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YouTube | Y-Kollektiv - kurze Videodokumentationen und Reportagen, Angststörung & Panikattacken auf Social Media: Warum zeigt man Ängste öffentlich? | Y-Kollektiv

Angststörung & Panikattacken auf Social Media: Warum zeigt man Ängste öffentlich? | Y-Kollektiv

Sagt mal, findet ihr es eigentlich gut, dass ich immer in solchen Momenten das hier anmache, oder seid ihr davon schon genervt?

Melina hat eine Angststörung und sie hat Panikattacken.

Manchmal filmt sie sich dabei. Und postet das Ganze auf Instagram.

Dann fange ich heftig an zu zittern. Mir wird richtig kalt, obwohl ich immer noch weiterhin schwitze,

sodass mir sogar die Zähne klappern.

In ihren verletzlichsten Momenten geht Melina an die Öffentlichkeit.

Ist das ein Widerspruch?

Jeder Fünfte hat einmal im Leben eine Panikattacke. Auch Rezo hat in einem seiner Videos davon erzählt.

Genau wie Marius, der mit seinen Erfahrungen einen ganzen YouTube-Kanal füllt.

Ich hab versucht, ans Fenster zu gehen, und zu atmen. Und beim Atmen hab ich angefangen zu hyperventilieren.

Die meisten Menschen mit einer Angst- und Panikstörung behalten ihr Problem für sich.

Ich will wissen, warum das bei Marius und Melina anders ist -

und ob ihr offener Umgang mit der Angst sie vor Herausforderungen stellt.

Man kann ja theoretisch auch Symptome übernehmen, wenn man das bei jemanden immer sieht.

Das war ein krasser Fall, da hat jemand gesagt: Ich weiß nicht, was ich gleich tue mit mir.

Ich will für diesen Film nicht nur rausfinden, wie es sich mit einer Angst- und Panikstörung so lebt,

sondern vor allen Dingen der Frage nachgehen, was es den Leuten bringt, das auch auf den sozialen Medien zu teilen.

Wenn ihr schon mal eine Panikattacke hattet, seid ihr damit absolut kein Ausnahmefall.

Jeder fünfte Mensch in Deutschland erlebt so etwas, mindestens einmal.

Ich hab das, in einer leichten Form, auch schon hinter mir.

Erzählt hab ich es bisher fast niemandem. Und das unterscheidet mich von den Menschen,

die ich in den nächsten zwei Tagen kennenlerne.

Eins vorneweg: Nicht jeder, der Panikattacken hat, hat eine Angststörung. Aber beides tritt oft zusammen auf.

Auf Instagram haben wir Melina gefunden. Sie nennt sich dort ‘Nichtfluencerin',

postet mit den Hashtags Angststörung, Panik und Agoraphobie, also Platzangst.

Melina ist in neurologischer Behandlung, aber noch nicht in Psychotherapie.

Hi. Na. Also das ist Jurek, Kameramann. Ich bin Katja. Und ja, wie geht's dir?

Sehr panisch gerade.

Okay.

Aber das war einfach auch, weil ich aus der Wohnung musste. Aber es geht gleich bestimmt besser.

Vor unserem Treffen haben wir lange telefoniert.

Für Melina ist es eine Riesenherausforderung, den Tag mit uns zu verbringen.

Wollen wir spazieren gehen? Oder was würdest du gerne machen?

Ja, auf jeden Fall. Ich würde sagen, wir gehen jetzt spazieren.

Ich würde mir aber ganz gern beim Kiosk vorher noch kurz was zu Trinken holen.

Klar, gerne.

Sie verlässt ihr Zuhause normalerweise nur dann, wenn es absolut nötig ist.

Musst du mir vorher irgendwas sagen? Weiß nicht - Wie ich reagieren soll?

Sollte jetzt wirklich gar nichts mehr gehen

und ihr kriegt wirklich irgendwie Angst, dass ich nicht mehr da rauskomme, aber das merkt ihr dann,

dann hab ich halt die Notfall-Tablette dabei. Dann vielleicht mir einfach helfen, die zu nehmen.

Okay. Ich hab die jetzt hier rechts in die Tasche gemacht.

Die legt man einfach eine unter die Zunge, die ist in 2 Minuten weg und dann wirkt die auch sofort.

Die Notfalltablette ist ein starkes Beruhigungsmittel, das sie im Ausnahmefall benötigt, bei den ganz heftigen Angst-Attacken.

