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Friedrich Wilhelm Nietzsche: Also sprach Zarathustra, Erster Teil: Die Reden Zarathustras - Von der schenkenden Tugend 1

Erster Teil: Die Reden Zarathustras - Von der schenkenden Tugend 1

Von der schenkenden Tugend

1.

Als Zarathustra von der Stadt Abschied genommen hatte, welcher sein Herz zugethan war und deren Name lautet: "die bunte Kuh" - folgten ihm Viele, die sich seine Jünger nannten und gaben ihm das Geleit. Also kamen sie an einen Kreuzweg: da sagte ihnen Zarathustra, dass er nunmehr allein gehen wolle; denn er war ein Freund des Alleingehens. Seine Jünger aber reichten ihm zum Abschiede einen Stab, an dessen goldnem Griffe sich eine Schlange um die Sonne ringelte. Zarathustra freute sich des Stabes und stützte sich darauf; dann sprach er also zu seinen Jüngern.

Sagt mir doch: wie kam Gold zum höchsten Werthe? Darum, dass es ungemein ist und unnützlich und leuchtend und mild im Glanze; es schenkt sich immer.

Nur als Abbild der höchsten Tugend kam Gold zum höchsten Werthe. Goldgleich leuchtet der Blick dem Schenkenden. Goldes-Glanz schliesst Friede zwischen Mond und Sonne.

Ungemein ist die höchste Tugend und unnützlich, leuchtend ist sie und mild im Glanze: eine schenkende Tugend ist die höchste Tugend.

Wahrlich, ich errathe euch wohl, meine Jünger: ihr trachtet, gleich mir, nach der schenkenden Tugend. Was hättet ihr mit Katzen und Wölfen gemeinsam?

Das ist euer Durst, selber zu Opfern und Geschenken zu werden: und darum habt ihr den Durst, alle Reichthümer in euren Seele zu häufen.

Unersättlich trachtet eure Seele nach Schätzen und Kleinodien, weil eure Tugend unersättlich ist im Verschenken-Wollen.

Ihr zwingt alle Dinge zu euch und in euch, dass sie aus eurem Borne zurückströmen sollen als die Gaben eurer Liebe.

Wahrlich, zum Räuber an allen Werthen muss solche schenkende Liebe werden; aber heil und heilig heisse ich diese Selbstsucht.

Eine andre Selbstsucht giebt es, eine allzuarme, eine hungernde, die immer stehlen will, jene Selbstsucht der Kranken, die kranke Selbstsucht.

Mit dem Auge des Diebes blickt sie auf alles Glänzende; mit der Gier des Hungers misst sie Den, der reich zu essen hat; und immer schleicht sie um den Tisch der Schenkenden.

Krankheit redet aus solcher Begierde und unsichtbare Entartung; von siechem Leibe redet die diebische Gier dieser Selbstsucht.

Sagt mir, meine Brüder: was gilt uns als Schlechtes und Schlechtestes? Ist es nicht Entartung ? - Und auf Entartung rathen wir immer, wo die schenkende Seele fehlt.

Aufwärts geht unser Weg, von der Art hinüber zur Über-Art. Aber ein Grauen ist uns der entartende Sinn, welcher spricht: "Alles für mich." Aufwärts fliegt unser Sinn: so ist er ein Gleichniss unsres Leibes, einer Erhöhung Gleichniss. Solcher Erhöhungen Gleichnisse sind die Namen der Tugenden.

Also geht der Leib durch die Geschichte, ein Werdender und ein Kämpfender. Und der Geist - was ist er ihm? Seiner Kämpfe und Siege Herold, Genoss und Wiederhall.

Gleichnisse sind alle Namen von Gut und Böse: sie sprechen nicht aus, sie winken nur. Ein Thor, welcher von ihnen Wissen will!

Achtet mir, meine Brüder, auf jede Stunde, wo euer Geist in Gleichnissen reden will: da ist der Ursprung eurer Tugend.

Erhöht ist da euer Leib und auferstanden; mit seiner Wonne entzückt er den Geist, dass er Schöpfer wird und Schätzer und Liebender und aller Dinge Wohlthäter.

Wenn euer Herz breit und voll wallt, dem Strome gleich, ein Segen und eine Gefahr den Anwohnenden: da ist der Ursprung eurer Tugend.

Wenn ihr erhaben seid über Lob und Tadel, und euer Wille allen Dingen befehlen will, als eines Liebenden Wille: da ist der Ursprung eurer Tugend.

Wenn ihr das Angenehme verachtet und das weiche Bett, und von den Weichlichen euch nicht weit genug betten könnt: da ist der Ursprung eurer Tugend.

Wenn ihr Eines Willens Wollende seid, und diese Wende aller Noth euch Nothwendigkeit heisst: da ist der Ursprung eurer Tugend.

Wahrlich, ein neues Gutes und Böses ist sie! Wahrlich, ein neues tiefes Rauschen und eines neuen Quelles Stimme!

