paradies gehalten, das er da entdeckt hat.

Und vermutlich war es das auch,

verglichen mit den bis dahin schon eng besiedelten Städten in Europa,

die ja auch, europäische Landschaften,

die ja schon weitestgehend genutzt und ausgeplündert gewesen sind,

hat er hier eine vergleichsweise unberührte Natur gefunden.

Doch nach und nach wird Vespucci klar,

dass er die Passage zum Indischen Ozean nicht findet.

Diese Küste, der sie Richtung Süden folgen, endet einfach nicht.

Sie segeln so weit, schreibt Amerigo,

"bis wir in die trockene Zone gelangten und über den Äquator

und den Wendekreis des Steinbocks hinaus,

so dass der Südpol 50 Grad über meinem Horizont stand."

Diese Angabe ist umstritten.

Hat Vespucci den Rio de la Plata erreicht?

Oder gar die Küste Patagoniens?

Das heute zu beweisen, ist unmöglich. Gesichert ist:

Vespucci erweitert die Kenntnis über die Küste Brasiliens

um mehr als 1000 Kilometer. Allein das ist sensationell.

Es gibt also Land, das sich weiter südlich des Äquators erstreckt.

Kolumbus hat nur Land erreicht, das damals bekannt ist.

Er glaubte ja, er habe Indien erreicht.

Dass er auf etwas völlig Neues gestoßen ist, hat er nicht erkannt.

Vespucci dagegen sieht klar: Was sich vor ihm erstreckt,

ist nicht der östliche Zipfel Asiens, sondern eine neue,

bisher unbekannte, gigantische Landmasse:

Vespucci ist bereits Tausende Kilometer über die Ränder realer

oder imaginärer Länder, wie über den Drachenschwanz, hinaus gesegelt.

Nachdem er einige Zeit nach Süden gereist ist, beginnt er zu erkennen,

dass er etwas völlig Neues gefunden hat,

etwas, was noch nie auf einer Weltkarte dargestellt wurde.

Und allmählich erhebt sich die Küste des amerikanischen Kontinents

wie ein Geist aus dem Nichts.

1504, kurz nach Vespuccis Rückkehr,

wird ein Reisebericht von ihm gedruckt, auf Latein:

"Mundus Novus", "Neue Welt".

Das Buch verbreitet sich rasend schnell. Ein echter Bestseller.

Übersetzt in alle Sprachen Europas und immer wieder neu herausgegeben,

mal einzeln, mal in Sammelbänden.

Dieser gewaltige Erfolg hat etwas damit zu tun,

zum einen, dass das tatsächlich der Text ist,

darum geht es ja letztlich immer bei der Beurteilung Vespuccis,

in dem explizit, anders als in irgendeinem seiner anderen Briefe,

steht: Dieser Kontinent im Süden ist nicht identisch mit Asien,

nicht mit Europa und nicht mit Afrika.

Also, wir haben einen neuen Kontinent entdeckt.

Nirgendwo sonst steht das mit solcher Klarheit.

Das ist die erste Publikation, die das ausspricht. Das würde reichen,

um dieses Werk bedeutsam zu machen.

Es ist diese Kombination aus detektivischer Wissenschaftlichkeit,

Begeisterung für eine paradiesische neue Welt,

kombiniert mit dem Gruselfaktor...

einiger weniger schrecklicher, aber höchst dramatischer Ereignisse.

Das ist die Menschenfresserei, und was die Europäer,

die damals ein recht zugeknöpftes Leben führten, interessierte, ist:

freizügige Sexualität. Das ist auch ein Thema im Mundus Novus

und man kann das beobachten,

von da an gehört das zu jedem guten Reisebuch als Standard-Inventar.

Gerade die schreckenerregenden und die pikanten Geschichten

werden später gern in Kupferstichen umgesetzt.

Wie in diesen Drucken, die Hundert Jahre später

die berühmteste Reisebericht-Sammlung der Neuzeit illustrieren sollen.

Sensationen verkaufen sich eben gut.

Die Bilder, mit reichlich Fantasie angereichert,

werden die Vorstellungen der Europäer von der Neuen Welt lange prägen.

Dass Autoren die Wirklichkeit ändern, um ihre Werke besser zu verkaufen,

ist nicht neu. Auch Vespucci ist in Verdacht geraten,

einen Teil seiner Berichte gefälscht zu haben.

Alexander von Humboldt macht Anfang des 19. Jahrhunderts

Zweifel an der Wahrhaftigkeit von Vespuccis Berichten populär.

Danach wird häufig behauptet, Vespucci sei ein Hochstapler,

der seine Reisen erfunden habe.

Als befremdlich wurde empfunden,

dass Vespucci zum Beispiel von Löwen in Brasilien spricht. Nun,

das ist einfach zu schulden der Unkenntnis heute...

betreffend der Sprache jener Zeit.

Es war vollkommen üblich, Tiere, die man nicht kennt,

die Spezies, die man noch nie gesehen hat, einfach zu benennen...

durch ihre Ähnlichkeit mit einer Spezies, die man kennt.

In der frühen Neuzeit war die gängige Bezeichnung für Giraffe,

äh, Kamelopardel. Das heißt Kamel-Panther.

Und eine ebensolche Gleichung, die durchaus naheliegend ist,

ist, eine Raubkatze im brasilianischen Dschungel eben

als brasilianischen Löwen zu bezeichnen.

Das ist aus der Sicht eines Renaissance-Autors

ein völlig normales Verhalten und hat sich bei vielen wiederholt.

Es liegt nur an dem heftigen Bemühen,

Vespucci...

Erfindungen nachzuweisen,

dass man sich bei ihm an diesen Dingen gestoßen hat.

Die Echtheit des "Mundus Novus" zu bezweifeln, ja mehr noch,

Vespucci Hochstapelei zu unterstellen,

ist schon im 19. Jh. und noch mehr zu Beginn des 20. Jh.,

durchaus auch einer philologischen Mode gefolgt.

Zu seiner Zeit ist Vespucci aber unangefochten.

Und sogar berühmter als Kolumbus.

So gelangt sein Bericht "Mundus Novus" auch in die Vogesen,

damals Teil des Herzogtums Lothringen im heutigen Elsass.

Im Kloster Saint-Dié-des-Voges

forscht damals eine Gruppe humanistischer Gelehrter.