Melina ist 26, sie hat Medienmanagement in Köln studiert.

Jetzt lebt sie mit ihrem Mann wieder in ihrer alten Heimat Hagen.

Im Moment kann sie wegen ihrer Angststörung nicht arbeiten gehen.

Ich wirke auf alle Menschen, die ich treffe und die mich kennen, so unerschütterlich irgendwie

und so stark und fast schon abgeklärt teilweise.

Die Reaktionen waren am Anfang so: Melina, was hast du, Angst?

Du? Hast Angst? Was erzählst du da? Und das ist noch schlimmer. Also wenn man dann denkt:

Ja, das weiß ich ja, das passt irgendwie nicht zusammen. Aber ich hab Angst.

Ich weiß noch, in meinem Abi-Buch. Da können ja alle so reinschreiben, was sie über dich denken.

Da steht glaub ich dreimal irgendwie 'Alpha-Tier' oder so ein Blödsinn drin.

Während unseres Drehs mache ich mir Gedanken, wie ich Melina durch die schwierigen Gespräche heute helfen kann.

Wir reden über dies und das, wir lachen auch eine Menge.

Als wir uns für ein längeres Interview hinsetzen, beginne ich mit einer einfachen Standardfrage zum Einstieg..

das dachte ich zumindest.

Wenn du dich jetzt jemandem vorstellen würdest, wie stellst du dich vor? Also:

Wer bist du? Wo kommst du her? Wie alt bist du? Was machst du so genau?

Das ist eine sehr interessante Frage, tatsächlich. Weil ich mir überlegen würde, vorher erstmal:

Wer ist diese Person? Und möchte ich jetzt, dass der oder diejenige mich im Jetzt-Zustand kennenlernt?

Oder möchte ich lieber nur das zeigen, was ich eigentlich bin,

aber wovon durch die Angst nicht mehr so viel übrig geblieben ist?

Weil ich oft das Problem hab, wenn ich mich vorstelle und dann darüber spreche, dass ich Angst und Panik habe,

das Gefühl habe, ich werde nicht mehr ernst genommen. Ja, also so nach dem Motto:

Ja, das ist irgendein weinerliches kleines Mädchen, erschreckt sich vor allem

und kreischt jetzt hier rum und heult. Und sie ist völlig inkompetent und die kann man auch nicht mehr für voll nehmen.

Wahrscheinlich ist diese Befürchtung, abgestempelt zu werden, auch ein Grund dafür,

dass die meisten sich nicht trauen, über dieses Thema zu reden.

Die Ursachen für ihre Angststörung hat Melina selbst noch nicht aufgearbeitet,

dafür braucht sie eine Therapie. Erste Symptome hat sie schon in der Schule bemerkt,

wie schnelles Rot-werden, starkes Schwitzen.

Diese krassen Angstanfälle hat sie aber erst seit zwei Jahren.

Dann merke ich direkt, dass mir schlecht wird und ich krieg so einen Druck im Bauch.

Und der geht weiter hoch zu meinem Herz. Das schlägt viel, viel, viel schneller als normal.

Richtig so, als ob man es spüren würde, schon fast, wenn ich meine Hand einfach nur drauf halte.

Dann fange ich heftig an zu zittern. Irgendwie wird mir richtig kalt, obwohl ich

immer noch weiterhin schwitze und ich fang ganz ganz doll an zu zittern, sodass mir sogar

die Zähne klappern. Ich hab dann auch schnell das Gefühl, dass ich, dass ich immer mehr

Druck auf meinen Darm kriege und immer mehr Krämpfe und versuche dann nur so schnell

wie möglich aus der Situation rauszukommen, weil ich Angst habe, dass mir der Arsch platzt.

Und ich mich dann auch nicht kommunizieren kann, was mit mir los ist.

Am liebsten ist sie im Wald, ganz alleine. Aber auch Begegnungen mit anderen Spaziergängern

können in Panik umschlagen… es sei denn…

Jetzt sehe ich gerade, das die ein Schwein dabei haben. Oh krass! Und das ist jetzt plötzlich nur noch lustig. *lachen*

Wenn Melina an normalen Tagen alleine hier ist, es gerade nichts zu lachen gibt, sondern

sie die Angst vor anderen Menschen packt, dann rennt sie weg, oder versucht, ihre Angst zu verstecken.

Seitdem ich diese Angst und Panikstörung habe, merke ich, dass ich echt viel mehr lüge.

