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Die schwarze Spinne - Jeremias Gotthelf, Die schwarze Spinne - 17

Die schwarze Spinne - 17

So war es spät geworden, ehe er auf Sumiswald kam. Schwarze Wolken jagten über den Münneberg her, schwere Tropfen fielen, vermengten im Staube, und dumpf begann das Glöcklein im Turme die Menschen zu mahnen, daß sie denken möchten an Gott und ihn bitten, daß er sein Gewitter nicht zum Gerichte werden lasse über sie. Vor seinem Hause stand der Priester, zu jeglichem Gange gerüstet, damit er bereit sei, wenn sein Herr, der über seinem Haupte daherfuhr, zu einem Sterbenden oder einem brennenden Hause oder sonstwohin ihn rufe. Als er Hans kommen sah, erkannte er den Ruf zum schweren Gange, schürzte sein Gewand und sandte Botschaft seinem läutenden Sigrist, daß er sich ablösen lasse am Glockenstrang und sich einfinde zu seinem Begleit. Unterdessen stellte er Hans einen Labetrunk vor, so wohltätig nach raschem Laufe in schwüler Luft, dessen Hans nicht bedürftig war, aber der Priester ahnte die Tücke des Menschen nicht. Bedächtig labte sich Hans. Zögernd fand der Sigrist sich ein und nahm gerne teil an dem Tranke, den Hans ihm bot. Gerüstet stand vor ihnen der Priester, verschmähend jeden Trank, den er zu solchem Gang und Kampf nicht bedurfte. Er hieß ungerne von der Kanne weggehen, die er aufgestellt, ungerne verletzte er die Rechte des Gastes, aber er kannte ein Recht, das höher war als das Gastrecht, das säumige Trinken fuhr ihm zornig durch die Glieder.

Er sei fertig, sagte er endlich, ein bekümmert Weib harre, und über ihm sei eine grauenvolle Untat, und zwischen das Weib und die Untat müßte er stehn mit heiligen Waffen, darum sollten sie nicht säumen, sondern kommen, droben werde wohl noch etwas sein für den, der den Durst hier unten nicht gelöscht. Da sprach Hans, des harrenden Weibes Mann, es eile nicht so sehr, bei seinem Weibe gehe jede Sache schwer. Und alsobald flammte ein Blitz in die Stube, daß alle geblendet waren, und ein Donner brach los überm Hause, daß jeder Posten am Haus, jedes Glied im Hause bebte. Da sprach der Sigrist, als er seinen Segenspruch vollendet. ›Hört, wie es macht draußen, und der Himmel hat selbst bestätigt, was Hans gesagt, daß wir warten sollen, und was nützte es, wenn wir gingen, lebendig kämen wir doch nimmer hinauf, und er selbst hat ja gesagt, daß es bei seinem Weibe nicht solche Eile habe. ‹ Und allerdings stürmte ein Gewitter daher, wie man in Menschengedenken nicht oft erlebt. Aus allen Schlünden und Gründen stürmte es heran, stürmte von allen Seiten, von allen Winden getrieben über Sumiswald zusammen, und jede Wolke ward zum Kriegesheer, und eine Wolke stürmte an die andere, eine Wolke wollte der andern Leben, und eine Wolkenschlacht begann, und das Gewitter stund, und Blitz auf Blitz ward entbunden, und Blitz auf Blitz schlug zur Erde nieder, als ob sie sich einen Durchgang bahnen wollten durch der Erde Mitte auf der Erde andere Seite. Ohne Unterlaß brüllte der Donner, zornesvoll heulte der Sturm, geborsten war der Wolken Schoß, Fluten stürzten nieder. Als so plötzlich und gewaltig die Wolkenschlacht losbrach, da hatte der Priester dem Sigristen nicht geantwortet, aber sich nicht niedergesetzt, und ein immer steigendes Bangen ergriff ihn, ein Drang kam ihn an, sich hinauszustürzen in der Elemente Toben, aber seiner Gefährten wegen zauderte er. Da ward ihm, als höre er durch des Donners schreckliche Stimme eines Weibes markdurchschneidenden Weheruf. Da ward ihm plötzlich der Donner zu Gottes schrecklichem Scheltwort seiner Säumnis, er machte sich auf, was auch die beiden andern sagen mochten. Er schritt, gefaßt auf alles, hinaus in die feurigen Wetter, in des Sturmes Wut, der Wolken Fluten; langsam, unwillig kamen die beiden ihm nach.

