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YouTube | Y-Kollektiv - kurze Videodokumentationen und Reportagen, Cracksüchtig – Die offene Drogenszene in Bremen

Cracksüchtig – Die offene Drogenszene in Bremen

Das ist halt ein Dröhnen im Kopf.

Das ist wie als würde ein Zug durch den Kopf fahren.

Oli ist drogenabhängig. Und auf der Suche nach Stoff.

Probleme über Probleme.

Das sind 80 Euro und die muss man jeden Tag halt machen.

Geld für Heroin und Crack, konsumiert auf der Straße.

Das ist die offene Drogenszene von Bremen.

Verdrängung und Kontrollen der Polizei lösen dieses Problem nicht.

Den Kick willst du immer und immer und immer wieder.

Die Abhängigkeit gehört zu ihrem Leben dazu.

Das hat Streetworker Sebastian akzeptiert.

Seine Arbeit soll helfen zumindest sauber zu konsumieren,

nicht straffällig zu werden und im Alltag irgendwie klarzukommen.

Dann mag man die Leute eben auch, wenn man die so lange betreut

und zusammen durch ihre Höhen und Tiefen geht.

Menschen, die offen auf der Straße Heroin spritzen

oder Crack rauchen sind von der Gesellschaft ausgeschlossen.

Seit Corona noch mehr als zuvor.

Sie werden abfällig „Junkies“ genannt.

Das bedeutet so viel wie „menschlicher Müll“.

Schon krass.

Ich will wissen: Wer sind diese Menschen?

Was sind da für Geschichten dahinter?

Wie leben sie und wie sind sie dahin gekommen?

Ich bin in Bremen.

Neben Frankfurt, Hamburg und Hannover gibt es auch hier eine offene Crackszene,

heißt: Drogenabhängige und Dealer, die sich rund

um den Hauptbahnhof aufhalten.

Einer, der Crack konsumiert ist Oli.

Ich habe ihn vor ein paar Minuten angesprochen und darf ihn jetzt begleiten.

Oli ist 39 Jahre alt, gebürtig aus Bremerhaven, seit Mitte der 90er lebt er in Bremen.

Insgesamt 13 Jahre auf der Straße.

Was ist denn das alles was du mit dir rumträgst?

Da mein Besteck und halt… mein Leben.

Mit Besteck sind seine Drogenutensilien gemeint.

Ich bin ein Junkie seit 23 Jahren.

Ich habe als kleiner Junge angefangen mit harten Drogen.

Womit denn?

Ich habe direkt mit Heroin angefangen.

Und da warst du wie alt?

12 Jahre und 3 Monate, genau.

Das ist ja echt früh.

– Ja.

Wie kam das denn?

Geburt meines ersten Sohnes.

Oh wow.

Und wie ging es dann weiter?

Pflegefamilie… und halt meine Drogenkarriere steil bergauf.

Seit wann nimmst du Crack?

Seit 18-19 Jahren Auch so lang.

Ok.

Was ist denn das Spezielle am Crack rauchen, würdest du sagen?

Der Zug im Kopf.

Der Zug.

Also man raucht und… das ist halt ein Dröhnen im Kopf.

Das ist wie als würde ein Zug durch den Kopf fahren.

Und das ist gut?

– Ja.

Das ist halt das Besondere, der besondere Kick an diesem...

Heroin spritzt sich Oli, davon ist er körperlich abhängig.

Crack raucht er, wie er sagt „zum Spaß“.

Crack ist mit Natron aufgekochtes Kokain.

Nur „zum Spaß“ macht man das nicht lange.

Crack gilt neben Methamphetamin und Nikotin als die Droge mit dem

höchsten psychischen Abhängigkeitspotential.

Wo gehen wir denn jetzt hin?

Zu meiner alten Platte.

Ist nicht weit.

Seine alte Platte, das ist ein Verschlag unter den Bahngleisen.

Und den hat ein Bekannter im Suff abgefackelt.

