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Frankenstein - Mary W. Shelley, 3. Brief

3. Brief

Frau Saville, London

7. Juli 18..

Liebe Schwester! Ich schreibe Dir in aller Eile, um Dich wissen zu lassen, daß ich wohlauf bin und daß ich schon ein Stück meiner Reise hinter mir habe. Diesen Brief wird ein Kaufmann von Archangel aus nach England mitbringen. Der Glückliche! Er kann wieder Heimatluft atmen, was mir vielleicht auf Jahre hinaus nicht vergönnt sein wird. Trotzdem bin ich bester Laune. Meine Leute sind kühn und offenbar zu allem willig; auch die schwimmenden Eisberge, die unaufhörlich an uns vorbeiziehen und uns die Gefahren vorausahnen lassen, denen wir entgegengehen, scheinen ihnen keine Sorge einzuflößen. Wir haben schon eine hohe nördliche Breite erreicht, aber es ist Hochsommer, und wenn es auch nicht ganz so warm ist wie in England, so tragen uns doch die Südwinde, indem sie uns dem heißersehnten Ziele näherbringen, eine wohltuende Wärme zu, wie ich sie nicht erwartet hätte.

Bisher hat sich noch nichts ereignet, was der Mitteilung wert wäre. Ein oder zweimal eine steife Brise und einmal ein kleines Leck, das sind Zufälle, deren ein erfahrener Seemann kaum Erwähnung tut, und ich will recht zufrieden sein, wenn uns auf der ganzen Reise nichts Unangenehmeres passiert.

Lebe Wohl, teure Margarete. Sei überzeugt, daß ich um Deinet- wie um meinetwillen mich nicht allzu kühn der Gefahr aussetzen werde. Ich will kaltblütig, überlegt und vernünftig sein.

Aber der Erfolg muß mein Werk krönen. Warum auch nicht? So weit bin ich nun gekommen über die pfadlose See; nur die Sterne am Himmel sind Zeugen meines Sieges. Warum soll ich nicht noch weiter fortschreiten auf dem ungezähmten, aber doch zähmbaren Element? Was wäre imstande, sich auf die Dauer dem mutigen, willensstarken Manne entgegenzustellen?

Mein Herz ist zu voll, als daß es nicht überlaufen sollte. Aber ich muß schließen. Gott sei mit Dir, liebe Schwester!

Robert Walton.


3. Brief 3. letter Carta 3 Carta 3 Письмо 3 3. Mektup

Frau Saville, London

7. Juli 18.. July 7, 18.

Liebe Schwester! Ich schreibe Dir in aller Eile, um Dich wissen zu lassen, daß ich wohlauf bin und daß ich schon ein Stück meiner Reise hinter mir habe. I am writing to you in haste to let you know that I am well and that part of my journey is already behind me. Diesen Brief wird ein Kaufmann von Archangel aus nach England mitbringen. A merchant from Archangel will bring this letter to England. Der Glückliche! The lucky guy! Er kann wieder Heimatluft atmen, was mir vielleicht auf Jahre hinaus nicht vergönnt sein wird. He can breathe home air again, which I may not be able to do for years to come. Trotzdem bin ich bester Laune. Nevertheless, I'm in a good mood. Meine Leute sind kühn und offenbar zu allem willig; auch die schwimmenden Eisberge, die unaufhörlich an uns vorbeiziehen und uns die Gefahren vorausahnen lassen, denen wir entgegengehen, scheinen ihnen keine Sorge einzuflößen. My people are bold and apparently willing to do anything; nor do they seem concerned with the floating icebergs that pass us by incessantly, giving us a foretaste of the dangers we face. Wir haben schon eine hohe nördliche Breite erreicht, aber es ist Hochsommer, und wenn es auch nicht ganz so warm ist wie in England, so tragen uns doch die Südwinde, indem sie uns dem heißersehnten Ziele näherbringen, eine wohltuende Wärme zu, wie ich sie nicht erwartet hätte. We have already reached a high northern latitude, but it is mid-summer, and though not quite as warm as in England, the southerly winds, bringing us nearer to our longed-for goal, carry a soothing warmth like I do would not have expected.

Bisher hat sich noch nichts ereignet, was der Mitteilung wert wäre. So far nothing has happened worth reporting. Ein oder zweimal eine steife Brise und einmal ein kleines Leck, das sind Zufälle, deren ein erfahrener Seemann kaum Erwähnung tut, und ich will recht zufrieden sein, wenn uns auf der ganzen Reise nichts Unangenehmeres passiert. A stiff breeze or two, and a small leak once, these are accidents hardly mentioned by an experienced seaman, and I shall be quite content if nothing more unpleasant happens to us on the whole voyage.

Lebe Wohl, teure Margarete. Farewell, dear Margarete. Sei überzeugt, daß ich um Deinet- wie um meinetwillen mich nicht allzu kühn der Gefahr aussetzen werde. Be assured that, for your sake as well as mine, I shall not expose myself too boldly to danger. Ich will kaltblütig, überlegt und vernünftig sein. I want to be cold-blooded, considered and sensible.

Aber der Erfolg muß mein Werk krönen. But success must crown my work. Warum auch nicht? Why not? So weit bin ich nun gekommen über die pfadlose See; nur die Sterne am Himmel sind Zeugen meines Sieges. So far have I come across the pathless sea; only the stars in the sky bear witness to my victory. Warum soll ich nicht noch weiter fortschreiten auf dem ungezähmten, aber doch zähmbaren Element? Why shouldn't I progress further on the untamed yet tameable element? Was wäre imstande, sich auf die Dauer dem mutigen, willensstarken Manne entgegenzustellen? What would be able to oppose the courageous, strong-willed man in the long run?

Mein Herz ist zu voll, als daß es nicht überlaufen sollte. My heart is too full not to overflow. Aber ich muß schließen. But I have to close. Gott sei mit Dir, liebe Schwester! God be with you, dear sister!

Robert Walton.