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Frankenstein - Mary W. Shelley, 1. Kapitel

1. Kapitel

Ich bin in Genf geboren. Meine Familie ist eine der vornehmsten dieser Stadt. Mein Vater war angesehen bei allen, die ihn kannten, wegen seiner unbestechlichen Rechtschaffenheit und der unermüdlichen Hingabe an seine Pflichten. In jüngeren Jahren schon hatte er im Dienste seiner Vaterstadt gestanden und verschiedene Umstände hatten es mit sich gebracht, daß er lange nicht zur Gründung eines eigenen Herdes gekommen war. Erst später hatte er geheiratet, als er die Mittaghöhe des Lebens schon überschritten.

Da die Vorgeschichte seiner Ehe für seinen ganzen Charakter bezeichnend ist, kann ich nicht umhin, ihrer Erwähnung zu tun. Einer seiner intimsten Freunde war ein Kaufmann, der infolge mißgünstiger Schicksale von der Höhe des Glückes herab in die tiefste Armut geriet. Dieser Mann, er hieß Beaufort, war stolz und unbeugsam und konnte es nicht ertragen, jetzt an der gleichen Stätte arm und vergessen zu leben, wo man ihn einst wegen seines Reichtums und seines glänzenden Auftretens besonders geehrt hatte. Er zahlte als ehrlicher Mann noch seine Schulden und zog sich dann mit seiner Tochter nach Luzern zurück, wo er unerkannt und armselig sein Leben fristete. Mein Vater war ihm in aufrichtiger Freundschaft zugetan und fühlte tiefes Erbarmen mit dem unglücklichen Manne. Auch bedauerte er sehr den falschen Stolz, der den Freund hinderte, seine Hilfe anzunehmen; hatte er doch gehofft, ihm mit seinem Rat und seinem Kredit wieder auf die Beine helfen zu können.

Tatsächlich hielt sich Beaufort dermaßen sorgfältig verborgen, daß es meinem Vater erst nach Verlauf von zehn Monaten gelang, ihn ausfindig zu machen. Überwältigt von der Freude, die ihm diese Entdeckung bereitet hatte, eilte er nach dem Hause, das in einer schmalen Gasse in der Nähe der Reuß lag. Aber schon bei seinem Eintritt wurde ihm klar, daß er eine Stätte der Not und des Elendes vor sich sah. Beaufort hatte aus seinem Zusammenbruch nur eine ganz unbedeutende Summe gerettet, aber sie hätte wenigstens genügt, ihn einige Monate zu erhalten. In dieser Zeit hoffte er in einem Kaufhaus eine Stellung zu finden. Die erzwungene Untätigkeit gab ihm Zeit, noch mehr über das nachzudenken, was aus ihm geworden, und vertiefte seinen Gram, so daß er schließlich nach drei Monaten aufs Krankenbett sank.

Seine Tochter pflegte ihn mit der äußersten Hingabe, aber sie konnte es sich nicht verhehlen, daß ihr kleines Kapital rapid dahinschwand und daß dann keine Hoffnung auf irgend eine Unterstützung bestand. Aber Karoline Beaufort besaß eine ungewöhnliche Spannkraft und ihr Mut wuchs in diesen Widerwärtigkeiten. Sie versah die ganze Arbeit und vermochte durch Strohflechtereien wenigstens so viel zu verdienen, daß sie beide gerade noch notdürftig ihr Leben zu fristen imstande waren.

Einige Monate vergingen in dieser Weise. Ihr Vater wurde immer elender, so daß sie von seiner Pflege ausschließlich in Anspruch genommen wurde. Die letzten Notpfennige waren bald ausgegeben und im zehnten Monat starb ihr Vater in ihren Armen, sie als bettelarme Waise zurücklassend. Dieser letzte Schlag war der härteste für sie; sie kniete gerade bitterlich weinend am Sarge Beauforts, als mein Vater eintrat. Er kam wie ein rettender Engel zu dem armen Mädchen und vertrauensvoll legte sie ihr Geschick in seine helfenden Hände. Nach der Beerdigung seines Freundes brachte er Karoline nach Genf und gab sie dort Verwandten zur Obhut. Zwei Jahre später war sie seine Frau.

