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Friedrich Wilhelm Nietzsche: Also sprach Zarathustra, Erster Teil: Die Reden Zarathustras - Von tausend und einem Ziele

Erster Teil: Die Reden Zarathustras - Von tausend und einem Ziele

Von tausend und Einem Ziele

VieIe Länder sah Zarathustra und viele Völker: so entdeckte er vieler Völker Gutes und Böses. Keine grössere Macht fand Zarathustra auf Erden, als gut und böse.

Leben könnte kein Volk, das nicht erst schätzte; will es sich aber erhalten, so darf es nicht schätzen, wie der Nachbar schätzt.

Vieles, das diesem Volke gut hiess, hiess einem andern Hohn und Schmach: also fand ich's. Vieles fand ich hier böse genannt und dort mit purpurnen Ehren geputzt.

Nie verstand ein Nachbar den andern: stets verwunderte sich seine Seele ob des Nachbarn Wahn und Bosheit.

Eine Tafel der Güter hängt über jedem Volke. Siehe, es ist seiner Überwindungen Tafel; siehe, es ist die Stimme seines Willens zur Macht.

Löblich ist, was ihm schwer gilt; was unerlässlich und schwer, heisst gut, und was aus der höchsten Noth noch befreit, das Seltene, Schwerste, - das preist es heilig.

Was da macht, dass es herrscht und siegt und glänzt, seinem Nachbarn zu Grauen und Neide: das gilt ihm das Hohe, das Erste, das Messende, der Sinn aller Dinge.

Wahrlich, mein Bruder, erkanntest du erst eines Volkes Noth und Land und Himmel und Nachbar: so erräthst du wohl das Gesetz seiner Überwindungen und warum es auf dieser Leiter zu seiner Hoffnung steigt.

"Immer sollst du der Erste sein und den Andern vorragen: Niemanden soll deine eifersüchtige Seele lieben, es sei denn den Freund" - diess machte einem Griechen die Seele zittern: dabei gieng er seinen Pfad der Grösse. "Wahrheit reden und gut mit Bogen und Pfeil verkehren" - so dünkte es jenem Volke zugleich lieb und schwer, aus dem mein Name kommt - der Name, welcher mir zugleich lieb und schwer ist. "Vater und Mutter ehren und bis in die Wurzel der Seele hinein ihnen zu Willen sein": diese Tafel der Überwindung hängte ein andres Volk über sich auf und wurde mächtig und ewig damit. "Treue üben und um der Treue Willen Ehre und Blut auch an böse und fährliche Sachen setzen": also sich lehrend bezwang sich ein anderes Volk, und also sich bezwingend wurde es schwanger und schwer von grossen Hoffnungen. Wahrlich, die Menschen gaben sich alles ihr Gutes und Böses. Wahrlich, sie nahmen es nicht, sie fanden es nicht, nicht fiel es ihnen als Stimme vom Himmel.

Werthe legte erst der Mensch in die Dinge, sich zu erhalten, - er schuf erst den Dingen Sinn, einen Menschen-Sinn! Darum nennt er sich "Mensch", das ist: der Schätzende. Schätzen ist Schaffen: hört es, ihr Schaffenden! Schätzen selber ist aller geschätzten Dinge Schatz und Kleinod.

Durch das Schätzen erst giebt es Werth: und ohne das Schätzen wäre die Nuss des Daseins hohl. Hört es, ihr Schaffenden!

Wandel der Werthe, - das ist Wandel der Schaffenden. Immer vernichtet, wer ein Schöpfer sein muss.

Schaffende waren erst Völker und spät erst Einzelne; wahrlich, der Einzelne selber ist noch die jüngste Schöpfung.

Völker hängten sich einst eine Tafel des Guten über sich. Liebe, die herrschen will, und Liebe, die gehorchen will, erschufen sich zusammen solche Tafeln.

Älter ist an der Heerde die Lust, als die Lust am Ich: und so lange das gute Gewissen Heerde heisst, sagt nur das schlechte Gewissen: Ich.

Wahrlich, das schlaue Ich, das lieblose, das seinen Nutzen im Nutzen Vieler will: das ist nicht der Heerde Ursprung, sondern ihr Untergang.