Also ich lüge jetzt nicht im Sinne von großartig schlimme Sachen, aus Scham.

'Was ist los? Ist alles okay?' 'Ja, ne, ist alles gut. Ach, ich hab nur was falsches gegessen

oder so..' Immer versuchen, so einen Mantel drüber zu machen, ne.

Was ich noch nicht ganz verstehe: Obwohl sie ihren Zustand im Alltag vor anderen versteckt,

kann sie trotzdem auf Instagram ganz offen darüber sprechen.

Hallo, hier ist wieder eure Heulsuse.

Sag mal, findet ihr es eigentlich gut, dass ich immer in solchen Momenten das hier anmache, oder seid ihr davon schon genervt?

Genervt sind ihre Follower überhaupt nicht. Melina bekommt fast ausschließlich Zuspruch von Menschen, die ähnliches erleben.

Geht's euch auch manchmal so?

Sich mit anderen auszutauschen, sich zu vernetzen, das kann an manchen Tagen auch ungesund für Melina sein, oder sie überfordern.

Genauer will sie mir das später bei sich zuhause erzählen.

Hallo.

Ich bin in Darmstadt, treffe Marius. Er ist 36 Jahre alt, seine schlimmsten Panikattacken liegen schon einige Jahre zurück.

Ich rauch noch eine, wenn ich darf.

Marius arbeitet im Hauptberuf in einem Pharmaunternehmen hier in der Nähe von Frankfurt.

Das ist typisch südhessisch.

Ei gude wie.

Heute macht er einen ziemlich glücklichen Eindruck, früher hat er unter einer starken Angststörung gelitten,

wurde dadurch sogar zum Alkoholiker.

Die Geschichten aus dieser Zeit erzählt er auf seinem YouTube-Kanal Flaschengeist.

Servus Leute, wir haben Sonntag, 16 Uhr, Flaschengeist hier. Freut mich, dass ihr wieder eingeschaltet habt.

Und heute geht es um Panikattacken bzw. meine schlimmste Panikattacke.

Ich finde es erstaunlich, wie professionell Marius das alles aufzieht.

Seine Bilder sind perfekt ausgeleuchtet und bearbeitet, er veröffentlicht immer pünktlich auf die Minute.

Dabei macht er erst seit einem halben Jahr YouTube, hat vorher noch nie Videos gedreht.

Katja, ich sag dir, ich bin ein Freak.

Wenn ich eine Sache, ich sag dir, wenn ich eine Sache, kannst du meine Freundin fragen,

wenn ich eine Sache mir vornehme und ich sag: Ich will das machen.

Ich bin - Also ich will nicht übertreiben, ich habe ja noch andere Verpflichtungen,

aber 24/7 bin ich in dieser Sache. Ich kauf mir Bücher. Ich habe mir das durchgelesen. Von vorne bis hinten.

Handbuch YouTube. Krass.

Alles, wie beleuchte ich Dinge aus. Komplett, ich hab alles- Wie mache ich Thumbnails? Alles. Ich habe das studiert.

Marius litt früher unter einer ‘generalisierten Angststörung'.

Er konnte seine Angst also nicht an bestimmten Dingen festmachen, stattdessen hat sie alle Lebensbereiche eingenommen.

Krankhafte Sorgen, extreme Angst in Alltagssituationen, körperliche Symptome wie Herzrasen, die lange kein Arzt erklären konnte.

Als er von seinen Panikattacken auf seinem YouTube-Kanal erzählt, merkt er plötzlich:

Viele in seinem Umfeld kennen diese panischen Zustände.

Nach meinem ersten Video haben mir alte Fußball-Kollegen geschrieben, die haben mir geschrieben. Ich kenne die seit Jahren.

Die haben mir geschrieben: Ich dachte, ich bin der Einzige, der das hat.

Arbeitskollegen. Alte Ausbildungs-Kollegen.

Also du brauchst nicht weit... Die Statistiken sind ja klar: Jeder Fünfte in Deutschland kennt diese Themen,

aber keiner redet drüber.

Was die Ursache für seine Angststörung ist? Bei Marius gibt es nicht die eine traumatische Erfahrung, an der man alles festmachen kann.

Er hatte eine relativ normale Kindheit,

aber eine, die durch Erziehung und durch prägende Erlebnisse Spuren hinterlassen hat.

Und das ist häufig so.