Macht ist sie, diese neue Tugend; ein herrschender Gedanke ist sie und um ihn eine kluge Seele: eine goldene Sonne und um sie die Schlange der Erkenntniss.


Erster Teil: Die Reden Zarathustras - Von der schenkenden Tugend 1 Part One: The Speeches of Zarathustra - Of the Bestowing Virtue 1 Primera parte: Los discursos de Zaratustra - De la virtud dadivosa 1

Von der schenkenden Tugend Da virtude que confere

1.

Als Zarathustra von der Stadt Abschied genommen hatte, welcher sein Herz zugethan war und deren Name lautet: "die bunte Kuh" - folgten ihm Viele, die sich seine Jünger nannten und gaben ihm das Geleit. When Zarathustra had bid farewell to the city to which his heart was attached, and whose name is "the colored cow," many who called themselves his disciples followed him and gave him the escort. Quando Zaratustra se despediu da cidade à qual seu coração era devoto e cujo nome é: "a vaca matizada" - muitos que se diziam seus discípulos o seguiram e o acompanharam. Also kamen sie an einen Kreuzweg: da sagte ihnen Zarathustra, dass er nunmehr allein gehen wolle; denn er war ein Freund des Alleingehens. So they came to a crossroad: then Zarathustra told them that he now wanted to go alone; because he was a friend of being alone. Eles chegaram ao caminho da cruz: ali Zaratustra disse-lhes que agora iria sozinho; porque ele era amigo de ir sozinho. Seine Jünger aber reichten ihm zum Abschiede einen Stab, an dessen goldnem Griffe sich eine Schlange um die Sonne ringelte. Seus discípulos, no entanto, entregaram-lhe um bastão para se despedir, em cujo cabo dourado uma cobra se enrolava ao redor do sol. Zarathustra freute sich des Stabes und stützte sich darauf; dann sprach er also zu seinen Jüngern. Zaratustra ficou encantado com o cajado e apoiou-se nele; então ele falou assim aos seus discípulos.

Sagt mir doch: wie kam Gold zum höchsten Werthe? Diga-me: como o ouro obteve seu valor mais alto? Darum, dass es ungemein ist und unnützlich und leuchtend und mild im Glanze; es schenkt sich immer. Because it is uncommon and useless and luminous and mild in luster; it's always a gift. Que é incomum e inútil e luminoso e suave em seu brilho; ele sempre se dá.

Nur als Abbild der höchsten Tugend kam Gold zum höchsten Werthe. Goldgleich leuchtet der Blick dem Schenkenden. Like gold, the gaze lights up the giver. O olhar do doador brilha como ouro. Goldes-Glanz schliesst Friede zwischen Mond und Sonne. Golden splendor makes peace between moon and sun. O brilho do ouro faz a paz entre a lua e o sol.

Ungemein ist die höchste Tugend und unnützlich, leuchtend ist sie und mild im Glanze: eine schenkende Tugend ist die höchste Tugend.

Wahrlich, ich errathe euch wohl, meine Jünger: ihr trachtet, gleich mir, nach der schenkenden Tugend. Na verdade, meus discípulos, acho que vocês bem: vocês buscam, como eu, a virtude que os confere. Was hättet ihr mit Katzen und Wölfen gemeinsam? O que você teria em comum com gatos e lobos?

Das ist euer Durst, selber zu Opfern und Geschenken zu werden: und darum habt ihr den Durst, alle Reichthümer in euren Seele zu häufen. This is your thirst to become sacrifices and gifts yourself: and therefore you have the thirst to heap all riches in your soul. Essa é a sua sede de se tornarem sacrifícios e presentes: e é por isso que você tem a sede de acumular todas as riquezas de sua alma.

Unersättlich trachtet eure Seele nach Schätzen und Kleinodien, weil eure Tugend unersättlich ist im Verschenken-Wollen.

Ihr zwingt alle Dinge zu euch und in euch, dass sie aus eurem Borne zurückströmen sollen als die Gaben eurer Liebe. You compel all things to you and in you that they should stream back from your well as the gifts of your love. Você força todas as coisas para você e dentro de você, para que fluam de volta de sua vida como presentes de seu amor.

Wahrlich, zum Räuber an allen Werthen muss solche schenkende Liebe werden; aber heil und heilig heisse ich diese Selbstsucht. Truly, the robber of all Werthen must become such a gift of giving; but holy and holy, I call this selfishness.

Eine andre Selbstsucht giebt es, eine allzuarme, eine hungernde, die immer stehlen will, jene Selbstsucht der Kranken, die kranke Selbstsucht. There is another selfishness, too poor, starving, always wanting to steal, that selfishness of the sick, sick selfishness. Existe outro egoísmo, que é muito pobre, que passa fome e sempre tenta roubar, esse egoísmo dos enfermos, o egoísmo doentio.