Fünfeinhalb Monate hat Oli dort gelebt.

Das war mal meine Platte.

Ach je.

– Ja.

Da drinnen ist viel viel schlimmer.

Was war denn da alles drin?

Zwei Betten, Tisch, Schrank.

Wie andere Leute eine Wohnung besitzen, war das für mich mein Zuhause.

Wäre denn denkbar für dich in deinem Leben, dass du nochmal in eine Wohnung wohnst?

– Nein.

In einer Wohnung ist mir eine Wand zu viel.

Welche denn?

(lacht) Egal.

Die, die das absperrt.

Ich halte das nicht mal bei einem Bekannten über Nacht.

Und länger als ein Tag geht nicht.

Schaff ich nicht.

Weil dann irgendwie so dein Freiheitsgefühl beraubt ist?

– Ja.

Ich hätte nicht gedacht, dass jemand lieber auf der Straße schläft als in einer

sicheren Wohnung Aktuell pennt Oli vorm Bahnhof.

Er will sich in den nächsten Tagen ein Zelt besorgen.

Hinterm Bahnhof gäbe es Orte, an denen Zelte geduldet würden.

Ich will von Oli wissen, wie sein Tag so aussieht.

Hier raucht er übrigens nur Tabak.

Meistens steh ich mittags auf, mich gesund machen.

Und dann über den Tag schnorren, um mir Kokain leisten zu können.

Dich gesund machen, was meinst denn du damit?

Stoff nehmen, Heroin.

So ohne das Zeug, geht es halt nicht mehr.

Alles tut weh: Gliederschmerzen, Gelenke.

Also ohne Materie keine Chance in den Tag zu kommen.

Meinst du, dass du nochmal loskommst davon im Leben?

Ich habe so viele Entzüge gemacht und alle sind gescheitert.

Mein längster war 26 Monate.

Dass Oli mit zwölf Jahren das erste Mal Heroin genommen hat,

weil er Vater geworden ist, lässt mich nicht los.

Ich frage da nochmal nach.

Seinen ersten Schuss hat ihm damals seine Dealerin gesetzt,

als er sie nach einer Droge gefragt hat, die vergessen lässt, sagt er.

Naja, meine Psyche hat einen extremen Knacks davon mitgetragen, so früh Papa zu werden.

- Das glaub ich.

So selbst noch ein Kind.

Hast du denn Kontakt zu deinem Kind?

Nein.

Viele Menschen, die drogenabhängig werden, sind seelisch im Ungleichgewicht

oder haben traumatische Erfahrungen gemacht und nehmen Drogen, um überhaupt

damit umgehen zu können, erzählt Sebastian.

Er ist Streetworker.

Heute morgen um acht Uhr hat er mich in den Räumen von „comeback“ empfangen.

Der Träger bietet ambulante Hilfe für drogengefährdete und -abhängige Menschen,

direkt am Bremer Hauptbahnhof.

Also wir haben hier so ganz normal Küchenbereich mit Tresen und so, das ist im Moment nicht.

Das ist hier so der Aufenthaltsraum, hier wird normalerweise Mittagessen und Frühstück

gemacht.

Jetzt gerade gar nicht.

Das hier ist noch so Sozialarbeit und Wartezimmer für die Ambulanz.

Aktuell ist das Hilfsangebot aufgrund des Lockdowns stark eingeschränkt.

Normalerweise ist hier aber ab 9 Uhr einiges an Betrieb.

Gerade gibt‘s nur noch Essen zum Mitnehmen und: zur Ruhe kommen ist auch nicht mehr.

Die Konsumenten sind auf Suppenküchen angewiesen und verbringen noch mehr Zeit auf der Straße.

Da drüben das ist die Brake, das ist das Regierungsviertel und da drüben ist die alte

Brake, wo das Gitter drum ist.

Und das war so ein Innenhof.

Als sie das zugemacht haben ist es angefangen in den Wall zu wandern.

