Die Musik des Erich Zann - 03
Erbärmlich zitternd zwang mich der alte Mann auf einen Stuhl, während er auf einen anderen sank, neben dem sein Cello und der Bogen achtlos auf dem Boden lagen. Er saß für einige Zeit still, merkwürdig nickend, doch mit der paradoxen Andeutung angestrengten und bangen Zuhörens. Später schien er zufrieden gestellt, durchquerte den Raum zu einem Stuhl beim Tisch, schrieb eine kurze Notiz, übergab sie mir und kehrte zum Tisch zurück, wo er begann, zügig und unaufhörlich zu schreiben. Die Notiz bat mich inständig bei aller Gnade und meiner eigenen Neugier halber hier zu warten, während er einen vollständigen Bericht in Deutsch über all die Wunder und Schrecken, die ihn heimsuchten verfasste. Ich wartete und des stummen Mannes Bleistift flog über das Papier.
Es war vielleicht eine Stunde später, während ich noch immer wartete und die fieberhaft beschriebenen Zettel des alten Musikers sich nach wie vor auftürmten, dass ich sah, wie Zann zusammenzuckte als wie durch die Spur einer fürchterlichen Erschütterung. Zweifellos schaute er zu dem verhangenen Fenster und lauschte schaudernd. Dann glaubte ich fast, selbst einen Ton zu vernehmen, obwohl es sich nicht um einen schrecklichen Ton handelte, sondern eine exquisite tiefe und unendlich entfernte Note, die einen Spieler in einem der benachbarten Häuser oder in einem Domizil jenseits der stolzen Mauer die ich noch nie hatte überblicken können suggerierte. Auf Zann wirkte ihr Einfluss entsetzlich, denn er ließ seinen Stift fallen und erhob er sich plötzlich, ergriff sein Cello und begann, die Stille der Nacht mit dem wildesten Spiel zu zerreißen, das ich je aus seinem Bogen vernommen hatte, außer beim Lauschen an der versperrten Tür.
Es wäre zwecklos, das wilde Spiel Erich Zanns in dieser entsetzlichen Nacht zu beschreiben. Es war fürchterlicher als alles, was ich je überhört hatte, da ich nun den Ausdruck in seinem Gesicht sehen und erkennen konnte, dass sein Antrieb in blanker Furcht lag. Er versuchte, Lärm zu machen um etwas zu bannen oder etwas zu übertönen --- was es war, konnte ich nicht ermessen, doch fühlte ich, dass es furchteinflößend sein musste. Das Spiel wurde fantastisch, wahnsinnig und hysterisch, doch behielt es bis zuletzt die Qualitäten höchsten Genies, die nach meinem Wissen diesem alten Manne innewohnten. Ich erkannte die Melodie --- es war ein wilder Ungarischer Tanz, beliebt in den Theatern und ich sann für einen Moment darüber, dass dies das erste Mal war, dass ich Zann je das Werk eines anderen Komponisten hatte spielen hören.
Lauter und Lauter, wilder und wilder schwoll das Schreien und Heulen des verzweifelten Cellos. Der Spieler troff vor unheimlichem Schweiß und verdrehte sich wie ein Affe, immerfort krampfhaft zu dem abgehängten Fenster starrend. In seinen fieberhaften Strapazen konnte ich beinahe schemenhafte Satyrn und Bacchanalien erkennen, tanzend und irrsinnig durch siedende Abgründe aus Wolken, Rauch und Blitzen wirbelnd. Und dann glaubte ich, eine schrillere, beständigere Note zu hören, die nicht von dem Cello kam, eine ruhige, bedachte, zielgerichtete, spöttische Note aus weiter Ferne im Westen.
In diesem Augenblick begannen die Fensterläden zu klappern im heulenden Nachtwind, der draußen wie in einer Antwort auf das wahnsinnige Spiel drinnen aufgekommen war. Zanns schreiendes Cello übertraf sich nun selbst und gab Töne von sich, von denen ich nie gedacht hätte, dass ein Cello sie von sich geben könne. Die Läden klapperten lauter, lösten sich und begannen gegen das Fenster zu schlagen. Dann brach das Glas klirrend unter den anhaltenden Schlägen und der kalte Wind drang herein, ließ die Kerzen flackern und die Blätter auf dem auf Tisch rasseln, wo Zann begonnen hatte, sein schreckliches Geheimnis niederzuschreiben. Ich schaute zu Zann und sah, dass er sich jenseits aller bewussten Wahrnehmung befand. Seine blauen Augen waren hervorgetreten, glasig und ohne Sehkraft und das hektische Spiel war zu einer blinden, mechanischen, unkenntlichen Orgie geworden, die keine Feder nur ansatzweise beschreiben könnte.