Unter ihnen sind der Philologe und Dichter Matthias Ringmann

und Martin Waldseemüller, ein Kartograf. Ein neuer Kontinent.

Die größte geographische Entdeckung aller Zeiten.

Keine der gängigen Weltkarten kann jetzt noch korrekt sein.

Sie wollen das neue geographische Wissen ihrer Zeit zusammentragen:

In einer zuverlässigen Weltkarte.

Für Waldseemüller und Ringmann herrscht in ihrer Zeit,

kartographisch gesehen, ein grässliches Chaos.

Zahllose Drucker versuchten, Karten unkoordiniert zu aktualisieren.

Über die Jahrhunderte haben sich viele Fehler eingeschlichen.

Daher haben die beiden ein Ziel:

ein umfassendes und korrektes Bild der bekannten Welt darzustellen.

* ruhige Musik *

Die Frage für Ringmann und Waldseemüller war:

Wie sollten sie an Informationen über genaue Küstenverläufe

und Ortsnamen für ihre Weltkarte gelangen?

Vespucci macht in seinem "Mundus Novus" keine dieser Angaben,

denn das Preisgeben geographischer Details gilt als Verbrechen.

Dennoch gelang es Herzog René von Lothringen,

eine portugiesische Weltkarte zu erwerben,

auf der Ergebnisse der Expedition von Vespucci verzeichnet waren.

Sie hatten also Zugang zu den allerneuesten Informationen.

Obwohl darauf die Todesstrafe steht, werden Karten damals kopiert,

gestohlen, geschmuggelt und verkauft.

Selbst streng geheime Informationen verbreiten sich rasch.

Als ihre Karte endlich fertig ist,

sind Ringmann und Waldseemüller überwältigt.

Doch wie soll die neue Landmasse heißen?

Im Begleitbuch zur Karte schreibt Ringmann:

"Ein vierter Erdteil ist durch Americus Vesputius entdeckt worden.

Ich wüsste nicht, warum jemand etwas dagegen einwenden könnte,

diesen Erdteil nach seinem begabten Entdecker Americus zu nennen,

nämlich Land des Americus oder America.

Denn auch Europa und Asien wurden nach Frauen benannt".

Von dieser folgenschweren Namensgebung

bekommt zunächst kaum jemand etwas mit.

Als die Karte 1507 veröffentlicht wird, ist Kolumbus schon tot.

Und Vespucci hat wohl nie erfahren,

dass der neue Kontinent nach ihm benannt wurde.

* unverständliches Gespräch *

Der Name Amerika setzt sich durch.

Die USA sichern sich 500 Jahre nach Erscheinen der Waldseemüller-Karte

das letzte verbliebene Original.

In der Library of Congress in Washington wird sie streng gehütet.

Die Karte, von Deutschland für 10 Millionen Dollar erworben,

gilt als Geburtsurkunde Amerikas.

Es ist interessant, wie sich die US-Amerikaner in dieser Geschichte

zu den Amerikanern entwickelt haben.

Der Name "Amerika" stand zuerst nur für den Kontinent Südamerika.

Nordamerika hatte noch keinen Namen und wurde erst später eingegliedert.

Dennoch meinen wir US-Amerikaner,

wir hätten alleinigen Anspruch auf die Geburtsurkunde Amerikas.

Nach seiner letzten Expedition kehrt Vespucci nach Spanien zurück.

Obwohl er zu den Portugiesen "übergelaufen" war,

ist sein Wissen über die "Neue Welt" offenbar so viel wert,

dass ihn die Spanier zurücknehmen

und ihm ein privilegiertes Leben ermöglichen.

Er heiratet.

Und wird zum Chef der Casa de Contratación berufen,

dem neugegründeten königlichen Handels- und Kolonialamt.

Eine königliche Order fordert, dass kein Navigator in spanischen Diensten

in die Neue Welt aufbricht, ohne von Vespucci Kartenlesen

und die Handhabung von Astrolab und Quadrant gelernt zu haben.

Offensichtlich hat er sich so viele Kenntnisse erworben,

dass er als "piloto major" von der spanischen Krone eingestellt wurde,

den größten Schatz der spanischen Krone,

nämlich diese Karten, zu verwalten.

Und das ist immerhin ein Amt, das man 1508 für ihn geschaffen hat

und dass er vier Jahre als Erster innehatte, bis zu seinem Tod.

Und insofern kann man davon ableiten,

dass er in seiner Zeit eine hochangesehene,

respektierte Person gewesen ist und keinesfalls ein Hochstapler

oder Scharlatan, wie ihm das später in der Literatur unterstellt wird.

Vespucci wird zum Hüter des größten Schatzes der spanischen Krone,

dem Padron Real, der geheimen spanischen Hauptkarte,

die als Vorlage für alle Karten der spanischen Marine im 16. Jh. dient.

Sie wird in der Casa de Contratacion in Sevilla aufbewahrt,

heute Archivo General de Indias,

wo alle Dokumente aus dem Zeitalter der Entdeckungen archiviert werden.

Wir haben in den letzten 500 Jahren eigentlich

das Antlitz der Erde verändert, natürlich auch in der Neuen Welt,

auch gerade in Brasilien, in Rio de Janeiro, in der Bucht,

in der Amerigo Vespucci 1502 ankommt.

Wir haben da eine riesige Stadt hineingebaut

und die Natur ist dort komplett verändert worden,

gegenüber dem Aussehen und der Atmosphäre,

die Amerigo Vespucci vor 500 Jahren dort erlebt hat.

Vespuccis Berichte werden zur Grundlage für die Planung der Route,

die Ferdinand Magellan nehmen wird.

Ihm gelingt 1520 die erste nachweisbare Umschiffung Südamerikas.

Es ist der endgültige Beweis,

dass man es mit einem neuen Kontinent zu tun hat.

Was Vespucci geschrieben hat, hatte einen enormen Einfluss auf Europa.

Seine Sicht auf Südamerika, wie er es beschrieb,

prägte die gesamte europäische Wahrnehmung der "Neuen Welt".

Vespucci ist also ganz wichtig.

Sein Beitrag ist fundamental

für das Verständnis der Geschichte der europäischen Expansion

und der europäischen Eroberung des amerikanischen Kontinents,

was schließlich zu seiner Europäisierung führte.