Und im Moment stehen sie da drüben, um diesen ganzen Platz hier ordentlich zu halten, ne!

Damit hier ja keine Leute sich ansammeln.

Ist natürlich, hat so zwei Sachen.

Einmal ist es verständlich, weil keiner möchte sowas vor seiner Haustür haben.

Das zweite ist, ist natürlich für uns total doof, weil wir nicht so arbeiten können,

wie wir wollen.

Sie, damit meint Sebastian die Polizei.

Und Sowas, damit meint er die offene Drogenszene.

Die Crackszene wächst übrigens kontinuierlich, erzählt er noch.

Genaue Zahlen dazu gibt's aber nicht.

Das ist unsere offene Beratung.

Hier machen wir so Sozialarbeit für mal eben schnell.

Sowas wie Arbeitslosengeld II-Anträge ausfüllen, mit Krankenkassen oder Entgiftungskliniken

telefonieren...

Postfächer einrichten, weil viele ja keine feste Meldeadresse haben.

Und eine Meldeadresse wiederum ist wichtig, damit sowas wie Krankenkasse funktioniert

und ärztliche Versorgung oder Substitution stattfinden kann.

Was der Raum auch ist: Anlaufstelle für die, die saubere Drogenutensilien brauchen.

Und die sind schon früh auf den Beinen.

Ich wollt fragen ob mir mal jemand Nadeln und Pumpen geben kann.

Ja kann ich gleich machen. 18er oder?

20er.

Kurz und lang bitte.

Und Pumpen, bitte.

Ja geb ich dir.

Brauchst du Wasser?

Hab ich auch, Danke.

Ah ok.

Filter?

Hab ich auch, Danke.

Pfanne?

Die ja.

Bin ich ja froh vorn gerade durchgeschlüpft zu sein.

Vielen Dank.

Tschüss.

Muss mal eben gucken ob sie rausgeht.

Du musst aber rausgehen, ne.

Verstehste.

Ja.

Tschau.

Tschüss.

So.

Müssen wir halt immer... ist halt ein Problem hier.

Wir haben hier zwar einen Konsumraum aber trotzdem müssen wir halt immer aufpassen,

dass die Leute hier nicht konsumieren.

Ah, ok.

Weil der Konsumraum nicht dort ist, wo sie gerade war?

Genau.

Das ist..

Jeder Weg ist weit, ne?!

Zum Konsumraum – oder Druckraum - später mehr.

Dort werde ich mit Sebastian noch hingehen.

Aber erstmal zeigt er mir was hier alles an Hilfe rausgeht.

Konsumenten bringen ihre alten Nadeln und Spritzen im Gegenzug bekommen sie neues Material.

Das sammelt sich dann hier so an.

Und wie viele sind da also, von einem Tag?

Nee.

Würde jetzt sagen, das ist von einer Woche.

Also das sind schon viele.

Das sind halt unterschiedliche Nadeln, so, ähm, 20er lang und kurz, für unterschiedliche

Venen und 18er lang und kurz für unterschiedliche Venen.

Und Einser haben wir.

Und dann eben halt unterschiedliche Spritzen.

Und nochmal hat jemand ein Anliegen vor der offiziellen Öffnungszeit.

Was kann ich für dich tun?

Nee, alles gut, dann....

Du wirst nicht gefilmt, alles gut.

Ja, alles gut, dann bis morgen.

Ähm, nee, nee, alles gut, du kannst ruhig mit mir quatschen.

Ich komm eben kurz raus.

Im Gang ein Konsument, den Sebastian schon länger kennt.

Äh, so.

Du kennst die meisten, he?

Ja.

Wenn man 8 Stunden jeden Tag hier ist kennt man die meisten Leute.

Und, ja da ist dann halt nochmal so eine besondere Ebene da.

Also, dann mag man die Leute halt auch irgendwann, wenn man die eine Zeitlang betreut und mit

denen so durch ihre Höhen und Tiefen so durchgeht.

