1-In die Fänge geraten | SWR Nachtcafé (2)
So habe ich mir das persönlich eingeredet, hab es ihr aber gesagt.
Und sie hat gesagt, wenn da was ist, ist vielleicht was.
Aber ich habe das selber nicht realisiert und habe den Gedanken nicht zugelassen.
Wann haben Sie gemerkt, das geht so nicht? Da passiert gerade was, so geht es nicht weiter?
Es war so, die Beziehung hat irgendwann nicht mehr funktioniert. Wir haben uns getrennt. Psychotherapie angefangen, weil ich ein Burnout hatte, wusste aber nicht, warum.
Dann kam zur Sprache, dass ich vielleicht in einer Sekte aufgewachsen bin, dass ich vielleicht schwul bin, wenn da ein paar Gefühle da sind.
Es war dann für mich kompletter Nervenzusammenbruch, weil ich dann erst mal festgestellt habe, dieses Aquarium ist nicht die Welt, sondern es gibt da ein Meer draußen.
Und es hat mir sehr viel Angst gemacht, weil ich hatte kein Bild zu dem, was draußen alles passiert.
Ich war noch nie in einem Club, ich habe so vieles einfach nicht erlebt und das hat mir sehr viel Angst gemacht. Hatte ein Jahr tatsächlich extreme Albträume. Es gab Tsunamis, Feuer ist vom Himmel geregnet, weil ich zum ersten Mal dieses Gefühl zugelassen habe, in einen Mann verliebt zu sein.
Und da muss man 28 Jahre sein, um zu merken, was ist Liebe. Was ist Verliebtsein.
Als Sie diesen Schritt gegangen sind, und Sie haben ja gesagt, Sie haben plötzlich die Welt, in der Sie aufgewachsen sind, aus einer anderen Perspektive gesehen. Haben Sie dann auch Dinge in Frage gestellt? Haben Sie da verstanden, dass Sie in einer Sekte aufgewachsen sind?
In dem Moment habe ich befürchtet, dass es vielleicht alles Fake ist, dass es vielleicht nicht real ist. Aber die Gehirnstruktur war noch so, dass die an das Alte geglaubt hat.
Die Gefühle haben das Gegenteil gesagt, und diese Diskrepanz dazwischen waren meine Albträume und diese Panik und diese Angst, was da alles kommt.
Und dann hat es irgendwann die Oberhand gewonnen, war einfach so, dass ich dann gefühlt habe, es ist real.
Dann habe ich gemerkt, wenn mein Gefühl real ist, wenn es einen Gott der Liebe gibt, dann kann es ja nicht sein, dass er mich was verurteilt, für das, was ich einfach bin.
Ich meine, was macht das mit uns, mit der eigenen Sexualität, wenn die Orientierung, die wir spüren, nicht sein darf und von außen sogar richtig verteufelt wird, im wahrsten Sinne des Wortes?
Ja, das haben Sie gut beschrieben. Das führt zu einer extremen Spaltung und unglaublich viel Anspannung. Ich möchte noch mal auf das eingehen, was Sie sehr eindrucksvoll geschildert haben.
Was aber passiert in dem Kontext ist ja, dass Sie das Gefühl hatten, wenn Sie dem folgen, fallen Sie aus dem raus, was bisher Ihr Weltbild war.
Evolutionsbiologisch ist das höchste Gefahr. Wenn wir aus dem Vertrauten ausbrechen, dann hat das vor 20.000 Jahren bedeutet, zu sterben, aus der Gemeinschaft zu fallen.
Ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Soziale Verbundenheit ist eines der stärksten Grundgefühle. Und das haben Sie ja vollständig aufgeben müssen.
Zum Glück gab es da eine neue Insel, die gelockt hat, zu spüren: Es gibt Liebe, es gibt einen Menschen, der Sie anzieht. Und vermutlich ist das auch die Brücke, die dann diesen Schritt möglich macht.
Und man merkt, dass das immer noch in Ihnen arbeitet. Erst mal danke, dass Sie da so offen hier darüber sprechen.
Wie kam es denn dann zum Bruch mit der Sekte und dadurch ja auch mit Ihren Eltern, mit der Familie?
Also, das läuft dann so, dass man dann irgendwann einen anderen Mann küsst und sagt, ich hatte einen Kontakt zu einem Mann.
Und dann wird dir gesagt: "Ja, du weißt, was das bedeutet."
"Das heißt, morgen wird in der Gemeinde bekannt gegeben, dass du ab morgen kein Mitglied mehr bei den Zeugen Jehovas bist." "Bedeutet ab morgen darf mit dir keiner mehr sprechen."
"Deine Mutter nicht, dein Vater nicht, deine Geschwister nicht, deine Tanten, deine Onkel.
" Es gibt keine Zeit, sich zu verabschieden. Und dann wird ab dem Zeitpunkt, wo öffentlich gesagt wird: "Hiermit bist du kein Mitglied mehr." Es wird ab dem Zeitpunkt mit dir nicht mehr geredet. Bis heute.
Das heißt aber, Sie ... Sie wollten eigentlich noch bleiben.