Panikattacken treten auch bei vielen Menschen auf, die großen Stress und Arbeitsdruck durchmachen.

YouTuber Rezo hat vor kurzem auf seinem Kanal davon erzählt.

Ich hatte mal geschrieben, glaube ich,

dass ich, dass ich Panikattacken hatte. Ich hatte mal bisschen Probleme mit Panikattacken.

So, es war so vor einem knappen Jahr oder so, vor einem dreiviertel Jahr, irgendwie so.

Also du hast zum Beispiel das Gefühl, ich ersticke jetzt. Mein Herz hört gleich auf zu schlagen.

Ich sterbe gleich. Das ist dein Gefühl. Das ist dann nach ein paar Minuten wieder weg.

So hat das bei mir angefangen.

Wegen Panikattacken hab ich irgendwie auf Instagram einfach so einen Text gepostet.

Aber das Abgefuckteste war: Aus meiner Szene, von Kolleg:innen, kamen extrem viele solche Texte,

wo Leute gesagt haben: 'Als ich meine Panikattacken hatte, da war das so und so.

Auch wenn also anscheinend viele bekannte YouTuber mit Panikattacken zu kämpfen haben:

Rezo ist bisher fast der einzige, der seinen Followern so offen darüber erzählt.

Ich kann verstehen, woher das kommt: Bei mir hält sich die Lust, meine eigenen Ängste

zum Thema zu machen, auch in Grenzen. Ist das eine falsche Scham?

Du machst das in erster Linie wahrscheinlich nicht für dich. Es ist in einem größeren Kontext zu sehen.

Du machst das für viele andere Menschen, die nicht die Stimme haben.

Wenn du Reichweite hast, dann sei dir über deine Verantwortung bewusst, und nutze sie sinnvoll.

Und sei mal Menschen eine Stimme, denen du damit hilfst.

Marius füllt seinen kompletten YouTube-Kanal mit Geschichten aus seiner Vergangenheit mit der Angst.

Vor der Therapie hat er seine Symptome lange mit Alkohol betäubt, wurde dadurch süchtig.

Jeden Sonntag erzählt er eine Episode aus seinem Leben.

Hast du nicht Angst, dass du irgendwann keine Themen mehr hast oder dass dir die Geschichten ausgehen?


Angststörung & Panikattacken auf Social Media: Warum zeigt man Ängste öffentlich? Anxiety Disorder & Panic Attacks on Social Media: Why show anxiety publicly? | Y Collective | Y-Kollektiv

Sagt mal, findet ihr es eigentlich gut, dass ich immer in solchen Momenten das hier anmache, oder seid ihr davon schon genervt?

Melina hat eine Angststörung und sie hat Panikattacken.

Manchmal filmt sie sich dabei. Und postet das Ganze auf Instagram.

Dann fange ich heftig an zu zittern. Mir wird richtig kalt, obwohl ich immer noch weiterhin schwitze,

sodass mir sogar die Zähne klappern.

In ihren verletzlichsten Momenten geht Melina an die Öffentlichkeit.

Ist das ein Widerspruch?

Jeder Fünfte hat einmal im Leben eine Panikattacke. Auch Rezo hat in einem seiner Videos davon erzählt.

Genau wie Marius, der mit seinen Erfahrungen einen ganzen YouTube-Kanal füllt.

Ich hab versucht, ans Fenster zu gehen, und zu atmen. Und beim Atmen hab ich angefangen zu hyperventilieren.

Die meisten Menschen mit einer Angst- und Panikstörung 
behalten ihr Problem für sich.

Ich will wissen, warum das bei Marius und Melina anders ist -

und ob ihr offener Umgang mit der Angst sie vor Herausforderungen stellt.

Man kann ja theoretisch auch Symptome übernehmen, wenn man das bei jemanden immer sieht.

Das war ein krasser Fall, da hat jemand gesagt: Ich weiß nicht, was ich gleich tue mit mir.

Ich will für diesen Film nicht nur rausfinden, wie es sich mit einer Angst- und Panikstörung so lebt,

sondern vor allen Dingen der Frage nachgehen, was es den Leuten bringt, das auch auf den sozialen Medien zu teilen.

Wenn ihr schon mal eine Panikattacke hattet, seid ihr damit absolut kein Ausnahmefall.

Jeder fünfte Mensch in Deutschland erlebt so etwas, mindestens einmal.

Ich hab das, in einer leichten Form, auch schon hinter mir.