Ok, weiter im Text, was es noch hier gibt: Steriles Wasser....

Wir geben das halt mit raus, weil die Leute nehmen halt die unterschiedlichsten Sachen

um sich den Kram aufzukochen.

Also, von Wasser vielleicht aus dem Wallgraben bis Bier oder so.

Deswegen ist es so wichtig, dass wir das machen.

Kaisernatron.

Kenn ich nur vom Backen.

Genau, wird auch zum Stein Kochen, also Crack Kochen verwendet.

Dass der Träger Utensilien zum Drogen konsumieren rausgibt, habe schon viele Menschenleben gerettet

und vor Infektionskrankheiten und massiven Wunden geschützt, sagt Sebastian.

Ohne ihr Angebot würden sie dreckiges Material zum Konsum benutzen und das kann lebensgefährlich

sein.

So, Pumpentausch findet dann hier immer statt.

Also das bedeutet, die Leute müssen gar nicht erst in die Einrichtung sondern können hier

mal eben schnell tauschen.

Pumpentausch, also der Tausch von Spitzen und Konsumutensilien.

Vor Corona hatten wir so ungefähr so 150 Leute am Tag gehabt in der Einrichtung.

Und dann ist das ganz gut, wenn die Leute die nur Utensilien tauschen wollen, auch nicht

unbedingt noch drinnen sind.

Sonst werde es zu unruhig.

Und auch, weil sich viele nicht an die Hygieneregeln halten und ohne Maske reinkommen.

Erstaunlicherweise hätte es seit Anfang der Pandemie nur zwei bestätigte Coronafälle

gegeben, erzählt mir Sebastian.

So wenig - hätte ich nicht erwartet.

Das macht aber auf der anderen Seite auch sehr traurig.

Ist klar.

Weil, es macht halt klar, dass die soziale Isolierung so extrem ist, dass es da den Weg

in dieses Klientel nicht findet.

Jetzt ist für Sebastian aber Zeit um auf die Straße zu gehen.

Er nimmt dafür immer einen großen Rucksack mit bereits vorgepackten Tüten in unterschiedlichen

Größen und für die verschiedenen Konsumarten mit.

Das ist für Crack, also Rauchtüten, Natron, Siebe, Wasser.

Ist quasi schon...

Also ein so ein Tütchen direkt fertig: du hast jemanden der Crack raucht und dem gibst

du einfach ein Tütchen und da sind alles was man dafür braucht drin?

Ja.

Bis auf...

Also so eine Wundertüte.

Bis auf das Kokain natürlich, ne?

Aber sonst ist da alles drinne.

Sebastian kündigt an, dass es heute schwer wird Leute zu finden, weil die Polizei aktuell

so präsent ist.

Also müssen wir erstmal suchen.

Hier vorne das ist die vergitterte Brake, wo früher ein Teil der Szene sehr in sich

geschlossen existiert hat.

Und dann wurde das vergittert und zugemacht und dadurch ist es dann rausgedrückt in das

Bahnhofsumfeld.

Und so ist eben halt immer bei Vertreibung.

Wenn man...

Es ist so ein bisschen wie bei diesem Jahrmarktspiel, wo immer so diese Köpfe rauskommen und man

haut da rauf und dann kommt das woanders wieder raus.

Und das ist so ein bisschen das was gerade eben auch da stattfindet, durch die ganze

Präsenz.

Ich hab Sebastian versprochen bei der Übergabe von Konsummaterial keine Gesichter zu filmen

und die Kamera auszumachen oder einzustecken, wenn wir Konsum- und Schlafplätze besuchen

– das Vertrauen in der Szene hat sich der Streetworker sensibel erarbeitet.

Konsumutensilien verteilen ist jetzt nicht der Hauptteil, sondern es ist eine Form in

den Kontakt zu gehen um danach weiter in die Sozialarbeit zu gehen.

Also eben halt zu klären, ok, wo hapert es denn bei dir.


