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Der Mann im Nebel, Gustav Falke, 01 - 1. Buch, Kapitel 1 - 3

01 - 1. Buch, Kapitel 1 - 3

Der Mann im Nebel

Roman

von

Gustav Falke

Hamburg 1916

Seinen lieben Freunden Karl Ernst Knodt und Frau Käthe herzlichst zugeeignet

Erstes Buch

Liebster Doktor!

Wie vermisse ich Sie, Sie Ausreisser.

Nach wie vor führt mich mein Berufsweg zweimal in der Woche an Ihrem alten Heim vorüber, und ich werfe betrübte Blicke nach dem Eckfenster hinauf. Wie schön war's da oben: ich auf Ihrem breiten etwas eingesessenen Sofa, Sie mir gegenüber auf dem Stuhl, zwischen uns auf dem bücherbeladenen Tisch eine Tasse Kaffee, ein Glas Bier oder ein Aquavit. Und dann ging's los, über Literatur, Kunst und tausend Sachen.

Und Ihre alte Wirtin, die Frau Obersteuerkontrolleurswitwe, der man diesen imponierenden Titel nicht ansah, mit ihrem roten Gesicht, ihrer etwas waschfrauenmässigen Hausuniform und ihrer hastigen, stossenden Sprechweise.

Und das einzige Likörglas, das kleine blaue Henkelglas, worin sie einer ganzen Korona Aquavit kredenzte, von Mund zu Mund:

"Is nich'n hübsches Glas? Is aus Travemünde. Hab ich selbst mitgebracht. Hübsches Glas. Ist es nich? Aus Travemünde. Hab'n Schwester da, wissen Sie. Ja, 'n Schwester. " Sie lässt bestens grüssen.

Sie hat jetzt ihre beiden Zimmer an einen Zöllner vermietet, einen jungen "soliden" Menschen. Sie wissen, die Frau Kontrolleur gibt viel auf das Solide.

Na, in Punkto Solidität.

Unsolide waren wir nicht. Aber der Zöllner wird uns über sein.

Ich vegetiere nun schon eine ganze Zeit lang so hin.

Kein Vers, keine Zeile. Lyrisch alles tot. Was Sie über meinen letzten Roman schrieben, hat mich sehr erfreut. Ja, es steckt viel Beobachtung darin. Aber es ist doch nichts mit diesem nüchternen Realismus. Ich möchte nun endlich mal schreiben, was Sie meinen Pan-Roman nennen.

Mich auch mal lyrisch ausgeben.

Stimmung. Psychologie. Alles mögliche. Solche Dreiecksnatur, Sie brauchten den Ausdruck einmal, so ein Porträt von Ihnen, Liebwertester, ein Individuum, das sich zwischen den drei Punkten Weib, Kunst und Natur aufreibt, seine Ringkämpfe mit sich aufführt. Ihre gefährlichen Anlagen potenziert, so dass ein Ungeheuer daraus wird.

Aber geben Sie mir einen freundschaftlichen Stoss, dass ich kopfüber in die Tinte schiesse, sonst wird's doch wieder nichts damit, und es bleibt alles beim guten—Willen darf ich's gar nicht mal nennen, denn wie gesagt, es sind tote Tage bei mir, Nebeldruck, Müdigkeit, Stumpfsinn, wie immer, wenn ich eine Arbeit hinter mir habe und eine neue sich erst heimlich vorbereitet wie das Saatkorn unter der Wintererde.

Pan, ja Pan!

Sie sitzen nun mitten drin, haben alles, was ich ersehne, liegen auf dem Rücken und hören die Mittagsmusik des bocksbeinigen Gottes, während ich hier Staub schlucke, Federn kaue und Kindergeschrei anhöre.

Hier etwas, was ich aus dem Papierkorb für Sie wieder ausgrub, weil es gerade hierherpasst.

Etwas Böcklin-Nietzsche mit einem Stich ins Scheerbartsche. Nichts Urgeborenes, also der Vernichtung gehörig.

Herzlichst

Ihr Gerd Gerdsen.

* * * * *

Tanz.

Pan bläst.

Lass uns tanzen, du und ich. Auf der Sommerwiese, in der Morgensonne lass uns tanzen, wo die weichen Winde sich deines wehenden Blondhaares freuen werden.

Komm auf die Wiese!

