Der Schatten über Innsmouth - Kapitel 1 - 02
Das war das erste, das ich jemals vom beschatteten Innsmouth hörte. Jeder Hinweis auf eine Stadt, die auf geläufigen Karten nicht verzeichnet und in aktuellen Reiseführern nicht gelistet ist, hätte mich interessiert und die Art und Weise der Andeutungen des Fahrkartenverkäufers weckten in mir eine regelrechte Neugier. Eine Stadt, fähig solche Abneigung in ihren Nachbarn hervorzurufen, dachte ich, muss zumindest recht ungewöhnlich und die Aufmerksamkeit eines Touristen wert sein. Wenn sie vor Arkham käme, könnte ich dort Station machen --- und so bat ich den Verkäufer, mir etwas darüber zu erzählen. Er war sehr bedachtsam und sprach mit einer Miene, als fühle er sich dem was er sagte überlegen.
„Innsmouth? Nunja, es ist 'ne wunderliche Gemeinde da unten an der Mündung des Manuxet. War mal fast eine Stadt --- ein ziemlich großer Hafen vor dem Krieg von 1812 --- ist aber alles in die Brüche gegangen in den letzten Hundert oder so Jahren. Keine Eisenbahn da jetzt --- B. & M. lief da nie durch und die Nebenstrecke von Rowley wurde vor Jahren aufgegeben.
Mehr leere Häuser als Menschen, schätze ich und kein nennenswertes Geschäft außer Fischerei und Hummerfang. Jeder treibt seinen Handel meist hier oder in Arkham oder Ipswich. Sie hatten mal einige Fabriken aber davon ist jetzt nix übrig außer einer Goldraffinerie mit ganz schwachem Teilzeitbetrieb.
Die Raffinerie war allerdings mal ein ziemliches Ding und der alte Marsh, dem sie gehört muss reicher als Krösus sein. Ist aber einen komischer alter Vogel und hält sich fast nur in seinem Haus auf. Er hat im Alter angeblich 'ne Hautkrankheit oder Missbildung entwickelt, die dafür sorgt, dass er sich außer Sicht hält. Enkel von Käpt'n Obed Marsh, der das Geschäft begründet hat. Seine Mutter scheint irgendeine Fremde gewesen zu sein --- man sagt, eine Südseeinsulanerin --- also gab's mächtig Radau als er vor fünfzig Jahren einen Mädel aus Ipswich geheiratet hat. Die machen das immer bei Leuten aus Innsmouth und die Menschen hier und in der Gegend versuchen immer, jedwedes Innsmouther Blut, das in ihren Adern fließt zu verheimlichen. Aber Marsh's Kinder und Enkelkinder sehen aus wie jeder andere, soweit ich es sehen kann. Ich habe sie mir hier mal zeigen lassen --- obwohl, jetzt wo ich drüber nachdenke, die älteren Kinder scheinen in letzter Zeit nicht in der Gegend zu sein. Hab' den alten Mann nie gesehen.
Und warum hat jedermann hier etwas gegen Innsmouth? Nun, junger Mann, Sie dürfen sich nicht zu sehr dafür interessieren, was die Leute hier sagen. Es ist schwer, sie zum Reden zu bringen, aber wenn sie mal anfangen, lassen sie nicht nach. Sie haben schon immer Dinge über Innsmouth erzählt --- meist unter vorgehaltener Hand --- für die letzten hundert Jahre, glaube ich und wenn ich das richtig erfasse, sind sie eher verängstigt als irgendsonstwas. Manche von den Geschichten würden einen echt zum Lachen bringen -- darüber, wie der alte Käpt'n Marsh Pakte mit dem Teufel schloss und Kobolde aus der Hölle holte um in Innsmouth zu leben, oder über irgendwelche Teufelsanbetungen und furchtbare Opfer irgendwo bei den Werften, auf die die Leute um 1845 gestoßen sind --- aber ich komm' aus Panton, Vermont und diese Sorte Geschichten schluck ich nicht so einfach.