Liebende waren es stets und Schaffende, die schufen Gut und Böse. Feuer der Liebe glüht in aller Tugenden Namen und Feuer des Zorns.

Viele Länder sah Zarathustra und viele Völker: keine grössere Macht fand Zarathustra auf Erden, als die Werke der Liebenden: "gut" und "böse" ist ihr Name. Wahrlich, ein Ungethüm ist die Macht dieses Lobens und Tadelns. Sagt, wer bezwingt es mir, ihr Brüder? Sagt, wer wirft diesem Thier die Fessel über die tausend Nacken?

Tausend Ziele gab es bisher, denn tausend Völker gab es. Nur die Fessel der tausend Nacken fehlt noch, es fehlt das Eine Ziel. Noch hat die Menschheit kein Ziel.

Aber sagt mir doch, meine Brüder: wenn der Menschheit das Ziel noch fehlt, fehlt da nicht auch - sie selber noch? Also sprach Zarathustra.


Erster Teil: Die Reden Zarathustras - Von tausend und einem Ziele Part One: The Speeches of Zarathustra - Of a Thousand and One Goals Primera parte: Los discursos de Zaratustra - De mil y un objetivos Première partie : Les discours de Zarathoustra - De mille et un buts

Von tausend und Einem Ziele Of a thousand and one destinations Mil e um gols

VieIe Länder sah Zarathustra und viele Völker: so entdeckte er vieler Völker Gutes und Böses. Zarathustra saw many lands and many peoples: thus he discovered the good and evil of many peoples. Zaratustra viu muitos países e muitos povos: assim descobriu o bem e o mal de muitos povos. Keine grössere Macht fand Zarathustra auf Erden, als gut und böse. Zarathustra found no greater power on earth than good and evil. Zaratustra não encontrou maior poder na terra do que o bem e o mal.

Leben könnte kein Volk, das nicht erst schätzte; will es sich aber erhalten, so darf es nicht schätzen, wie der Nachbar schätzt. No people could live that did not first appreciate; but if it is to be preserved, it must not be valued as its neighbor values. Ninguém poderia viver sem primeiro apreciar; mas se quiser ser preservado, não deve estimar o que seu vizinho estima.

Vieles, das diesem Volke gut hiess, hiess einem andern Hohn und Schmach: also fand ich's. Many things that were good for this people were scornful and disgraceful for another: that's how I found it. Muito do que era bom para este povo era chamado de desprezo e desgraça para outro: então eu descobri. Vieles fand ich hier böse genannt und dort mit purpurnen Ehren geputzt. I found many things called evil here and plastered with purple honors there. Eu encontrei muitas coisas chamadas de mal aqui e ali decoradas com honras roxas.

Nie verstand ein Nachbar den andern: stets verwunderte sich seine Seele ob des Nachbarn Wahn und Bosheit. Never did one neighbor understand the other; his soul was always astonished at its neighbor's delusion and malice. Um vizinho nunca se entendia: sua alma sempre se maravilhava com a loucura e a malícia do vizinho.

Eine Tafel der Güter hängt über jedem Volke. A table of goods hangs over every people. Siehe, es ist seiner Überwindungen Tafel; siehe, es ist die Stimme seines Willens zur Macht. Behold, it is the tablet of his overcoming; behold, it is the voice of his will to power. Eis que é a mesa de suas conquistas; eis que é a voz de sua vontade de poder.

Löblich ist, was ihm schwer gilt; was unerlässlich und schwer, heisst gut, und was aus der höchsten Noth noch befreit, das Seltene, Schwerste, - das preist es heilig. Praiseworthy is that which is difficult for him; that which is indispensable and difficult is called good, and that which is still liberated from the greatest need, that which is rare and difficult, - this he praises as holy. O que é difícil para ele é louvável; o que é indispensável e difícil chama-se bom, e o que ainda está livre da maior necessidade, do raro, do mais difícil - louva-o santo.

