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Der Mann im Nebel, Gustav Falke, 11 - 2. Buch, Kapitel 14 - 15

11 - 2. Buch, Kapitel 14 - 15

14.

(Tagebuchblätter.)

Der Doktor hat recht gehabt. Es waren nur die paar überzähligen Cognacs und Pschorrs und Kaffees. Ich fühle mich jetzt ganz wohl. In Grashof kam es noch hin und wieder, dieser Druck auf dem Kopf, als trüge man einen Stein mit sich herum. Und die Hallucinationen und wüsten Träume.

Etwas macht auch ihre Nähe. Etwas? Vielleicht alles?

Es ist ein ganz eigenartiger Zustand, ein ganz eigenartiges Verhältnis. So ohne jede Aufregung und Abspannung und jedes quälende Begehren. In der Abwesenheit ein Gefühl stiller Freude, dass sie in der Nähe ist, in erreichbarer Nähe, eine sanfte Sehnsucht, durchaus nichts Heftiges, Treibendes. Wie man an etwas denkt, das man sicher besitzt. Und in ihrer Gegenwart ein ganz ruhiges Geniessen ihrer Wohlgestalt, ihres harmonischen Wesens, ihrer vornehmen Einfachheit. Keine Spur von Liebe. Eine Art herzlichen Freundschaftsgefühls. Freude.

Sie ist Musik für mich.

* * * * *

Eine Ehe auf solcher Basis. Das wäre etwas für mich. Aber es würde schliesslich gar keine rechte Ehe sein. Ich finde kein sinnliches Verhältnis zu ihr. Der Gedanke allein an diese Dinge erniedrigt sie mir schon. Ich bin zu ästhetisch für diese Art Liebe. Also auch für die Ehe.

* * * * *

Wenn sie spielt, ist es nicht die Musik allein, sondern das Bewusstsein, dass sie es ist, die spielt. Ich habe eigentlich gar kein Urteil über ihre Musik. Ich höre alles hinein.

Sie kann gar nicht Schumann spielen, sie ist durchaus keine Schumannnatur. Und doch bilde ich mir ein, Schumann nie so schön gehört zu haben.

Aber ich darf sie nicht ansehen dabei, ich muss die Augen schliessen. Sehe ich sie an, merke ich gleich, dass sie Schumann nur spielt.

Bei Chopin darf ich ihr schon zusehen. Da ist diese vornehme Grazie des aristokratischen Salons, die zu ihr gehört. Und nun gar Weber oder Liszt. Da sitzt sie im Sattel. Und wie reitet sie!

* * * * *

Es ist eigentlich beleidigend, dieses Vertrauen, das der Graf mir schenkt. Aber nach meiner neulichen grossen Pauke für die Aristokratie und meiner kategorischen Erklärung, dass eine Mesalliance gegen meine Grundsätze wäre, muss er mich natürlich für ungefährlich halten.

Sie können ruhig schlafen, Herr Graf.

* * * * *

Ein Zeichen, dass ich nicht verliebt bin: ich habe mit ihr über die Liebe philosophiert. Sie benahm sich eigen dabei. Etwas spöttisch. Sie ist zu gesund für meine Philosophie.

(Bedenkliches Postskriptum: Du machst dir klar, dass du nicht verliebt bist. Hm!)

(PS. II. Du machst bedenkliche Bemerkungen, folglich bist du nicht verliebt.

Der Beweis ist geglückt, was mir sehr lieb ist, denn ich will mich nicht in sie verlieben.)

* * * * *

Dass auch ich gerade diesen aristokratischen Tick haben muss, ich, der vielmehr zu den Bauern, zu den Fischern gehört. Ob wirklich etwas dran ist, dass mein Urgrossvater mütterlicherseits von Adel war, alter kurländischer Adel? Die Sache ist sehr zweifelhaft, eine alte Familiensage. Ohne Dokumente. Aber vielleicht bin ich der lebendige Beweis, vielleicht rollt ein versprengter Tropfen Adelsblut in meinen Adern.

Dickes Bauernblut, von irgendwoher ein paar Tropfen Künstlerblut, Zigeunerblut, und in dieser trüben Mischung, mitgeschwemmt, dies eine aristokratische Blutkügelchen.

Das ganze etwas mit Alkohol versetzt. Ein famoser Lebenssaft. Ich hätte wohl Lust, mich einmal gründlich zur Ader zu lassen.

* * * * *

Traum, Schaum. Träume sind Schäume, hier wie dort Hört man solch überkluges Wort, Aber dem Leben farbleuchtenden Saum Leiht nur goldener Traum wie Schaum.

Träume sind Schäume! O jugendlich Schäumen. Schäume sind Träume! O jugendlich Träumen. Schäumendes Kräfteüberfliessen, Träumendes Seele in Seele sich giessen.

Träume sind Schäume, Wen sie verlassen, Dem müsste das Leben farblos erblassen. Nur, wem das Leben wie Schaum und Traum, Bricht sich goldene Frucht vom Baum.