Und mit Vespucci beginnt auch der "Mythos Amerika".

Diesen Doppelkontinent nach Vespucci zu benennen, war keineswegs falsch.

Er ist eher über die Jahrhunderte in einen falschen Ruf gekommen.

Er war tatsächlich nicht so sehr Entdecker, aber er war Kartograf,

der die Entdeckungen überhaupt erst interpretieren konnte,

und insofern wurde er zu Unrecht in der Entdeckungsgeschichte vergessen

und Amerika ist zu recht nach ihm benannt worden.

Vespucci stirbt 1512,

fünf Jahre nachdem sein Name zum ersten Mal

auf der Karte Waldseemüllers und Ringmanns erscheint.

Seine Geschichte wird vergessen, sein Ruhm verblasst.

Nur sein Name bleibt:

Amerika.

Untertitel im Auftrag des ZDF, 2023


Amerigo Vespucci: Darum heißt Amerika heute so Amerigo Vespucci: That's why America is called that today Amerigo Vespucci: Por eso hoy América se llama así Amerigo Vespucci: Ecco perché l'America si chiama così oggi Америго Веспуччи: Именно поэтому Америка сегодня так называется Амеріго Веспуччі: Ось чому Америка сьогодні так називається

* Titelmusik *

(Sprecher) Er ist der berühmteste Entdecker seiner Epoche.

Süd- und Nordamerika werden nach ihm benannt.

Er ist die zentrale Figur,

der große Unbekannte im Zeitalter der Entdeckungen.

Sein Bericht über eine "Neue Welt" ist ein Bestseller in ganz Europa.

Auf der Suche nach den Gewürzländern Asiens entdeckt er eine neue Welt.

Er erkennt, dass er etwas Neues entdeckt hat,

was noch nie auf einer Weltkarte dargestellt wurde.

Inspiriert von seinem Vornamen, Amerigo,

nennt ein deutscher Kartograf den neuen Kontinent Amerika.

Von der Geschichte wird er so gut wie vergessen.

Wieso trägt Amerika dann seinen Namen?

Florenz, Hochburg der Renaissance in Italien.

Hier kommt Amerigo Vespucci 1451 zur Welt.

Damals erlebt die Stadt ihre Blütezeit als Zentrum von Handel,

Wissenschaft und Kunst.

Die ungekrönten Herrscher der Stadt sind die Medici,

eine florentinische Familie,

die durch internationale Bankgeschäfte reich geworden ist.

Die Medici finanzieren auch Expeditionen,

um neue Handelsrouten zu erkunden.

Viele Familien sind daran beteiligt, auch die Vespuccis.

In Florenz gehören sie

zur einflussreichen Schicht der Patrizier.

Ein Fresko in der Ognissanti-Kirche zeigt einige Familien-Mitglieder:

Unter dem Schutzmantel der Madonna: der junge Vespucci.

Links neben ihm: sein Onkel Giorgio Antonio.

Dieser angesehene Gelehrte gehört zum Dominikanerkloster San Marco,

einem Zentrum humanistischer Studien.

Durch ihn erhält Amerigo Zugang

zu den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft.

Amerigo lernt Latein von seinem Onkel

und liest Werke antiker Philosophen, sowie Reiseberichte von Marco Polo.

Er wird in die Studien der Geografie und Astronomie eingeführt,

die in Florenz sehr beliebt sind. Die Humanisten versuchen,

antike Vorstellungen der Welt mit modernen Informationen zu vereinen,

die portugiesische Entdecker und Handelsreisende mitbringen.

Dennoch tritt Amerigo im Palazzo Medici Riccardi seinen Dienst

als Buchhalter und Kaufmann an.

Lorenzo di Pierfrancesco de Medici

überwacht die weitverzweigten Investitionen der Familie.

Doch die Geschäfte in Spanien laufen nicht gut.

Es scheint Unregelmäßigkeiten zu geben.

Ein vertrauenswürdiger Mitarbeiter muss nach dem Rechten sehen.

Nur einer kommt da in Frage:

Amerigo Vespucci. Er bekommt den Auftrag,

das nächste Großprojekt des Bankhauses zu überwachen.

Die spanische Medici-Filiale liegt in Sevilla.

Dorthin wird Vespucci geschickt.

Eine willkommene Herausforderung für den fast 40-jährigen.

Für Amerigo ist es ein Abschied von Florenz auf unbestimmte Zeit.

Dass er die Stadt am Arno niemals wiedersehen wird, ahnt er nicht.

Lange hat er über Büchern und Karten davon geträumt, zu reisen.

Jetzt endlich kann er die Orte kennenlernen,

die er nur aus Geschäftsberichten kennt.

Sevilla als spanischer Binnenhafen, am Fluss Guadalquivir,

wird immer wichtiger. Hier laufen die Schiffe der Entdecker,

der Händler von Seidenstoffen und Gewürzen aus und ein.

Und von überall her bringen die Seefahrer Neuigkeiten mit:

von fernen Ländern und großartigen Entdeckungen.

Eine Flotte auszurüsten, ist, wegen der Gefahren einer Seereise,

ein enormer logistischer Aufwand und ein großes finanzielles Risiko.

Schiffe müssen angemietet, Mannschaften angeheuert,

und Vorräte für Monate beschafft werden.

Wie lange eine Reise dauert, lässt sich meist nicht schätzen.

Vespucci arbeitet in Sevilla mit Giannotto Berardi zusammen,

einem schwerreichen Florentiner Kaufmann und Sklavenhändler.

Gemeinsam statten sie Expeditionen aus.

Sie finanzieren auch die erste Reise von Christoph Kolumbus,

der lange vergeblich nach Geldgebern gesucht hat.

Diese Entdeckungsreisen verfolgen immer wirtschaftliche Interessen.

Darüber forscht die Historikerin Consuelo Varela.

Berardi ist ein sehr wohlhabender Kaufmann,

der durch eine Reihe von Umständen

zum Partner von Christoph Kolumbus wird.

Und Vespucci ist ein Mitarbeiter von Berardi.

So entsteht die Geschäftsbeziehung zwischen den Dreien.

Berardi handelt mit Sklaven und verwendete sein gesamtes Geld,

um die erste und einen Teil der zweiten Reise

von Kolumbus zu finanzieren.

Keiner der Beteiligten ahnt, dass die erste Reise des Kolumbus

die berühmteste Entdeckungsfahrt der Weltgeschichte werden sollte.