Cracksüchtig – Die offene Drogenszene in Bremen Cracksüchtig - The open drug scene in Bremen Крэк-наркомани - відкрита наркосцена в Бремені

Das ist halt ein Dröhnen im Kopf.

Das ist wie als würde ein Zug durch den Kopf fahren.

Oli ist drogenabhängig. Und auf der Suche nach Stoff.

Probleme über Probleme.

Das sind 80 Euro und die muss man jeden Tag halt machen.

Geld für Heroin und Crack, konsumiert auf der Straße.

Das ist die offene Drogenszene von Bremen.

Verdrängung und Kontrollen der Polizei lösen dieses Problem nicht.

Den Kick willst du immer und immer und immer wieder.

Die Abhängigkeit gehört zu ihrem Leben dazu.

Das hat Streetworker Sebastian akzeptiert.

Seine Arbeit soll helfen zumindest sauber zu konsumieren,

nicht straffällig zu werden und im Alltag irgendwie klarzukommen.

Dann mag man die Leute eben auch, wenn man die so lange betreut

und zusammen durch ihre Höhen und Tiefen geht.

Menschen, die offen auf der Straße Heroin spritzen

oder Crack rauchen sind von der Gesellschaft ausgeschlossen.

Seit Corona noch mehr als zuvor.

Sie werden abfällig „Junkies“ genannt.

Das bedeutet so viel wie „menschlicher Müll“.

Schon krass.

Ich will wissen: Wer sind diese Menschen?

Was sind da für Geschichten dahinter?

Wie leben sie und wie sind sie dahin gekommen?

Ich bin in Bremen.

Neben Frankfurt, Hamburg und Hannover gibt es auch hier eine offene Crackszene,

heißt: Drogenabhängige und Dealer, die sich rund

um den Hauptbahnhof aufhalten.

Einer, der Crack konsumiert ist Oli.

Ich habe ihn vor ein paar Minuten angesprochen und darf ihn jetzt begleiten.

Oli ist 39 Jahre alt, gebürtig aus Bremerhaven, seit Mitte der 90er lebt er in Bremen.

Insgesamt 13 Jahre auf der Straße.

Was ist denn das alles was du mit dir rumträgst?

Da mein Besteck und halt… mein Leben.

Mit Besteck sind seine Drogenutensilien gemeint.

Ich bin ein Junkie seit 23 Jahren.

Ich habe als kleiner Junge angefangen mit harten Drogen.

Womit denn?

Ich habe direkt mit Heroin angefangen.

Und da warst du wie alt?

12 Jahre und 3 Monate, genau.

Das ist ja echt früh.

– Ja.

Wie kam das denn?

Geburt meines ersten Sohnes.

Oh wow.

Und wie ging es dann weiter?

Pflegefamilie… und halt meine Drogenkarriere steil bergauf.

Seit wann nimmst du Crack?

Seit 18-19 Jahren Auch so lang.

Ok.

Was ist denn das Spezielle am Crack rauchen, würdest du sagen?

Der Zug im Kopf.

Der Zug.

Also man raucht und… das ist halt ein Dröhnen im Kopf.

Das ist wie als würde ein Zug durch den Kopf fahren.

Und das ist gut?

– Ja.

Das ist halt das Besondere, der besondere Kick an diesem...

Heroin spritzt sich Oli, davon ist er körperlich abhängig.

Crack raucht er, wie er sagt „zum Spaß“.

Crack ist mit Natron aufgekochtes Kokain.

Nur „zum Spaß“ macht man das nicht lange.

Crack gilt neben Methamphetamin und Nikotin als die Droge mit dem

höchsten psychischen Abhängigkeitspotential.

Wo gehen wir denn jetzt hin?

Zu meiner alten Platte.

Ist nicht weit.

Seine alte Platte, das ist ein Verschlag unter den Bahngleisen.

Und den hat ein Bekannter im Suff abgefackelt.