Blumen werden sich unter unsere Füsse drängen und aufgescheuchte Schmetterlinge unsern Tanz umtanzen, weisse und gelbe Schmetterlinge, leuchtend in der Helligkeit des wachsenden Lichtes.

Pan lockt.

Wir wollen tanzen zu diesen Tönen.

Und die Wiese tanzt, und der Wald tanzt, die schwarzen Fichten mit dem roten Morgenkleid aus Sonne und die bräutlichen Birken mit den jungfräulichen Gewändern aus Silberseide.

Und die weissen Lämmer auf der blauen Himmelswiese werden hüpfen, umeinander hüpfen, leichtwolliges Sommervolk, zu der Flöte des Hirten.

Und die Sonne wird tanzen, die lachende Sonne, dass ihre Strahlen auseinander wirbeln, uns umwirbeln, ein flimmernder, blitzender, glitzernder Schleier, in dem wir uns im Kreise drehen, du und ich in unserer nackten Schönheit und in unserer nackten Freude.

Komm, komm!

Pan bläst.

Die Bocksfüsse übereinandergeschlagen, hockt er im Fichtenschatten, Zottelbart, Waldschreck den Furchtsamen.

Wir aber tanzen vor ihm, nackt, über Blumen, zwei weisse Schmetterlinge, trunken in Lust, trunken in nackter Lust.

Lieber Gerdsen!

Herzlichen Dank für Ihren liebenswürdigen Brief.

Ja, schreiben Sie, Ihr Plan ist vorzüglich. Ich stelle mich Ihnen ganz zur Verfügung, Eigentlich Pan-Roman, wie ich es meinte, wird es vielleicht nicht. Aber einerlei. Sie haben recht: ab von dem Realismus Ihres letzten Romans. Sie wissen, wie sehr ich ihn schätze, hochwerte, diesen Realismus: künstlerisch, aufrichtig, schlicht, ohne weitere Absichten als die des treuen Bildners und Darstellers. Und dann der Humor, den Sie haben, und ohne den es nicht gehen würde. Aber selbst dieser Humor macht diese misera plebs, diese Kellerleute, Käsekrämer und Ladenmädchen nicht auf die Dauer geniessbar. Lassen Sie diese Nullen, die kein Genie zu Zahlen machen kann. Natur! Natur! Aristokratie! Höhenmenschen. Was wollen Sie Dünger karren, statt uns Edelgewächse zu ziehen.

Könnt ich's nur, wie Sie.

Aber bei mir ist alles nur Wollen, ohnmächtiges Wollen. So muss ich mich denn mit der Natur begnügen, dem einzigen, was Ersatz für mangelnde Produktivität gibt, die Natur, die uns erhebt, indem sie uns vernichtet. Die grosse Natur, die Herrscherin, die Zerstörerin, die am grössten ist, wenn sie tötet. Das ist es, was ich an der Natur so liebe: ihre Grausamkeit! Oder besser ihre Gleichgültigkeit! ihre völlige Verachtung des Menschen!

Das Meer!

Nordsee! Sylt! Skagen! Nach Skagen müssen wir mal zusammen.

Hier ist es mir zu friedlich.

Diese ewigen Wald- und Kornlandschaften, diese sanften Hügel. Alles riecht hier nach Arbeit, nach Schweiss. Unser täglich Brot gib uns heute. Amen.

Ich will die Natur gross, frei, und den freien Menschen darin, nicht den Sklaven.

Brot, Speck und Gotteswort. Und über allem der Gendarm.

Und doch kann ich hier nicht wegfinden, liege hier so in einer Art Halbschlaf, der alle Energie lahmt und keine Entschlüsse aufkommen lässt, Hans der Träumer!

Nette, liebe, einfache Leute hier, fromm und bieder.

Landvolk ! Nicht dieser ekelhafte Stadtpöbel, keine öde Sozialdemokraterei, diese Weltanschauung aus Frechheit, Hunger, Halbbildung und Borniertheit zusammengeschweisst. Eine Weltanschauung, die riecht.

Ich gehe mit dem Plan um, Einsiedler zu werden.

Ich brauche nicht viel; was ich von meiner Grosstante geerbt habe, reicht aus für zehn, zwanzig Jahre; so lange wird die Maschine wohl aushalten. Hält sie länger vor als das Öl, so muss man sie zerschlagen. Das ist das beste am Leben, dass wir's wegwerfen können.