* * * * *

Ob ich nicht doch besser in meiner Krugkammer geblieben wäre? Nicht aus irgend welchen besonderen Gründen, sondern einzig, weil ich nicht zur Dankbarkeit verpflichtet sein mag. Und dies ist schon mehr Nassauerei!

Aber warum reise ich nicht ab?

Über den Musterwirt bin ich ja beruhigt, der ist schon halbwegs verlobt, mit einer Bürgerlichen. Ich hätte es ihr auch nie vergeben. Frau Krüger oder gar Madam Krüger.—

Ich will es nur eingestehen, ich war ganz regelrecht eifersüchtig, ohne verliebt zu sein. Wie muss einem Liebenden erst zu Mute sein, der eifersüchtig ist.

* * * * *

Als sie sich die Rose in den Gürtel steckte und auf den Stuhl stieg, um sich besser im Spiegel sehen zu können.

Diese ganz entzückende Naivität, diese natürlichste, kindlichste, unschuldigste Eitelkeit!

Welche Dame steigt in der Gegenwart eines Herrn auf einen Stuhl. Sie darf es, eine wirklich vornehme Dame darf alles.—

Ich hielt ihre Hand länger als schicklich in meiner, als ich ihr herunter half. Sie wurde weder verlegen noch abweisend, sie übersah es einfach.

* * * * *

La rose d'amour. An ihrem Kleid blüht eine dunkle Rose, Entschürzt den Schoss zu wundersamem Duft, Dass taumelnd so ihr Leben sie verkose, Die weisse Mädchenbrust zur weichen Gruft. O sei ihr Bild zum Bilde meinem Lose, Dass ich, wenn gartentief der Sprosser ruft, Von Mund zu Mund, fern jeglichem Getose, Verküssen möge Leben, Licht und Luft.

(Wäre ich verliebt, würde ich dieses Gedicht nicht haben machen können. Obgleich es schlecht genug ist und eigentlich nur mit Liebe notdürftig entschuldigt werden könnte.)

* * * * *

Gehört nicht eine gewisse Kälte des Herzens dazu, um Dichter sein zu können?

Unsinn!

Ob Leute von grosser Phantasie nicht eine gewisse mittlere Temperatur des Herzens haben, nur soviel Feuer als nötig, um der Phantasie warme Füsse zu machen?

Gibt es eine Phantasie des Herzens?

Warum nicht, wenn es eine Liebe des Kopfes gibt. Kommt auch beides zusammen vor, wie bei einem gewissen Herrn.

* * * * *

Ich muss Gerdsen wieder einige "Dokumente" schicken. Ich habe ja schon wieder genug zusammengekritzelt. Wenn er nicht schliesslich doch noch abschnappt. Zu unsinnige Idee, meinen Roman von einem andern schreiben zu lassen. Wie der arme Kerl sich wohl abrackert. Aber er kriegt es fertig, das heisst, er kriegt einen Roman fertig, aber einen Surrogatroman. Was weiss er am Ende von Henning Randers, und was können ihm die paar Zettel sagen, die ich ihm als Materialien liefere. Es wird ihm doch alles nur nebelhaft bleiben, Schattenspuk.

Übrigens, was ist das ganze Leben anders als Schattenspiel. Oder ein Suchen im Nebel. Blindekuh! Nur dass einem die Binde nie abgenommen wird. Oder doch mal? Da drüben?

Wenn man dann sehend wird, zurückblicken kann—Herrgott! Alle diese Irrgänge im dicken Erdennebel. Und dann sehen, da hättest du den Weg gehen sollen, und sieh, der Graben da, und der Baum, an dem du dir den Kopf zerbeultest—ein paar Zoll breit weiter links, und du wärst heil durchs Leben gekommen.

* * * * *

Da bin ich nun wirklich in der Kirche gewesen, fein fromm und andächtig.

Sie sass neben mir, ihr Buch lag zwischen uns, und unsere Augen nahmen denselben Weg, von Vers zu Vers, trafen sich auf den frommen Worten.

Küssten sich.

Wir selbst sassen ganz ehrbar und züchtiglich neben einander, und ich meckerte in ihren schönen Alt hinein.

Sie hatte die Führung, ich folgte wie ein Lämmlein der Hirtin.

Die Orgel. Die "liebe Gemeinde" (es war eine wirklich hübsche Sopranstimme da, die über diesem misstönigen Gemecker, Gebrumm und Gepfeife schwebte, wie eine weisse Möwe über ein schmutziges missfarbiges Stoppelfeld), die weissen schmucklosen Wände, die Sonne draussen und die Sonne drinnen, in langen, breiten Streifen über diesen alten und jungen Köpfen. Das schwarze Brett mit den grossen weissen Nummern der Choräle. Die kleine, schwarze Kanzel mit dem kleinen, weisshaarigen Pastor Weidenbusch.—

Mir wurde ganz heimatlich. Wie lange bin ich nicht in einer Dorfkirche gewesen.