Fünfeinhalb Monate hat Oli dort gelebt.

Das war mal meine Platte.

Ach je.

– Ja.

Da drinnen ist viel viel schlimmer.

Was war denn da alles drin?

Zwei Betten, Tisch, Schrank.

Wie andere Leute eine Wohnung besitzen, war das für mich mein Zuhause.

Wäre denn denkbar für dich in deinem Leben, dass du nochmal in eine Wohnung wohnst?

– Nein.

In einer Wohnung ist mir eine Wand zu viel.

Welche denn?

(lacht) Egal.

Die, die das absperrt.

Ich halte das nicht mal bei einem Bekannten über Nacht.

Und länger als ein Tag geht nicht.

Schaff ich nicht.

Weil dann irgendwie so dein Freiheitsgefühl beraubt ist?

– Ja.

Ich hätte nicht gedacht, dass jemand lieber auf der Straße schläft als in einer

sicheren Wohnung Aktuell pennt Oli vorm Bahnhof.

Er will sich in den nächsten Tagen ein Zelt besorgen.

Hinterm Bahnhof gäbe es Orte, an denen Zelte geduldet würden.

Ich will von Oli wissen, wie sein Tag so aussieht.

Hier raucht er übrigens nur Tabak.

Meistens steh ich mittags auf, mich gesund machen.

Und dann über den Tag schnorren, um mir Kokain leisten zu können.

Dich gesund machen, was meinst denn du damit?

Stoff nehmen, Heroin.

So ohne das Zeug, geht es halt nicht mehr.

Alles tut weh: Gliederschmerzen, Gelenke.

Also ohne Materie keine Chance in den Tag zu kommen.

Meinst du, dass du nochmal loskommst davon im Leben?

Ich habe so viele Entzüge gemacht und alle sind gescheitert.

Mein längster war 26 Monate.

Dass Oli mit zwölf Jahren das erste Mal Heroin genommen hat,

weil er Vater geworden ist, lässt mich nicht los.

Ich frage da nochmal nach.

Seinen ersten Schuss hat ihm damals seine Dealerin gesetzt,

als er sie nach einer Droge gefragt hat, die vergessen lässt, sagt er.

Naja, meine Psyche hat einen extremen Knacks davon mitgetragen, so früh Papa zu werden.

- Das glaub ich.

So selbst noch ein Kind.

Hast du denn Kontakt zu deinem Kind?

Nein.

Viele Menschen, die drogenabhängig werden, sind seelisch im Ungleichgewicht

oder haben traumatische Erfahrungen gemacht und nehmen Drogen, um überhaupt

damit umgehen zu können, erzählt Sebastian.

Er ist Streetworker.

Heute morgen um acht Uhr hat er mich in den Räumen von „comeback“ empfangen.

Der Träger bietet ambulante Hilfe für drogengefährdete und -abhängige Menschen,

direkt am Bremer Hauptbahnhof.

Also wir haben hier so ganz normal Küchenbereich mit Tresen und so, das ist im Moment nicht.

Das ist hier so der Aufenthaltsraum, hier wird normalerweise Mittagessen und Frühstück

gemacht.

Jetzt gerade gar nicht.

Das hier ist noch so Sozialarbeit und Wartezimmer für die Ambulanz.

Aktuell ist das Hilfsangebot aufgrund des Lockdowns stark eingeschränkt.

Normalerweise ist hier aber ab 9 Uhr einiges an Betrieb.

Gerade gibt‘s nur noch Essen zum Mitnehmen und: zur Ruhe kommen ist auch nicht mehr.

Die Konsumenten sind auf Suppenküchen angewiesen und verbringen noch mehr Zeit auf der Straße.

Da drüben das ist die Brake, das ist das Regierungsviertel und da drüben ist die alte

Brake, wo das Gitter drum ist.

Und das war so ein Innenhof.

Als sie das zugemacht haben ist es angefangen in den Wall zu wandern.