Der Altersunterschied meiner beiden Eltern war zwar sehr bedeutend, aber gerade das schien die Liebe, die sie zu einander hegten, nur zu vertiefen. Mein Vater besaß ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, das ihn nur da wirklich lieben ließ, wo er auch seine Achtung geben konnte. Vielleicht hatte er in seinen früheren Jahren irgend eine Erfahrung in dieser Hinsicht gemacht und legte deshalb so viel Wert auf den inneren Wert. Er zeigte für meine Mutter eine Verehrung, die sich von der schwächlichen Liebe älterer Leute wohl unterschied und die aus wirklicher Hochachtung vor ihr entsprang und vielleicht auch aus dem Wunsche, sie für all das Leid zu entschädigen, das ihr ihre Jugend gebracht. Alles drehte sich um sie, um ihr Wohlergehen. Er hielt sie, wie ein Gärtner eine wertvolle exotische Blume hält und sie vor jedem rauhen Windzug behütet. Allerdings hatte ihre Gesundheit und auch ihr starker, mutiger Geist unter den schweren Erschütterungen gelitten. Während der zwei Jahre, die seiner Verehelichung vorausgingen, hatte mein Vater allmählich alle seine Ämter abgegeben, und sofort nach der Hochzeit begab sich das Paar nach Italien, wo das milde Klima und eine Reise durch das wundervolle Land die Gesundheit der jungen Frau wiederherstellen sollten.

Von Italien aus ging dann die Reise nach Deutschland und Frankreich. Ich, das älteste Kind, kam in Neapel zur Welt und begleitete als kleiner Bursche schon meine Eltern auf ihren Streifzügen. Mehrere Jahre blieb ich ihr einziges Kind. Aus ihrer unerschöpflichen Liebe zueinander entsprang eine reiche Quelle von Liebe für mich. Die Liebkosungen meiner Mutter und das wohlwollende Lächeln meines Vaters sind meine ersten Erinnerungen. Ich war ihnen zugleich Spielzeug und Idol und, was das Beste ist, ihr Kind, das kleine, hilflose Wesen, das ihnen Gott geschenkt hatte, um es aufzuziehen, dessen Wohl und Wehe in ihren Händen lag. Es ist nicht verwunderlich, daß bei dem hohen Pflichtgefühl, das meine Eltern beseelte, und bei dem Geiste wahrer Zärtlichkeit, der in unserem Hause waltete, mein Leben einer Reihe von Freuden glich.

Lange Zeit war ich ihre einzige Sorge. Meine Mutter hatte sich noch ein Töchterchen ersehnt, aber ich blieb das einzige Reis am Baume. Als ich etwa fünf Jahre alt war, machten wir eine Reise nach der italienischen Grenze und verbrachten auch eine Woche an den Gestaden des Comersees. Ihr wohltätiger Sinn führte sie oftmals in die Hütten der Armen. Meine Mutter empfand das nicht nur als eine Pflicht, es war ihr ein Bedürfnis, eine Leidenschaft, den Armen in ihrem Elend ein Engel zu sein, denn sie hatte selbst viel gelitten und wußte, wie weh das tut. Bei einem ihrer Spaziergänge erregte eine kleine Hütte ihre Aufmerksamkeit, die wie verschämt sich in einem Seitentale barg und die, von der Schar armselig gekleideter Kinder zu schließen, die vor der Türe saßen, ein gut Teil Not und Elend zu bergen schien. Als mein Vater eines Tages nach Mailand verreist war, besuchte meine Mutter diese Hütte und ich durfte sie begleiten. Wir trafen ein bäuerisches Ehepaar, von Sorge und harter Arbeit niedergebeugt, das gerade ein karges Mahl an die fünf hungernden Kinder verteilte. Unter diesen war eines, das meiner Mutter besonders auffiel, denn es schien von ganz anderem Schlage. Während die übrigen Kinder schwarzäugige, derbe Kerle waren, sah die schlanke Kleine sehr hübsch aus. Sie hatte glänzendes Goldhaar und trotz der Armut ihrer Kleidung breitete sich ein unverkennbarer Adel über sie aus. Ihre Stirn war breit und hoch, ihre Augen leuchteten wie Sterne und ihr ganzes Antlitz war so lieblich, daß man sie nicht ansehen konnte, ohne sofort das Gefühl zu haben, daß sie etwas Besonderes, ein gottbegnadetes Geschöpf sei. Die Bäuerin hatte gleich bemerkt, daß meine Mutter mit Interesse und Bewunderung ihre Augen auf der Kleinen ruhen ließ, und erzählte sofort deren Lebensgeschichte. Sie war nicht ihr Kind, sondern das Töchterchen eines Edelmannes aus Mailand. Ihre Mutter, eine Deutsche, war gestorben, als sie dem Kinde das Leben gegeben hatte. Man hatte ihnen das kleine Wesen zur Pflege übergeben, sie waren damals noch nicht so arm gewesen. Sie waren noch nicht lange verheiratet und ihr erstes Kind war damals gerade zur Welt gekommen. Der Vater ihres Pflegekindes war einer jener Italiener gewesen, die in der Erinnerung an die glorreiche Geschichte ihrer Heimat aufgewachsen waren; einer jener Männer, die sich selbst opferten, um ihrem Vaterlande die Freiheit zu verschaffen. Auch er fiel seiner Leidenschaft zum Opfer. Ob er starb oder ob er noch in einem der Gefängnisse Österreichs schmachtete, wußte man nicht. Jedenfalls waren seine Güter konfisziert worden und sein Kind war ein Bettelkind geworden. Es blieb bei seinen Pflegeeltern und blühte in der rauhen Umgebung schöner wie eine Rose zwischen dunkelfarbigem Unkraut.