* * * * *

Man sage nicht, dass in unserer protestantischen Kirche die Poesie keinen Platz hat. In den kalten grossen Stadtkirchen mit ihrem nüchternen Prunk, ja, da ist sie erfroren, elendiglich erfroren. Aber unsere Dorfkirchen. Selbst diese kahlen, getünchten Wände atmen Poesie, diese alten rohen Balken, von Schwalbenschmutz gefleckt und mit einem vergessenen Spinngewebe in irgend einem Winkel.

Was ist Poesie? Sie geht nicht von den Dingen aus, sie geht von den Menschen aus. Und welche Poesie sollte von dem städtischen Kirchenpublikum (ja Publikum!) ausgehen?

Aber hier, diese schlichten einfachen Ackerbürger, diese abgerackerten Tagelöhner, Männer und Weiber, die ihres Herzens Einfalt und Bedürfnis hierher führt, Sonntag für Sonntag; diese ganze Atmosphäre von Arbeit, Genügsamkeit, Einfalt und Himmelshoffnung, das ist es, das teilt sich diesen schmucklosen Wänden mit und leiht ihnen einen rührenden Glanz. Die Poesie kommt mit den Leuten in die Kirche, fühlt sich wohl hier und bleibt, auch wenn der Küster abschliesst.

* * * * *

Auf dem Lande verstehe ich, wie man fromm sein kann, es wieder werden kann. Auch auf dem Meere verstehe ich es. Auch im Kriege. Aber da ist die Zeit oft zu kurz dazu.

Und auf dem Sterbebett.

* * * * *

So hoch stehen, dass man religiös wird!

Auf Erden ist keiner, vor dem man sich zu beugen nötig hat. Da beugt man sich vor Gott. Um sein Gewissen zu beruhigen, um sich zu salvieren.

Oder Einsamkeitsgefühl? Grauen vor der Einsamkeit?

* * * * *

Ich liebe sie doch! Jeg elsker dig!

* * * * *

Es war kühn, ihr meine Blockhausphantasie vorzulesen. Aber sie weiss nun, wie ich es meine. Es wäre Wahnsinn, zu glauben, sie könne sich auf so was einlassen. Die Künstlernatur ist sie nicht. Zu wenig Bohémienne. Und das gehört dazu. Aber sie ist schon das Weib, mit dem ich es aushalten würde.

* * * * *

Jetzt weiss ich, wie ich mit ihr daran bin. Es war unvorsichtig von ihr, mir die Rosen aufs Zimmer zu stellen, am selben Tag noch. Und unvorsichtig war es von dir, zu erröten, als da ihr den Feldstrauss brachtest!

Aber ich will nicht!

15.

Eines Vormittags spazierten Randers und Fides nach dem Seepavillon. Es war ein letzter Septembertag mit Wind und Wolken. Aber die Sonne war auch da und sie wärmte noch.

Der Wind kam von der See und trieb die Wolken ins Land. Grosse Schatten segelten über das Stoppelfeld. Der Roggen, der hier gestanden hatte, war längst im Speicher. Ein paar Krähen hüpften auf den kahlen Schollen, flogen auf und liessen sich in Steinwurfweite wieder nieder.

Sie konnten bequem nebeneinander gehen, brauchten sich nicht auf dem schmalen Fusssteig zu halten. Randers musste sich ein paar Mal bücken, ihr Kleid von den Stoppeln zu befreien, bis sie es lachend aufraffte. Er hatte seinen Rock zugeknöpft und das Sturmband unters Kinn gezogen, so scharf wehte hier der Wind. Manchmal blieben sie stehen und drehten den Rücken gegen den Wind, um sich besser verstehen zu können.

Fides fröstelte ein wenig, wie sie sagte; wenn sich die Schatten über das Feld legten, war schon ein herbstlicher Ton in der Luft.

Beim Pavillon war es sehr zugig, und sie gingen hinein. Sie waren lange nicht dort gewesen. Eine warme, etwas stickige Luft herrschte in dem Raum, aber des Windes wegen mussten sie die Tür schliessen. Zwei vertrocknete Waldmeisterkränze hingen an einem Nagel, und der welke Duft machte die Atmosphäre noch schwerer und beklemmender. Die bunten Fenster liessen nur ein gedämpftes Licht herein und verstärkten das Gefühl der Abgeschlossenheit.

Fides hatte ein Vergnügen daran, von Fenster zu Fenster zu gehen und die See einmal blutrot, einmal ockergelb und einmal ganz grün zu sehen. Sie wollte das alles noch einmal geniessen, denn es war das letzte Mal, dass sie es in diesem Jahre sah. Der Herbst war da und mit ihm der Umzug in die Stadt.

Sie freue sich gar nicht so darauf wie sonst, sagte sie. So gerne wäre sie noch nie auf dem Lande gewesen, wie in diesem Sommer.