Vespucci ist fasziniert von Kolumbus Projekt

und wird zum enthusiastischen Anhänger von dessen Idee,

über die westliche Route Asien zu erreichen.

Die damals bekannte Welt ist überschaubar.

Nur drei Kontinente sind bekannt:

Europa, Afrika und Asien.

Weder von Australien noch vom riesigen Inselreich im Pazifik

hat man im Abendland gehört.

Und schon gar nicht von einem gigantischen Kontinent

irgendwo im Westen.

Deshalb ist Kolumbus überzeugt:

Wenn er Richtung Westen fährt, wird er den Osten Asiens erreichen.

Sehr weit kann es nicht sein.

Der Astronom Toscanelli berechnete die Entfernung. Heute wissen wir,

dass die Reise über die Westroute mehr als doppelt so weit ist.

Toscanellis Berechnungen der Erde liegen sicher so weit daneben,

weil sie auf den äußerst vagen Informationen Marco Polos beruhen.

Um Ost-West-Entfernungen zu berechnen,

bestimmt man die Längengrade.

Aber das ist damals nur in der Theorie möglich.

Sich auf solch vage Ost-West-Berechnungen zu verlassen,

ist also äußerst riskant.

Am 3. August 1492 sticht Kolumbus in See,

in der Hoffnung, mit Reichtümern in die Heimat zurückzukehren

und Ruhm zu erlangen.

Nach einem längeren Zwischenstopp auf den Kanaren

erreicht er am 12. Oktober eine der Bahamas-Inseln.

Wenig später Kuba und am 6. Dezember dann das heutige Haiti.

Dort gründet er die Niederlassung "Hispaniola".

Kolumbus ist überzeugt, den Seeweg nach Indien gefunden zu haben.

Für seine epochale Entdeckung wird er nach der Rückkehr gefeiert.

Auf der Plaza de Espana in Sevilla gibt es eine Darstellung,

die diesen Moment verewigt.

Ein Kachelgemälde zeigt,

wie Kolumbus auf einem Empfang der spanischen Krone zum Vizekönig

von Indien ernannt wird.

Er bringt Indigene, Perlen und exotische Früchte mit.

Aber die versprochenen Schätze hat er nicht entdeckt.

So bricht er im September 1493 zu seiner zweiten Reise auf,

von der er erst drei Jahre später zurückkehren wird.

Die Erwartungen der spanischen Machthaber sind hoch.

Bei Kolumbus' Rückkehr nimmt Bischof Fonseca,

der höchste geistliche Würdenträger, den Seefahrer in Empfang.

An seiner Seite: Vespucci als Vertreter Berardis.

Beide inspizieren die Ladung. Ein Fünftel steht der Krone zu.

Die Enttäuschung ist groß.

Erneut hat Kolumbus kaum etwas Wertvolles mitgebracht.

Berardi ahnt es: Er ist ruiniert.

Kurz vor seinem Tod macht er sein Testament.

Es ist nicht erhalten, aber wir haben eine Notiz,

in der er darlegt,

dass Kolumbus ihm noch 180.000 Maravedis schuldet.

Berardi überlässt das Eintreiben dieser gigantischen Summe

seinen Testamentsvollstreckern,

allen voran dem Florentiner Buchhalter Vespucci.

Doch der ist an einer Freundschaft mit Christoph Kolumbus interessiert.

Noch immer träumt Amerigo davon, selbst nach Westen zu segeln.

Schon bald ergibt sich eine Gelegenheit zu reisen.

Allerdings nicht mit Kolumbus, der ist in Ungnade gefallen.

Sondern mit einem ehrgeizigen Adligen: Alonso de Hojeda,

einem der Kapitäne, die mit Kolumbus gesegelt sind.

Bischof Fonseca erteilt Hojeda den Auftrag,

endlich das sagenhafte "Perlenland" zu finden,

von dem Kolumbus erzählt hat,

und über den Atlantik mit Asien Handelsbeziehungen zu etablieren.

Vespucci und die anderen Expeditionsteilnehmer

werden zunächst von kommerziellen Interessen angetrieben.

Es geht um die Suche nach Gold und Silber und natürlich auch darum,

Zugang zu wertvollen Gewürzen zu finden.

Aber dann gewinnt bei Vespucci ein anderes Motiv die Oberhand.

Er will sich als Kartograph, Kosmograph,

Entdecker und Navigator profilieren.

Im Mai 1499 verlässt eine spanische Flotte mit vier Schiffen

den Hafen von Cadiz, wie Kolumbus auf der Suche nach den Gewürzländern

über die Westroute Richtung Asien.

Zwei Jahre früher ist Vasco da Gama,

im Auftrag der Portugiesischen Krone, über die Ostroute, um Afrika herum,

nach Indien aufgebrochen.

Der Wettlauf zu den Handelszentren von Zimt, Ingwer und Pfeffer

ist in vollem Gange.

Hojeda hat den Oberbefehl über die spanische Flotte.

Aber warum reist Amerigo Vespucci mit?

Ein Mann in den späten Vierzigern, ohne jede seemännische Erfahrung.

Da ist ihm zum Vorteil geworden, dass er natürlich mit Gelddingen

als Mathematiker rechnen gewohnt gewesen ist.

Damals war die Navigation vorwiegend das Fahren nach den Sternen,

und da half einem die Karte mit,

da halfen einem die Sterne und das Berechnen der Konstellationen.

Zur Orientierung auf dem Meer ist damals die wichtigste Methode

die Koppelnavigation. Mit dem Log wird die Geschwindigkeit bestimmt:

ein schweres Brett wird an einem Seil ins Wasser gelassen,

das in regelmäßigen Abständen mit Knoten markiert ist. Man zählt,

wie viele Knoten in einem Zeitintervall von der Spule gehen.

Mithilfe einer Sanduhr werden Anfang und Ende des Intervalls ermittelt.

Die Geschwindigkeit errechnet sich somit in Knoten.

Vespucci führt Buch über die Messdaten für die Navigation.

Jahrhundertelang hat man Küsten-Navigation betrieben.

Die Küstenlinie, Vögel, Riffe, Pflanzen

und Wassertiere helfen Seeleuten, sich zu orientieren.

Doch bei der Fahrt über den offenen Ozean ist das nicht möglich.