Als mein Vater von Mailand zurückkehrte, fand er mich auf dem Vorplatze unserer Villa mit der Kleinen spielend, die schön war wie ein Cherub; ein Wesen, aus dessen Augen wundervolle Strahlen leuchteten und das schlank und beweglich war wie eine Gemse. Die Angelegenheit war bald geregelt. Mit Erlaubnis meines Vaters vermochte die Mutter die armen Leute rasch zu bewegen, ihr die Obhut über das Kind zu überlassen. Sie konnten die arme, süße Waise gut leiden und sie war ihnen immer wie ein Sonnenschein im Hause gewesen; deshalb hätten sie es nicht übers Herz gebracht, sie in Not und Elend zurückzuhalten, während ihr die Vorsehung ein solches Glück bescherte. Sie fragten noch den Priester des Ortes um Rat, und das Resultat dieser Unterredung war, daß Elisabeth Lavenza ihren Einzug in das Haus meiner Eltern hielt. Sie wurde mir lieber als eine Schwester – die liebliche, angebetete Gefährtin meines Schaffens und meiner Erholung.

Jeder hatte Elisabeth gern. Die Liebe und Verehrung, mit der sie alle bedachten, die ihr näher traten, war mein Stolz und meine Freude. Am Vorabend des Tages, an dem Elisabeth zu uns kam, sagte meine Mutter zu mir: »Ich habe ein reizendes Geschenk für meinen Viktor, morgen sollst du es haben.« Und als sie am Morgen das Kind mir als die versprochene Gabe zeigte, faßte ich voll kindlichen Ernstes ihre Worte so auf, daß Elisabeth mein sei, um sie zu schützen, zu lieben und zu verhätscheln. Jedes Lob, das der Kleinen galt, nahm ich so auf, als sei es ein Lob meines Eigentums. Wir nannten einander beim Vornamen. Kein Wort ist imstande zu schildern, was wir uns waren, um so mehr als sie bis zu ihrem Tode meine einzige Schwester sein sollte.


1. Kapitel

Ich bin in Genf geboren. Meine Familie ist eine der vornehmsten dieser Stadt. Mein Vater war angesehen bei allen, die ihn kannten, wegen seiner unbestechlichen Rechtschaffenheit und der unermüdlichen Hingabe an seine Pflichten. In jüngeren Jahren schon hatte er im Dienste seiner Vaterstadt gestanden und verschiedene Umstände hatten es mit sich gebracht, daß er lange nicht zur Gründung eines eigenen Herdes gekommen war. Erst später hatte er geheiratet, als er die Mittaghöhe des Lebens schon überschritten. I was born in Geneva. My family is one of the finest in this city. My father was respected by all who knew him for his unbribable integrity and unflagging devotion to his duties. When he was younger he had already been in the service of his native town, and various circumstances had meant that he had not managed to set up his own hearth for a long time. Only later did he marry, when he had already passed the midday height of life.