Sie kennen mein Ideal: einige Jahre Blockhauseinsamkeit am Meer, zwischen den Schären Norwegens, am Amazonas oder irgendwo insulares Südseeparadies.

Und ein Weib, das Chopin spielt und Saint Saëns. Danse macabre. Und draussen orgelt der Sturm und die Möven schreien, oder die Affen.

Schreiben sie bald, meine Adresse ist bis auf weiteres die hiesige.

Ihr Randers.

Acht Tage war Randers schon in diesem Waldwinkel, statt an die See zu gehen, wie es seine Absicht war.

Wenn ihm jemand vorhergesagt hätte, er würde eine ganze Woche zwischen Feld und Wald in einem einsamen Schulhause leben, würde er ihn ausgelacht haben. Er war kein Idylliker. Er liebte weite Horizonte, Grösse, Erhabenheit in der Natur. Er liebte das Meer.

Was hielt ihn nur hier fest unter dem langgestreckten Ziegeldach des niedrigen Schulhauses mit dem kleinen bäuerischen Vorgarten voll greller Astern und plumper Georginen?

Das sah ja von der Landstrasse aus ganz traulich und anheimelnd aus. Aber auf die Dauer war doch alles so eng, kleinlich, so muffig. Dazu die zwei langen Blitzableiter auf dem Dach, die dem ganzen so einen offiziellen Anstrich gaben: Dies ist eine Schule.

Und dann die Familie des Lehrers!

Doch die gefiel ihm, er hatte wirklich nichts gegen sie.

Gute, brave, einfache Leute, und voller Aufmerksamkeit gegen ihren Sommergast. Sie hatten einen solchen gesucht. Er hatte es unterwegs im Provinzboten gelesen. Dann war er ihnen gleich vor die Tür gefahren. Auf ein paar Tage. Sie hatten ihn erst auf so kurze Zeit nicht aufnehmen wollen. Aber er versprach zu räumen, wenn sie das Quartier besser vermieten könnten.

Mit weicher Neugier hatten sie ihn ausgefragt.

Nicht auf einmal, aber so nach und nach. Sie mussten doch wissen, was er eigentlich war.

Ja, was war er?

Eigentlich nichts.

Aber das hätten sie nicht verstanden, er fühlte instinktiv, dass diese Leute von seiner Jugend irgend eine nützliche Tätigkeit verlangen würden.

Freilich, er war ihnen ja keine Rechenschaft schuldig. Aber es genierte ihn doch. Und so wollte er sich denn als Journalist vorstellen, besann sich aber und sagte Schriftsteller.

"Sie schreiben wohl für Blätter? "Ja, für Blätter. Alle sahn ihn mit unverhohlener Neugier an, nicht ohne Misstrauen.

Und der Lehrer sagte nochmal:

"So, f—ff—für die Blätter. Er hatte eine ungelenke Zunge.

Er umging das Stottern, indem er die widerspenstigen Laute vorsichtig anfasste und bedächtig zögernd wieder entliess.

Randers hatte schon am dritten Tag den Koffer wieder packen wollen, hatte es einen Tag aufgeschoben, weil es gerade regnete, einen andern, weil es zu heiss war und er sich müde und unlustig fühlte.

Und nun war er immer noch hier, hatte sich unmerklich eingewöhnt und liess es gehen, wie es ging.

Tagsüber lag er auf dem Rücken im Waldmoos, eingelullt von dem leisen Rauschen des Buchenlaubes, dem einzigen Geräusch, das ihm einigermassen den eintönigen Gesang des Meeres ersetzen konnte, oder er drängte sich mit seiner langen, hageren Figur durch das dichte Unterholz, auf schmalen, verwilderten Fusssteigen, wo es ihm besser gefiel als unter den hohen Buchen, die er freilich nirgends so prächtig gefunden hatte wie hier, ausgenommen natürlich in Dänemark, seinem geliebten Dänemark.

Aber das niedere Dickicht hatte es ihm angetan. So ganz eingeschlossen in der grünen Wildnis, die ihn in Kopfhöhe überdachte, in unmittelbarer Berührung mit diesem Gewirr von Zweigen und Blattwerk, so ganz in dieser grünen Enge eingeschlossen war es ihm erst wohl.

Einmal in diesen acht Tagen hatte ihn seine Sehnsucht an die Ostsee geführt, die ein paar Stunden von hier ihre schläfrigen Wellen auf den Sand des flachen, langweiligen Strandes warf.