Da nutzt man Quadranten oder das Astrolab,

um die Position des Polarsterns zu bestimmen.

Der Polarstern steht immer genau über dem Nordpol.

Auf den Messgeräten kann man seinen Winkel über dem Horizont ablesen.

Steht der Stern genau über dem Schiff,

bildet er mit dem Horizont einen Winkel von 90 Grad.

Steht der Polarstern auf der Höhe des Horizontes,

bildet er einen Winkel von 0 Grad.

So lässt sich, nördlich des Äquators, exakt bestimmen,

auf welchem Breitengrad man sich befindet.

Bleibt dieser Winkel unverändert,

segelt man auf demselben Breitengrad, auf geradem Kurs nach Westen.

Nach der Rückkehr schreibt Vespucci an seinen Florentiner Dienstherrn:

"Ich setzte meinen Kurs hinüber zu den Inseln der Seligen,

die nun Kanarische Inseln genannt werden

und richtete unseren Bug nach Südwesten."

Vespucci schreibt, als sei er der Chef der Expedition.

Kapitän Hojeda und andere Expeditionsteilnehmer nennt er nicht.

Spätere Autoren, die seine Berichte als unzuverlässig kritisieren,

prangern das als Hochstapelei an,

denn er war schließlich nur als Navigator an Bord.

Doch das lässt sich erklären:

In der österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien

befindet sich eine der bedeutendsten Sammlungen

zur Geschichte der Entdeckungen.

Kurator Robert Wallisch hat es sich zur Aufgabe gemacht,

anhand der philologischen Überprüfung von Vespuccis Texten,

ihre Zuverlässigkeit als Quelle zu verifizieren.

Vermeintliche Unstimmigkeiten kann er erklären:

Vespucci erwähnt auch nicht die Namen der Piloten.

Er schreibt diesen Brief in der Tradition eines antiken...

Essay-Briefes. Alle Sprach-Akte in diesem Brief

sind dafür designed, mit dem Adressaten zu kommunizieren.

Und diesen Adressaten interessiert in keinster Weise,

welche spanischen oder portugiesischen Adelsgeschlechter

hier einen Kapitäns-Posten abgestaubt haben,

sondern ausschließlich die spektakulären

und exotischen Informationen.

Nach 44 Tagen erreicht die Flotte Festland.

Heute wissen wir, es ist die Nordostküste Südamerikas.

* unverständliche Rufe *

Jetzt stellt sich die Frage: Segelt man nach Norden oder nach Süden?

Hojeda und Vespucci entscheiden: In beide Richtungen.

Hojeda hat sich vertraglich verpflichtet,

so schnell wie möglich Gold, Silber, Edelsteine, Perlen aufzutreiben.

Er segelt mit zwei Schiffen nach Norden,

wo er das "Perlenland" des Kolumbus vermutet.

Vespucci dagegen wird die beiden anderen Schiffe

auf einer noch unbekannten Route Richtung Süden führen.

Er will in den Indischen Ozean.

Auf den damaligen Karten ist dieser im Westen durch Afrika begrenzt,

im Osten durch den "Drachenschwanz", eine "Phantom-Halbinsel",

die damals weitgehend unbekannte Länder umfasste.

Heute entspricht das in etwa Thailand und Malaysia.

Vespucci glaubt, an der Spitze dieses Drachenschwanzes zu sein.

Bald würde er die Passage zu den legendären Gewürzländern finden.

Vier Tage und Nächte folgt er der Küste nach Südosten.

Amerigo ist fasziniert von der exotischen Natur,

von einer völlig unbekannten Flora und Fauna.

* harmonische Musik *

Auch so einen Nachthimmel hat er in Europa noch nie gesehen.

Fremde Sternbilder. Das Kreuz des Südens.

Der Polarstern, an dem er sich bisher orientiert hat,

ist längst nicht mehr zu sehen.

Er befindet sich jetzt in der südlichen Hemisphäre.

Er weiß nicht, dass er an einer gigantischen Landmasse vorbeisegelt,

der viertgrößten der Welt.

Und sein Schiff befindet sich noch im oberen Drittel des Kontinents.

Er entscheidet, die Mündung eines besonders breiten Flusses

zu erkunden.

Es ist der Amazonas.

Vespucci und seine Mannschaft sind die ersten Europäer,

die den gewaltigen Fluss zu Gesicht bekommen.

Noch bevor sie an Land gehen, haben Einheimische sie entdeckt.

Die Indigenen beobachten verborgen

und aus sicherem Abstand die weißen Männer, die den Strand betreten.

* spannende Musik *

Geschenke sollen die Einheimischen herauslocken, hoffen die Seefahrer.

Die kamen tatsächlich in eine komplett neue Welt.

Vespucci schreibt selber in seinen Aufzeichnungen

nicht nur über die Menschen, die dort lebten,

er berichtet darüber, dass dort mehr Menschen gelebt haben

und mehr Tiere; dass sie viel artenreicher gewesen ist,

diese "Neue Welt", als er das damals schon aus Europa kannte.

Erstaunt ist Vespucci, dass die Menschen wenig am Leib tragen,

ganz im Gegensatz zu den zugeknöpften Europäern.

Er schreibt: "Sie laufen herum, wie sie geboren wurden".

Wenn Vespucci von einer "Neuen Welt" spricht,

bezieht er sich auf die Sprachen, die die Ureinwohner hatten,

die kulturelle Vielfalt,

die unterschiedlichen Bräuche und Traditionen.

Eine vielseitige, lebendige Kultur, die man primitiv nennen könnte.

Das versucht Vespucci in seinem Bericht hervorzuheben

und setzt damit Maßstäbe für zukünftige Reiseliteratur.

In der es vor allem darum geht, das Exotische, Fremdartige

des amerikanischen Kontinents und seiner Bewohner hervorzuheben.

Vespucci beobachtet noch etwas:

Die Flüsse spülen Süßwasser in solchen Mengen ins Meer,

sie können nicht auf einer Insel, sie müssen auf einem Kontinent sein.

Doch damals kennt man nur drei Kontinente:

Europa, Afrika und Asien.

Also wähnt er sich wie Kolumbus an der Ostküste Asiens.

Die Passage zu den Gewürzländern findet er allerdings nicht.

Auch keine Reichtümer.