Da die Vorgeschichte seiner Ehe für seinen ganzen Charakter bezeichnend ist, kann ich nicht umhin, ihrer Erwähnung zu tun. As the antecedents of his marriage are characteristic of his whole character, I cannot avoid mentioning them. Einer seiner intimsten Freunde war ein Kaufmann, der infolge mißgünstiger Schicksale von der Höhe des Glückes herab in die tiefste Armut geriet. One of his closest friends was a merchant who, as a result of unfavorable fortunes, fell from the height of happiness into the deepest poverty. Dieser Mann, er hieß Beaufort, war stolz und unbeugsam und konnte es nicht ertragen, jetzt an der gleichen Stätte arm und vergessen zu leben, wo man ihn einst wegen seines Reichtums und seines glänzenden Auftretens besonders geehrt hatte. This man, whose name was Beaufort, was proud and indomitable, and could not bear to live poor and forgotten in the same place where he had once been honored for his wealth and splendor. Er zahlte als ehrlicher Mann noch seine Schulden und zog sich dann mit seiner Tochter nach Luzern zurück, wo er unerkannt und armselig sein Leben fristete. As an honest man, he still paid his debts and then withdrew to Lucerne with his daughter, where he eked out a miserable and unrecognized life. Mein Vater war ihm in aufrichtiger Freundschaft zugetan und fühlte tiefes Erbarmen mit dem unglücklichen Manne. My father was devoted to him in sincere friendship and felt deep pity for the unfortunate man. Auch bedauerte er sehr den falschen Stolz, der den Freund hinderte, seine Hilfe anzunehmen; hatte er doch gehofft, ihm mit seinem Rat und seinem Kredit wieder auf die Beine helfen zu können. He also greatly regretted the false pride that prevented his friend from accepting his help; he had hoped that his advice and credit could help him get back on his feet.

Tatsächlich hielt sich Beaufort dermaßen sorgfältig verborgen, daß es meinem Vater erst nach Verlauf von zehn Monaten gelang, ihn ausfindig zu machen. In fact, Beaufort was so carefully hidden that it took my father ten months to locate him. Überwältigt von der Freude, die ihm diese Entdeckung bereitet hatte, eilte er nach dem Hause, das in einer schmalen Gasse in der Nähe der Reuß lag. Overwhelmed by the joy that this discovery had given him, he hurried to the house, which lay in a narrow street near the Reuss. Aber schon bei seinem Eintritt wurde ihm klar, daß er eine Stätte der Not und des Elendes vor sich sah. But as soon as he entered, he realized that he was looking at a place of need and misery. Beaufort hatte aus seinem Zusammenbruch nur eine ganz unbedeutende Summe gerettet, aber sie hätte wenigstens genügt, ihn einige Monate zu erhalten. Beaufort had saved only an insignificant sum from his collapse, but it would at least have been enough to sustain him for a few months. In dieser Zeit hoffte er in einem Kaufhaus eine Stellung zu finden. During this time he hoped to find a position in a merchant house. Die erzwungene Untätigkeit gab ihm Zeit, noch mehr über das nachzudenken, was aus ihm geworden, und vertiefte seinen Gram, so daß er schließlich nach drei Monaten aufs Krankenbett sank. The forced inactivity gave him time to think even more about what had become of him and deepened his grief, so that after three months he finally sank onto his sickbed.

Seine Tochter pflegte ihn mit der äußersten Hingabe, aber sie konnte es sich nicht verhehlen, daß ihr kleines Kapital rapid dahinschwand und daß dann keine Hoffnung auf irgend eine Unterstützung bestand. His daughter looked after him with the utmost devotion, but she could not help but notice that her small capital was rapidly dwindling and that there was then no hope of any support. Su hija lo cuidó con la mayor devoción, pero no pudo evitar notar que su pequeño capital se estaba agotando rápidamente y que entonces no había esperanza de ningún apoyo. Aber Karoline Beaufort besaß eine ungewöhnliche Spannkraft und ihr Mut wuchs in diesen Widerwärtigkeiten. But Karoline Beaufort possessed an unusual resilience, and her courage grew in the face of adversity. Pero Karoline Beaufort poseía una resistencia inusual, y su coraje creció frente a la adversidad. Sie versah die ganze Arbeit und vermochte durch Strohflechtereien wenigstens so viel zu verdienen, daß sie beide gerade noch notdürftig ihr Leben zu fristen imstande waren. She did all the work and was able to earn at least enough by weaving straw for both of them to barely be able to earn a living. Ella hizo todo el trabajo y pudo ganar al menos lo suficiente tejiendo paja para que ambos apenas pudieran ganarse la vida.