Da hatte er ein Bad genommen und hatte dann fast zwei Stunden lang auf dem Rücken im warmen Sand gelegen, die kühle Seeluft geatmet, Verse gemacht und an ein kleines Mädchen in rotem Wollkleid gedacht.

Gedanken, die nicht tief herkamen, die aber hartnäckig waren.

Es war eigentlich nur das rote Wollkleid gewesen, das ihn beschäftigt hatte.

Diese grelle, rote Farbe, die wie ein Fleck auf allem lag, wohin er sah, auf dem Wasser, auf dem gelben Sand, und in der hellen zitternden Luft tanzte.

Ja, ja, das kam noch auf das bewusste Konto.

Hallucinationen. Er hatte auch gar zu wüst gelebt, den ganzen Winter. Aber er sollte ja auch nur darüber hinweg kommen. So ein Abschied für immer ist keine Kleinigkeit. Und es hatte doch tiefer bei ihm gesessen. Schliesslich geht's auf die Nerven. Erst dies Verhältnis, dann der Alkohol, Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, Gespenster. Es war nicht mehr zum aushalten gewesen. Er hatte zuletzt mit dem Arzt sprechen müssen. Der untersuchte ihn gründlich; kerngesund. Aber hier oben, mein Lieber, diese Knoten auf dem Kopf da. Sehen sie sich vor. Etwas weniger Spirituosen. Es ist weiter nichts als das. Gehen Sie ein paar Wochen an die See. Immer draussen. Oder machen Sie eine Fusstour. Aber wie gesagt: höchstens zwei Glas!

Das war's, was ihn seinen Koffer hatte packen lassen.

Der Arzt hatte recht, es ging wirklich nicht so weiter, wollte er noch ein paar Jahre leben. Und das wollte er. Sein Leben lag doch noch vor ihm, das Leben, das seiner Natur gemäss wäre. Und das war ja sein einziges Streben, sich mal ausleben zu können, ein paar Jahre nur, ganz souverän, keinem willig und gehorsam als nur den Geboten seiner Natur. Und dazu bedurfte er der Gesundheit. Es käme ja sonst nicht darauf an, ein paar Jahre früher oder später abzutreten. Aber nur jetzt noch nicht, jetzt, wo er endlich die Mittel hatte, sich sein Leben nach seinen Wünschen einzurichten. Zehn Jahre würde sein kleines Kapital ausreichen, zehn Jahre ungebundenen Sichauslebens. Die wollte er geniessen. Und dann? Er war nicht der Mann sich mit dem zu beschäftigen, was nach zehn Jahren sein könnte.


01 - 1. Buch, Kapitel 1 - 3 01 - Book 1, Chapters 1 - 3

Der Mann im Nebel The man in the fog

Roman novel

von

Gustav Falke

Hamburg 1916

Seinen lieben Freunden Karl Ernst Knodt und Frau Käthe herzlichst zugeeignet مع خالص التقدير لأصدقائه الأعزاء كارل إرنست كنودت وفراو كاتي Cordially dedicated to his dear friends Karl Ernst Knodt and Mrs. Käthe

Erstes Buch

Liebster Doktor! Dearest doctor!

Wie vermisse ich Sie, Sie Ausreisser. How I miss you, you runaway. Seni nasıl özleyeceğim, kaçaklar.

Nach wie vor führt mich mein Berufsweg zweimal in der Woche an Ihrem alten Heim vorüber, und ich werfe betrübte Blicke nach dem Eckfenster hinauf. لا تزال وظيفتي تأخذني إلى ما وراء منزلك القديم مرتين في الأسبوع ، وألقي بنظرات حزينة على نافذة الزاوية. My professional career continues to take me past your old home twice a week, and I look sadly up at the corner window. Daha önce olduğu gibi, kariyerim beni haftada iki kez eski evinize götürüyor ve ben köşe penceresine hüzünlü gözler döküyorum. Wie schön war’s da oben: ich auf Ihrem breiten etwas eingesessenen Sofa, Sie mir gegenüber auf dem Stuhl, zwischen uns auf dem bücherbeladenen Tisch eine Tasse Kaffee, ein Glas Bier oder ein Aquavit. How nice it was up there: me on your broad, somewhat indented sofa, you across from me in the chair, between us on the book-laden table a cup of coffee, a glass of beer or an aquavit. Orada ne kadar güzeldi: Benim geniş koltuğumda, sandalyenin karşısındaki sandalyede oturmuş, aramızdaki masanın üstünde bir fincan kahve, bir bardak bira ya da bir aquavit. Und dann ging’s los, über Literatur, Kunst und tausend Sachen. And then it started, about literature, art and a thousand things.