Erzählt hab ich es bisher fast niemandem. Und das unterscheidet mich von den Menschen,

die ich in den nächsten zwei Tagen kennenlerne.

Eins vorneweg: Nicht jeder, der Panikattacken hat, hat eine Angststörung. Aber beides tritt oft zusammen auf.

Auf Instagram haben wir Melina gefunden. Sie nennt sich dort ‘Nichtfluencerin',

postet mit den Hashtags Angststörung, Panik und Agoraphobie, also Platzangst.

Melina ist in neurologischer Behandlung, aber noch nicht in Psychotherapie.

Hi. Na. Also das ist Jurek, Kameramann. Ich bin Katja. Und ja, wie geht's dir?

Sehr panisch gerade.

Okay.

Aber das war einfach auch, weil ich aus der Wohnung musste. Aber es geht gleich bestimmt besser.

Vor unserem Treffen haben wir lange telefoniert.

Für Melina ist es eine Riesenherausforderung, den Tag mit uns zu verbringen.

Wollen wir spazieren gehen? Oder was würdest du gerne machen?

Ja, auf jeden Fall. Ich würde sagen, wir gehen jetzt spazieren.

Ich würde mir aber ganz gern beim Kiosk vorher noch kurz was zu Trinken holen.

Klar, gerne.

Sie verlässt ihr Zuhause normalerweise nur dann, wenn es absolut nötig ist.

Musst du mir vorher irgendwas sagen? Weiß nicht - Wie ich reagieren soll?

Sollte jetzt wirklich gar nichts mehr gehen

und ihr kriegt wirklich irgendwie Angst, dass ich nicht mehr da rauskomme, aber das merkt ihr dann,

dann hab ich halt die Notfall-Tablette dabei. Dann vielleicht mir einfach helfen, die zu nehmen.

Okay. Ich hab die jetzt hier rechts in die Tasche gemacht.

Die legt man einfach eine unter die Zunge, die ist in 2 Minuten weg und dann wirkt die auch sofort.

Die Notfalltablette ist ein starkes Beruhigungsmittel, das sie im Ausnahmefall benötigt, bei den ganz heftigen Angst-Attacken.

Melina ist 26, sie hat Medienmanagement in Köln studiert.

Jetzt lebt sie mit ihrem Mann wieder in ihrer alten Heimat Hagen.

Im Moment kann sie wegen ihrer Angststörung nicht arbeiten gehen.

Ich wirke auf alle Menschen, die ich treffe und die mich kennen, so unerschütterlich irgendwie

und so stark und fast schon abgeklärt teilweise.

Die Reaktionen waren am Anfang so: Melina, was hast du, Angst?

Du? Hast Angst? Was erzählst du da? Und das ist noch schlimmer. Also wenn man dann denkt:

Ja, das weiß ich ja, das passt irgendwie nicht zusammen. Aber ich hab Angst.

Ich weiß noch, in meinem Abi-Buch. Da können ja alle so reinschreiben, was sie über dich denken.

Da steht glaub ich dreimal irgendwie 'Alpha-Tier' oder so ein Blödsinn drin.

Während unseres Drehs mache ich mir Gedanken, wie ich Melina durch die schwierigen Gespräche heute helfen kann.

Wir reden über dies und das, wir lachen auch eine Menge.

Als wir uns für ein längeres Interview hinsetzen, beginne ich mit einer einfachen Standardfrage zum Einstieg..

das dachte ich zumindest.

Wenn du dich jetzt jemandem vorstellen würdest, wie stellst du dich vor? Also:

Wer bist du? Wo kommst du her? Wie alt bist du? Was machst du so genau?

Das ist eine sehr interessante Frage, tatsächlich. Weil ich mir überlegen würde, vorher erstmal:

Wer ist diese Person? Und möchte ich jetzt, dass der oder diejenige mich im Jetzt-Zustand kennenlernt?

Oder möchte ich lieber nur das zeigen, was ich eigentlich bin,

aber wovon durch die Angst nicht mehr so viel übrig geblieben ist?

Weil ich oft das Problem hab, wenn ich mich vorstelle und dann darüber spreche, dass ich Angst und Panik habe,

das Gefühl habe, ich werde nicht mehr ernst genommen. Ja, also so nach dem Motto:

Ja, das ist irgendein weinerliches kleines Mädchen, erschreckt sich vor allem

und kreischt jetzt hier rum und heult. Und sie ist völlig inkompetent und die kann man auch nicht mehr für voll nehmen.