Und im Moment stehen sie da drüben, um diesen ganzen Platz hier ordentlich zu halten, ne!

Damit hier ja keine Leute sich ansammeln.

Ist natürlich, hat so zwei Sachen.

Einmal ist es verständlich, weil keiner möchte sowas vor seiner Haustür haben.

Das zweite ist, ist natürlich für uns total doof, weil wir nicht so arbeiten können,

wie wir wollen.

Sie, damit meint Sebastian die Polizei.

Und Sowas, damit meint er die offene Drogenszene.

Die Crackszene wächst übrigens kontinuierlich, erzählt er noch.

Genaue Zahlen dazu gibt's aber nicht.

Das ist unsere offene Beratung.

Hier machen wir so Sozialarbeit für mal eben schnell.

Sowas wie Arbeitslosengeld II-Anträge ausfüllen, mit Krankenkassen oder Entgiftungskliniken

telefonieren...

Postfächer einrichten, weil viele ja keine feste Meldeadresse haben.

Und eine Meldeadresse wiederum ist wichtig, damit sowas wie Krankenkasse funktioniert

und ärztliche Versorgung oder Substitution stattfinden kann.

Was der Raum auch ist: Anlaufstelle für die, die saubere Drogenutensilien brauchen.

Und die sind schon früh auf den Beinen.

Ich wollt fragen ob mir mal jemand Nadeln und Pumpen geben kann.

Ja kann ich gleich machen. 18er oder?

20er.

Kurz und lang bitte.

Und Pumpen, bitte.

Ja geb ich dir.

Brauchst du Wasser?

Hab ich auch, Danke.

Ah ok.

Filter?

Hab ich auch, Danke.

Pfanne?

Die ja.

Bin ich ja froh vorn gerade durchgeschlüpft zu sein.

Vielen Dank.

Tschüss.

Muss mal eben gucken ob sie rausgeht.

Du musst aber rausgehen, ne.

Verstehste.

Ja.

Tschau.

Tschüss.

So.

Müssen wir halt immer... ist halt ein Problem hier.

Wir haben hier zwar einen Konsumraum aber trotzdem müssen wir halt immer aufpassen,

dass die Leute hier nicht konsumieren.

Ah, ok.

Weil der Konsumraum nicht dort ist, wo sie gerade war?

Genau.

Das ist..

Jeder Weg ist weit, ne?!

Zum Konsumraum – oder Druckraum - später mehr.

Dort werde ich mit Sebastian noch hingehen.

Aber erstmal zeigt er mir was hier alles an Hilfe rausgeht.

Konsumenten bringen ihre alten Nadeln und Spritzen im Gegenzug bekommen sie neues Material.

Das sammelt sich dann hier so an.

Und wie viele sind da also, von einem Tag?

Nee.

Würde jetzt sagen, das ist von einer Woche.

Also das sind schon viele.

Das sind halt unterschiedliche Nadeln, so, ähm, 20er lang und kurz, für unterschiedliche

Venen und 18er lang und kurz für unterschiedliche Venen.

Und Einser haben wir.

Und dann eben halt unterschiedliche Spritzen.

Und nochmal hat jemand ein Anliegen vor der offiziellen Öffnungszeit.

Was kann ich für dich tun?

Nee, alles gut, dann....

Du wirst nicht gefilmt, alles gut.

Ja, alles gut, dann bis morgen.

Ähm, nee, nee, alles gut, du kannst ruhig mit mir quatschen.

Ich komm eben kurz raus.

Im Gang ein Konsument, den Sebastian schon länger kennt.

Äh, so.

Du kennst die meisten, he?

Ja.

Wenn man 8 Stunden jeden Tag hier ist kennt man die meisten Leute.

Und, ja da ist dann halt nochmal so eine besondere Ebene da.

Also, dann mag man die Leute halt auch irgendwann, wenn man die eine Zeitlang betreut und mit

denen so durch ihre Höhen und Tiefen so durchgeht.