"Angesichts des geringen Fortschritts, den wir machten,

entschlossen wir uns, den Bug wieder nach Nordwesten zu drehen

und nordwärts zu segeln."

Vermutlich gab es noch einen weiteren Grund, warum Vespucci umkehrte.

Ihm muss klar geworden sein,

dass er sich mit seinen beiden Schiffen unter Spaniens Flagge

bereits in portugiesischen Hoheits-Gewässern befand,

was Probleme mit sich bringen konnte.

Um den Konflikt zwischen den zwei Seefahrer-Mächten

auf der iberischen Halbinsel zu schlichten,

hatte der Papst 1494 die Welt in zwei Hälften geteilt:

Eine spanische im Westen und eine portugiesische im Osten.

Das ist schon eine verrückte Situation. Auch die Portugiesen

und Spanier konnten damals weder ihre genaue Position bestimmen,

noch kannten sie ja einen Großteil der Erde, wussten nicht,

was auf der anderen Erdhälfte zu finden ist.

Und deswegen waren sie bei ihren Entdeckungsfahrten immer unsicher.

Sie wussten nicht genau, wo sie sind und deswegen auch nicht,

ob sie sich an der Küste Südamerikas in feindlichem Territorium befanden.

Vespucci und seine Mannschaft segeln zurück über den Äquator.

Dabei gehen sie immer wieder an Land.

Und bei diesen Landgängen treffen sie auf Einheimische.

"Jeden Tag," schreibt Vespucci,

"entdeckten wir eine unendliche Zahl von Menschen".

Schließlich erreichen sie die Küste des heutigen Venezuelas.

"Wir landeten in einem natürlichen Hafen, wo wir ein Dorf fanden,

das wie Venedig auf dem Wasser gebaut ist".

Beobachtungen,

die die Herausgeber von Vespuccis Reisebericht später in Szene setzen.

Durch Vespuccis Beschreibung bekommt Venezuela, "Klein-Venedig",

seinen Namen.

Gegen die fremden Ankömmlinge wehren sich die Indigenen manchmal.

Aber diese Gefechte sind von Anfang an ungleich.

Pfeile und Speere gegen Feuerwaffen.

Die Einheimischen haben keine Chance.

"Wir schlugen sie in die Flucht, töteten viele von ihnen

und plünderten ihre Häuser", schreibt Vespucci.

Gewalt wird als selbstverständlich angesehen.

Die Entdecker haben ein verzerrtes Ehrgefühl:

Einerseits ist es eine Schande, im Kampf zu versagen.

Aber es wird nicht als unmenschlich angesehen, Hütten niederzubrennen,

Geiseln zu töten und Frauen zu vergewaltigen.

Die Brutalität wird durch den christlichen Glauben gerechtfertigt,

da die Indigenen als minderwertig aufgrund des Götzendienstes gelten.

Die Schiffe von Vespucci und Hojeda treffen wieder aufeinander

und kehren gemeinsam nach Spanien zurück,

mit mehr als 200 Sklaven, aber wenig Reichtümern an Bord.

Für Vespucci ist diese Reise trotzdem ein Triumph.

Eine neue Landmasse hat er entdeckt. Und er ist sich sicher:

Er steht kurz davor, den Westweg zu den Schätzen Asiens zu finden.

Am liebsten würde er sofort zur nächsten Expedition aufbrechen.

Tatsächlich: nur 9 Monate später

ist der nächste Brief an seinen Dienstherren in Florenz datiert.

"Ihr werdet gehört haben, dass ich, während ich in Sevilla weilte,

zum König von Portugal gerufen wurde und dass er mich aufforderte,

mich auf eine Reise in seinen Diensten vorzubereiten."

Wieder soll es auf Erkundungsreise Richtung Westen gehen.

Wie kommt Vespucci zu den Portugiesen,

nachdem er zunächst alle seine Erfahrungen auf der spanischen Seite

in Allianz mit Kolumbus gemeinsam gemacht hat? Nun,

die Portugiesen haben in ihm, als einen hochgebildeten Mann,

der sich mit Astronomie beschäftigt und...

die Informationen der Spanier aus privater Quelle zur Verfügung hat,

einen idealen Wissenschafts-Spion, einen Informationsträger, gesehen.

Und wollten für diese Mission, nämlich die Entdeckung Brasiliens,

mit der Frage: ist das ein Kontinent oder eine Insel?

Was eine hochpolitische, brisante Frage war,

wollten Sie Vespucci als...

Informanten mit an Bord haben.

Einerseits, weil er astronomisch gebildet war

und andererseits, noch wichtiger,

weil er dieses politische Wissen um die spanischen Informationen hatte.

Vermutlich im Januar 1502,

nach acht Monaten auf dem Atlantik,

treffen sie auf eine große Meeresbucht.

Sie halten sie fälschlicherweise für das Delta eines großen Flusses.

Und nennen es "Rio de Janeiro", übersetzt: Januarfluss.

Üppige Natur prägt diesen Ort.

Unzählige Pflanzenarten, Baumriesen,

wohlriechende Blumen und ein gemäßigtes Klima.

All das beeindruckt Vespucci zutiefst.

Überwältigt notiert er:

"Wenn in der Welt ein irdisches Paradies zu finden ist,

dann muss es, ohne Zweifel, nicht weit von dieser Gegend sein."

Er hat angesichts der Fülle von Tieren,

aber auch der Vielfalt der Menschen, die er beobachtet hat,

die ja im Einklang, wie es schien, mit der Natur lebten,

das natürlich für ein Paradies gehalten, das er da entdeckt hat.

Und vermutlich war es das auch,

verglichen mit den bis dahin schon eng besiedelten Städten in Europa,

die ja auch, europäische Landschaften,

die ja schon weitestgehend genutzt und ausgeplündert gewesen sind,

hat er hier eine vergleichsweise unberührte Natur gefunden.

Doch nach und nach wird Vespucci klar,

dass er die Passage zum Indischen Ozean nicht findet.

Diese Küste, der sie Richtung Süden folgen, endet einfach nicht.

Sie segeln so weit, schreibt Amerigo,

"bis wir in die trockene Zone gelangten und über den Äquator

und den Wendekreis des Steinbocks hinaus,

so dass der Südpol 50 Grad über meinem Horizont stand."

Diese Angabe ist umstritten.