Es sauste und brauste und tosete, als sollten diese Töne zusammenschmelzen zur letzten Posaune, die der Welten Untergang verkündet, und feurige Garben fielen über das Dorf, als sollte jede Hütte aufflammen; aber der Diener dessen, der dem Donner seine Stimme gibt und den Blitz zu seinem Knechte hat, hat sich vor diesem Mitknecht des gleichen Herren nicht zu fürchten, und wer auf Gottes Wegen geht, kann getrost Gottes Wettern das Seine überlassen. Darum schritt der Priester unerschrocken durch die Wetter dem Kilchstalden zu, die geweihten heiligen Waffen trug er bei sich, und bei Gott war sein Herz. Aber nicht in gleichem Mute folgten ihm die andern, denn nicht am gleichen Orte war ihr Herz; sie wollten nicht den Kilchstalden ab, nicht in solchem Wetter, nicht in später Nacht, und Hans hatte noch einen besondern Grund, warum er nicht wollte. Sie baten den Priester, umzukehren, auf andern Wegen zu gehen, Hans wußte nähere, der Sigrist bessere, beide warnten vor den Wassern im Tale, der aufgeschwollenen Grüne. Aber der Priester hörte nicht, achtete ihre Rede nicht; von einem wunderbaren Drange getrieben, eilte er auf den Flügeln des Gebetes dem Kilchstalden zu, sein Fuß stieß an keinen Stein, sein Auge ward durch keinen Blitz geblendet; bebend und weit hinter ihm, gedeckt, wie sie meinten, durch das Heiligste, das der Priester selbsten trug, folgten Hans und der Sigrist ihm nach.

Als sie aber hinauskamen vor das Dorf, wo ins Tal hinunter der Stalden sich senkt, da steht der Priester plötzlich still und schirmt mit der Hand die Augen. Unterhalb der Kapelle schimmert in des Blitzes Schein eine rote Feder, und des Priesters scharfes Auge sieht aus grünem Hage hervorragen ein schwarzes Haupt, und auf diesem schwankt die rote Feder. Und wie er noch länger schaut, sieht er am jenseitigen Abhange in schnellstem Laufe, wie gejagt von des Windes wildestem Stoße, daherfliegen eine wilde Gestalt dem dunkeln Haupte zu, auf dem einer Fahne gleich die rote Feder schwankte.


Die schwarze Spinne - 17 The black spider - 17 A Aranha Negra - 17

So war es spät geworden, ehe er auf Sumiswald kam. Thus it was late before he came to Sumiswald. Schwarze Wolken jagten über den Münneberg her, schwere Tropfen fielen, vermengten im Staube, und dumpf begann das Glöcklein im Turme die Menschen zu mahnen, daß sie denken möchten an Gott und ihn bitten, daß er sein Gewitter nicht zum Gerichte werden lasse über sie. Black clouds raced across over the Münneberg, heavy drops of rain fell, hissing in the hot dust, and the little bell in the church-tower began its hollow ringing to admonish the people to think of God and to beg that His storm should not become a judgment upon them. Vor seinem Hause stand der Priester, zu jeglichem Gange gerüstet, damit er bereit sei, wenn sein Herr, der über seinem Haupte daherfuhr, zu einem Sterbenden oder einem brennenden Hause oder sonstwohin ihn rufe. The priest stood in front of his house, prepared for any journey to his parishioners, and ready to set out to a dying man, to a burning house or whatever else it might be, if his Master, Who was moving above him across the heavens, should call upon him. Als er Hans kommen sah, erkannte er den Ruf zum schweren Gange, schürzte sein Gewand und sandte Botschaft seinem läutenden Sigrist, daß er sich ablösen lasse am Glockenstrang und sich einfinde zu seinem Begleit. When he saw Hans coming he recognized that this was a call to a difficult task; he wrapped his robes firmly about him and sent word to his sexton that he should find someone else to take his place as bell-ringer. Unterdessen stellte er Hans einen Labetrunk vor, so wohltätig nach raschem Laufe in schwüler Luft, dessen Hans nicht bedürftig war, aber der Priester ahnte die Tücke des Menschen nicht. In the meantime he provided Hans with a cool drink which would be so refreshing after the quick walk in the sultry atmosphere, though Hans had no need of it; but the priest did not suspect the man’s deceitfulness. Bedächtig labte sich Hans. Hans took his refreshment slowly and deliberately. Zögernd fand der Sigrist sich ein und nahm gerne teil an dem Tranke, den Hans ihm bot. The sexton appeared, but in no hurry, and gladly shared in the drink which Hans offered him. Gerüstet stand vor ihnen der Priester, verschmähend jeden Trank, den er zu solchem Gang und Kampf nicht bedurfte. The priest stood accoutred before them, scorning any drink which he did not need for the walk and the struggle ahead. Er hieß ungerne von der Kanne weggehen, die er aufgestellt, ungerne verletzte er die Rechte des Gastes, aber er kannte ein Recht, das höher war als das Gastrecht, das säumige Trinken fuhr ihm zornig durch die Glieder. He did not like to tell anyone to leave the drink he had before him and to infringe a guest’s privileges, but he knew a law which was higher than the law of hospitality, and this leisurely drinking made him impatient with anger.