Was da macht, dass es herrscht und siegt und glänzt, seinem Nachbarn zu Grauen und Neide: das gilt ihm das Hohe, das Erste, das Messende, der Sinn aller Dinge. That which makes it reign and triumph and shine, to the horror and envy of its neighbor: that is the high, the first, the measuring, the meaning of all things. O que o faz governar, triunfar e brilhar, para horror e inveja de seus vizinhos: isso se aplica a ele o alto, o primeiro, a medida, o sentido de todas as coisas.

Wahrlich, mein Bruder, erkanntest du erst eines Volkes Noth und Land und Himmel und Nachbar: so erräthst du wohl das Gesetz seiner Überwindungen und warum es auf dieser Leiter zu seiner Hoffnung steigt. Truly, my brother, when you first recognize a people's need and land and heaven and neighbors: then you will guess the law of its overcomings and why it climbs this ladder to its hope. Em verdade, meu irmão, você primeiro reconheceu a angústia de um povo e a terra e o céu e o vizinho: assim você pode adivinhar a lei de sua superação e por que ele sobe esta escada para sua esperança.

"Immer sollst du der Erste sein und den Andern vorragen: Niemanden soll deine eifersüchtige Seele lieben, es sei denn den Freund" - diess machte einem Griechen die Seele zittern: dabei gieng er seinen Pfad der Grösse. «Deves ser sempre o primeiro e sobressair dos outros: a tua alma ciumenta não deve amar ninguém senão o teu amigo» - isso fazia tremer a alma de um grego: seguia o seu caminho de grandeza. "Wahrheit reden und gut mit Bogen und Pfeil verkehren" - so dünkte es jenem Volke zugleich lieb und schwer, aus dem mein Name kommt - der Name, welcher mir zugleich lieb und schwer ist. "Falar a verdade e me dar bem com arcos e flechas" - assim pareceu às pessoas de onde vem meu nome - um nome que me é querido e difícil. "Vater und Mutter ehren und bis in die Wurzel der Seele hinein ihnen zu Willen sein": diese Tafel der Überwindung hängte ein andres Volk über sich auf und wurde mächtig und ewig damit. "Honor father and mother and do their will right down to the root of the soul": another people hung this tablet of overcoming over them and became powerful and eternal with it. "Honra pai e mãe e faze sua vontade até as raízes da alma": outro povo pendurou sobre eles esta mesa de conquista e com ela se tornou poderosa e eterna. "Treue üben und um der Treue Willen Ehre und Blut auch an böse und fährliche Sachen setzen": also sich lehrend bezwang sich ein anderes Volk, und also sich bezwingend wurde es schwanger und schwer von grossen Hoffnungen. “Pratique a lealdade e, por lealdade, ponha também honra e sangue nas coisas más e perigosas”: isto é, outro povo, ensinando-se a si mesmo, conquistou-se a si mesmo, e assim conquistando a si mesmo engravidou e carregou de grandes esperanças. Wahrlich, die Menschen gaben sich alles ihr Gutes und Böses. Na verdade, as pessoas deram a si mesmas todas as coisas boas e ruins. Wahrlich, sie nahmen es nicht, sie fanden es nicht, nicht fiel es ihnen als Stimme vom Himmel. Na verdade, eles não o pegaram, eles não o encontraram, ele não caiu para eles como uma voz do céu.

Werthe legte erst der Mensch in die Dinge, sich zu erhalten, - er schuf erst den Dingen Sinn, einen Menschen-Sinn! Values were first placed in things by man in order to preserve himself - he was the first to create meaning in things, a human meaning! O homem primeiro colocou valores nas coisas para se manter - ele primeiro criou um significado para as coisas, um significado humano! Darum nennt er sich "Mensch", das ist: der Schätzende. That's why he calls himself "human", that is: the one who appreciates. Por isso se autodenomina "homem", ou seja: aquele que aprecia. Schätzen ist Schaffen: hört es, ihr Schaffenden! Appreciating is creating: hear it, you creators! Apreciar é criar: ouçam, vocês criadores! Schätzen selber ist aller geschätzten Dinge Schatz und Kleinod. Appreciation itself is the treasure and jewel of all valued things. Apreciar a si mesmo é um tesouro de todas as coisas valorizadas.