Und Ihre alte Wirtin, die Frau Obersteuerkontrolleurswitwe, der man diesen imponierenden Titel nicht ansah, mit ihrem roten Gesicht, ihrer etwas waschfrauenmässigen Hausuniform und ihrer hastigen, stossenden Sprechweise. And your old landlady, the widow of the senior tax inspector, who you could not see this impressive title, with her red face, her somewhat housewife-like uniform and her hasty, jarring manner of speaking. Ve eski ev kadını, kadının baş kontrol paneli dowager'ı, kırmızı yüzü, onun az yıkanmış ev hanımı üniforması ve onun aceleci, konuşma tarzı ile o gösterişli başlıkla bakılmadı.

Und das einzige Likörglas, das kleine blaue Henkelglas, worin sie einer ganzen Korona Aquavit kredenzte, von Mund zu Mund: And the only liqueur glass, the little blue handle glass, in which she served an entire corona aquavit, from mouth to mouth: Ve tek likör cam, ağzından ağza kadar bütün korona akvaryumuna hizmet ettiği küçük mavi cam kavanoz.

"Is nich’n hübsches Glas? "Isn't it a nice glass? Is aus Travemünde. Is from Travemünde. از Travemünde است. Travemünde'den. Hab ich selbst mitgebracht. I brought it myself. Hübsches Glas. Ist es nich? Is it not? Öyle değil mi? Aus Travemünde. From Travemünde. Travemünde'den. Hab’n Schwester da, wissen Sie. Got a sister, you know. Ja, 'n Schwester. " Sie lässt bestens grüssen. Best regards.

Sie hat jetzt ihre beiden Zimmer an einen Zöllner vermietet, einen jungen "soliden" Menschen. She has now rented her two rooms to a tax collector, a young "solid" person. Sie wissen, die Frau Kontrolleur gibt viel auf das Solide. You know, the woman inspector is very solid.

Na, in Punkto Solidität. Well, in terms of solidity.

Unsolide waren wir nicht. بی پروا نبودیم. Aber der Zöllner wird uns über sein. But the tax collector will be over us.

Ich vegetiere nun schon eine ganze Zeit lang so hin. I've been vegetating like this for quite a while now. من مدتی است که گیاهخواری کرده ام.

Kein Vers, keine Zeile. Not a verse, not a line. Lyrisch alles tot. Lyric everything dead. Was Sie über meinen letzten Roman schrieben, hat mich sehr erfreut. Ja, es steckt viel Beobachtung darin. Yes, there is a lot of observation in it. Aber es ist doch nichts mit diesem nüchternen Realismus. But there is nothing with this sober realism. Ich möchte nun endlich mal schreiben, was Sie meinen Pan-Roman nennen. I would like to finally write what you call my pan-novel.

Mich auch mal lyrisch ausgeben. I also spend time lyrically.

Stimmung. Mood. Psychologie. Alles mögliche. Solche Dreiecksnatur, Sie brauchten den Ausdruck einmal, so ein Porträt von Ihnen, Liebwertester, ein Individuum, das sich zwischen den drei Punkten Weib, Kunst und Natur aufreibt, seine Ringkämpfe mit sich aufführt. Such a triangular nature, you used the expression once, a portrait of you, dearest, an individual who struggles between the three points of woman, art and nature, carries on his wrestling matches with himself. Ihre gefährlichen Anlagen potenziert, so dass ein Ungeheuer daraus wird. Your dangerous assets potentiated so that they become a monster.

Aber geben Sie mir einen freundschaftlichen Stoss, dass ich kopfüber in die Tinte schiesse, sonst wird’s doch wieder nichts damit, und es bleibt alles beim guten—Willen darf ich’s gar nicht mal nennen, denn wie gesagt, es sind tote Tage bei mir, Nebeldruck, Müdigkeit, Stumpfsinn, wie immer, wenn ich eine Arbeit hinter mir habe und eine neue sich erst heimlich vorbereitet wie das Saatkorn unter der Wintererde. But give me a friendly push so that I shoot headlong into the ink, otherwise it won't work again, and everything stays with goodwill - I can't even call it because, as I said, there are dead days for me, fog pressure Tiredness, stupidity, as always when I have a job behind me and a new one is secretly preparing like the seed under the winter earth.