Er sei fertig, sagte er endlich, ein bekümmert Weib harre, und über ihm sei eine grauenvolle Untat, und zwischen das Weib und die Untat müßte er stehn mit heiligen Waffen, darum sollten sie nicht säumen, sondern kommen, droben werde wohl noch etwas sein für den, der den Durst hier unten nicht gelöscht. At last he told them that he was ready, that a distressed woman was waiting and that an appalling misdeed was threatening them; he would have to come between the woman and the evil deed with his holy weapons, and therefore they were to come without further delay; up above there would still be something for the man who had not quenched his thirst here below. Da sprach Hans, des harrenden Weibes Mann, es eile nicht so sehr, bei seinem Weibe gehe jede Sache schwer. Then Hans, the husband of the woman who was waiting, replied that there was no particular hurry, as his wife was slow and had difficulties about everything. Und alsobald flammte ein Blitz in die Stube, daß alle geblendet waren, und ein Donner brach los überm Hause, daß jeder Posten am Haus, jedes Glied im Hause bebte. And at once a flash of lightning burst into the room so that they were all blinded by it, and a clap of thunder sounded over the house so that every post and beam trembled. Da sprach der Sigrist, als er seinen Segenspruch vollendet. Then after he had finished his prayer of blessing the sexton said: ›Hört, wie es macht draußen, und der Himmel hat selbst bestätigt, was Hans gesagt, daß wir warten sollen, und was nützte es, wenn wir gingen, lebendig kämen wir doch nimmer hinauf, und er selbst hat ja gesagt, daß es bei seinem Weibe nicht solche Eile habe. ‘Hark at the weather outside; the heavens themselves have confirmed what Hans said, that we ought to wait, and what use would it be if we did go, we should never get there alive, and after all he said himself that there would be no need to hurry in the case of his wife.’ ‹ Und allerdings stürmte ein Gewitter daher, wie man in Menschengedenken nicht oft erlebt. And truly the storm was pelting down in a way that is seldom seen more than once in a lifetime. Aus allen Schlünden und Gründen stürmte es heran, stürmte von allen Seiten, von allen Winden getrieben über Sumiswald zusammen, und jede Wolke ward zum Kriegesheer, und eine Wolke stürmte an die andere, eine Wolke wollte der andern Leben, und eine Wolkenschlacht begann, und das Gewitter stund, und Blitz auf Blitz ward entbunden, und Blitz auf Blitz schlug zur Erde nieder, als ob sie sich einen Durchgang bahnen wollten durch der Erde Mitte auf der Erde andere Seite. It was raging from every cleft and valley, from all sides, and from all quarters the winds were driving in upon Sumiswald, and every cloud became an army of warriors, and one cloud stormed upon another, one cloud wanted the other cloud’s life, and a battle of the clouds began, and the storm stood its ground, and flash after flash of lightning was let loose, and flash after flash was slung down to earth as if the lightning were trying to cut a passage down through the centre of the earth and out on to the other side. Ohne Unterlaß brüllte der Donner, zornesvoll heulte der Sturm, geborsten war der Wolken Schoß, Fluten stürzten nieder. The thunder roared without intermission, the storm howled angrily, the clouds’ belly burst open, and floods poured down. Als so plötzlich und gewaltig die Wolkenschlacht losbrach, da hatte der Priester dem Sigristen nicht geantwortet, aber sich nicht niedergesetzt, und ein immer steigendes Bangen ergriff ihn, ein Drang kam ihn an, sich hinauszustürzen in der Elemente Toben, aber seiner Gefährten wegen zauderte er. When the battle of the clouds broke out so suddenly and violently, the priest had not answered the sexton, but neither had he sat down; an ever mounting anxiety seized hold of him, and an urge came upon him to plunge out into the raging of the elements, though he hesitated on account of his companions. Da ward ihm, als höre er durch des Donners schreckliche Stimme eines Weibes markdurchschneidenden Weheruf. Then he seemed to hear above the terrible voice of the thunder the piercing cry of a woman in labour. Da ward ihm plötzlich der Donner zu Gottes schrecklichem Scheltwort seiner Säumnis, er machte sich auf, was auch die beiden andern sagen mochten. Then the thunder appeared to him all at once as God’s terrible reproach for his delay; he prepared to set out, whatever the other two might say. Er schritt, gefaßt auf alles, hinaus in die feurigen Wetter, in des Sturmes Wut, der Wolken Fluten; langsam, unwillig kamen die beiden ihm nach. Ready for whatever might come, he stepped out into the fiery raging of the tempest and the downpour from the clouds; the two others followed slowly and reluctantly behind him.