Ok, weiter im Text, was es noch hier gibt: Steriles Wasser....

Wir geben das halt mit raus, weil die Leute nehmen halt die unterschiedlichsten Sachen

um sich den Kram aufzukochen.

Also, von Wasser vielleicht aus dem Wallgraben bis Bier oder so.

Deswegen ist es so wichtig, dass wir das machen.

Kaisernatron.

Kenn ich nur vom Backen.

Genau, wird auch zum Stein Kochen, also Crack Kochen verwendet.

Dass der Träger Utensilien zum Drogen konsumieren rausgibt, habe schon viele Menschenleben gerettet

und vor Infektionskrankheiten und massiven Wunden geschützt, sagt Sebastian.

Ohne ihr Angebot würden sie dreckiges Material zum Konsum benutzen und das kann lebensgefährlich

sein.

So, Pumpentausch findet dann hier immer statt.

Also das bedeutet, die Leute müssen gar nicht erst in die Einrichtung sondern können hier

mal eben schnell tauschen.

Pumpentausch, also der Tausch von Spitzen und Konsumutensilien.

Vor Corona hatten wir so ungefähr so 150 Leute am Tag gehabt in der Einrichtung.

Und dann ist das ganz gut, wenn die Leute die nur Utensilien tauschen wollen, auch nicht

unbedingt noch drinnen sind.

Sonst werde es zu unruhig.

Und auch, weil sich viele nicht an die Hygieneregeln halten und ohne Maske reinkommen.

Erstaunlicherweise hätte es seit Anfang der Pandemie nur zwei bestätigte Coronafälle

gegeben, erzählt mir Sebastian.

So wenig - hätte ich nicht erwartet.

Das macht aber auf der anderen Seite auch sehr traurig.

Ist klar.

Weil, es macht halt klar, dass die soziale Isolierung so extrem ist, dass es da den Weg

in dieses Klientel nicht findet.

Jetzt ist für Sebastian aber Zeit um auf die Straße zu gehen.

Er nimmt dafür immer einen großen Rucksack mit bereits vorgepackten Tüten in unterschiedlichen

Größen und für die verschiedenen Konsumarten mit.

Das ist für Crack, also Rauchtüten, Natron, Siebe, Wasser.

Ist quasi schon...

Also ein so ein Tütchen direkt fertig: du hast jemanden der Crack raucht und dem gibst

du einfach ein Tütchen und da sind alles was man dafür braucht drin?

Ja.

Bis auf...

Also so eine Wundertüte.

Bis auf das Kokain natürlich, ne?

Aber sonst ist da alles drinne.

Sebastian kündigt an, dass es heute schwer wird Leute zu finden, weil die Polizei aktuell

so präsent ist.

Also müssen wir erstmal suchen.

Hier vorne das ist die vergitterte Brake, wo früher ein Teil der Szene sehr in sich

geschlossen existiert hat.

Und dann wurde das vergittert und zugemacht und dadurch ist es dann rausgedrückt in das

Bahnhofsumfeld.

Und so ist eben halt immer bei Vertreibung.

Wenn man...

Es ist so ein bisschen wie bei diesem Jahrmarktspiel, wo immer so diese Köpfe rauskommen und man

haut da rauf und dann kommt das woanders wieder raus.

Und das ist so ein bisschen das was gerade eben auch da stattfindet, durch die ganze

Präsenz.

Ich hab Sebastian versprochen bei der Übergabe von Konsummaterial keine Gesichter zu filmen

und die Kamera auszumachen oder einzustecken, wenn wir Konsum- und Schlafplätze besuchen

– das Vertrauen in der Szene hat sich der Streetworker sensibel erarbeitet.

Konsumutensilien verteilen ist jetzt nicht der Hauptteil, sondern es ist eine Form in

den Kontakt zu gehen um danach weiter in die Sozialarbeit zu gehen.

Also eben halt zu klären, ok, wo hapert es denn bei dir.