Pan, ja Pan! Pan, yes Pan!

Sie sitzen nun mitten drin, haben alles, was ich ersehne, liegen auf dem Rücken und hören die Mittagsmusik des bocksbeinigen Gottes, während ich hier Staub schlucke, Federn kaue und Kindergeschrei anhöre. You are now sitting in the middle of it all, have everything I long for, lie on your back and listen to the noon music of the goat-legged God, while here I swallow dust, chew feathers and hear children screaming.

Hier etwas, was ich aus dem Papierkorb für Sie wieder ausgrub, weil es gerade hierherpasst. Here's something I dug up from the wastebasket for you, because it just fits here.

Etwas Böcklin-Nietzsche mit einem Stich ins Scheerbartsche. Something Böcklin-Nietzsche with a stab in Scheerbartsche. Nichts Urgeborenes, also der Vernichtung gehörig.

Herzlichst

Ihr Gerd Gerdsen. Yours Gerd Gerdsen.

* * * * *

Tanz. Dance.

Pan bläst. Pan blows.

Lass uns tanzen, du und ich. Auf der Sommerwiese, in der Morgensonne lass uns tanzen, wo die weichen Winde sich deines wehenden Blondhaares freuen werden.

Komm auf die Wiese! Come to the meadow!

Blumen werden sich unter unsere Füsse drängen und aufgescheuchte Schmetterlinge unsern Tanz umtanzen, weisse und gelbe Schmetterlinge, leuchtend in der Helligkeit des wachsenden Lichtes.

Pan lockt.

Wir wollen tanzen zu diesen Tönen.

Und die Wiese tanzt, und der Wald tanzt, die schwarzen Fichten mit dem roten Morgenkleid aus Sonne und die bräutlichen Birken mit den jungfräulichen Gewändern aus Silberseide.

Und die weissen Lämmer auf der blauen Himmelswiese werden hüpfen, umeinander hüpfen, leichtwolliges Sommervolk, zu der Flöte des Hirten.

Und die Sonne wird tanzen, die lachende Sonne, dass ihre Strahlen auseinander wirbeln, uns umwirbeln, ein flimmernder, blitzender, glitzernder Schleier, in dem wir uns im Kreise drehen, du und ich in unserer nackten Schönheit und in unserer nackten Freude.

Komm, komm!

Pan bläst.

Die Bocksfüsse übereinandergeschlagen, hockt er im Fichtenschatten, Zottelbart, Waldschreck den Furchtsamen.

Wir aber tanzen vor ihm, nackt, über Blumen, zwei weisse Schmetterlinge, trunken in Lust, trunken in nackter Lust.

Lieber Gerdsen!

Herzlichen Dank für Ihren liebenswürdigen Brief.

Ja, schreiben Sie, Ihr Plan ist vorzüglich. Ich stelle mich Ihnen ganz zur Verfügung, Eigentlich Pan-Roman, wie ich es meinte, wird es vielleicht nicht. Aber einerlei. Sie haben recht: ab von dem Realismus Ihres letzten Romans. Sie wissen, wie sehr ich ihn schätze, hochwerte, diesen Realismus: künstlerisch, aufrichtig, schlicht, ohne weitere Absichten als die des treuen Bildners und Darstellers. Und dann der Humor, den Sie haben, und ohne den es nicht gehen würde. Aber selbst dieser Humor macht diese misera plebs, diese Kellerleute, Käsekrämer und Ladenmädchen nicht auf die Dauer geniessbar. Lassen Sie diese Nullen, die kein Genie zu Zahlen machen kann. Natur! Natur! Aristokratie! Höhenmenschen. Was wollen Sie Dünger karren, statt uns Edelgewächse zu ziehen.

Könnt ich’s nur, wie Sie.

Aber bei mir ist alles nur Wollen, ohnmächtiges Wollen. So muss ich mich denn mit der Natur begnügen, dem einzigen, was Ersatz für mangelnde Produktivität gibt, die Natur, die uns erhebt, indem sie uns vernichtet. Die grosse Natur, die Herrscherin, die Zerstörerin, die am grössten ist, wenn sie tötet. Das ist es, was ich an der Natur so liebe: ihre Grausamkeit! Oder besser ihre Gleichgültigkeit! ihre völlige Verachtung des Menschen!