Mit dem Auge des Diebes blickt sie auf alles Glänzende; mit der Gier des Hungers misst sie Den, der reich zu essen hat; und immer schleicht sie um den Tisch der Schenkenden. With the eye of the thief she looks at everything that shines; with the greed of hunger she measures him who has plenty to eat; and she always sneaks around the table of the givers. Com o olho do ladrão ela olha tudo que brilha; com a ganância da fome mede aquele que tem rico para comer; e ela sempre se esgueira ao redor da mesa do doador.

Krankheit redet aus solcher Begierde und unsichtbare Entartung; von siechem Leibe redet die diebische Gier dieser Selbstsucht. A doença fala de tal desejo e degeneração invisível; a ganância ladra desse egoísmo fala de um cadáver.

Sagt mir, meine Brüder: was gilt uns als Schlechtes und Schlechtestes? Diga-me, meus irmãos, qual é o nosso pior e o pior? Ist es nicht Entartung ? Isn't it degeneration? - Und auf Entartung rathen wir immer, wo die schenkende Seele fehlt. - And on degeneration we always advise where the giving soul is missing. - E sempre aconselhamos sobre degeneração onde falta a alma doadora.

Aufwärts geht unser Weg, von der Art hinüber zur Über-Art. Nosso caminho é ascendente, de espécie em superespécie. Aber ein Grauen ist uns der entartende Sinn, welcher spricht: "Alles für mich." Mas somos temidos pelo sentido degenerado que diz: "Tudo para mim." Aufwärts fliegt unser Sinn: so ist er ein Gleichniss unsres Leibes, einer Erhöhung Gleichniss. Nossa mente voa para cima: portanto, é uma comparação de nosso corpo, uma comparação de exaltação. Solcher Erhöhungen Gleichnisse sind die Namen der Tugenden.

Also geht der Leib durch die Geschichte, ein Werdender und ein Kämpfender. Assim o corpo passa pela história, um devir e outro lutando. Und der Geist - was ist er ihm? Seiner Kämpfe und Siege Herold, Genoss und Wiederhall.

Gleichnisse sind alle Namen von Gut und Böse: sie sprechen nicht aus, sie winken nur. Ein Thor, welcher von ihnen Wissen will! Um tolo que quer saber deles!

Achtet mir, meine Brüder, auf jede Stunde, wo euer Geist in Gleichnissen reden will: da ist der Ursprung eurer Tugend.

Erhöht ist da euer Leib und auferstanden; mit seiner Wonne entzückt er den Geist, dass er Schöpfer wird und Schätzer und Liebender und aller Dinge Wohlthäter. Elevated, there is your body and risen; with his delight he enchants the spirit, that he becomes the creator, the estimator, the lover, and the benefactor of all things. Seu corpo é exaltado e ressuscitado; com seu deleite, ele encanta o espírito, que se torna criador, avaliador, amante e benfeitor de todas as coisas.

Wenn euer Herz breit und voll wallt, dem Strome gleich, ein Segen und eine Gefahr den Anwohnenden: da ist der Ursprung eurer Tugend. When your heart is wide and full, like a stream, a blessing and a danger to the inhabitants: there is the source of your virtue. Quando o seu coração bate largo e cheio, como o rio, uma bênção e um perigo para os moradores: aí está a origem da sua virtude.

Wenn ihr erhaben seid über Lob und Tadel, und euer Wille allen Dingen befehlen will, als eines Liebenden Wille: da ist der Ursprung eurer Tugend. Quando você está acima do elogio e da censura, e sua vontade quer comandar todas as coisas, como a vontade de um amante: aí está a origem de sua virtude.

Wenn ihr das Angenehme verachtet und das weiche Bett, und von den Weichlichen euch nicht weit genug betten könnt: da ist der Ursprung eurer Tugend. Se você despreza as camas agradáveis e macias, e não consegue dormir longe das macias: essa é a origem da sua virtude.

Wenn ihr Eines Willens Wollende seid, und diese Wende aller Noth euch Nothwendigkeit heisst: da ist der Ursprung eurer Tugend. Quando você está disposto a uma vontade, e esta volta de todas as necessidades é chamada de necessidade para você: aí está a origem de sua virtude.

Wahrlich, ein neues Gutes und Böses ist sie! Na verdade, é um novo bem e um mal! Wahrlich, ein neues tiefes Rauschen und eines neuen Quelles Stimme! Truly, a new deep noise and a new source voice! Na verdade, um novo ruído profundo e uma nova voz de fonte!

Macht ist sie, diese neue Tugend; ein herrschender Gedanke ist sie und um ihn eine kluge Seele: eine goldene Sonne und um sie die Schlange der Erkenntniss. Power is it, this new virtue; she is a ruling thought, and around him a wise soul: a golden sun, and around her the serpent of knowledge. É poder, esta nova virtude; é um pensamento dominante e em torno dele uma alma sábia: um sol dourado e ao redor dele a serpente do conhecimento.