Einige Monate vergingen in dieser Weise. Ihr Vater wurde immer elender, so daß sie von seiner Pflege ausschließlich in Anspruch genommen wurde. Her father became more and more miserable, so that she was exclusively occupied with his care. Die letzten Notpfennige waren bald ausgegeben und im zehnten Monat starb ihr Vater in ihren Armen, sie als bettelarme Waise zurücklassend. The last emergency pennies were soon spent and in the tenth month her father died in her arms, leaving her a destitute orphan. Dieser letzte Schlag war der härteste für sie; sie kniete gerade bitterlich weinend am Sarge Beauforts, als mein Vater eintrat. This last blow was the hardest for her; she was kneeling bitterly weeping at Beaufort's coffin when my father entered. Ese último golpe fue el más duro para ella; Estaba arrodillada junto al ataúd de Beaufort, llorando amargamente, cuando entró mi padre. Er kam wie ein rettender Engel zu dem armen Mädchen und vertrauensvoll legte sie ihr Geschick in seine helfenden Hände. He came to the poor girl like a saving angel and she trustingly placed her fate in his helping hands. Nach der Beerdigung seines Freundes brachte er Karoline nach Genf und gab sie dort Verwandten zur Obhut. After his friend's funeral, he took Karoline to Geneva and gave her to relatives to look after. Zwei Jahre später war sie seine Frau.

Der Altersunterschied meiner beiden Eltern war zwar sehr bedeutend, aber gerade das schien die Liebe, die sie zu einander hegten, nur zu vertiefen. While the age difference between my two parents was significant, it only seemed to deepen the love they had for one another. Mein Vater besaß ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, das ihn nur da wirklich lieben ließ, wo er auch seine Achtung geben konnte. My father had a strong sense of justice, which only allowed him to really love where he could also show his respect. Vielleicht hatte er in seinen früheren Jahren irgend eine Erfahrung in dieser Hinsicht gemacht und legte deshalb so viel Wert auf den inneren Wert. Perhaps in his earlier years he had had some sort of experience in this regard, and that is why he placed so much emphasis on intrinsic value. Er zeigte für meine Mutter eine Verehrung, die sich von der schwächlichen Liebe älterer Leute wohl unterschied und die aus wirklicher Hochachtung vor ihr entsprang und vielleicht auch aus dem Wunsche, sie für all das Leid zu entschädigen, das ihr ihre Jugend gebracht. He showed a reverence for my mother which was quite different from the feeble love of older people, and which sprang from genuine respect for her, and perhaps also from a desire to make good her for all the suffering her youth had brought her. Alles drehte sich um sie, um ihr Wohlergehen. Everything revolved around her, her well-being. Er hielt sie, wie ein Gärtner eine wertvolle exotische Blume hält und sie vor jedem rauhen Windzug behütet. He held it like a gardener holds a precious exotic flower, guarding it from every rough breeze. Allerdings hatte ihre Gesundheit und auch ihr starker, mutiger Geist unter den schweren Erschütterungen gelitten. However, her health and her strong, courageous spirit had suffered from the severe shocks. Während der zwei Jahre, die seiner Verehelichung vorausgingen, hatte mein Vater allmählich alle seine Ämter abgegeben, und sofort nach der Hochzeit begab sich das Paar nach Italien, wo das milde Klima und eine Reise durch das wundervolle Land die Gesundheit der jungen Frau wiederherstellen sollten. During the two years preceding his marriage my father had gradually relinquished all his offices, and immediately after the marriage the couple went to Italy, where the mild climate and a journey through the wonderful country were to restore the young woman's health.

Von Italien aus ging dann die Reise nach Deutschland und Frankreich. Ich, das älteste Kind, kam in Neapel zur Welt und begleitete als kleiner Bursche schon meine Eltern auf ihren Streifzügen. I, the eldest child, was born in Naples and, as a little boy, accompanied my parents on their forays into the world. Mehrere Jahre blieb ich ihr einziges Kind. I was her only child for several years. Aus ihrer unerschöpflichen Liebe zueinander entsprang eine reiche Quelle von Liebe für mich. From their inexhaustible love for each other flowed a rich source of love for me. Die Liebkosungen meiner Mutter und das wohlwollende Lächeln meines Vaters sind meine ersten Erinnerungen. My mother's caresses and my father's benevolent smile are my first memories. Ich war ihnen zugleich Spielzeug und Idol und, was das Beste ist, ihr Kind, das kleine, hilflose Wesen, das ihnen Gott geschenkt hatte, um es aufzuziehen, dessen Wohl und Wehe in ihren Händen lag. I was their toy and idol at the same time, and best of all, their child, the helpless little creature that God had given them to raise, whose weal and woe was in their hands. Es ist nicht verwunderlich, daß bei dem hohen Pflichtgefühl, das meine Eltern beseelte, und bei dem Geiste wahrer Zärtlichkeit, der in unserem Hause waltete, mein Leben einer Reihe von Freuden glich. It is not surprising that, with the high sense of duty that animated my parents and the spirit of true tenderness that reigned in our home, my life should have been a series of joys.