Wahrscheinlich ist diese Befürchtung, abgestempelt zu werden, auch ein Grund dafür,

dass die meisten sich nicht trauen, über dieses Thema zu reden.

Die Ursachen für ihre Angststörung hat Melina selbst noch nicht aufgearbeitet,

dafür braucht sie eine Therapie. Erste Symptome hat sie schon in der Schule bemerkt,

wie schnelles Rot-werden, starkes Schwitzen.

Diese krassen Angstanfälle hat sie aber erst seit zwei Jahren.

Dann merke ich direkt, dass mir schlecht wird und ich krieg so einen Druck im Bauch.

Und der geht weiter hoch zu meinem Herz. Das schlägt viel, viel, viel schneller als normal.

Richtig so, als ob man es spüren würde, schon fast, wenn ich meine Hand einfach nur drauf halte.

Dann fange ich heftig an zu zittern. Irgendwie wird mir richtig kalt, obwohl ich

immer noch weiterhin schwitze und ich fang ganz ganz doll an zu zittern, sodass mir sogar

die Zähne klappern. Ich hab dann auch schnell das Gefühl, dass ich, dass ich immer mehr

Druck auf meinen Darm kriege und immer mehr Krämpfe und versuche dann nur so schnell

wie möglich aus der Situation rauszukommen, weil ich Angst habe, dass mir der Arsch platzt.

Und ich mich dann auch nicht kommunizieren kann, was mit mir los ist.

Am liebsten ist sie im Wald, ganz alleine. Aber auch Begegnungen mit anderen Spaziergängern

können in Panik umschlagen… es sei denn…

Jetzt sehe ich gerade, das die ein Schwein dabei haben. Oh krass! Und das ist jetzt plötzlich nur noch lustig. *lachen*

Wenn Melina an normalen Tagen alleine hier ist, es gerade nichts zu lachen gibt, sondern

sie die Angst vor anderen Menschen packt, dann rennt sie weg, oder versucht, ihre Angst zu verstecken.

Seitdem ich diese Angst und Panikstörung habe, merke ich, dass ich echt viel mehr lüge.

Also ich lüge jetzt nicht im Sinne von großartig schlimme Sachen, aus Scham.

'Was ist los? Ist alles okay?' 'Ja, ne, ist alles gut. Ach, ich hab nur was falsches gegessen

oder so..' Immer versuchen, so einen Mantel drüber zu machen, ne.

Was ich noch nicht ganz verstehe: Obwohl sie ihren Zustand im Alltag vor anderen versteckt,

kann sie trotzdem auf Instagram ganz offen darüber sprechen.

Hallo, hier ist wieder eure Heulsuse.

Sag mal, findet ihr es eigentlich gut, dass ich immer in solchen Momenten das hier anmache, oder seid ihr davon schon genervt?

Genervt sind ihre Follower überhaupt nicht. Melina bekommt fast ausschließlich Zuspruch von Menschen, die ähnliches erleben.

Geht's euch auch manchmal so?

Sich mit anderen auszutauschen, sich zu vernetzen, das kann an manchen Tagen auch ungesund für Melina sein, oder sie überfordern.

Genauer will sie mir das später bei sich zuhause erzählen.

Hallo.

Ich bin in Darmstadt, treffe Marius. Er ist 36 Jahre alt, seine schlimmsten Panikattacken liegen schon einige Jahre zurück.

Ich rauch noch eine, wenn ich darf.

Marius arbeitet im Hauptberuf in einem Pharmaunternehmen hier in der Nähe von Frankfurt.

Das ist typisch südhessisch.

Ei gude wie.

Heute macht er einen ziemlich glücklichen Eindruck, früher hat er unter einer starken Angststörung gelitten,

wurde dadurch sogar zum Alkoholiker.

Die Geschichten aus dieser Zeit erzählt er auf seinem YouTube-Kanal Flaschengeist.

Servus Leute, wir haben Sonntag, 16 Uhr, Flaschengeist hier. Freut mich, dass ihr wieder eingeschaltet habt.

Und heute geht es um Panikattacken bzw. meine schlimmste Panikattacke.

Ich finde es erstaunlich, wie professionell Marius das alles aufzieht.

Seine Bilder sind perfekt ausgeleuchtet und bearbeitet, er veröffentlicht immer pünktlich auf die Minute.