"Warum bleiben Sie nicht einmal einen Winter über?" meinte Randers. "Ich denke mir das so schön." "Meinen Sie? Ich habe es einmal getan. Es ist gar zu einsam." "Das ist doch schön." "Aber auf die Dauer? Wenn noch Besuch käme. Aber es ist ja gar nichts Gescheites in der Nähe, kein Umgang, der einem zusagte." "Sie sollten mit nach Sylt kommen." "Ja, das wäre was. Aber Papa tut's nicht." "Auf ein paar Wochen nur." "Kommen Sie doch mit in die Stadt," sagte sie. "Aber Sie haben ja solche Sehnsucht nach dem Meere," setzte sie schnell hinzu. "Ich kann mir denken, wie Sie sich wegsehnen von hier." Er erwiderte nicht gleich etwas darauf. Allerlei Gedanken und Bilder gingen ihm durch den Kopf. Er besuchte mit ihr die Museen, die Konzerte, die Kirchen, sah sich von ihr in eine höhere Geselligkeit eingeführt, in die Gesellschaft; tausend verlockende Aussichten eröffneten sich ihm, wenn er mit ihr in die Stadt ginge. Und dass sie es wünschte! Dass sie es wünschte und aussprach! Das machte ihn ganz glücklich.

"Wie gerne würde ich mit in die Stadt gehen," sagte er. "Aber?" fragte sie, da er zögerte.

"Diese Idee kommt zu plötzlich, so überraschend," sagte er langsam und unsicher, und vermied dabei, sie anzusehen. "Nein, es geht nicht," sagte er mit einem plötzlichen Entschluss. "Das ist ja alles—aber nein, es darf nicht sein!" Und er fing an, hin und herzugehen, unruhig und nervös, und verzweifelte Blicke nach den Fenstern werfend, als wäre es ihm zu schwül hier.

Fides sass auf dem roten Plüschkissen, auf der einzigen langen, lehnelosen Bank, und trommelte ganz sachte mit den Fingern auf dem kleinen Borkentisch.

"Ich hatte mir das so schön gedacht," sagte sie. "Aber wenn es nicht sein kann—" Es klang weich, fast wie ein Seufzer. Sie hatte das gedacht? Schon früher daran gedacht? Hatte es sich ausgemalt? Es war nicht nur ein augenblicklicher Einfall?

"Ja, aber meine liebe gnädigste Komtesse, ich täte es so gerne, schon allein, da Sie es wünschen—" "Aber ich bitte Sie, meine Wünsche! Sie sollen durchaus nicht das geringste Opfer bringen. Sie haben sich alle diese Wochen nach Sylt gesehnt—" "Aber ich bitte, von Opfer kann ja gar keine Rede sein. Wenn Sie wüssten, wie schwer—es waren so—ich werde diese Wochen nie vergessen, die ich hier verlebte." "Ja, es war recht hübsch. Aber es wird doch jetzt schon recht unfreundlich hier. Ich freue mich doch auf die Stadt." Sie sagte das in einem ganz andern Ton. Ein plötzliches Umschlagen der Stimmung.

"Ihr ewiges Hin- und Herlaufen macht mich ganz nervös," sagte sie und stand auf. "Was haben Sie für eine Unruhe! Sie können gewiss die Zeit nicht erwarten, wo es auf und davon geht, Sie alter Meermensch." Es sollte scherzhaft klingen, aber es war eine leise Gereiztheit im Ton.

"Sie missverstehen mich, Komtesse," sagte Randers. "Wie so?" Die Frage klang wirklich naiv und machte ihn einen Augenblick irre, verwirrte ihn. Er versuchte sich mit einem Lächeln herauszuhelfen, aber es misslang.

"Ich brauche ja das Meer, die Einsamkeit—es ist ja nur eine Flucht—vor mir selbst—vor all diesen—diesen Unmöglichkeiten." Er rannte wieder auf und ab, während sie angelegentlich durch das rote Fenster auf die See sah, die Augen mit der Hand beschattend, dicht an die Scheibe gedrängt.

Er wartete, dass sie etwas erwidern sollte.

"Aber ich habe Ihnen das ja alles schon gesagt," fuhr er fort, als sie schwieg, und es klang fast verzweifelt. Er sah sie an, aber sie rührte sich immer noch nicht.

Als sie sich jedoch nach einer peinlichen Pause umwandte, erschrak er über die Blässe ihres Gesichts und den fast harten Ausdruck der Augen.

Und plötzlich—war es unter seinen besorgten, fragenden Blicken?—eine tiefe Röte überflutete sie, ihre Blicke wurden unsicher, hilflos; sie schlug die Hände vors Gesicht, und mit gepresster Stimme sagte sie leise:

"Warum quälen Sie mich so?" "Fides!" rief er.

Aber sie eilte an ihm vorüber, liess sich auf die Bank fallen, legte den Kopf auf den Tisch, und das Gesicht in beide Hände drückend, weinte sie krampfhaft.

"Fides!" Er kniete neben ihr, zitternd, bebend vor Erregung, suchte ihre Hand, erhob sich wieder und sprach, über sie hingebeugt, auf sie ein.

"Nein, nein, o nicht," stammelte er. "Was ist dies alles—Komtesse. Aber nein—Fides, liebe, liebe Fides." Und wieder lag er vor ihr auf den Knien.