Es sauste und brauste und tosete, als sollten diese Töne zusammenschmelzen zur letzten Posaune, die der Welten Untergang verkündet, und feurige Garben fielen über das Dorf, als sollte jede Hütte aufflammen; aber der Diener dessen, der dem Donner seine Stimme gibt und den Blitz zu seinem Knechte hat, hat sich vor diesem Mitknecht des gleichen Herren nicht zu fürchten, und wer auf Gottes Wegen geht, kann getrost Gottes Wettern das Seine überlassen. There was a roaring and whistling and raging, as if these sounds were to fuse into the last trump heralding the end of the world, and sheaves of fire fell upon the village, as if every house were to burst into flames; but the servant of Him Who gives His voice to the thunder and uses the lightning as His servant need have no fear of this fellow-servant of the same Lord, and whoever goes on God’s errands can confidently leave God’s weather to take care of itself. Darum schritt der Priester unerschrocken durch die Wetter dem Kilchstalden zu, die geweihten heiligen Waffen trug er bei sich, und bei Gott war sein Herz. Hence the priest walked fearlessly through the storm to the Kilch­stalden, carrying with him the hallowed holy weapons, and his heart was with God. Aber nicht in gleichem Mute folgten ihm die andern, denn nicht am gleichen Orte war ihr Herz; sie wollten nicht den Kilchstalden ab, nicht in solchem Wetter, nicht in später Nacht, und Hans hatte noch einen besondern Grund, warum er nicht wollte. But the others did not follow him with the same courage, for their hearts were not in the same place; they did not wish to go down the Kilchstalden, not in such weather and at such an hour, and, what is more, Hans had a special reason to be reluctant. Sie baten den Priester, umzukehren, auf andern Wegen zu gehen, Hans wußte nähere, der Sigrist bessere, beide warnten vor den Wassern im Tale, der aufgeschwollenen Grüne. They begged the priest to turn back, to go another way: Hans knew a nearer path, while the sexton knew a better one, and both warned him against the floods in the valley from the swollen river Grüne. Aber der Priester hörte nicht, achtete ihre Rede nicht; von einem wunderbaren Drange getrieben, eilte er auf den Flügeln des Gebetes dem Kilchstalden zu, sein Fuß stieß an keinen Stein, sein Auge ward durch keinen Blitz geblendet; bebend und weit hinter ihm, gedeckt, wie sie meinten, durch das Heiligste, das der Priester selbsten trug, folgten Hans und der Sigrist ihm nach. But the priest did not hear and took no notice of what they said; urged on by an unaccountable impulse, he hastened towards the Kilchstalden on the wings of prayer, no stone catching his feet and no lightning blinding his eyes; Hans and the sexton followed behind trembling, and protected, as they thought, by the holy sacraments which the priest himself was carrying.

Als sie aber hinauskamen vor das Dorf, wo ins Tal hinunter der Stalden sich senkt, da steht der Priester plötzlich still und schirmt mit der Hand die Augen. But when they arrived in view of the village, where the slope goes down to the valley below, the priest suddenly halts and puts his hand over his eyes for protection. Unterhalb der Kapelle schimmert in des Blitzes Schein eine rote Feder, und des Priesters scharfes Auge sieht aus grünem Hage hervorragen ein schwarzes Haupt, und auf diesem schwankt die rote Feder. Beyond the shrine a red feather gleams in the light of the lightning, and the priest’s sharp eye sees a black head rearing up from the green hedgerow, and on the head the red feather. Und wie er noch länger schaut, sieht er am jenseitigen Abhange in schnellstem Laufe, wie gejagt von des Windes wildestem Stoße, daherfliegen eine wilde Gestalt dem dunkeln Haupte zu, auf dem einer Fahne gleich die rote Feder schwankte. And as he goes on looking, he sees a wild figure coming down the opposite slope in rapid flight, as if driven by the wind’s wild fury, hastening towards the dark head upon which the red feather was swaying like a flag.