Der Schatten über Innsmouth - Kapitel 3 – 01
Vielleicht war es ein Alb der Perversheit --- oder die sardonische Anziehungskraft dunklen, verborgenen Ursprungs --- die mich meine Pläne in diese Richtung ändern ließ. Ich hatte lange im Voraus beschlossen, meine Beobachtungen lediglich auf Architektur zu beschränken und ich beeilte mich sogar, um zum Dorfplatz zu gelangen und von dort zeitigen Transport aus dieser verfaulenden Stadt voll Tod und Verwesung zu erlangen, doch der Anblick des alten Zadok Allen lenkte mein Denken in neue Bahnen und ließ mich mein Tempo zögerlich verlangsamen.
Man hatte mir versichert, dass der alte Mann nur wilde, unzusammenhängende und unglaubliche Legenden anklingen lassen konnte und ich war gewarnt worden, dass es gefährlich war, von den Einheimischen im Gespräch mit ihm gesehen zu werden, doch der Gedanke, zu diesem alten Zeitzeugen des städtischen Verfalls mit Erinnerungen, die zurückgehen zu den frühen Tagen der Schifferei und der Fabriken zu sprechen, war eine Verlockung, der keine Vernunft mich standhalten lassen konnte. Im Grunde sind doch die seltsamsten und verrücktesten Mythen oft lediglich Symbole oder Allegorien, die auf Wahrheit fußen --- und der alte Zadok musste alles mit angesehen haben, das sich in den letzten neunzig Jahren hier um Innsmouth herum zugetragen hatte. Die Neugier flammte in mir auf und überstrahlte Verstand und Vorsicht und in meiner jugendlichen Eitelkeit glaubte ich, ich möge ein Körnchen wahrer Geschichte aus der Welle von verwirrten Übertreibungen gewinnen, die ich mit Rohwhiskey höchstwahrscheinlich aus ihm heraus gewinnen würde.
Mir war bewusst, dass ich ihn nicht hier und jetzt behelligen konnte, denn die Feuerwehrmänner würden dies sicherlich bemerken und etwas einzuwenden haben. Stattdessen, so überlegte ich, würde ich mich vorbereiten indem ich etwas schwarz gebrannten Schnaps besorgen würde von einem Ort, an dem nach den Beschreibungen des Jungen aus dem Laden reichlich davon vorhanden sein sollte. Danach würde ich ganz beiläufig am Feuerwehrhaus herumlungern und mich zum alten Zadok gesellen, nachdem er zu einem seiner häufigen Streifzüge aufgebrochen war. Der Junge hatte erzählt, dass er sehr rastlos war und selten mehr als eine oder zwei Stunden auf einmal vor der Station saß.
Ein Quart Whiskey war einfach, aber nicht billig hinter einem schäbigen Gemischtwarenladen genau hinter dem Platz in der Eliot Street zu beschaffen. Von dem dreckig aussehenden Kerl, der mich dort erwartete, stierte mich ebenfalls ein Hauch des „Innsmouth-Aussehens“ an, doch er war auf seine Art recht höflich, wahrscheinlich gewohnt an die Kundschaft geselliger Fremder --- Lastwagenfahrer, Goldkäufer und ähnliche Gestalten --- waren gelegentlich in der Stadt.
Ich betrat den Platz wieder und sah, dass das Glück mir hold war, denn --- aus der Paine Street um die Ecke des Gilman House schlurfend --- erblickte ich nicht weniger als die große, dürre, lumpige Gestalt des alten Zadok Allen selbst. Getreu meines Planes gewann ich seine Aufmerksamkeit indem ich die gerade gekaufte Flasche schwenkte und bald war mir klar, dass er angefangen hatte, mir sehnsüchtig hinterher zu schlurfen als ich in die Waite Street einbog, auf dem Weg in die verlassenste Gegend, die mir einfiel.