Lange Zeit war ich ihre einzige Sorge. Meine Mutter hatte sich noch ein Töchterchen ersehnt, aber ich blieb das einzige Reis am Baume. Als ich etwa fünf Jahre alt war, machten wir eine Reise nach der italienischen Grenze und verbrachten auch eine Woche an den Gestaden des Comersees. When I was about five years old we made a trip to the Italian border and also spent a week on the shores of Lake Como. Ihr wohltätiger Sinn führte sie oftmals in die Hütten der Armen. Her charitable spirit often led her to the huts of the poor. Meine Mutter empfand das nicht nur als eine Pflicht, es war ihr ein Bedürfnis, eine Leidenschaft, den Armen in ihrem Elend ein Engel zu sein, denn sie hatte selbst viel gelitten und wußte, wie weh das tut. My mother not only felt it as a duty, it was her need, a passion, to be an angel to the poor in their misery, because she had suffered much herself and knew how much it hurt. Bei einem ihrer Spaziergänge erregte eine kleine Hütte ihre Aufmerksamkeit, die wie verschämt sich in einem Seitentale barg und die, von der Schar armselig gekleideter Kinder zu schließen, die vor der Türe saßen, ein gut Teil Not und Elend zu bergen schien. During one of her walks, a small hut attracted her attention, tucked away as if bashfully in a side valley and which, to judge from the crowd of poorly dressed children sitting in front of the door, seemed to harbor a good deal of misery and misery. Als mein Vater eines Tages nach Mailand verreist war, besuchte meine Mutter diese Hütte und ich durfte sie begleiten. One day when my father was away in Milan, my mother visited this cottage and I was allowed to accompany her. Wir trafen ein bäuerisches Ehepaar, von Sorge und harter Arbeit niedergebeugt, das gerade ein karges Mahl an die fünf hungernden Kinder verteilte. We met a peasant couple, weighed down by worry and hard work, who were distributing a meager meal to their five starving children. Unter diesen war eines, das meiner Mutter besonders auffiel, denn es schien von ganz anderem Schlage. Among these was one that particularly caught my mother's eye, because it seemed to be of a completely different breed. Während die übrigen Kinder schwarzäugige, derbe Kerle waren, sah die schlanke Kleine sehr hübsch aus. While the rest of the children were black-eyed, tough fellows, the slender little one looked very pretty. Sie hatte glänzendes Goldhaar und trotz der Armut ihrer Kleidung breitete sich ein unverkennbarer Adel über sie aus. Ihre Stirn war breit und hoch, ihre Augen leuchteten wie Sterne und ihr ganzes Antlitz war so lieblich, daß man sie nicht ansehen konnte, ohne sofort das Gefühl zu haben, daß sie etwas Besonderes, ein gottbegnadetes Geschöpf sei. Her forehead was broad and high, her eyes shone like stars, and her whole countenance was so lovely that one could not look at her without immediately feeling that she was something special, a creature graced by God. Die Bäuerin hatte gleich bemerkt, daß meine Mutter mit Interesse und Bewunderung ihre Augen auf der Kleinen ruhen ließ, und erzählte sofort deren Lebensgeschichte. The farmer's wife had immediately noticed that my mother had let her eyes rest on the little girl with interest and admiration, and immediately told her life story. Sie war nicht ihr Kind, sondern das Töchterchen eines Edelmannes aus Mailand. She was not their child, but the daughter of a nobleman from Milan. Ihre Mutter, eine Deutsche, war gestorben, als sie dem Kinde das Leben gegeben hatte. Her mother, a German, had died giving life to the child. Man hatte ihnen das kleine Wesen zur Pflege übergeben, sie waren damals noch nicht so arm gewesen. The little creature had been handed over to them to look after, they hadn't been that poor back then. Sie waren noch nicht lange verheiratet und ihr erstes Kind war damals gerade zur Welt gekommen. They had not been married long and their first child had just been born. Der Vater ihres Pflegekindes war einer jener Italiener gewesen, die in der Erinnerung an die glorreiche Geschichte ihrer Heimat aufgewachsen waren; einer jener Männer, die sich selbst opferten, um ihrem Vaterlande die Freiheit zu verschaffen. The father of her foster child had been one of those Italians who had grown up remembering the glorious history of their homeland; one of those men who sacrificed themselves to bring freedom to their fatherland. Auch er fiel seiner Leidenschaft zum Opfer. He too fell victim to his passion. Ob er starb oder ob er noch in einem der Gefängnisse Österreichs schmachtete, wußte man nicht. It was not known whether he died or whether he was still languishing in one of Austria's prisons. Jedenfalls waren seine Güter konfisziert worden und sein Kind war ein Bettelkind geworden. In any case, his goods had been confiscated and his child had become a pauper. Es blieb bei seinen Pflegeeltern und blühte in der rauhen Umgebung schöner wie eine Rose zwischen dunkelfarbigem Unkraut.