Sie wurden aber ... - Ich habe zu ihnen gesagt, es tut mir leid, dass ich einen Mann geküsst habe und da Kontakt hatte.
Und dann diese daraus folgende sexuelle Begegnung. Mir tut es leid. Zeugen Jehovas haben das Recht zu vergeben, also zu sagen: "Du hast einen Fehler gemacht, du darfst aber drin bleiben." Bei mir haben sie sich dagegen entschieden. Sagten: "Dir vergeben wir nicht, weil wir vermuten, dass du ein größeres Problem hast."
Das heißt, sie wussten, dass es eine sexuelle Orientierung gibt, die schwul ist. Und sie haben mich dann offiziell rausgeschmissen, obwohl ich das zu dem Zeitpunkt einfach noch nicht wollte und gesagt habe: Ich streng mich auch wirklich an, vielleicht schaffe ich es.
Weil ich, wie er gesagt hat, diese Todesangst, an einem Tag alles zu verlieren ...
Den Preis wollte ich nicht bezahlen. Und dann wurde mir diese Entscheidung weggenommen. Und es ist dann tatsächlich so, kurz nach diesem Rauswurf war zwei, drei Wochen später, musste ich ins Krankenhaus, hatte eine Kontrolle.
Und der Arzt hat dann gesagt: "Wenn was passiert, wen dürfen wir denn dann kontaktieren?"
Und ich musste dann zu ihm sagen, dass es in meinem Leben leider niemanden mehr gibt, dass er sich bitte beim Arbeitgeber meldet.
Das ist bis heute so?
- Das ist bis heute so.
Und wie ist das für Sie, zu sagen, "Wenn ich krank bin, ist keine Familie da", macht Sie das traurig? Macht Sie das wütend?
- Das ist unglaublich traurig. Ich bin heute hier, weil ich nicht möchte, dass sich die Vergangenheit bei anderen Kindern wiederholt.
Das ist vorhersehbar, dass es zukünftig genauso weitergeht. Und ich bin heute da, weil ich möchte, dass sich, wenn möglich, was verändert. Weil Menschen keine Chance bekommen, ein Leben zu leben. Sie müssen einen Preis bezahlen und der ist lebenslänglich. Ich weiß, dass wenn ich eines Tages heirate, wird niemand von meiner Familie da sein.
Wenn ich eines Tages sterbe, wird mein Sarg ohne alle Menschen, 5.000 Menschen, die bis dato mein soziales Umfeld bedeutet haben, wird eben keiner da sein.
Und als ich bei einer Fernsehsendung dabei war, "Prinz Charming", wo es um ein Dating-Format ging, kurz danach hat jemand geschrieben: "Du, Alexander, ich melde mich bei dir."
Sage ich: Ja, warum?
Dann sagt er: "Mein bester Kumpel hatte das gleiche Outing wie du und er hat es nicht überlebt." Er hat es emotional nicht ertragen, diese fünf, sechs, sieben Jahre tiefste Trauer.
Man braucht immer einen Rahmen zur Trauer-Verarbeitung. Wenn man alle Menschen dir nimmt, um Trauer verarbeiten zu können, dann ist man traumatisiert.
Und ich möchte, dass das ... Ich würde das so gerne Kindern ersparen, dass sie so einen Lebensweg haben. Ich bin ein extrovertierter Mensch. Ich habe mein Leben gefunden. Bin auch sehr glücklich, dass meine beste Freundin heute da ist. Es sind sehr, sehr liebe Menschen.
Herzlich willkommen! (Applaus) Sie sind ja auch Schauspieler, arbeiten als Model. Sie haben einen anderen Weg gefunden.
Ich bin heute der glücklichste Mensch zufolge den Dingen, die ich erleben darf, schon seit 15 Jahren, die andere in der Gemeinde eben nicht erleben durften. Und ich bin glücklich, dass ich das alles gemacht habe. Und ich würde es jederzeit wieder so machen. (Applaus)
Und ich glaube ... Und ich glaube, dass Ihre Botschaft absolut angekommen ist. Und ich glaube, wir alle hoffen auch, dass Ihnen der Platz auf dieser Insel immer erhalten bleibt und Sie das Leben weiter so genießen können.
Vielen Dank.
- Mit allem, was dazugehört.
Was ... Was braucht man, wenn man von einem Tag auf den anderen alles verliert, was vorher das Leben ausgemacht hat, um wieder so dazustehen? Was braucht man da? Vielleicht auch von außen?
Mut und Unterstützung.
- Mhm. Und ich meine, in dem Fall ist es ja so, es ist gegen Ihren Willen passiert. Und dann sind wir oft erstaunt, was in uns drinsteckt, was wir gar nicht wussten.
Resilienz, Widerstandskraft entstehen tatsächlich am Widerstand und es ist nicht einfach da. Wahrscheinlich haben Sie das auch gemerkt, was in Ihnen drinsteckt.
Das merkt man auch, wenn Sie sprechen, dass da ganz viel ist und Sie sich eine Menge erarbeitet haben. Das wird jeder selbst erfahren, wenn er so einen Weg geht.