11 - 2. Buch, Kapitel 14 - 15 11 - 2nd book, chapter 14 - 15

14.

(Tagebuchblätter.)

Der Doktor hat recht gehabt. Es waren nur die paar überzähligen Cognacs und Pschorrs und Kaffees. Ich fühle mich jetzt ganz wohl. In Grashof kam es noch hin und wieder, dieser Druck auf dem Kopf, als trüge man einen Stein mit sich herum. Und die Hallucinationen und wüsten Träume.

Etwas macht auch ihre Nähe. Etwas? Vielleicht alles?

Es ist ein ganz eigenartiger Zustand, ein ganz eigenartiges Verhältnis. So ohne jede Aufregung und Abspannung und jedes quälende Begehren. In der Abwesenheit ein Gefühl stiller Freude, dass sie in der Nähe ist, in erreichbarer Nähe, eine sanfte Sehnsucht, durchaus nichts Heftiges, Treibendes. Wie man an etwas denkt, das man sicher besitzt. Und in ihrer Gegenwart ein ganz ruhiges Geniessen ihrer Wohlgestalt, ihres harmonischen Wesens, ihrer vornehmen Einfachheit. Keine Spur von Liebe. Eine Art herzlichen Freundschaftsgefühls. Freude.

Sie ist Musik für mich.

* * * * *

Eine Ehe auf solcher Basis. Das wäre etwas für mich. Aber es würde schliesslich gar keine rechte Ehe sein. Ich finde kein sinnliches Verhältnis zu ihr. Der Gedanke allein an diese Dinge erniedrigt sie mir schon. Ich bin zu ästhetisch für diese Art Liebe. Also auch für die Ehe.

* * * * *

Wenn sie spielt, ist es nicht die Musik allein, sondern das Bewusstsein, dass sie es ist, die spielt. Ich habe eigentlich gar kein Urteil über ihre Musik. Ich höre alles hinein.

Sie kann gar nicht Schumann spielen, sie ist durchaus keine Schumannnatur. Und doch bilde ich mir ein, Schumann nie so schön gehört zu haben.

Aber ich darf sie nicht ansehen dabei, ich muss die Augen schliessen. Sehe ich sie an, merke ich gleich, dass sie Schumann nur spielt.

Bei Chopin darf ich ihr schon zusehen. Da ist diese vornehme Grazie des aristokratischen Salons, die zu ihr gehört. Und nun gar Weber oder Liszt. Da sitzt sie im Sattel. Und wie reitet sie!

* * * * *

Es ist eigentlich beleidigend, dieses Vertrauen, das der Graf mir schenkt. Aber nach meiner neulichen grossen Pauke für die Aristokratie und meiner kategorischen Erklärung, dass eine Mesalliance gegen meine Grundsätze wäre, muss er mich natürlich für ungefährlich halten.

Sie können ruhig schlafen, Herr Graf.

* * * * *

Ein Zeichen, dass ich nicht verliebt bin: ich habe mit ihr über die Liebe philosophiert. Sie benahm sich eigen dabei. Etwas spöttisch. Sie ist zu gesund für meine Philosophie.

(Bedenkliches Postskriptum: Du machst dir klar, dass du nicht verliebt bist. Hm!)

(PS. II. Du machst bedenkliche Bemerkungen, folglich bist du nicht verliebt.

Der Beweis ist geglückt, was mir sehr lieb ist, denn ich will mich nicht in sie verlieben.)

* * * * *

Dass auch ich gerade diesen aristokratischen Tick haben muss, ich, der vielmehr zu den Bauern, zu den Fischern gehört. Ob wirklich etwas dran ist, dass mein Urgrossvater mütterlicherseits von Adel war, alter kurländischer Adel? Die Sache ist sehr zweifelhaft, eine alte Familiensage. Ohne Dokumente. Aber vielleicht bin ich der lebendige Beweis, vielleicht rollt ein versprengter Tropfen Adelsblut in meinen Adern.

Dickes Bauernblut, von irgendwoher ein paar Tropfen Künstlerblut, Zigeunerblut, und in dieser trüben Mischung, mitgeschwemmt, dies eine aristokratische Blutkügelchen.

Das ganze etwas mit Alkohol versetzt. Ein famoser Lebenssaft. Ich hätte wohl Lust, mich einmal gründlich zur Ader zu lassen.

* * * * *

Traum, Schaum. Träume sind Schäume, hier wie dort   Hört man solch überkluges Wort,   Aber dem Leben farbleuchtenden Saum   Leiht nur goldener Traum wie Schaum.

Träume sind Schäume! O jugendlich Schäumen. Schäume sind Träume! O jugendlich Träumen. Schäumendes Kräfteüberfliessen,   Träumendes Seele in Seele sich giessen.

Träume sind Schäume,   Wen sie verlassen,   Dem müsste das Leben farblos erblassen. Nur, wem das Leben wie Schaum und Traum,   Bricht sich goldene Frucht vom Baum.