Dabei macht er erst seit einem halben Jahr YouTube, hat vorher noch nie Videos gedreht.

Katja, ich sag dir, ich bin ein Freak.

Wenn ich eine Sache, ich sag dir, wenn ich eine Sache, kannst du meine Freundin fragen,

wenn ich eine Sache mir vornehme und ich sag: Ich will das machen.

Ich bin - Also ich will nicht übertreiben, ich habe ja noch andere Verpflichtungen,

aber 24/7 bin ich in dieser Sache. Ich kauf mir Bücher. Ich habe mir das durchgelesen. Von vorne bis hinten.

Handbuch YouTube. Krass.

Alles, wie beleuchte ich Dinge aus. Komplett, ich hab alles- Wie mache ich Thumbnails? Alles. Ich habe das studiert.

Marius litt früher unter einer ‘generalisierten Angststörung'.

Er konnte seine Angst also nicht an bestimmten Dingen festmachen, stattdessen hat sie alle Lebensbereiche eingenommen.

Krankhafte Sorgen, extreme Angst in Alltagssituationen, körperliche Symptome wie Herzrasen, die lange kein Arzt erklären konnte.

Als er von seinen Panikattacken auf seinem YouTube-Kanal erzählt, merkt er plötzlich:

Viele in seinem Umfeld kennen diese panischen Zustände.

Nach meinem ersten Video haben mir alte Fußball-Kollegen geschrieben, die haben mir geschrieben. Ich kenne die seit Jahren.

Die haben mir geschrieben: Ich dachte, ich bin der Einzige, der das hat.

Arbeitskollegen. Alte Ausbildungs-Kollegen.

Also du brauchst nicht weit... Die Statistiken sind ja klar: Jeder Fünfte in Deutschland kennt diese Themen,

aber keiner redet drüber.

Was die Ursache für seine Angststörung ist? Bei Marius gibt es nicht die eine traumatische Erfahrung, an der man alles festmachen kann.

Er hatte eine relativ normale Kindheit,

aber eine, die durch Erziehung und durch prägende Erlebnisse Spuren hinterlassen hat.

Und das ist häufig so.

Panikattacken treten auch bei vielen Menschen auf, die großen Stress und Arbeitsdruck durchmachen.

YouTuber Rezo hat vor kurzem auf seinem Kanal davon erzählt.

Ich hatte mal geschrieben, glaube ich,

dass ich, dass ich Panikattacken hatte. Ich hatte mal bisschen Probleme mit Panikattacken.

So, es war so vor einem knappen Jahr oder so, vor einem dreiviertel Jahr, irgendwie so.

Also du hast zum Beispiel das Gefühl, ich ersticke jetzt. Mein Herz hört gleich auf zu schlagen.

Ich sterbe gleich. Das ist dein Gefühl. Das ist dann nach ein paar Minuten wieder weg.

So hat das bei mir angefangen.

Wegen Panikattacken hab ich irgendwie auf Instagram einfach so einen Text gepostet.

Aber das Abgefuckteste war: Aus meiner Szene, von Kolleg:innen, kamen extrem viele solche Texte,

wo Leute gesagt haben: 'Als ich meine Panikattacken hatte, da war das so und so.

Auch wenn also anscheinend viele bekannte YouTuber mit Panikattacken zu kämpfen haben:

Rezo ist bisher fast der einzige, der seinen Followern so offen darüber erzählt.

Ich kann verstehen, woher das kommt: Bei mir hält sich die Lust, meine eigenen Ängste

zum Thema zu machen, auch in Grenzen. Ist das eine falsche Scham?

Du machst das in erster Linie wahrscheinlich nicht für dich. Es ist in einem größeren Kontext zu sehen.

Du machst das für viele andere Menschen, die nicht die Stimme haben.

Wenn du Reichweite hast, dann sei dir über deine Verantwortung bewusst, und nutze sie sinnvoll.

Und sei mal Menschen eine Stimme, denen du damit hilfst.

Marius füllt seinen kompletten YouTube-Kanal mit Geschichten aus seiner Vergangenheit mit der Angst.

Vor der Therapie hat er seine Symptome lange mit Alkohol betäubt, wurde dadurch süchtig.

Jeden Sonntag erzählt er eine Episode aus seinem Leben.

Hast du nicht Angst, dass du irgendwann keine Themen mehr hast oder dass dir die Geschichten ausgehen?