Ich wählte meinen Weg gemäß der Karte, die der Junge aus dem Lebensmittelladen mir angefertigt hatte und wählte ein vollständig aufgegebenes Stück des südlichen Ufers, das ich zuvor besucht hatte, als Ziel. Die einzigen Leute, die dort zu sehen gewesen waren, waren die Angler auf der weit entfernten Mole und noch ein paar Blocks südlich konnte ich aus deren Sichtweite geraten, ein paar Sitzplätze in einer stillgelegten Werft finden und dann den alten Zadok für unbegrenzte Zeit unbeobachtet befragen. Noch bevor ich die Main Street erreichte konnte ich hinter mir ein schwaches und keuchendes „Hey Mister!“ vernehmen und erlaubte es dem alten Mann, mich einzuholen und einige kräftige Schlucke aus der Flasche zu nehmen.
Ich begann, meine Fühler auszustrecken während wir die Water Street entlang gingen und uns in mitten der allgegenwärtigen Trostlosigkeit und wirr geneigten Ruinen nach Süden wandten, doch ich fand das die alte Zunge sich nicht so schnell wie ich erhofft hatte, lösen ließ. Nach einiger Zeit sah ich eine grasbewachsene Öffnung zur See hin zwischen verfallenen Ziegelmauern, jenseits derer sich verunkrauteten Ausdehnungen einer alten Werft aus Lehm und Stein zeigten. Haufen von moosbewachsenen Felsen nahe am Wasser versprachen passable Sitzplätze und der Ort war vor jedem möglichen Blick geschützt durch ein zerstörtes Lagerhaus im Norden. Die Aura von Tod und Verlassenheit war morbide und der Fischgestank fast unerträglich, doch ich hatte beschlossen, mich durch nichts abschrecken zu lassen.
Etwa vier Stunden verblieben mir für Konversation, wenn ich den Acht-Uhr-Bus nach Arkham erwischen wollte und ich begann, dem uralten Säufer mehr Schnaps auszuteilen, während ich meine eigene bescheidene Mahlzeit zu mir nahm. Ich gab acht, bei meiner Ausschank nicht über's Ziel hinauszuschießen, denn ich wollte Zadoks weinselige Geschwätzigkeit nicht in einen Stupor übergehen lassen. Nach einer Stunde schien sein Stillschweigen allmählich zu verschwinden, doch zu meiner Enttäuschung wich er meinen Fragen über Innsmouth und seine von Schatten heimgesuchte Vergangenheit nach wie vor aus. Er plapperte über aktuelle Themen und zeigte gute Kenntnis der Zeitung und eine starke Tendenz dazu, in der Art eines moralisierenden Dörflers zu philosophieren.
Zum Ende der zweiten Stunde hin fürchtete ich, mein Quart Whiskey würde nicht ausreichen um Ergebnisse hervorzubringen und fragte mich, ob ich den alten Zadok verlassen und mehr besorgen sollte. Just dann jedoch, eröffnete mir das Glück das, was meine Fragen nicht erbringen konnten und das weitschweifende Gerede des keuchenden Alten nahm eine Wendung, die mich nach vorne lehnen und aufmerksam zuhören ließ. Ich saß mit dem Rücken hin zur nach Fisch stinkenden See, doch er war ihr zugewandt und irgendetwas hatte seinen wandernden Blick auf die flache, weit entfernte Silhouette von Devil Reef gelenkt, das zu der Zeit klar und geradezu faszinierend über die Wellen ragte. Dieser Anblick schien ihm zu missfallen, denn er begann eine Reihe schwache Flüche auszustoßen, die in einem vertraulichen Flüstern und einem wissenden Blick endeten. Er beugte sich zu mir, packte meinen Rockaufschlag und zischte einige Anspielungen, die nicht misszuverstehen waren.
„Das is' wo's alles angefangen hat --- der verfluchte Ort aller Bosheit wo das tiefe Wasser beginnt. Höllentor --- eine Klippe bis zu deren Grund keine Lotschnur reicht. Der alte Käpt'n Obed hat's getan --- er hat auf'n Südseeinseln mehr rausgefund'n als gut für ihn war.