* * * * *

Ob ich nicht doch besser in meiner Krugkammer geblieben wäre? Nicht aus irgend welchen besonderen Gründen, sondern einzig, weil ich nicht zur Dankbarkeit verpflichtet sein mag. Und dies ist schon mehr Nassauerei!

Aber warum reise ich nicht ab?

Über den Musterwirt bin ich ja beruhigt, der ist schon halbwegs verlobt, mit einer Bürgerlichen. Ich hätte es ihr auch nie vergeben. Frau Krüger oder gar Madam Krüger.—

Ich will es nur eingestehen, ich war ganz regelrecht eifersüchtig, ohne verliebt zu sein. Wie muss einem Liebenden erst zu Mute sein, der eifersüchtig ist.

* * * * *

Als sie sich die Rose in den Gürtel steckte und auf den Stuhl stieg, um sich besser im Spiegel sehen zu können.

Diese ganz entzückende Naivität, diese natürlichste, kindlichste, unschuldigste Eitelkeit!

Welche Dame steigt in der Gegenwart eines Herrn auf einen Stuhl. Sie darf es, eine wirklich vornehme Dame darf alles.—

Ich hielt ihre Hand länger als schicklich in meiner, als ich ihr herunter half. Sie wurde weder verlegen noch abweisend, sie übersah es einfach.

* * * * *

La rose d'amour. An ihrem Kleid blüht eine dunkle Rose,   Entschürzt den Schoss zu wundersamem Duft,   Dass taumelnd so ihr Leben sie verkose,   Die weisse Mädchenbrust zur weichen Gruft. O sei ihr Bild zum Bilde meinem Lose,   Dass ich, wenn gartentief der Sprosser ruft,   Von Mund zu Mund, fern jeglichem Getose,   Verküssen möge Leben, Licht und Luft.

(Wäre ich verliebt, würde ich dieses Gedicht nicht haben machen können. Obgleich es schlecht genug ist und eigentlich nur mit Liebe notdürftig entschuldigt werden könnte.)

* * * * *

Gehört nicht eine gewisse Kälte des Herzens dazu, um Dichter sein zu können?

Unsinn!

Ob Leute von grosser Phantasie nicht eine gewisse mittlere Temperatur des Herzens haben, nur soviel Feuer als nötig, um der Phantasie warme Füsse zu machen?

Gibt es eine Phantasie des Herzens?

Warum nicht, wenn es eine Liebe des Kopfes gibt. Kommt auch beides zusammen vor, wie bei einem gewissen Herrn.

* * * * *

Ich muss Gerdsen wieder einige "Dokumente" schicken. Ich habe ja schon wieder genug zusammengekritzelt. Wenn er nicht schliesslich doch noch abschnappt. Zu unsinnige Idee, meinen Roman von einem andern schreiben zu lassen. Wie der arme Kerl sich wohl abrackert. Aber er kriegt es fertig, das heisst, er kriegt einen Roman fertig, aber einen Surrogatroman. Was weiss er am Ende von Henning Randers, und was können ihm die paar Zettel sagen, die ich ihm als Materialien liefere. Es wird ihm doch alles nur nebelhaft bleiben, Schattenspuk.

Übrigens, was ist das ganze Leben anders als Schattenspiel. Oder ein Suchen im Nebel. Blindekuh! Nur dass einem die Binde nie abgenommen wird. Oder doch mal? Da drüben?

Wenn man dann sehend wird, zurückblicken kann—Herrgott! Alle diese Irrgänge im dicken Erdennebel. Und dann sehen, da hättest du den Weg gehen sollen, und sieh, der Graben da, und der Baum, an dem du dir den Kopf zerbeultest—ein paar Zoll breit weiter links, und du wärst heil durchs Leben gekommen.

* * * * *

Da bin ich nun wirklich in der Kirche gewesen, fein fromm und andächtig.

Sie sass neben mir, ihr Buch lag zwischen uns, und unsere Augen nahmen denselben Weg, von Vers zu Vers, trafen sich auf den frommen Worten.

Küssten sich.

Wir selbst sassen ganz ehrbar und züchtiglich neben einander, und ich meckerte in ihren schönen Alt hinein.

Sie hatte die Führung, ich folgte wie ein Lämmlein der Hirtin.

Die Orgel. Die "liebe Gemeinde" (es war eine wirklich hübsche Sopranstimme da, die über diesem misstönigen Gemecker, Gebrumm und Gepfeife schwebte, wie eine weisse Möwe über ein schmutziges missfarbiges Stoppelfeld), die weissen schmucklosen Wände, die Sonne draussen und die Sonne drinnen, in langen, breiten Streifen über diesen alten und jungen Köpfen. Das schwarze Brett mit den grossen weissen Nummern der Choräle. Die kleine, schwarze Kanzel mit dem kleinen, weisshaarigen Pastor Weidenbusch.—

Mir wurde ganz heimatlich. Wie lange bin ich nicht in einer Dorfkirche gewesen.