Hat Vespucci den Rio de la Plata erreicht?

Oder gar die Küste Patagoniens?

Das heute zu beweisen, ist unmöglich. Gesichert ist:

Vespucci erweitert die Kenntnis über die Küste Brasiliens

um mehr als 1000 Kilometer. Allein das ist sensationell.

Es gibt also Land, das sich weiter südlich des Äquators erstreckt.

Kolumbus hat nur Land erreicht, das damals bekannt ist.

Er glaubte ja, er habe Indien erreicht.

Dass er auf etwas völlig Neues gestoßen ist, hat er nicht erkannt.

Vespucci dagegen sieht klar: Was sich vor ihm erstreckt,

ist nicht der östliche Zipfel Asiens, sondern eine neue,

bisher unbekannte, gigantische Landmasse:

Vespucci ist bereits Tausende Kilometer über die Ränder realer

oder imaginärer Länder, wie über den Drachenschwanz, hinaus gesegelt.

Nachdem er einige Zeit nach Süden gereist ist, beginnt er zu erkennen,

dass er etwas völlig Neues gefunden hat,

etwas, was noch nie auf einer Weltkarte dargestellt wurde.

Und allmählich erhebt sich die Küste des amerikanischen Kontinents

wie ein Geist aus dem Nichts.

1504, kurz nach Vespuccis Rückkehr,

wird ein Reisebericht von ihm gedruckt, auf Latein:

"Mundus Novus", "Neue Welt".

Das Buch verbreitet sich rasend schnell. Ein echter Bestseller.

Übersetzt in alle Sprachen Europas und immer wieder neu herausgegeben,

mal einzeln, mal in Sammelbänden.

Dieser gewaltige Erfolg hat etwas damit zu tun,

zum einen, dass das tatsächlich der Text ist,

darum geht es ja letztlich immer bei der Beurteilung Vespuccis,

in dem explizit, anders als in irgendeinem seiner anderen Briefe,

steht: Dieser Kontinent im Süden ist nicht identisch mit Asien,

nicht mit Europa und nicht mit Afrika.

Also, wir haben einen neuen Kontinent entdeckt.

Nirgendwo sonst steht das mit solcher Klarheit.

Das ist die erste Publikation, die das ausspricht. Das würde reichen,

um dieses Werk bedeutsam zu machen.

Es ist diese Kombination aus detektivischer Wissenschaftlichkeit,

Begeisterung für eine paradiesische neue Welt,

kombiniert mit dem Gruselfaktor...

einiger weniger schrecklicher, aber höchst dramatischer Ereignisse.

Das ist die Menschenfresserei, und was die Europäer,

die damals ein recht zugeknöpftes Leben führten, interessierte, ist:

freizügige Sexualität. Das ist auch ein Thema im Mundus Novus

und man kann das beobachten,

von da an gehört das zu jedem guten Reisebuch als Standard-Inventar.

Gerade die schreckenerregenden und die pikanten Geschichten

werden später gern in Kupferstichen umgesetzt.

Wie in diesen Drucken, die Hundert Jahre später

die berühmteste Reisebericht-Sammlung der Neuzeit illustrieren sollen.

Sensationen verkaufen sich eben gut.

Die Bilder, mit reichlich Fantasie angereichert,

werden die Vorstellungen der Europäer von der Neuen Welt lange prägen.

Dass Autoren die Wirklichkeit ändern, um ihre Werke besser zu verkaufen,

ist nicht neu. Auch Vespucci ist in Verdacht geraten,

einen Teil seiner Berichte gefälscht zu haben.

Alexander von Humboldt macht Anfang des 19. Jahrhunderts

Zweifel an der Wahrhaftigkeit von Vespuccis Berichten populär.

Danach wird häufig behauptet, Vespucci sei ein Hochstapler,

der seine Reisen erfunden habe.

Als befremdlich wurde empfunden,

dass Vespucci zum Beispiel von Löwen in Brasilien spricht. Nun,

das ist einfach zu schulden der Unkenntnis heute...

betreffend der Sprache jener Zeit.

Es war vollkommen üblich, Tiere, die man nicht kennt,

die Spezies, die man noch nie gesehen hat, einfach zu benennen...

durch ihre Ähnlichkeit mit einer Spezies, die man kennt.

In der frühen Neuzeit war die gängige Bezeichnung für Giraffe,

äh, Kamelopardel. Das heißt Kamel-Panther.

Und eine ebensolche Gleichung, die durchaus naheliegend ist,

ist, eine Raubkatze im brasilianischen Dschungel eben

als brasilianischen Löwen zu bezeichnen.

Das ist aus der Sicht eines Renaissance-Autors

ein völlig normales Verhalten und hat sich bei vielen wiederholt.

Es liegt nur an dem heftigen Bemühen,

Vespucci...

Erfindungen nachzuweisen,

dass man sich bei ihm an diesen Dingen gestoßen hat.

Die Echtheit des "Mundus Novus" zu bezweifeln, ja mehr noch,

Vespucci Hochstapelei zu unterstellen,

ist schon im 19. Jh. und noch mehr zu Beginn des 20. Jh.,

durchaus auch einer philologischen Mode gefolgt.

Zu seiner Zeit ist Vespucci aber unangefochten.

Und sogar berühmter als Kolumbus.

So gelangt sein Bericht "Mundus Novus" auch in die Vogesen,

damals Teil des Herzogtums Lothringen im heutigen Elsass.

Im Kloster Saint-Dié-des-Voges

forscht damals eine Gruppe humanistischer Gelehrter.

Unter ihnen sind der Philologe und Dichter Matthias Ringmann

und Martin Waldseemüller, ein Kartograf. Ein neuer Kontinent.

Die größte geographische Entdeckung aller Zeiten.

Keine der gängigen Weltkarten kann jetzt noch korrekt sein.

Sie wollen das neue geographische Wissen ihrer Zeit zusammentragen:

In einer zuverlässigen Weltkarte.

Für Waldseemüller und Ringmann herrscht in ihrer Zeit,

kartographisch gesehen, ein grässliches Chaos.

Zahllose Drucker versuchten, Karten unkoordiniert zu aktualisieren.

Über die Jahrhunderte haben sich viele Fehler eingeschlichen.

Daher haben die beiden ein Ziel:

ein umfassendes und korrektes Bild der bekannten Welt darzustellen.