Sie sollten aber hören, was ein paar von den Alten über das schwarze Riff vor der Küste erzählen --- Devil Reef nennen sie es. Es ragt die meiste Zeit deutlich aus dem Wasser und liegt nie tief darunter, dabei kann man es aber kaum eine Insel nennen. Die Geschichte sagt, dass man manchmal eine ganze Legion von Teufeln auf dem Riff sehen ist --- ausgestreckt oder in einer Art Höhlen auf der Spitze ein und aus huschen. Es ist ein schroffes, unebenes Ding, mehr als eine Meile weit draußen und zum Ende der Schiffartszeit machten die Seeleute große Umwege um es zu vermeiden.
Das heißt, Seeleute die nicht aus Innsmouth waren. Eine Sache, die sie gegen den alten Käpt'n Marsh brachten, war dass er angeblich manchmal nachts da gelandet ist, wenn die Gezeiten günstig standen. Ist er vielleicht auch, denn ich darf wohl sagen, die Felsformation sah interessant aus und es ist vielleicht möglich, dass er nach Piratenbeute gesucht und vielleicht was gefunden hat, aber es gab Gerede über seine Paktiererei mit Dämonen dort. Fest steht, so denke ich, dass letztendlich in Wirklichkeit der Käpt'n dem Riff seinen schlechten Ruf gab'.
Das war vor der großen Seuche von 1846, als es mehr als die Hälfte der Bewohner von Innsmouth dahingerafft hat. Sie haben nie wirklich rausgefunden, was es war aber es war wahrscheinlich irgendeine fremde Krankheit, eingeschleppt aus China oder von sonstwo durch die Schiffahrt. Als wenn das nicht schlimm genug gewesen wäre --- gab' es Krawalle darüber und alles mögliche, scheußliche Tun von dem ich nicht glaube, dass es je die Stadt verlassen hat --- und es hat den Ort in einem furchtbaren Zustand hinterlassen. Hat sich nie erholt -- da können heute nicht mehr als 300 oder 400 Menschen wohnen.
Aber in Wirklichkeit stecken dahinter wie die Leute denken einfach Rassenvorurteile --- nicht, dass ich es denjenigen, die sie haben vorwerfen würde. Ich hasse diese Innsmouth-Leute auch und ich würde nicht in ihre Stadt fahren wollen. Ich denke, Du weißt --- auch wenn Du wie ein Weststaatler klingst --- wieviel unsere neuenglischen Schiffe mit zweifelhaften Häfen in Afrika, Asien, der Südsee und sonstwo zu tun hatten und was für seltsame Leute die manchmal mitbrachten. Du hast vielleicht von dem Seemann aus Salem gehört, der mit einer Chinesin zur Frau nach Heim kam, und vielleicht weißt Du auch, dass da immer noch ein Haufen Fiji-Insulaner rund um Cape Cod leben.
Naja, da muss sowas mit den Innsmouthern sein. Der Ort war immer furchtbar vom Rest des Landes durch Marschen und Bäche abgeschnitten und man kann sich nicht über die Kleinigkeiten bei der Sache sicher sein, aber es ist ziemlich klar, dass Käpt'n Marsh ein paar ziemlich merkwürdige Exemplare mit als er noch alle drei Schiffe in Dienst hatte früher, in den Zwanzigern und Dreißigern. Da ist sicherlich ein fremdartiger Charakterzug in den Innsmouth-Leuten heutzutage --- Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll aber es macht einem irgendwie Gänsehaut. Du wirst es ein wenig in Sargent bemerken, wenn Du seinen Bus nimmst. Manche von denen haben seltsam schmale Köpfe mit flachen Nasen und starre Glotzaugen, die nie zu blinzeln scheinen und mit deren Haut stimmt was nicht. Spröde und schorfig und die Seiten ihrer Hälse sind total verschrumpelt oder zerknittert. Kriegen auch alle ziemlich jung 'ne Glatze. Die älteren Kameraden sehen am schlimmsten aus --- Tatsache ist, ich glaube nicht, dass ich je einen sehr alten Typ von der Art gesehen hab'. Wette, die sterben wenn sie in den Spiegel schauen! Sind auch von Tieren gehasst --- die hatten viel Ärger mit Pferden bevor Autos hier Einzug hielten.