Das Meer!

Nordsee! Sylt! Skagen! Nach Skagen müssen wir mal zusammen.

Hier ist es mir zu friedlich.

Diese ewigen Wald- und Kornlandschaften, diese sanften Hügel. Alles riecht hier nach Arbeit, nach Schweiss. Unser täglich Brot gib uns heute. Amen.

Ich will die Natur gross, frei, und den freien Menschen darin, nicht den Sklaven.

Brot, Speck und Gotteswort. Und über allem der Gendarm.

Und doch kann ich hier nicht wegfinden, liege hier so in einer Art Halbschlaf, der alle Energie lahmt und keine Entschlüsse aufkommen lässt, Hans der Träumer!

Nette, liebe, einfache Leute hier, fromm und bieder.

Landvolk ! Nicht dieser ekelhafte Stadtpöbel, keine öde Sozialdemokraterei, diese Weltanschauung aus Frechheit, Hunger, Halbbildung und Borniertheit zusammengeschweisst. Eine Weltanschauung, die riecht.

Ich gehe mit dem Plan um, Einsiedler zu werden.

Ich brauche nicht viel; was ich von meiner Grosstante geerbt habe, reicht aus für zehn, zwanzig Jahre; so lange wird die Maschine wohl aushalten. Hält sie länger vor als das Öl, so muss man sie zerschlagen. Das ist das beste am Leben, dass wir’s wegwerfen können.

Sie kennen mein Ideal: einige Jahre Blockhauseinsamkeit am Meer, zwischen den Schären Norwegens, am Amazonas oder irgendwo insulares Südseeparadies.

Und ein Weib, das Chopin spielt und Saint Saëns. Danse macabre. Und draussen orgelt der Sturm und die Möven schreien, oder die Affen.

Schreiben sie bald, meine Adresse ist bis auf weiteres die hiesige.

Ihr Randers.

Acht Tage war Randers schon in diesem Waldwinkel, statt an die See zu gehen, wie es seine Absicht war.

Wenn ihm jemand vorhergesagt hätte, er würde eine ganze Woche zwischen Feld und Wald in einem einsamen Schulhause leben, würde er ihn ausgelacht haben. Er war kein Idylliker. Er liebte weite Horizonte, Grösse, Erhabenheit in der Natur. Er liebte das Meer.

Was hielt ihn nur hier fest unter dem langgestreckten Ziegeldach des niedrigen Schulhauses mit dem kleinen bäuerischen Vorgarten voll greller Astern und plumper Georginen?

Das sah ja von der Landstrasse aus ganz traulich und anheimelnd aus. Aber auf die Dauer war doch alles so eng, kleinlich, so muffig. Dazu die zwei langen Blitzableiter auf dem Dach, die dem ganzen so einen offiziellen Anstrich gaben: Dies ist eine Schule.

Und dann die Familie des Lehrers!

Doch die gefiel ihm, er hatte wirklich nichts gegen sie.

Gute, brave, einfache Leute, und voller Aufmerksamkeit gegen ihren Sommergast. Sie hatten einen solchen gesucht. Er hatte es unterwegs im Provinzboten gelesen. Dann war er ihnen gleich vor die Tür gefahren. Auf ein paar Tage. Sie hatten ihn erst auf so kurze Zeit nicht aufnehmen wollen. Aber er versprach zu räumen, wenn sie das Quartier besser vermieten könnten.

Mit weicher Neugier hatten sie ihn ausgefragt.

Nicht auf einmal, aber so nach und nach. Sie mussten doch wissen, was er eigentlich war.

Ja, was war er?

Eigentlich nichts.

Aber das hätten sie nicht verstanden, er fühlte instinktiv, dass diese Leute von seiner Jugend irgend eine nützliche Tätigkeit verlangen würden.

Freilich, er war ihnen ja keine Rechenschaft schuldig. Aber es genierte ihn doch. Und so wollte er sich denn als Journalist vorstellen, besann sich aber und sagte Schriftsteller.

"Sie schreiben wohl für Blätter? "Ja, für Blätter. Alle sahn ihn mit unverhohlener Neugier an, nicht ohne Misstrauen.