* ruhige Musik *

Die Frage für Ringmann und Waldseemüller war:

Wie sollten sie an Informationen über genaue Küstenverläufe

und Ortsnamen für ihre Weltkarte gelangen?

Vespucci macht in seinem "Mundus Novus" keine dieser Angaben,

denn das Preisgeben geographischer Details gilt als Verbrechen.

Dennoch gelang es Herzog René von Lothringen,

eine portugiesische Weltkarte zu erwerben,

auf der Ergebnisse der Expedition von Vespucci verzeichnet waren.

Sie hatten also Zugang zu den allerneuesten Informationen.

Obwohl darauf die Todesstrafe steht, werden Karten damals kopiert,

gestohlen, geschmuggelt und verkauft.

Selbst streng geheime Informationen verbreiten sich rasch.

Als ihre Karte endlich fertig ist,

sind Ringmann und Waldseemüller überwältigt.

Doch wie soll die neue Landmasse heißen?

Im Begleitbuch zur Karte schreibt Ringmann:

"Ein vierter Erdteil ist durch Americus Vesputius entdeckt worden.

Ich wüsste nicht, warum jemand etwas dagegen einwenden könnte,

diesen Erdteil nach seinem begabten Entdecker Americus zu nennen,

nämlich Land des Americus oder America.

Denn auch Europa und Asien wurden nach Frauen benannt".

Von dieser folgenschweren Namensgebung

bekommt zunächst kaum jemand etwas mit.

Als die Karte 1507 veröffentlicht wird, ist Kolumbus schon tot.

Und Vespucci hat wohl nie erfahren,

dass der neue Kontinent nach ihm benannt wurde.

* unverständliches Gespräch *

Der Name Amerika setzt sich durch.

Die USA sichern sich 500 Jahre nach Erscheinen der Waldseemüller-Karte

das letzte verbliebene Original.

In der Library of Congress in Washington wird sie streng gehütet.

Die Karte, von Deutschland für 10 Millionen Dollar erworben,

gilt als Geburtsurkunde Amerikas.

Es ist interessant, wie sich die US-Amerikaner in dieser Geschichte

zu den Amerikanern entwickelt haben.

Der Name "Amerika" stand zuerst nur für den Kontinent Südamerika.

Nordamerika hatte noch keinen Namen und wurde erst später eingegliedert.

Dennoch meinen wir US-Amerikaner,

wir hätten alleinigen Anspruch auf die Geburtsurkunde Amerikas.

Nach seiner letzten Expedition kehrt Vespucci nach Spanien zurück.

Obwohl er zu den Portugiesen "übergelaufen" war,

ist sein Wissen über die "Neue Welt" offenbar so viel wert,

dass ihn die Spanier zurücknehmen

und ihm ein privilegiertes Leben ermöglichen.

Er heiratet.

Und wird zum Chef der Casa de Contratación berufen,

dem neugegründeten königlichen Handels- und Kolonialamt.

Eine königliche Order fordert, dass kein Navigator in spanischen Diensten

in die Neue Welt aufbricht, ohne von Vespucci Kartenlesen

und die Handhabung von Astrolab und Quadrant gelernt zu haben.

Offensichtlich hat er sich so viele Kenntnisse erworben,

dass er als "piloto major" von der spanischen Krone eingestellt wurde,

den größten Schatz der spanischen Krone,

nämlich diese Karten, zu verwalten.

Und das ist immerhin ein Amt, das man 1508 für ihn geschaffen hat

und dass er vier Jahre als Erster innehatte, bis zu seinem Tod.

Und insofern kann man davon ableiten,

dass er in seiner Zeit eine hochangesehene,

respektierte Person gewesen ist und keinesfalls ein Hochstapler

oder Scharlatan, wie ihm das später in der Literatur unterstellt wird.

Vespucci wird zum Hüter des größten Schatzes der spanischen Krone,

dem Padron Real, der geheimen spanischen Hauptkarte,

die als Vorlage für alle Karten der spanischen Marine im 16. Jh. dient.

Sie wird in der Casa de Contratacion in Sevilla aufbewahrt,

heute Archivo General de Indias,

wo alle Dokumente aus dem Zeitalter der Entdeckungen archiviert werden.

Wir haben in den letzten 500 Jahren eigentlich

das Antlitz der Erde verändert, natürlich auch in der Neuen Welt,

auch gerade in Brasilien, in Rio de Janeiro, in der Bucht,

in der Amerigo Vespucci 1502 ankommt.

Wir haben da eine riesige Stadt hineingebaut

und die Natur ist dort komplett verändert worden,

gegenüber dem Aussehen und der Atmosphäre,

die Amerigo Vespucci vor 500 Jahren dort erlebt hat.

Vespuccis Berichte werden zur Grundlage für die Planung der Route,

die Ferdinand Magellan nehmen wird.

Ihm gelingt 1520 die erste nachweisbare Umschiffung Südamerikas.

Es ist der endgültige Beweis,

dass man es mit einem neuen Kontinent zu tun hat.

Was Vespucci geschrieben hat, hatte einen enormen Einfluss auf Europa.

Seine Sicht auf Südamerika, wie er es beschrieb,

prägte die gesamte europäische Wahrnehmung der "Neuen Welt".

Vespucci ist also ganz wichtig.

Sein Beitrag ist fundamental

für das Verständnis der Geschichte der europäischen Expansion

und der europäischen Eroberung des amerikanischen Kontinents,

was schließlich zu seiner Europäisierung führte.

Und mit Vespucci beginnt auch der "Mythos Amerika".

Diesen Doppelkontinent nach Vespucci zu benennen, war keineswegs falsch.

Er ist eher über die Jahrhunderte in einen falschen Ruf gekommen.

Er war tatsächlich nicht so sehr Entdecker, aber er war Kartograf,

der die Entdeckungen überhaupt erst interpretieren konnte,

und insofern wurde er zu Unrecht in der Entdeckungsgeschichte vergessen

und Amerika ist zu recht nach ihm benannt worden.

Vespucci stirbt 1512,

fünf Jahre nachdem sein Name zum ersten Mal

auf der Karte Waldseemüllers und Ringmanns erscheint.

Seine Geschichte wird vergessen, sein Ruhm verblasst.

Nur sein Name bleibt:

Amerika.

Untertitel im Auftrag des ZDF, 2023