Ein plötzlicher Windstoß, stärker als die vorigen, wehte das Manuskript auf und zum Fenster hin. Ich folgte den umherfliegenden Blättern in Verzweiflung, doch waren sie davon bevor ich die zerschmetterten Scheiben erreichte. Da erinnerte ich mich meines alten Wunsches, aus diesem Fenster zu schauen, dem einzigen Fenster in der Rue d'Auseil von dem aus man den Abhang jenseits der Mauer und die sich darunter erstreckende Stadt betrachten konnte. Es war sehr dunkel, doch die Lichter der Stadt brannten immer und ich erwartete, sie dort zwischen Wind und Regen zu sehen. Doch als ich aus diesem höchsten aller Giebelfenster schaute, während die Kerzen flackerten und das Cello mit dem Nachtwind heulte, sah ich keine Stadt vor mir ausgebreitet und keine freundlichen Lichter aus mir bekannten Straßen leuchten sondern nur die Schwärze unermesslichen Raumes, unvorstellbaren Raumes, lebendig vor Bewegung und Musik und ohne jede Ähnlichkeit zu allem Irdischen. Und wie ich vor Entsetzen starrend dastand, blies der Wind die Kerzen in dem uralten, spitzen Dachzimmer aus und ließ mich in schonungsloser und undurchdringlicher Dunkelheit, mit Chaos und Pandämonium vor mir und dem dämonischen Wahnsinn des die Nacht anbellenden Cellos hinter mir.
Ich taumelte im Dunkel zurück, ohne die Möglichkeit, ein Licht anzufachen, stieß gegen den Tisch, warf einen Stuhl um und tastete mich schließlich zurück zu dem Ort, wo die Schwärze vor entsetzlicher Musik schrie. Mich selbst und Erich Zann zu retten konnte ich zumindest versuchen, trotz aller Kräfte, die mir entgegenstanden. Einmal glaubte ich, von einem kalten Ding gestreift zu werden und schrie, doch mein Schrei war unter dem abscheulichen Cello nicht zu hören. Plötzlich schlug mich aus der Dunkelheit der wild sägende Bogen und ich wusste, ich war seinem Spieler nahe. Ich tastete mich vor und fühlte die Rückseite von Zanns Stuhl und dann fand und schüttelte ich seine Schulter im Bemühen, ihn zu Verstand zu bringen.
Er reagierte nicht und immer noch kreischte das Cello ohne Unterlass. ich bewegte meine Hand zu seinem Kopf, dessen mechanisches Nicken ich anhalten konnte und rief in sein Ohr, dass wir beide vor diesen unbekannten Dingen der Nacht fliehen müssten. Doch weder antwortete er mir, noch verminderte er die Raserei seiner unbeschreiblichen Musik, während durch den ganzen Dachboden fremdartige Windströme in Dunkel und Chaos zu tanzen schiene. Als meine Hand sein Ohr berührte, erzitterte ich, doch ich konnte nicht sagen warum --- bis ich sein regungsloses Gesicht fühlte, das eiskalte, versteifte, atemlose Gesicht, dessen glasige Augen nutzlos in die Leere starrten. Und dann, wie durch ein Wunder fand ich die Tür und den großen, hölzernen Riegel und stürzte unbändig hinweg von dem gläsern blickenden Ding im Dunkeln und von dem schaurigen Geheul dieses verfluchten Cellos, dessen Heftigkeit sich noch steigerte, sogar als ich floh.
Springend, Gleitend, Fliegend die endlosen Treppen durch das dunkle Haus herab; ohne zu überlegen raus in die enge, steile und uralte Straße aus Stufen und wankenden Häusern rennend; die Stufen hinab und über Kopfstein klappernd zu den unteren Straßen und dem fauligen, von Häuserschluchten eingefassten Fluss; hechelnd über die große, dunkle Brücke zu den breiteren, heilsameren Straßen und bekannten Boulevards; all diese erschreckenden Eindrücke verweilen in mir. Und ich erinnere mich, dass es windstill war und das kein Mond am Himmel stand und dass alle Lichter der Stadt flimmerten.
Trotz meiner sorgfältigsten Suchen und Untersuchungen, war ich seither nicht im Stande die Rue d'Auseil zu finden. Aber es tut mir nicht gänzlich leid, weder darum, noch um den Verlust in traumlosen Abgründen, der eng beschriebenen Blätter, die alleine dazu in der Lage gewesen wären, eine Erklärung zu liefern für die Musik des Erich Zann.