Durch das Schätzen erst giebt es Werth: und ohne das Schätzen wäre die Nuss des Daseins hohl. It is only through valuing that there is value: and without valuing the nut of existence would be hollow. É apenas avaliando que há valor: e sem avaliar a noz da existência seria oca. Hört es, ihr Schaffenden! Hear it, you creators!

Wandel der Werthe, - das ist Wandel der Schaffenden. Change of values - that is change of the creators. Mudança de valores - isso é mudança de criadores. Immer vernichtet, wer ein Schöpfer sein muss. Always destroyed who must be a creator. Sempre destrói quem deve ser um criador.

Schaffende waren erst Völker und spät erst Einzelne; wahrlich, der Einzelne selber ist noch die jüngste Schöpfung. Creators were first peoples and later only individuals; verily, the individual himself is still the youngest creation. Os criadores foram primeiro povos e depois apenas indivíduos; na verdade, o próprio indivíduo ainda é a criação mais jovem.

Völker hängten sich einst eine Tafel des Guten über sich. Nations once hung a tablet of goodness over themselves. As nações uma vez penduraram uma tábua do bem sobre si mesmas Liebe, die herrschen will, und Liebe, die gehorchen will, erschufen sich zusammen solche Tafeln. Love that wants to rule and love that wants to obey created such tablets together. O amor que quer governar e o amor que quer obedecer criaram essas mesas juntos.

Älter ist an der Heerde die Lust, als die Lust am Ich: und so lange das gute Gewissen Heerde heisst, sagt nur das schlechte Gewissen: Ich. Pleasure in the herd is older than pleasure in the ego: and as long as a good conscience means herd, only a bad conscience says: ego. O prazer no rebanho é mais antigo do que o prazer no ego: e enquanto a boa consciência for chamada de rebanho, apenas a má consciência diz: I.

Wahrlich, das schlaue Ich, das lieblose, das seinen Nutzen im Nutzen Vieler will: das ist nicht der Heerde Ursprung, sondern ihr Untergang. Truly, the sly I, the loveless one, which wants its benefit in the benefit of many: that is not the origin of the herd, but its downfall. Na verdade, o astuto eu, o sem amor, que quer seu uso em benefício de muitos: essa não é a origem do rebanho, mas sua queda.

Liebende waren es stets und Schaffende, die schufen Gut und Böse. It was always lovers and creators who created good and evil. Sempre foram os amantes e criadores que criaram o bem e o mal. Feuer der Liebe glüht in aller Tugenden Namen und Feuer des Zorns. Fire of love glows in the name of all virtues and fire of wrath. O fogo do amor brilha em todas as virtudes dos nomes e o fogo da raiva.

Viele Länder sah Zarathustra und viele Völker: keine grössere Macht fand Zarathustra auf Erden, als die Werke der Liebenden: "gut" und "böse" ist ihr Name. Zaratustra viu muitos países e muitos povos: Zaratustra não encontrou maior poder na terra do que as obras dos amantes: "bom" e "mau" é o seu nome. Wahrlich, ein Ungethüm ist die Macht dieses Lobens und Tadelns. Na verdade, o poder desse elogio e culpa é um monstro. Sagt, wer bezwingt es mir, ihr Brüder? Diga-me quem vai me conquistar, irmãos? Sagt, wer wirft diesem Thier die Fessel über die tausend Nacken? Diz quem joga a corrente sobre os mil pescoços deste animal?

Tausend Ziele gab es bisher, denn tausend Völker gab es. Houve mil gols até agora, porque houve mil pessoas. Nur die Fessel der tausend Nacken fehlt noch, es fehlt das Eine Ziel. Faltam apenas os grilhões de mil pescoços, falta o único objetivo. Noch hat die Menschheit kein Ziel. A humanidade ainda não tem objetivo.

Aber sagt mir doch, meine Brüder: wenn der Menschheit das Ziel noch fehlt, fehlt da nicht auch - sie selber noch? Mas digam-me, meus irmãos: se a humanidade ainda não tem a meta, não está faltando também - eles próprios continuam faltando? Also sprach Zarathustra.