* * * * *

Man sage nicht, dass in unserer protestantischen Kirche die Poesie keinen Platz hat. In den kalten grossen Stadtkirchen mit ihrem nüchternen Prunk, ja, da ist sie erfroren, elendiglich erfroren. Aber unsere Dorfkirchen. Selbst diese kahlen, getünchten Wände atmen Poesie, diese alten rohen Balken, von Schwalbenschmutz gefleckt und mit einem vergessenen Spinngewebe in irgend einem Winkel.

Was ist Poesie? Sie geht nicht von den Dingen aus, sie geht von den Menschen aus. Und welche Poesie sollte von dem städtischen Kirchenpublikum (ja Publikum!) ausgehen?

Aber hier, diese schlichten einfachen Ackerbürger, diese abgerackerten Tagelöhner, Männer und Weiber, die ihres Herzens Einfalt und Bedürfnis hierher führt, Sonntag für Sonntag; diese ganze Atmosphäre von Arbeit, Genügsamkeit, Einfalt und Himmelshoffnung, das ist es, das teilt sich diesen schmucklosen Wänden mit und leiht ihnen einen rührenden Glanz. Die Poesie kommt mit den Leuten in die Kirche, fühlt sich wohl hier und bleibt, auch wenn der Küster abschliesst.

* * * * *

Auf dem Lande verstehe ich, wie man fromm sein kann, es wieder werden kann. Auch auf dem Meere verstehe ich es. Auch im Kriege. Aber da ist die Zeit oft zu kurz dazu.

Und auf dem Sterbebett.

* * * * *

So hoch stehen, dass man religiös wird!

Auf Erden ist keiner, vor dem man sich zu beugen nötig hat. Da beugt man sich vor Gott. Um sein Gewissen zu beruhigen, um sich zu salvieren.

Oder Einsamkeitsgefühl? Grauen vor der Einsamkeit?

* * * * *

Ich liebe sie doch! Jeg elsker dig!

* * * * *

Es war kühn, ihr meine Blockhausphantasie vorzulesen. Aber sie weiss nun, wie ich es meine. Es wäre Wahnsinn, zu glauben, sie könne sich auf so was einlassen. Die Künstlernatur ist sie nicht. Zu wenig Bohémienne. Und das gehört dazu. Aber sie ist schon das Weib, mit dem ich es aushalten würde.

* * * * *

Jetzt weiss ich, wie ich mit ihr daran bin. Es war unvorsichtig von ihr, mir die Rosen aufs Zimmer zu stellen, am selben Tag noch. Und unvorsichtig war es von dir, zu erröten, als da ihr den Feldstrauss brachtest!

Aber ich will nicht!

15.

Eines Vormittags spazierten Randers und Fides nach dem Seepavillon. Es war ein letzter Septembertag mit Wind und Wolken. Aber die Sonne war auch da und sie wärmte noch.

Der Wind kam von der See und trieb die Wolken ins Land. Grosse Schatten segelten über das Stoppelfeld. Der Roggen, der hier gestanden hatte, war längst im Speicher. Ein paar Krähen hüpften auf den kahlen Schollen, flogen auf und liessen sich in Steinwurfweite wieder nieder.

Sie konnten bequem nebeneinander gehen, brauchten sich nicht auf dem schmalen Fusssteig zu halten. Randers musste sich ein paar Mal bücken, ihr Kleid von den Stoppeln zu befreien, bis sie es lachend aufraffte. Er hatte seinen Rock zugeknöpft und das Sturmband unters Kinn gezogen, so scharf wehte hier der Wind. Manchmal blieben sie stehen und drehten den Rücken gegen den Wind, um sich besser verstehen zu können.

Fides fröstelte ein wenig, wie sie sagte; wenn sich die Schatten über das Feld legten, war schon ein herbstlicher Ton in der Luft.

Beim Pavillon war es sehr zugig, und sie gingen hinein. Sie waren lange nicht dort gewesen. Eine warme, etwas stickige Luft herrschte in dem Raum, aber des Windes wegen mussten sie die Tür schliessen. Zwei vertrocknete Waldmeisterkränze hingen an einem Nagel, und der welke Duft machte die Atmosphäre noch schwerer und beklemmender. Die bunten Fenster liessen nur ein gedämpftes Licht herein und verstärkten das Gefühl der Abgeschlossenheit.

Fides hatte ein Vergnügen daran, von Fenster zu Fenster zu gehen und die See einmal blutrot, einmal ockergelb und einmal ganz grün zu sehen. Sie wollte das alles noch einmal geniessen, denn es war das letzte Mal, dass sie es in diesem Jahre sah. Der Herbst war da und mit ihm der Umzug in die Stadt.

Sie freue sich gar nicht so darauf wie sonst, sagte sie. So gerne wäre sie noch nie auf dem Lande gewesen, wie in diesem Sommer.