Und der Lehrer sagte nochmal:

"So, f—ff—für die Blätter. Er hatte eine ungelenke Zunge.

Er umging das Stottern, indem er die widerspenstigen Laute vorsichtig anfasste und bedächtig zögernd wieder entliess.

Randers hatte schon am dritten Tag den Koffer wieder packen wollen, hatte es einen Tag aufgeschoben, weil es gerade regnete, einen andern, weil es zu heiss war und er sich müde und unlustig fühlte.

Und nun war er immer noch hier, hatte sich unmerklich eingewöhnt und liess es gehen, wie es ging.

Tagsüber lag er auf dem Rücken im Waldmoos, eingelullt von dem leisen Rauschen des Buchenlaubes, dem einzigen Geräusch, das ihm einigermassen den eintönigen Gesang des Meeres ersetzen konnte, oder er drängte sich mit seiner langen, hageren Figur durch das dichte Unterholz, auf schmalen, verwilderten Fusssteigen, wo es ihm besser gefiel als unter den hohen Buchen, die er freilich nirgends so prächtig gefunden hatte wie hier, ausgenommen natürlich in Dänemark, seinem geliebten Dänemark.

Aber das niedere Dickicht hatte es ihm angetan. So ganz eingeschlossen in der grünen Wildnis, die ihn in Kopfhöhe überdachte, in unmittelbarer Berührung mit diesem Gewirr von Zweigen und Blattwerk, so ganz in dieser grünen Enge eingeschlossen war es ihm erst wohl.

Einmal in diesen acht Tagen hatte ihn seine Sehnsucht an die Ostsee geführt, die ein paar Stunden von hier ihre schläfrigen Wellen auf den Sand des flachen, langweiligen Strandes warf.

Da hatte er ein Bad genommen und hatte dann fast zwei Stunden lang auf dem Rücken im warmen Sand gelegen, die kühle Seeluft geatmet, Verse gemacht und an ein kleines Mädchen in rotem Wollkleid gedacht.

Gedanken, die nicht tief herkamen, die aber hartnäckig waren.

Es war eigentlich nur das rote Wollkleid gewesen, das ihn beschäftigt hatte.

Diese grelle, rote Farbe, die wie ein Fleck auf allem lag, wohin er sah, auf dem Wasser, auf dem gelben Sand, und in der hellen zitternden Luft tanzte.

Ja, ja, das kam noch auf das bewusste Konto.

Hallucinationen. Er hatte auch gar zu wüst gelebt, den ganzen Winter. Aber er sollte ja auch nur darüber hinweg kommen. So ein Abschied für immer ist keine Kleinigkeit. Und es hatte doch tiefer bei ihm gesessen. Schliesslich geht’s auf die Nerven. Erst dies Verhältnis, dann der Alkohol, Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, Gespenster. Es war nicht mehr zum aushalten gewesen. Er hatte zuletzt mit dem Arzt sprechen müssen. Der untersuchte ihn gründlich; kerngesund. Aber hier oben, mein Lieber, diese Knoten auf dem Kopf da. Sehen sie sich vor. Etwas weniger Spirituosen. Es ist weiter nichts als das. Gehen Sie ein paar Wochen an die See. Immer draussen. Oder machen Sie eine Fusstour. Aber wie gesagt: höchstens zwei Glas!

Das war’s, was ihn seinen Koffer hatte packen lassen.

Der Arzt hatte recht, es ging wirklich nicht so weiter, wollte er noch ein paar Jahre leben. Und das wollte er. Sein Leben lag doch noch vor ihm, das Leben, das seiner Natur gemäss wäre. Und das war ja sein einziges Streben, sich mal ausleben zu können, ein paar Jahre nur, ganz souverän, keinem willig und gehorsam als nur den Geboten seiner Natur. Und dazu bedurfte er der Gesundheit. Es käme ja sonst nicht darauf an, ein paar Jahre früher oder später abzutreten. Aber nur jetzt noch nicht, jetzt, wo er endlich die Mittel hatte, sich sein Leben nach seinen Wünschen einzurichten. Zehn Jahre würde sein kleines Kapital ausreichen, zehn Jahre ungebundenen Sichauslebens. Die wollte er geniessen. Und dann? Er war nicht der Mann sich mit dem zu beschäftigen, was nach zehn Jahren sein könnte.