Alle war'n übel dran damals. Handel brach ein, die Fabriken ham' Aufträge verlor'n, sogar die neuen --- un' die besten von unser'n Leuten verlor'n durch Kaperei im Krieg von 1812 oder mit der Brigg Eliza und der alten Schnau Ranger --- beides Gilman-Schiffe. Obed Marsh, er hatte drei Schiffe zu Wasser --- Brigantine Columby, Brigg Hetty und die Bark Sumatry Queen. Er war der einz'ge Käpt'n, der Ostindien- und Pazifik-Handel betrieb, obwohl Esdras Martins Barkentine Malay Pride da noch Achtundzwanzig Geschäfte gemacht hat.
Aber 's gab keinen wie Käpt'n Obed, den alten Satansbraten! Hehe! Ich kann ihm nich übel nehmen, was er von der Ferne erzählt hat un' wie er die Leute dumm genannt hat, weil sie in die christliche Messe gingen un' ihre Last in Demut und Beschei'nheit getrag'n hab'n! Sagte, die soll'n sich bess're Götter such'n, wie welche von denen auf'n Westinnischen sie ha'n, die wür'n guten Fischfang liefern im Austausch für der'n Opfer un' wür'n wirklich auf Gebete hör'n!
Matt Eliot, sein erster Maat hat auch viel erzählt, aber er war dageg'n, dass die Leut' ir'ndwelchen Heidenkram tun! Hat von 'ner Insel östlich von Otaheite erzählt, wo's viele steinerne Ruinen gab', älter als ir'ndwer 's hätte sag'n können, so ähnlich wie die auf Ponape in den Karolinen aber mit Schnitzerei'n von Gesichtern wie die groß'n Statuen auf der Osterinsel. Da war auch 'ne kleine Vulkaninsel in der Nähe mit anderen Schnitzereien --- Ruinen abgeschliffen als wär'n sie einmal unter'm Meer gewesen un' mit Bildern von furchtbar'n Monstern überall.
Also, Matt sagte, die Eingebor'nen da hätten all den Fisch gehabt, den sie fangen konnt'n und hatten' Armbänder un' Armreife un' Kopfschmuck aus 'nem seltsamen Gold und voll mit Bildern von Monstern genau wie die in die Ruinen auf der kleinen Insel gehauen waren --- ir'ndwie Fischfrösche oder Froschfische in allen möglichen Position'n als wär'n's Menschen. Keiner hat aus denen rausbekommen wo die all das Zeug herhatten un' all die ander'n Eingeborenen ha'n sich gefragt, wie die soviel Fisch finden konnten, wenn schon die nächste Insel magere Fänge hatte. Matt hat sich das auch gefragt un' auch Käpt'n Obed. Obed hat auch bemerkt, dass viele von den schönen, jungen Leuten auf Nimmerwiederseh'n verschwanden Jahr für Jahr un' dass 's da nich viele Alte gab. Außerdem, dachte er, sah'n manche von den Menschen verdammt merkwürdig aus, sogar für Kanaken.
's brauchte schon Obed um die Wahrheit aus den Ungläub'gen rauszukrieg'n. Ich weiß nich' wie aber er hat Handel für die Gold-Dinger, die die getragen haben angefangen. Hat gefragt wo die herkamen un' ob sie mehr davon beschaffen könn'n un' hat schließlich die ganze Geschichte aus dem alten Häuptling --- Walakea wurde der genannt. Niemand außer Obed hätte dem alten Teufel je geglaubt, aber der Käpt'n konnte die Leute lesen wie Bücher. Hehe! Mir glaubt niemand wenn ich das ihnen erzähl' un' Du wahrscheinlich auch nicht, Junge --- obwohl, wenn ich dich so anseh, Du hast genauso scharfe Augen wie der alte Obed sie hatte.“