Als mein Vater von Mailand zurückkehrte, fand er mich auf dem Vorplatze unserer Villa mit der Kleinen spielend, die schön war wie ein Cherub; ein Wesen, aus dessen Augen wundervolle Strahlen leuchteten und das schlank und beweglich war wie eine Gemse. When my father returned from Milan, he found me in the forecourt of our villa playing with the little girl, who was as pretty as a cherub; a being whose eyes shone with wonderful rays, and who was slender and agile like a chamois. Die Angelegenheit war bald geregelt. The matter was soon settled. Mit Erlaubnis meines Vaters vermochte die Mutter die armen Leute rasch zu bewegen, ihr die Obhut über das Kind zu überlassen. With my father's permission, the mother quickly persuaded the poor people to let her take care of the child. Sie konnten die arme, süße Waise gut leiden und sie war ihnen immer wie ein Sonnenschein im Hause gewesen; deshalb hätten sie es nicht übers Herz gebracht, sie in Not und Elend zurückzuhalten, während ihr die Vorsehung ein solches Glück bescherte. They liked the poor, sweet orphan, and she had always been like sunshine in their home; therefore they would not have had the heart to restrain her in distress and misery while Providence bestowed upon her such happiness. Sie fragten noch den Priester des Ortes um Rat, und das Resultat dieser Unterredung war, daß Elisabeth Lavenza ihren Einzug in das Haus meiner Eltern hielt. They asked the local priest for advice, and the result of this conversation was that Elisabeth Lavenza moved into my parents' house. Sie wurde mir lieber als eine Schwester – die liebliche, angebetete Gefährtin meines Schaffens und meiner Erholung. She became dearer to me than a sister - the lovely, adored companion of my creation and recreation.

Jeder hatte Elisabeth gern. Die Liebe und Verehrung, mit der sie alle bedachten, die ihr näher traten, war mein Stolz und meine Freude. The love and reverence she bestowed upon all who approached her was my pride and joy. Am Vorabend des Tages, an dem Elisabeth zu uns kam, sagte meine Mutter zu mir: »Ich habe ein reizendes Geschenk für meinen Viktor, morgen sollst du es haben.« Und als sie am Morgen das Kind mir als die versprochene Gabe zeigte, faßte ich voll kindlichen Ernstes ihre Worte so auf, daß Elisabeth mein sei, um sie zu schützen, zu lieben und zu verhätscheln. On the eve of the day Elisabeth came to see us, my mother said to me: "I have a lovely present for my Viktor, you shall have it tomorrow." And when she showed me the child in the morning as the promised gift, I took it I took her words, full of childish seriousness, that Elisabeth was mine, in order to protect, love and pamper her. Jedes Lob, das der Kleinen galt, nahm ich so auf, als sei es ein Lob meines Eigentums. Any praise given to the little one I took as if it were a praise of my property. Wir nannten einander beim Vornamen. We called each other by their first names. Kein Wort ist imstande zu schildern, was wir uns waren, um so mehr als sie bis zu ihrem Tode meine einzige Schwester sein sollte. No word can describe what we were to each other, all the more so since she was to be my only sister until her death. Ninguna palabra puede describir lo que éramos el uno para el otro, tanto más cuanto que ella sería mi única hermana hasta su muerte.