"Warum bleiben Sie nicht einmal einen Winter über?" meinte Randers. "Ich denke mir das so schön." "Meinen Sie? Ich habe es einmal getan. Es ist gar zu einsam." "Das ist doch schön." "Aber auf die Dauer? Wenn noch Besuch käme. Aber es ist ja gar nichts Gescheites in der Nähe, kein Umgang, der einem zusagte." "Sie sollten mit nach Sylt kommen." "Ja, das wäre was. Aber Papa tut's nicht." "Auf ein paar Wochen nur." "Kommen Sie doch mit in die Stadt," sagte sie. "Aber Sie haben ja solche Sehnsucht nach dem Meere," setzte sie schnell hinzu. "Ich kann mir denken, wie Sie sich wegsehnen von hier." Er erwiderte nicht gleich etwas darauf. Allerlei Gedanken und Bilder gingen ihm durch den Kopf. Er besuchte mit ihr die Museen, die Konzerte, die Kirchen, sah sich von ihr in eine höhere Geselligkeit eingeführt, in die Gesellschaft; tausend verlockende Aussichten eröffneten sich ihm, wenn er mit ihr in die Stadt ginge. Und dass sie es wünschte! Dass sie es wünschte und aussprach! Das machte ihn ganz glücklich.

"Wie gerne würde ich mit in die Stadt gehen," sagte er. "Aber?" fragte sie, da er zögerte.

"Diese Idee kommt zu plötzlich, so überraschend," sagte er langsam und unsicher, und vermied dabei, sie anzusehen. "Nein, es geht nicht," sagte er mit einem plötzlichen Entschluss. "Das ist ja alles—aber nein, es darf nicht sein!" Und er fing an, hin und herzugehen, unruhig und nervös, und verzweifelte Blicke nach den Fenstern werfend, als wäre es ihm zu schwül hier.

Fides sass auf dem roten Plüschkissen, auf der einzigen langen, lehnelosen Bank, und trommelte ganz sachte mit den Fingern auf dem kleinen Borkentisch.

"Ich hatte mir das so schön gedacht," sagte sie. "Aber wenn es nicht sein kann—" Es klang weich, fast wie ein Seufzer. Sie hatte das gedacht? Schon früher daran gedacht? Hatte es sich ausgemalt? Es war nicht nur ein augenblicklicher Einfall?

"Ja, aber meine liebe gnädigste Komtesse, ich täte es so gerne, schon allein, da Sie es wünschen—" "Aber ich bitte Sie, meine Wünsche! Sie sollen durchaus nicht das geringste Opfer bringen. Sie haben sich alle diese Wochen nach Sylt gesehnt—" "Aber ich bitte, von Opfer kann ja gar keine Rede sein. Wenn Sie wüssten, wie schwer—es waren so—ich werde diese Wochen nie vergessen, die ich hier verlebte." "Ja, es war recht hübsch. Aber es wird doch jetzt schon recht unfreundlich hier. Ich freue mich doch auf die Stadt." Sie sagte das in einem ganz andern Ton. Ein plötzliches Umschlagen der Stimmung.

"Ihr ewiges Hin- und Herlaufen macht mich ganz nervös," sagte sie und stand auf. "Was haben Sie für eine Unruhe! Sie können gewiss die Zeit nicht erwarten, wo es auf und davon geht, Sie alter Meermensch." Es sollte scherzhaft klingen, aber es war eine leise Gereiztheit im Ton.

"Sie missverstehen mich, Komtesse," sagte Randers. "Wie so?" Die Frage klang wirklich naiv und machte ihn einen Augenblick irre, verwirrte ihn. Er versuchte sich mit einem Lächeln herauszuhelfen, aber es misslang.

"Ich brauche ja das Meer, die Einsamkeit—es ist ja nur eine Flucht—vor mir selbst—vor all diesen—diesen Unmöglichkeiten." Er rannte wieder auf und ab, während sie angelegentlich durch das rote Fenster auf die See sah, die Augen mit der Hand beschattend, dicht an die Scheibe gedrängt.

Er wartete, dass sie etwas erwidern sollte.

"Aber ich habe Ihnen das ja alles schon gesagt," fuhr er fort, als sie schwieg, und es klang fast verzweifelt. Er sah sie an, aber sie rührte sich immer noch nicht.

Als sie sich jedoch nach einer peinlichen Pause umwandte, erschrak er über die Blässe ihres Gesichts und den fast harten Ausdruck der Augen.

Und plötzlich—war es unter seinen besorgten, fragenden Blicken?—eine tiefe Röte überflutete sie, ihre Blicke wurden unsicher, hilflos; sie schlug die Hände vors Gesicht, und mit gepresster Stimme sagte sie leise:

"Warum quälen Sie mich so?" "Fides!" rief er.

Aber sie eilte an ihm vorüber, liess sich auf die Bank fallen, legte den Kopf auf den Tisch, und das Gesicht in beide Hände drückend, weinte sie krampfhaft.

"Fides!" Er kniete neben ihr, zitternd, bebend vor Erregung, suchte ihre Hand, erhob sich wieder und sprach, über sie hingebeugt, auf sie ein.

"Nein, nein, o nicht," stammelte er. "Was ist dies alles—Komtesse. Aber nein—Fides, liebe, liebe Fides." Und wieder lag er vor ihr auf den Knien.